Full text: Deutsches Baugewerks-Blatt : Wochenschr. für d. Interessen d. prakt. Baugewerks (Jg. 43, Bd. 2, 1883)

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Das Wohnhaus der Renaissance und Gegenwart. 
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Sitzuug des geschäftsführenden Ausschusses Deutscher Baugewerks— 
meister beantragt: 
„Eine Plreisschrift herauszugeben, welche die Mängel der 
Submissionen beleuchtet und Vorschläge zur Verbesserung 
macht“. J 
Danach hätte die Preisaufgabe in logischer Gliederung in 
einen negativen und in einen positiven Theil zerfallen müssen. 
Es mußten die Gebrechen, die Verwerflichkeit und die Schadens— 
folgen der Submission mnethischer, juristischer, nationalökonomischer, 
sozialer, sanitärer, polizeilicher und auch in ästhetischer, also künst— 
lerischer Beziehung recht gründlich Demjenigen, der um Abhülfe 
angegangen werden soll, zu Gemüthe geführt werden und dann 
erst, nachdem das morsche Submissionsgebäude solchermaßen nieder— 
gelegt und seine Fundamente herausgegraben waren, konnte auf 
dem geebneten Felde der Bau der Reform in Angriff genommen 
werden. Dieser negative Theil ist aber, indem leider die For— 
mulirung des Herrn Nieß nicht durchdraug, in der Stellung der 
Preisaufgabe weggelassen und diese statt dessen nur auf den po— 
sitiven Theil gerichtet worden. Wie kann man aber ein neues 
Haus errichten auf einem Platze, wo noch ein baufälliges Ge— 
bäude steht? V 
Dazu tritt noch eine andere Erwägung: Derjenige, von 
welchem die Reform oder eigentlich die Beseitigung einer fest— 
eingewurzelten Einrichtung, der Submission verlaugt wird, eut— 
schließt sich schwerlich anders, diesem Begehren zu willfahren, als 
wenn ihm die Nothwendigkeit einer solchen Refsorm auch gehörig 
plausibel gemacht wird. Mag nun auch jeder Angehörige des 
Baugewerbes noch so durchdrungen sein von der Unhaltbarkeit der 
heutigen Submissionspraxis, so ist doch der öffentliche Submissions— 
herr noch keineswegs davon überzeugt, denn sonst würde er nicht 
so zähe an diesem Verfahren festhalten. Wäre nun die Aufgabe 
auch auf den negativen Theil der Submissionsfrage (die Dar— 
legung der Gebrechen und Schadensfolgen der Submissionen) ge— 
richtet worden, so konnte sich sehr nothwendiges und schätzens— 
werthes Material aus der Preisschrift ergeben, womit man die 
Petition, wie es unerläßlich, ausreichend motivirt hätte. Die 
Suübmissionsherren, wenn ihnen ein solcher nackter und unsub— 
stanciirter Reformantrag vorgelegt wird, müssen zu dem Glauben 
konimen, daß die Baugewerkschaft Interessenpolitik treibt, daß sie 
ein baares Geldgeschenk haben will und daß man demgegenüber 
sich ablehnend verhalten müsse. — Der erwähnte negative Theil 
ist gerade die Hauptsache, wie bemerkt. Denn sobald einmal, 
durch ihn für das Bessere gewonnen, der Submissionsherr den 
guten Willen hat, seine derzeitige verderbliche Praxis aufzu— 
geben, ist die Form des besseren bald gefunden und könnte im 
Nothfall den submittirenden Behörden und Beamten selber (wo— 
runter sich ja wohl einige Diplomaten und Staatskünstler finden) 
vertrauensvoll überlassen werden. 
Auch aus dem Begriff der Petition, welche Beschwerden 
enthält, folgt das Erforderniß eingehender und erschöpfender Mo— 
tivirung derselben. 
