43
Baugewerksmeister und Architekt.
344
so imponirt? Es ist zunächst die große Einfachheit! Aller reiche
Schmuck ist weggelassen, weil er vollkommen entbehrlich ist, denn das
Zanze wirkt schon durch die Harmonie der Verhältnisse. Diese
rirche ist Repräsentant eines neuen Stils, dessen Blüthe aber leider
hald im Keime geknickt wurde, und die bestimmte Einfachheit,
welche Bähr angebahnt, verfiel bald darauf in die geistloseste Ver—
flachung. Herr Prof. Dr. Hettner sagte einmal in einer seiner akade—
nischen Vorlesungen: „trotz einzelner im Detail auftretenden HZopfigkeit
ei das Ganze so groß, so mächtig aus sich selbst herausgewachsen, daß
diese unsere Frauenkirche unbedingt neben dem Berliner Schloß
hon Andreas Schlüter die glänzendste Leistung der deutschen Kunst—
geschichte im Anfang des 18. Jahrhunderts sei.“
„Während wir“, wie Albert von Zahn betont, „in der katholischen
kdirche die abschließende Leistung des italienischen Barockstils auf
zeutschem Boden in seiner malerischsten und geschmackvollsten Er—
cheinung kennen lernen, zeigt sich in der Frauenkirche die echt
beutsche Tendenz nach rationeller Einfachheit, die, freilich nicht in
der Dekoration, aber in der Konstruktion in unserer Frauenkirche
einen zwar vereinzelten, wohl aber den genialsten Ausdruck gefun—
den hat.“
Diuhr hat mit seinem Konstruktivsystem zugleich bewiesen,
wie durch Einfachheit und Proportionalität aller Schmuck zu ent⸗
Jehren ist. Abgeschlossenheit, Einheit, Uebereinstimmung und Selbst⸗
ständigkeit sind bekanntlich Eigenschaften, welche die Gleichmäßig—
keit repräsentiren und welche ünerläßliche Forderungen der Schön—
heit sind. Das alles hat George Bähr gar wohl berüchsichtigt.
Die Faktoren der Zweckmäßigkeit, Sicherheit und Dauerhaftigkeit
der Bähr'schen Konstruktion begründen sich wiederum auf der Natur
des dazu verwandten Materials und der Technik. Jeder bedeutende
Fortschritt in Entwickelung der Architektur beruht auch auf dem
Fortichritt in der Entwickelung der technischen Wissenschaft. Es
am bei diesem Bau darauf an, ein schwieriges Problem zu lösen,
ind wie schön hat Bähr den Schlüssel dazu gefunden.
Bähr ist eine gewaltige Person, er kann in seiner
Individualität mit Luther, Lessing und Winkelmann
derglichen werden; mit Luther wegen seiner Erhabenheit
uund Unerschrockenheit, die muthig dem vorgesteckten
Ziele entgegenarbeitet, mit Lessing wegen der Schärfe
des Verstandes, d. h. wegen der kräftigen, kritischen
Beweisführung und mit Winkelmann wegen seines
Sinnes für Wahrheit, ẽæ—r tie und Schönheit der
unst, und daher gebü ste Ehre dem Gedächt—
riß des vielgeprüften Geb— uhr. Th. Thürigen.
Mittheilungen aus der Praris.
Baugewerksmeister und Architekt.
Lon geschätzter Seite wird uns geschrieben:
Fine der hervorstechendsten Eigenthümlichkeiten der modernen
Produktionsmethoden auf den meisten realen, ja sogar auf den
dealen Schaffensgebieten ist die Theilung der Arbeit, ein Prinzip,
dermöge dessen nicht eine Hand und der nämliche Kopf die
Schöpfung eines Werkes vollbringen, sondern Mehrere daran mit—
arbeiten, so daß Keinem die Urheberschaft des Ganzen, jedem aber
die eines Theiles zukommt. Die Nachtheile und Vortheile dieses
Systems sind bekannt; auch dürfte schwerlich Jemand bezweifeln,
)aß es im Baugewerbe nur bis zu einem gewissen Grade durch—
ührbar und foͤrderlich ist. Hauptgrundsatz ist und bleibt: die
Arbeitstheilung gehört in die Fabrit, nicht in's Handwerk! Na—
nentlich muß sie sehr mit Vorsicht angewendet werden bei einem
Handwerk, welches gleichzeitig eine Kunst ist. Hier paßt kein
Zchablonisiren.
