759
Das Wohnhaus der Renaissance und Gegenwart.
760
Sitzuug des geschäftsführenden Ausschusses Deutscher Baugewerks—
meister beantragt:
„Eine Plreisschrift herauszugeben, welche die Mängel der
Submissionen beleuchtet und Vorschläge zur Verbesserung
macht“. J
Danach hätte die Preisaufgabe in logischer Gliederung in
einen negativen und in einen positiven Theil zerfallen müssen.
Es mußten die Gebrechen, die Verwerflichkeit und die Schadens—
folgen der Submission mnethischer, juristischer, nationalökonomischer,
sozialer, sanitärer, polizeilicher und auch in ästhetischer, also künst—
lerischer Beziehung recht gründlich Demjenigen, der um Abhülfe
angegangen werden soll, zu Gemüthe geführt werden und dann
erst, nachdem das morsche Submissionsgebäude solchermaßen nieder—
gelegt und seine Fundamente herausgegraben waren, konnte auf
dem geebneten Felde der Bau der Reform in Angriff genommen
werden. Dieser negative Theil ist aber, indem leider die For—
mulirung des Herrn Nieß nicht durchdraug, in der Stellung der
Preisaufgabe weggelassen und diese statt dessen nur auf den po—
sitiven Theil gerichtet worden. Wie kann man aber ein neues
Haus errichten auf einem Platze, wo noch ein baufälliges Ge—
bäude steht? V
Dazu tritt noch eine andere Erwägung: Derjenige, von
welchem die Reform oder eigentlich die Beseitigung einer fest—
eingewurzelten Einrichtung, der Submission verlaugt wird, eut—
schließt sich schwerlich anders, diesem Begehren zu willfahren, als
wenn ihm die Nothwendigkeit einer solchen Refsorm auch gehörig
plausibel gemacht wird. Mag nun auch jeder Angehörige des
Baugewerbes noch so durchdrungen sein von der Unhaltbarkeit der
heutigen Submissionspraxis, so ist doch der öffentliche Submissions—
herr noch keineswegs davon überzeugt, denn sonst würde er nicht
so zähe an diesem Verfahren festhalten. Wäre nun die Aufgabe
auch auf den negativen Theil der Submissionsfrage (die Dar—
legung der Gebrechen und Schadensfolgen der Submissionen) ge—
richtet worden, so konnte sich sehr nothwendiges und schätzens—
werthes Material aus der Preisschrift ergeben, womit man die
Petition, wie es unerläßlich, ausreichend motivirt hätte. Die
Suübmissionsherren, wenn ihnen ein solcher nackter und unsub—
stanciirter Reformantrag vorgelegt wird, müssen zu dem Glauben
konimen, daß die Baugewerkschaft Interessenpolitik treibt, daß sie
ein baares Geldgeschenk haben will und daß man demgegenüber
sich ablehnend verhalten müsse. — Der erwähnte negative Theil
ist gerade die Hauptsache, wie bemerkt. Denn sobald einmal,
durch ihn für das Bessere gewonnen, der Submissionsherr den
guten Willen hat, seine derzeitige verderbliche Praxis aufzu—
geben, ist die Form des besseren bald gefunden und könnte im
Nothfall den submittirenden Behörden und Beamten selber (wo—
runter sich ja wohl einige Diplomaten und Staatskünstler finden)
vertrauensvoll überlassen werden.
Auch aus dem Begriff der Petition, welche Beschwerden
enthält, folgt das Erforderniß eingehender und erschöpfender Mo—
tivirung derselben.
Wir kehren nun zu der Kompetenzfrage zurück
Hier sind zwei Fragen, die sich freilich durchschlingen, zu
beantworten:
a. Wer ist das auf den Reformantrag erkennende und darüber
ihn entscheidende Subjekt (Behörde, Beamter), welches
anzugehen ist?
Wenn deren mehrere sind, wer ist vorzuziehen? Welcher
Weg soll bei Konkurrenz und einer möglichen Wahl be—
treten werden?
Vom Beispiel des Fiskus, als des mächtigsten Submissions—
herrn, ausgehend, bemerken wir zunächst Folgendes: Vor Allem
ist strenge zu unterscheiden der Reichsfiskus von den Fiskis
der, einzelnen Bündesstaaten. Die Bauten, welche für
Rechnung des Reichs ausgeführt werden z. B. Post- Marine-,
Militär- und Justizbauten, gehen die Staatsbanten der einzelnen
Bundesstaaten, z. B. Förstereien, Schulhäuser (wo der Staat fie
etwa zu bauen hat,, Flußregulirungen, Chausseen ec. von Hauf
und, Haar Nichts an. Ebeuso giebt es viele Bauten, welche trast
Selbstoerwaltung ein Selbstverwaltungskörper zu stehen hat Stadt,
Flecken, Dorf, Gutsverband) z. B. Kirchen-, Pfarr- und Schul⸗
häuser, das Straßenpflaster, die Bürgermeistereigebäude, Rath—
häuser ꝛc. Auch diese kommungalen Bauten berühren weder den
Reichsfiskus, noch den Fiskus des betreffenden Bundesstaats (mög—
lich ist zwar, daß er im einzelnen Falle hier und da einen Zů—
schuß zu geben verbunden ist).
Bauten auszuführen und Bauarbeiten zu vergeben, ist ein
administrativer Akt, eine Handlung der Vermögensverwaltung.