Wir kehren nun zu der Kompetenzfrage zurück 
Hier sind zwei Fragen, die sich freilich durchschlingen, zu 
beantworten: 
a. Wer ist das auf den Reformantrag erkennende und darüber 
ihn entscheidende Subjekt (Behörde, Beamter), welches 
anzugehen ist? 
Wenn deren mehrere sind, wer ist vorzuziehen? Welcher 
Weg soll bei Konkurrenz und einer möglichen Wahl be— 
treten werden? 
Vom Beispiel des Fiskus, als des mächtigsten Submissions— 
herrn, ausgehend, bemerken wir zunächst Folgendes: Vor Allem 
ist strenge zu unterscheiden der Reichsfiskus von den Fiskis 
der, einzelnen Bündesstaaten. Die Bauten, welche für 
Rechnung des Reichs ausgeführt werden z. B. Post- Marine-, 
Militär- und Justizbauten, gehen die Staatsbanten der einzelnen 
Bundesstaaten, z. B. Förstereien, Schulhäuser (wo der Staat fie 
etwa zu bauen hat,, Flußregulirungen, Chausseen ec. von Hauf 
und, Haar Nichts an. Ebeuso giebt es viele Bauten, welche trast 
Selbstoerwaltung ein Selbstverwaltungskörper zu stehen hat Stadt, 
Flecken, Dorf, Gutsverband) z. B. Kirchen-, Pfarr- und Schul⸗ 
häuser, das Straßenpflaster, die Bürgermeistereigebäude, Rath— 
häuser ꝛc. Auch diese kommungalen Bauten berühren weder den 
Reichsfiskus, noch den Fiskus des betreffenden Bundesstaats (mög— 
lich ist zwar, daß er im einzelnen Falle hier und da einen Zů— 
schuß zu geben verbunden ist). 
Bauten auszuführen und Bauarbeiten zu vergeben, ist ein 
administrativer Akt, eine Handlung der Vermögensverwaltung. 
Nun ist aber sowohl das Reich, wie die einzelnen“ Bundesstaaten, 
wie die Kommune auf diesem Gebiet völlig selbstständig, höchstens 
daß die kommunalen Selbstverwaltungskörper auch in Beziehung 
auf ihre Vermögensverwaltung der staatlichen Aufsicht in gewissen 
Punkten unterliegen, die dann von der höheren Verwältungs— 
behörde ausgeübt wird. Das Prinzip ist aber bei Selbstverwal— 
tung (wie schon in dem Worte liegt): Auch die Kommunen ver— 
walten ihr Vermögen selbst, sie bestimmen also auch die Form 
ihrer Verträge und können dazu die Form der Submission so 
'auge wählen, als es ihnen nicht durch die etwa zu einem Ver— 
»ote wirklich befugte staatliche Aufsichtsbehörde untersagt ist. 
Dies gilt erst recht von den übrigen oben genannten nicht im 
öffentlichen, sondern im privaten Leben stehenden Submissions— 
ausschreibern (Zuckerfabriken, Aktiengesellschaften ꝛc.). Stiftungen 
stehen entweder unter privater Aufsicht, oder unter einem staat— 
lichen, kommunalen, kirchlichen ꝛc. Kuratorium. 
Schon diese Vielgestaltigkeit und die Verschiedenartigkeit der 
submissionsansschreibenden Subjekte ergiebt, daß man mit Ab— 
lassung einer oder mehrerer gegen die Submissionspraxis gerich— 
seter Petitionen nicht zum Ziele kommt. Man wird hier oft in 
Filigran arbeiten müssen. Ständen alle Submissionsherren unter 
einem Centrum, welches ihnen zu gebiecten das Recht hätte, z. B. 
dem Reiche oder dem Kanzler, so machte sich freilich die Sache 
mit einer Petition. Allein das Reich und der Kanzlier haben in 
die Budgeis und Vermögensverwaltungen und Baulen schon der 
einzelnen Bundesstaaten Nichts drein zu reden, geschweige denn in 
die administrativen Maßnahmen einer Aktiengefellschaft eines 
Bundesstaates. 
