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Vertreter des Baugewerbes im Parlament.
Auf dem diesjährigen Delegirtentage des Verbandes deutscher
Baugewerksmeister sprach der Vorsitzende in der Eröffnungsrede
sein Bedauern darüber aus, daß es noch immer nicht gelungen
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gen. Wer solle denn die Interessen des Baugewerkes vertreten,
wenn in dem Reichstage nur Männer seien, die das Bangewerbe
nur vom Hörensagen kennen?
In mehreren politischen Zeitungen ist hierauf konstatirt wor—
den, daß in der Fortschrittsfraktion des Deutschen Reichstages
während der letzten Session des Reichstages 3 Vertreter des Baäu—
gewerbes gewesen seien. Außerdem wurde bemerkt, daß die meisten
anderen Reichstags-Mitglieder das Baugewerbe wohl auch etwas
mehr, als vom Hörensagen kennen würden.
Da diese Klage des Verbandes seit einer Reihe von Jahren
regelmäßig wiederkehrt, so sind wir veranlaßt, dieselbe einmal
etwas näher in's Auge zu fassen.
Vor mehreren Jahren wurde von Mitgliedern des Verbandes
ein Aufruf erlassen zur Gründung eines Wahlvereins zum Zwecke
der Betreibung von Agitationen für die Wahl von Mitguedern
des Baugewerbes für den Reichstag und zu einer Versammlung —
irren wir nicht — nach Leipzig eingeladen. Von irgend welchen
Erfolgen, welche dieser Aufruf gehabt hat, haben wir nichts ge—
hört, nur ist seit dieser Zeit die oben angeführte Klage eine sie—
hende geworden. Inzwischen ist aber ein hervorragendes Mitglied
des Verbandes, der Maurermeister Bauer zu Hamburg, Mitglied
des Reichstages, und zwar in der nationalliberalen Fraktion ge—
wesen. Freilich war derselbe nicht in Folge jener Agitation des
Verbandes gewählt, sondern in einem Hamburger Wahlkreise auf
Grund des nationalliberalen Programmes. Herr Bauer war aber
nach kurzer b3 genöthigt, sein Mandat niederzulegen, weil er sich
mit seiner Wählerschaft nicht mehr in Uebereinstimmung befand.
Derselbe hat sich also auch nicht als Vertreter des Baugewerbes
im Reichstage gefühlt, d. h. nicht als Vertreter eines bestimmten
Standes, sondern als Vertreter des Deutschen Volkes; als aber
seine Wählerschaft ihr unverholenes Mißfallen mit seinen Abstim—
mungen aussprach, legte er sein Mandat nieder, was iedenfalls
korrekt gehandelt war.
Es ist uns nun unklar, was das Jammern nach einer Ver—
retung des Baugewerbes bedeuten soll. Wollten alle Stände und
jedes einzelne Gewerbe ein solches Bestreben zeigen, wie viele
Kandidaten würde dann wohl jeder einzelne Wahlkreis aufstellen
müssen? Was würde aber wohl gar aus dem Deutschen Reichstage
werden, wenn wirklich die Abgeordneten diesen Wünschen entsprechend
zewählt würden? Wir wagen es gar nicht, uns dieses Bild voll⸗
ständig auszumalen, welches der Reichstag bei einer solchen Inter—
essens Vertretung bieten würde. Es wäre ja vielleicht den Wünschen
jener Herren entsprechender, wenn eine Stände-Vertretung einge—
führt würde, welche aber aller Wahrscheinlichkeit nach den erwär—
teten Hoffnungen doch auch nicht in vollem Maaße genügen möchte.
Denn die Herren können doch nur mit dem gesammten Handwerker⸗
stande einen Stand bilden, und sind sie wirklich der Meinung,
daß die über ganz Deutschland vertheilten ca. 4000 Mitglieder des
Verbandes eine solche Gewalt ausüben, oder sagen wir lieber, ein
solches Ansehen bei allen anderen Handwerkern genießen, daß man
gerade ihnen die Vertretung des gesammten Handwerkerstandes an⸗
vertrauen wird? Das glauben die Herren wohl selbst nicht.
—
Absicht jener Herren, wirklich eine Vertretung des Baugewerbes
im Reichstage herbeizuführen, sondern es soll den Fachgenossen wohl
nur durch diese Forderung klar gemacht werden, wie besorgt der
Verband für das Wohl des gesammten Baugewerbes sei und daß
die leitenden Persönlichkeiten — oder, wie ein Mitglied des Ver—
bandes sich kürzlich ausdrückte, „gewisse Größen“ — sehr gern
bereit seien, die Last eines Reichstags-Mandates im Interesse des
Baugewerbes auf sich zu nehmen. Man hofft dadurch Propaganda
für den Verband zu machen und dadurch auch agewisse perüönliche
Interessen zu fördern.
In dieser Ansicht werden wir um so mehr bestärkt, wenn
wir erwägen, daß eine Vertretung des Baugewerbes — d. h. wenn
man annehmen will, daß die Eigenschaft eines Abgeordneten als
Mitglied des Baugewerbes es bedingt, daß er auch Vertreter des
Bangewerbes ist — im Reichstage fast stets stattgefnnden hat und
noch stattfindet, während die meisten auderen Gewerbe keine direkte
Vertretung haben, und es will uns scheinen, daß diese ganze Agi—
tation eben nichts weiter bedeutet, als daß gewisse Größen in
einem besonders günstigen Lichte erscheinen, welches es ermöglicht,
einen Schleier über gewisse Bestrebungen zu decken, oder besser
ausgedrückt, so zu blenden, daß man die eiaentlichen Zwecke und
Ziele übersieht.