Nun ist aber sowohl das Reich, wie die einzelnen“ Bundesstaaten,
wie die Kommune auf diesem Gebiet völlig selbstständig, höchstens
daß die kommunalen Selbstverwaltungskörper auch in Beziehung
auf ihre Vermögensverwaltung der staatlichen Aufsicht in gewissen
Punkten unterliegen, die dann von der höheren Verwältungs—
behörde ausgeübt wird. Das Prinzip ist aber bei Selbstverwal—
tung (wie schon in dem Worte liegt): Auch die Kommunen ver—
walten ihr Vermögen selbst, sie bestimmen also auch die Form
ihrer Verträge und können dazu die Form der Submission so
'auge wählen, als es ihnen nicht durch die etwa zu einem Ver—
»ote wirklich befugte staatliche Aufsichtsbehörde untersagt ist.
Dies gilt erst recht von den übrigen oben genannten nicht im
öffentlichen, sondern im privaten Leben stehenden Submissions—
ausschreibern (Zuckerfabriken, Aktiengesellschaften ꝛc.). Stiftungen
stehen entweder unter privater Aufsicht, oder unter einem staat—
lichen, kommunalen, kirchlichen ꝛc. Kuratorium.
Schon diese Vielgestaltigkeit und die Verschiedenartigkeit der
submissionsansschreibenden Subjekte ergiebt, daß man mit Ab—
lassung einer oder mehrerer gegen die Submissionspraxis gerich—
seter Petitionen nicht zum Ziele kommt. Man wird hier oft in
Filigran arbeiten müssen. Ständen alle Submissionsherren unter
einem Centrum, welches ihnen zu gebiecten das Recht hätte, z. B.
dem Reiche oder dem Kanzler, so machte sich freilich die Sache
mit einer Petition. Allein das Reich und der Kanzlier haben in
die Budgeis und Vermögensverwaltungen und Baulen schon der
einzelnen Bundesstaaten Nichts drein zu reden, geschweige denn in
die administrativen Maßnahmen einer Aktiengefellschaft eines
Bundesstaates.
(Forts. folgt.)
Das Wohnhaus der Renaissance und
Gegenwart.
Skizze von Albert Hofmann.
Schluß.)
Eine neue Erscheinung auf sozial-familiärem Gebiete, eine
Erscheinung, welche das Mittelalter und die Renaissance in dieser
Ausdehnung nicht kannten, ist das Miethhaus, das Wohnzeichen
der Großstädte des europäischen und amerikanischen Festlandes.
Kaufmännische Speknlation und reicher Gewinn haben es erstehen
lassen und es aus der untergeordneten Stellung, welche es in
seinem ersten Entwickelungsstadium einuahm, im Laufe unseres
Jahrhunderts und speziell in den letzten Dezennien zu der Bedeu—
tung erhoben, welche oft die großartigsten palastähnlichen Architek—
turmotive als noch zu gering zu seiner opulenten Ausstattnung er—
scheinen läßt. Als ein fremdartiger Auswuchs des sozialen Lebens
untergräbt es indeß den Familiensinn. Ein jedes Familienglied lebt
nicht nur sich und seiner Familie, sondern in mehr oder minderer
Weise auch den fremden Kreisen des Hauses. Die einzelnen Familien—
gruppen, so der Bedingung ihres innern Zusammenhaltens entbeh—
rend, gehen bis zu einem gewisseu Grade allmälig in ein Konglomerat
an Individuen über, welches in sich die verschiedensten Charaktere
vereinigt und nie die Vertraulichkeit und gegenseitige Zuneigung
aufnehmen kann, wie es der streng abgeschlossene Familien—
verkehr in so schön ausgebildeter Weise zeigt. Der Familiensinn
wird gefährdet und zerrüttet, das Personenverhältniß wesentlich
zelockert, die gegenseitige Zuneigung abgestumpft und so das
Familienleben seiner Grundlagen beraubt, die Familie als aus—
gebildetes Ganze wird dem Verfalle preisgegeben. Diese nega—
tiven Eigenschaften sind in einem, für den geistigen Zu—
sammenhang der Familie Besorgniß erregendem Grade bei dem
Pariser Wohnhaus vorhanden. Der Franzose kennt nicht den
Werth eines innigen Lebens innerhalb der Familie; frühei schon
wird das Familienleben zerrissen; die Kinder verleben den geringsten
Theil der Jugend im elterlichen Hause; das Land und später die
Pension sind der Aufenthalt der französischen Jugend; dadurch
werden die Kinder den Eltern entfremdet, das Verhältniß erkaltet
und die Familie besteht nur noch in ihrem Namen.
Von welch großer ästhetischer Bedeutung ist da das Einfamilien—
haus, wie es bei den Engländern zum Typus geworden ist. Doch
nur bescheiden noch taucht es hie und da zwischen den großen
Miethskästen, fast von ihnen verschlungen, auf. Selten tritt es
als Palast in prunkvoller, grandioser Äusstattung auf, häufiger
aber als Villa in den hervorragenden Vierteln oder im nächsten
Umkreis der Stadt, dem unmittelbaren Naturgenuß geweiht. Auch
die Villa auf dem Lande, als Schwestergebilde des Palastes in
der Stadt, kommt durch Reichthum und Wohlhabenheit zu Ehren.
Verhältnißmäßig gesteigerter Luxus nach Innen und Außen, neben
Gelegenheit und bequemer, wohliger Ausstattung der Wohnräume
helfen den in nicht geringem Grade von diesen äußerlichen Formen
abhängigen Familiensinn fördern und vergrößern. Als in soziales
Symptom zeugt das Einfamilienhaus in seiner vielgestaltigen
Form für den konservativen, bürgerlichen Sinn seiner Bewohner.