Die Werke der Baukunst werden geschaffen dadurch, daß die
orgefaßte, auch soweit es angeht, riß- und zeichnungsmäßig fixirte
und veranschaulichte Idee in der Sinnenwelt reell und ma—
er iell verwirklicht wird. Da nun Geist und Körper, Idee und
Realität, wie Feuer und Wasser verschieden sind, so schiene es
m Baugewerbe eine natürliche und logische Nothwendigkeit zu sein,
daß die eine Person die Idee des Bauwerks faßte, die andere fie
körperlich ausführte. Es schiene demnach ein Syftem der Arbeits-
heilung unerläßlich für die Schöpfuüngen des Baugewerbes, so
aßt zum es gleich herauszusagen, die geistige Thätigkeit von einem
Architekten, Baumeister oder wie er sich nennen mag, zu über⸗
nehmen wäre, während den hanptsächlich (kunste) handwerksmäßigen
Theil. das physische Erbauen, der Maurer, Zimmer—⸗, Tischler-⸗,
Schlosser⸗, Dachdecker- ⁊tc. Meister mit seinen Leuten vollführte.
Diese Theilung der Arbeit nach dem physischen und deellen
Gebiet ist unseres Erachtens für das Baugewerbe im Prinzip ver⸗
werflich; ersprießlich kann nur sein, daß der praktische Ausführer
—B—
keiten, die physische und die intellektuelle, von Kopf und Hand der
rämlichen Person ausgehen. Natürlich stellen wir nicht die un—
innige Forderung, der Meister solle selbst sein eigener nu dan
Polier X. sein.s) Die Arbeitstheilung auf dem physischen Gebiet
illein, und wenn dieses als Einheit betrachtet wird, ist so be—
rechtigt als nothwendig, was nicht weiter ausgeführt zu werden
»raucht. Der Meeister leitet und beaufsichtigt nur; des Gesellen,
Lehrlings ꝛc. Hände sind seine eigenen Hände.
In früherer Zeit gab es keinen speziell abgegrenzten Stand
der Architekten oder Baumeister (welche die Idee des Bauwerks
uu schöpfen gehabt hätten) gegenüber dem praktischen Meisterstand.
Zeide Funktionen waren in derselben Person vereinigt und zwar
uicht zum Schaden der Baukunst, wie so viele herrliche Denk—
näler derselben uns überzeugend beweisen. Was ist auch wohl
atürlicher und förderlicher, als daß derselbe Mann, welcher vor—
ihnenden Geistes in seiner Idee das Bild eines Bauwerks zuerst
chaute, dasselbe auch in die Wirklichkeit stellt? Sind beide Funk—
ionen getrennt, so sind Mißverständnisse unvermeidlich, denn oft
sat nur, wer die Idee zuerst konzipirte, die reinste und zugleich
örperlichste Anschauung, die er durch Riß, Zeichnung, Maaß und
Rechnung doch nur in matterem Bilde einem Andern, der die
Idee ausführen soll, mitzutheilen vermag, so anerkennenswerth in
sieser Beziehung auch die Fortschritte der Technik sind. Es wird
ilso oft durch die Ausführung die Idee nicht treu genug wieder—
jegeben, von anderen praktischen Mängeln und Bedenken gegen die
Theilung der Funktionen des Baumeisters und des Bauausführers
Jjanz zu schweigen.