Vertreter des Baugewerbes im Parlament. — Ueber die Formalität der Anräge xc.
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Die große Mehrzahl der Baugewerbetreibenden in ganz
Deutschland ist sicher mit uns der Ansicht, daß ein Reichstags-
Abgeordneter nicht der Vertreter eines bestimmten Standes oder
»estimmter Interessen sein soll, sondern der Vertreter des ganzen
Deutschen Volkes. Ein solcher Vertreter kann natürlich dem Bau—
jewerbe, wie jedem anderen Berufe angehören, wenn er das Ver—
rauen seiner Mitbürger genießt. Wenn jene Herren es aber be—
jarrlich ignoriren, daß bereits Angehörige des Baugewerbes im
steichstage sitzen, so kann man nur aunehmen, daß dies absichtlich
zeschieht, weil diese Abgeordneten nicht den Zwecken, welche die
Zünftler erstreben, entsprochen haben.
Zum Schlusse erlauben wir uns noch die Frage, was hat
denn die Mitgliedschaft des Herrn Bauer im Reichstage dem Bau—
zewerbe für Vortheile gebracht, was hat denn dieser Herr, der ja
ein hervorragendes Mitglied des Verbandes Deutscher Bau—
zewerksmeister ist, für die Interessen des gesammten Baugewerbes
als Abgeordneter gethan?
—n,.
Ueber die Formalien der Anträge
der Deutschen Baugewerkschaft auf Reform
der heutigen Submissions Praxis.
Von
Dr. jur. Gustav Freudenstein.
(Chefredakteur der „Blätter für populäre Rechtswissenschaft“.)
Es ist notorisch und keines Beweises bedürftig, daß das in
)»en letzten Dezennien in Schwung gekommene Submissionsun—
vesen tagtäglich neue Fortschritte macht und mit den ernstesten
Befahren die Existenz des gesammten Baugewerbes bedroht.
Schon ist die Submission nicht nur bei den fiskalischen und
ommunalen Behörden in Uebung, sondern auch bei Korporationen,
Assoziationen, großen Etablissements, standesherrlichen Ver—
waltungen, Stistungen ꝛc. und es liegt nahe, daß sie noch weiter
in die Kreise der Privaten verpflanzt werde. Das würde aber den
Ruin der Baugewerkschaft bedeuten; der unabhängige, selbstständige
Meister würde der untergebene Aufseher oder Geselle des reichen
Generalunternehmers werden, oder er würde selbst, bezw. seine
»Gte- linge, rasch in's Proletariat hinabsteigen.
Die Deutsche Baugewerkschaft kennt die Größe der drohen⸗
den Gefahr. Man hat dieselbe vielfach in den Fachzeitschriften ven—
ilirt, die Gebrechen des Submissionsverfahrens stückweis hervor—
gehoben, aber vergebens ringt man noch immer nach der rettenden
Formel eines Reformvorschlages. Da hat denn der Verband der
Deutschen Baugewerksmeister einen nicht unerheblichen Preis für
einen zutreffenden Reformvorschlag ausgesetzt und hat das Preis—
richterkolleg bereits die hervorragendsten Arbeiten prämiirt.
Wir hoffen, daß, wenn auch unter der Spreu, ein Goldkorn
jefunden wurde. Alsdann ist aber die Hauptsache, dieses auch
richtig zu benutzen und nicht unnütz und am verkehrten Orte
nuszugeben. Mit anderen Worten, es fragt sich, wo ist der
Reformvorschlag anzubringen, wer ist für seine Entgegennahme
ompetent und wenn es mehr Weqe aiebt, welches ist der aus—
ichtsvollere?
Im Jahre 1882 wandten sich mehrere Handwerker-Vereine
der Provinz Schleswig-Holstein an das Reichsjustizamt betreffs
der Abänderung der bestehenden Submissionsvorschriften (vgl. Ber—
iner Volkszeitung vom 14. Oktbr. 1882). Einige andere Be—
chwerden waren gegen die auswärtigen General-Entrepreneurs
gerichtt und wurden dem Preußischen Minister für die
Bauten und öffentlichen Arbeiten überreicht. Der Hannover—
sche Provinzial-Baugewerkverein ferner hatte bekanntlich eine
Petition, betreffend das Suhmissionswesen, an das Reichsamt
des Inneren (also den Reichskanzler) und an die sämmtlichen
Deutschen Regierungen zu richten beschlossen.
Alle diese Adressen müssen wir für mehr oder weniger un⸗
yollständig erklären. Dasselbe gilt von der Absicht, den etwa aus
einer Preisschrift, welche gekrönt würde, zu acceptirenden Vorschlag
in den Reichskanzler zu befördern, damit er ihn durchführe.
der vom 24427 Sept. 1882 zu Leipzig tagende Delegirten—
ag hat zwar die Aussetzung jenes Preises votirt, aber über das
veitere Verfahren, was nun mit der etwaigen Preisschrift zu
nachen sei, wohin man sie leiten solle, einen präzisen Beschluß
nicht gefaßt. Und doch ist das gerade die Hauptsache.
Ferner können wir die Bemerkung nicht unterdrücken, daß
die Preisaufgabe falsch, will sagen unvollständig, gestellt ist. Mit
richtigem Takt und mit scharfer Einsicht in die Natur der Sache
vatte zwar Zimmermeister Herr Nießk von Braunschweiq in einer