377 Die Innungsfrage in Bezug auf die Gewerbevereine. — Ueber neuere Verwendungsweisen des Asphalts im Bauwesen. 678
Die Innungsfrage in Bezug auf die
Gewerbevereine.
Im mittleren und südlichen Deutschland sind die Gewerbe—
vereine seit Einführung der Gewerbefreiheit zu großer Blüthe ge—
langt und haben durch Errichtung von Unterrichtsanstalten —
Handwerker-Sonntags- und Abendschulen, erweiterte Handwerker—
schulen, Fachschulen, und sonstige, die Hebung des Hand—
werkerstandes bezweckende Einrichtungen einen Weg beschritten, der
einzig und allein im Stande ist, den Handwerkerstaund auf den—
enigen Standpunkt zu stellen, welcher ihm gebührt und ihn davor
schützen kann, daß er nicht von der Großindustrie aufqgezehrt oder
unterdrückt werde.
Seitdem nun von gewisser Seite die Innungsfrage wieder
in den Vordergrund geschoben ist und auch die Reichsregierung
diesen Bestrebungen in gewisser Beziehung Rechnung getragen hat,
sind Versuche nicht ausgeblieben, die Gewerbevereine in's Wanken
zu bringen und dafür sogenannte freie Innungen zu installiren.
Wer die segensreichen Leistungen der Gewerbevereine — zu denen
wir auch die seit Einführung der Gewerbefreiheit begründeten
Baugewerkvereine rechnen — kennt, wird mit uns darin überein—
stimmen, daß es nichts Anderes heißt, als den Handwerkerstand
unterdrücken, wenn man die Innungen an die Stelle der freien
Gewerbevereine stellen will. In einem früheren Artikel haben
wir uns dahin ausgesprochen, daß die freien Innungen unter
Umständen ganz segensreich wirken könnten, aber wir haben auch
nachgewiesen, wie wenig dieselben unter der jetzigen Gesetzgebung
hierzu geeignet sind.
Es ist eine durchaus verfehlte Ansicht, wenn man sich dem
Glauben hingiebt, staatliche Hülfe und Aufsicht, Prüfungszwang
ꝛc. seien im Stande, dem Handwerkerstande in die Höhe zu helfen;
es ist vielmehr einzig und allein die Selbsthülfe, die hier nützen
kann, d. h. der Handwerkerstand muß sich aufraffen, muß seine
Kenntnisse erweitern und sich der Großindustrie ebenbürtig an die
Seite stellen, aber nicht den Versuch machen, die alten ünd ver—
alteten Zünfte wieder zu beleben.
Die alten Zünfte waren aus einem inneren Bedürfnisse
entstanden, welches die Zeitverhältnisse mit sich brachten, und aus
diesem Grunde gelangten sie zur Blüthe. Will man nun dem
Handwerkerstande durch Bearündung von Korporationen zu Hülfe
kommen, so müssen diese nicht in irgend welcher Form künstlich
gebildet werden, sondern müssen, wie die alten Zünfte, aus dem
Bedürfnisse selbst herauswachsen. Nur solche natuͤrlich entwickelten
Institutionen können den Keim des Lebens in sich tragen, und
seweisen dies am besten die Gewerbevereine.
Der Versuch, das Innungswesen im Sinne der Zünfte neu
zu gestalten, ist von den preußischen Gewerberäthen bereits zu
einer Zeit gemacht worden, als noch gar nicht an die Gewerbe—
freiheit gedacht wurde, jedoch ohne allen Erfolg; auch ging der
letzte preußische Gewerberath im Jahre 1864 ein.
In denjenigen Zeiten, in welchen alle Geschäfte blühten —
und wir haben seit Einführung der Gewerbefreiheit bereits eine
stattliche Reihe guter Geschäftsjahre gehabt — fiel es Niemandem
ein, auf die Gewerbefreiheit zu schelten oder den Prüfungs- und
Innungszwang zu fordern; es entstanden gerade in dieser Zeit die
meisten Gewerbevereine. Nun aber die Geschäfte etwas schlechter
gehen, werden auf einmal Stimmen laut, welche die Gewerbe—
freiheit hierfür verantwortlich machen wollen. Liegt darin auch
nur die geringste Konsequenzä? Wir meinen, man solle im Gegen—
theil den Blick auf sich selbst richten und überlegen, weshalb man
z. B. der Konkurrenz mit der Großindustrie oder auch der vielen
in neuerer Zeit entstandenen Konkurrenz-Geschäften nicht gewachsen
ist. Man wird dann wahrscheinlich zu der Ueberzeugung kommen,
daß der von den Gewerbevereinen beschrittene Weg der einzige
zum Heile führende ist; d. h. die Hebung des Handwerkerstandes
ist des Handwerkers eigenste Sache, und ist Niemand und keine
Korporation dazu mehr berufen, als die Gewerbevereine.
Die Hebung des Handwerkerstandes wird um so gewisser
und schneller geschehen, je mehr diese Erkenntniß seine Mitglieder
durchdringt, der ganze Gewerbestand mit einer großen Zahl
tüchtiger Meister durchsetzt wird und die intellektuelle und technische
Bildung des Gewerbestandes steigt. Der Gewerbestand wird sich
aber auch einen festen Boden für seine Zukunft schaffen, wenn er
es versteht, außer den oben angedeuteten Zielen seine Interessen
auch den Behörden des Staates gegenüber in Geltung zu bringen,
wie dies bereits in verschiedenen Staaten Mittel- und Süddeutsch⸗
lands in hervorragender Weise der Fall ist. —
Durch Begruͤndung von Gewerbekammern, die größtentheils
mit den Handelskammern verbunden sind, hat man in Nord—
deutschland den Wünschen des Handwerks nach einer entsprechenden
Vertretung zu genügen geglauht. Diese Gewerbekammern haben
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