Erst die staatliche Büreaukratie mit ihrem hierarchisch ge—
zliederten Beamtenheer schuf jene verwerfliche Arbeitstheilung
wischen Baumeister und Bauausführer. Der bauende Fiskus
»rauchte für seine zahlreichen Bauwerke und sein immobiles Eigen—
hum besondere Aussichtsbeamte. Diese übernahmen dann allmälig
nuch den künstlerischen, idealen Theil, und es hatte nach ihrer Idee
Riß, Zeichnung ꝛc.) der praktische Baugewerkmeister die Aus—
ührung des Bauwerks zu vollziehen. Die Folge dieser büreau—
ratischen Schablone waren denn jene jammervollen Staatsbauten
ilterer Zeit, die zum Theil noch stehen, soweit sie nicht beseitigt
ind. Die Kommunen folgten dem Staate nach und bald gab es
zuch besondere Stadtbaumeister.
Daß solchermaßen der Baugewerkmeister aus seinem ureigen—
hümlichsten Gebiet, nämlich dem ideenschöpferischem, gleichsam
xpropriirt wurde, hatte neben anderen Ursachen (Verfall des
Zunftwesens, Mangel der Zentralisation, politischen Druck ꝛc.) die
chädliche Seitenwirkung, daß der Baugewerksmeister sich entwöhnte,
jach eigenen Ideen zu bauen. Er ward abhängig in dieser Rich—
ung von dem technisch geschulten Beamten, dem mit Amtswürde
ehaͤngten Banmeister. Begierig riß dieser die sogenannte „Privat—
»raxis“ an sich und fabrizirte auch für den Meister den Riß und
esorgte das Rechnungsmäßige. Der Brotherr Staat (Kommune ꝛc.),
»bwohl er sonst seinen Beamten ganz für sich haben will und
Privatarbeiten (außer Schriftstellerei) und Nebenämter verbietet,
ieß im Bauwesen dergleichen zu, vermuthlich, weil die maß—
jebenden Baubeamten, welche zu verbieten gehabt hätten, selber
ergleichen Nebenverdienst machten.
Inzwischen aber raffte sich auch das praktische Baugewerk
vieder auf. Treffliche Bauschulen privater Natur entstanden und
s gedieh wieder die Pflege des Hauptstücks der Baukunst, der
Idee, auch im bürgerlichen Baugewerbe. Der Staat selbst nahm
diese Schulen zum Vorbild, um ähnliche für seine Beamten ein—
zurichten und sucht sie neuerdings völlig an sich zu reißen, auch
inter seine botmäßige büreaukraätische Aufsicht zu bringen. So
zewährt der Staat vielen Baugewerkschulen, ihre Geldverlegenheit
ind schlechte ökonomische Verfassung benutzend, nicht sehr erhebliche
Zzuschüsse, läßt sich aber dafür sehr wesentliche Verwaltungs- und
Lufsichtsrechte einräumen. Gern werfen sich solche Schulen dem
Staat in die Arme, um von seinem Nimbus, womit er die Be—
imten bekleidet, zu profitiren; die Abgangsprüfungen besonders
cheinen durch Zuziehung von fiskalischen anne an Werth
zu gewinnen, wenigstens in den Augen des Privatmannes, als
»b bürgerliche Bauschulen, wenn man ihnen nur Zeit zur Ent—
vickelung läßt, nicht mehr leisten würden, als reglementirte Staats—
instalten! War es ein Staatsbaubeamter oder nicht vielmehr der
ürgerliche Architekt Paul Wallot, der dem Reiche die Idee zu
einem prächtigsten Palast schuf? Die Kunst ist frei und muß frei
ein, sie läßt sich nicht in büreaukratischem Getriebe fortschieben
ind in die Formulare des Beamten bannen.
So wurde hauptsächlich in den letzten Jahrzehnten durch den
Aufschwung der technischen Lehranstalten das Bauhandwerk nach
der Richtung hin regenerirt, daß nun auch der Baugewerksmeister,
H Ebenso selbstperständlich ist die Theilung des Bauhandwerks in
Naurer⸗, Zimmer⸗, Klempner⸗, Schlosser⸗ ꝛc. Meister. Auch diese Arbeits—
theilung liegt auf dem praktischen Gebiet.