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eber die Frage nach der Statthaftigkeit nachbarlicher Eingriffe in fremde Grundstücke ꝛc.
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Ueber die Frage nach der Statthaftigkeit nachbarlicher
Eingriffe in fremde Grundstücke und die neueste Reichs—
gerichtspraxis hierüber mit besonderer Beziehung auf das
Baugewerbe.
Von
Ein Buchdruckereibesitzer in Fraukfurt a. M., welcher zum
Betriebe seines Geschäfts Dampfmaschinen verwendete, hatte, bevor
er die baulichen und maschinellen Einrichtungen traf, die polizei—
iche Genehmigung nachgesucht und sie auch erhalten. Als der
Betrieb begann, ergab sich, daß derselbe in dem Hause des Nach—
bars, insbesondere auch zur Nachtzeit, Lärm und Erschütterungen
n einem Grade verursache, welcher das Maaß des Erträglichen
iberstieg und die ordnungsmäßige Benntzung dieses Hauses wesent—
ich beeinträchtigte.
Ein Nachbar erhob Klage dahin,
daß der beklagte Buchdruckereibesitzer verurtheilt werde,
rücksichtlich der in seinem Hause betriebenen Druckerei
solche Einrichtungen zu treffen, daß die mit dem damaligen
Betriebe verknüpfte Erschütterung des klägerischen Hauses
und der mit derselben verbundene Lärm anf ein erträg
liches Maaß zurückgeführt werde.
Das Oberlandesgericht zu Frankfurt a. M., welches zweit
nstanzlich zu erkennen hatte, verurtheilte den Beklagten nach diesem
dlagantrage und als er die Revision beim Reichsgericht erhob, ist
ie von diesem verworfen worden. In den Entscheidungsgründen
vurde im Wesentlichen Folgendes ansgeführt:
Gegen solche Störungen reiche keineswegs, wie der verklagte
Buchdruckereibesitzer wähue, ein polizeilicher Schutz ans und
»er Kläger brauche sich nicht erst an die Polizei verweisen zu
assen. Es handele sich vorliegend um ein verletztes Privatrecht
ind hierfür gebe es einen richterlichen Schutz. Es sei that—
ächlich richtig, daß das Grundeigenthum nicht blos durch körper—
iche Einwirkungen auf die Substanz des Grundstücks verletzt werde.
Ddas Eigenthum werde von den Menschen ausgeübt nicht um der
Zache willen, an welcher es zustehe, sondern um des menschlichen
Zedürfnisses willen, welches durch die Sache befriedigt werde. —
Das Recht an einer Sache werde indessen verletzt nicht blos, wenn
zie Unversehrtheit der Sache beeinträchtigt werde, so daß sie aus
Riesem Grunde nicht mehr dem Bedürfnisse, für welches sie be—
immt sei, ebenso dienen könne, wie im unverletzten Zustande —
ondern es werde auch dann verletzt, wenn die Benutzbarkeit der
Sache für Menschen aus einem Grunde verhindert oder erschwert
verde, welcher sich ggen die Person, deu Menschen selbst
ichte, dessen Bedürfniß durch die an dieser Stelle befindliche Sache
efriedigt werden solle. Wenn die Bewohnbarkeit eines
dauses dadurch verhindert oder erschwert werde, daß auf dem
dachbargrundstück ein fortwährendes, außergewöhnliches Geräusch,
samentlich zur Nachtzeit verursacht werde, so werde dadurch nicht
veniger das Eigenthum an dem zum Wohnen bestimmten Hause
zerletzt, wie wenn von dem Nachbargrundstücke Steinsplitter über
nie Grenze herüberflögen, oder wenn von dort aus Gase herüber—
)rängen, welche das Brunnenwasser vergifteten, oder wenn die
Wände des Gebändes durch eine von dem Nachbargrundstücke aus
indringende Feuchtigkeit beschädigt würden.