(Forts. folgt.) 
Das Wohnhaus der Renaissance und 
Gegenwart. 
Skizze von Albert Hofmann. 
Schluß.) 
Eine neue Erscheinung auf sozial-familiärem Gebiete, eine 
Erscheinung, welche das Mittelalter und die Renaissance in dieser 
Ausdehnung nicht kannten, ist das Miethhaus, das Wohnzeichen 
der Großstädte des europäischen und amerikanischen Festlandes. 
Kaufmännische Speknlation und reicher Gewinn haben es erstehen 
lassen und es aus der untergeordneten Stellung, welche es in 
seinem ersten Entwickelungsstadium einuahm, im Laufe unseres 
Jahrhunderts und speziell in den letzten Dezennien zu der Bedeu— 
tung erhoben, welche oft die großartigsten palastähnlichen Architek— 
turmotive als noch zu gering zu seiner opulenten Ausstattnung er— 
scheinen läßt. Als ein fremdartiger Auswuchs des sozialen Lebens 
untergräbt es indeß den Familiensinn. Ein jedes Familienglied lebt 
nicht nur sich und seiner Familie, sondern in mehr oder minderer 
Weise auch den fremden Kreisen des Hauses. Die einzelnen Familien— 
gruppen, so der Bedingung ihres innern Zusammenhaltens entbeh— 
rend, gehen bis zu einem gewisseu Grade allmälig in ein Konglomerat 
an Individuen über, welches in sich die verschiedensten Charaktere 
vereinigt und nie die Vertraulichkeit und gegenseitige Zuneigung 
aufnehmen kann, wie es der streng abgeschlossene Familien— 
verkehr in so schön ausgebildeter Weise zeigt. Der Familiensinn 
wird gefährdet und zerrüttet, das Personenverhältniß wesentlich 
zelockert, die gegenseitige Zuneigung abgestumpft und so das 
Familienleben seiner Grundlagen beraubt, die Familie als aus— 
gebildetes Ganze wird dem Verfalle preisgegeben. Diese nega— 
tiven Eigenschaften sind in einem, für den geistigen Zu— 
sammenhang der Familie Besorgniß erregendem Grade bei dem 
Pariser Wohnhaus vorhanden. Der Franzose kennt nicht den 
Werth eines innigen Lebens innerhalb der Familie; frühei schon 
wird das Familienleben zerrissen; die Kinder verleben den geringsten 
Theil der Jugend im elterlichen Hause; das Land und später die 
Pension sind der Aufenthalt der französischen Jugend; dadurch 
werden die Kinder den Eltern entfremdet, das Verhältniß erkaltet 
und die Familie besteht nur noch in ihrem Namen. 
Von welch großer ästhetischer Bedeutung ist da das Einfamilien— 
haus, wie es bei den Engländern zum Typus geworden ist. Doch 
nur bescheiden noch taucht es hie und da zwischen den großen 
Miethskästen, fast von ihnen verschlungen, auf. Selten tritt es 
als Palast in prunkvoller, grandioser Äusstattung auf, häufiger 
aber als Villa in den hervorragenden Vierteln oder im nächsten 
Umkreis der Stadt, dem unmittelbaren Naturgenuß geweiht. Auch 
die Villa auf dem Lande, als Schwestergebilde des Palastes in 
der Stadt, kommt durch Reichthum und Wohlhabenheit zu Ehren. 
Verhältnißmäßig gesteigerter Luxus nach Innen und Außen, neben 
Gelegenheit und bequemer, wohliger Ausstattung der Wohnräume 
helfen den in nicht geringem Grade von diesen äußerlichen Formen 
abhängigen Familiensinn fördern und vergrößern. Als in soziales 
Symptom zeugt das Einfamilienhaus in seiner vielgestaltigen 
Form für den konservativen, bürgerlichen Sinn seiner Bewohner.
	        

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