Die zum Schutze gegen unerlaubte Eingriffe in das Eigen—
hum bestimmte Klage sei deshalb wegen Erregung nunerlaubten
Lärmes, welcher die bezeichnete Wirkung habe, für statthaft zu
rachten.
Das Reichsgericht fährt dann wörtlich fort:
„Diese Sätze mögen eine Modifikation erleiden, wenn ein
ür däs allgemeine Bedürfniß nothwendiges Gewerbe überhaupt
richt anders betrieben werden kann, als unter Erregung eines
Menschen belästigenden Geräusches, gleichviel, an welcher Stelle
und gleichviel in welcher Weise das Gewerbe betrieben werden mag.
— Allein hier liegt ein solcher Fall nicht vor. Eine Druckerei
vird sich mit Dampf auch zur Nachtzeit innerhalb einer größeren
Stadt so betreiben lassen, daß die ordnungsmäßige Benutzung der
»enachbarten Wohnhäuser nicht wesentlich beeinträchtigt wird, z. B.
venn dazu ein ausgedehntes Grundstück gewählt wird, sodaß sich
das in mittleren Räümen erzeugte Geräusch nicht auf die Nachbar—
rrundstücke überträgt. Ist eine solche Ausübung ohne die fest—
jestellte Beeinträchtigung der Nachbaren auf dem schmalen Grund—
tücke des Beklagten, wie dieser behauptet hat, nicht möglich, so
ann er nicht fordern, daß sich die Nachbarn diese Beeinträchtigung
gefallen lassen müßten, weil er dieses Grundstück zur Ausübung
eines Gewerbes gewählt hat.“
3. Endlich sei noch folgeuder Rechtsfall registrirt:
Die „Deutsche Eisenbahnbaugesellschaft“ hatte zur Erbauung
der Berliner Stadtbahn an den Fiskns die von ihr in Berlin
ind Charlottenburg angekauften Grundstücke theilweise gegen Er—
tattung des von ihr selbst gezahlten Kaufpreises abgetreten. Unter
»iesen abgetretenen Grundstücken befand sich auch ein Theilstück
»es Hauses Spandauerbrücke Nr. 3,5. Der sodann seitens der
„tadtbahnverwaltung zu Eisenbahnzwecken bewirkte Abbruch des
uuf der abgetretenen Parzelle stehenden Theilgebäudes und die
zarauf vorgenommenen Rammarbeiten hatten zur Folge, daß
Dr. jur. Gustav Freudenstein.
(Chefredakteur der Blätter für populäre Rechtswissenschaft.)
Die Frage, inwieweit sich der Eigenthümer oder Inhaber
eines Grundstückes beeinträchtigende Einwirkungen, welche, von
einem Nachbargrundstück oder dessen Inhaber ausgehen, gefallen
assen müsse, war bis in die neueste Zeit in der Rechtssprechung
ind nach den verschiedenen deutschen Rechtssystemen sehr streitig,
doch neigten dieselben dahin, dem Nachbarn eine ziemlich weit—
gehende Duldung von Eingriffen aufzuerlegen. Die Landesgesetze
hestimmten wohl, wie weit eine Senkgrube, ein Abort oder ein
aäbelriechender, Dünste ausströmender Stall von der Grenze ent—
sernt erbaut werden müsse; ferner, daß dem Nachbar kein besonders
ästiger Rauch oder Dunst zugeführt werden dürfe — das war
iber' auch so ziemlich Alles; eine Menge anderer störender Ein—
virkungen zogen die Gesetzgebungen gar nicht in ihr Bereich und
fonnten es zum Theil nicht, weil jene Einwirkungen erst der mo—
dernen Zeit mit ihrem hochentwickelten Verkehrs- und Industrie—
leben augehören, während die Gesetze älteren Datums sind und
einer Zeit entstammen, in welcher der kulturelle Fortschritt noch
nicht so weit gediehen war.
Für die Angehörigen des Baugewerbes nicht minder, wie
ür den Bauherrn ist es nun von allerhöchstem Interesse, die
gegenwärtige, auch die modernen Zustände erfassende Rechtsent—
wickelung zu kennen. Dies Interesse konzentrirt sich in den Haupt—
hunkten darauf: wie ein Bauplatz zu wählen und wie ein ge—
blantes Gebände auszuführen, mit' andern Worten, wie der Riß
zu machen sei. Denn der Satz: daß man auf einem wohl erwor⸗
Fenen Bauplatz, wenu nur sonst alle Formoorschriften erfüllt
verden, bauen könne, wie man will, hält der gegenwärtigen Ge—
achtspraxis gegenüber in Ansehung nachbarlicher störender Ein—
virkungen nicht mehr Stich.
Die Vechältnisse der Gegenwart führen sehr häufig eine
Keihe sehr feiner Einwirkungen auf ein Nachbargrundstück mit
ich; so z. B. Erschütterung cines Gebändes durch nachbarlichen
Maschinenbetrieb, starkes Geräusch, Niederfallen von Ruß aus
einem Fabrikschlote, Zuführung lästiger oder schädlicher Gase,
velche ein Industriebetrieb verursacht ꝛc. Die früheren Zeiten
onnten gegen solche quantitativ und qualitativ entweder gar nicht
»der nur in unschädlichem, geringen Maaße auftretenden Stö—
rungen weniger empfindlich sein, während die letzteren in der
Hegenwart, wie gezeigt werden wird, eine ganz gewaltige Rolle
pielen. Auch das Baugewerbe wird in der Praxis auf jene
Störungen Rücksicht zu nehmen haben, wenn nicht ein Gebäude
entstehen soll, welches, sobald sich seine schädliche und rechtswidrige
Finwirkung auf das benachbarte Grundstück oder seine Insassen
herausstellt, entweder kostspielige, die Einwirkung beseitigende
Schutzvorrichtungen, die aber oft unausführbar sind, erheischt,
alls nicht gar die Benutzung zu dem beabsichtigten Zweck völlig
inthunlich wird.
Dieses vorangeschickt, schreiten wir zur Mittheilung der
neuerlichen Reichsgerichtspraxis, welche hier reformatorisch wirkend
eingegriffen hat.
1. Das Kammergericht zu Berlin hatte folgenden Rechtsfall
zu entscheiden: Aus dem Schornstein einer benachbarten Fabrik
enkten fich die Rußflöckchen in die ganze Nachbarschaft hernieder.
Die Bewoͤhner der Häuser wurden daduüurch vielfach belästigt; die
Fenster mußten des eindringenden Rußes halber geschlossen bleiben,
die zum Trocknen ausgehängte Wäsche wurde verdorben ꝛc. Auf
Jegen den Fabrikbesitzer erhobene Klage eines solchergestalt sich ge⸗
chädigt erachtenden Hausbewohners gelangte der Prozeß in zweiter
Instanz an das Kammergericht, welches zu Gunsten des die Ab—
Lellung der fraglichen, durch den Ruß bewirkten Störungen be—
zehrenden Klägers entschieden hat. Der Gerichtshof sprach aus:
Kein Haͤusbesitzer oder Miether braucht sich seine Fenster,
Gärten, Wäsche ꝛc. durch den aus einer benachbarten Fabrik her—
überfliegenden Ruß beschmutzen zu lassen. Dieselben Personen
haben ferner Anspruch auf Schutz und Ruhe gegen störenden
Zaͤrm, welcher durch den Betrieb einer nahen Fabrik verursacht
vird.
2. Nach gleichen Prinzipien hat in einem anderen Falle das
Oberlandesgericht zu Frankfurt a. M. erkannt, und ist diese Ent—
cheidung vom Reichsgericht durch Urtheil vom 29. März 1882
Jestätigt' worden. Der Sachverhalt in diesem merkwürdigen Pro—
esse war folgender: