Sollen Gesellen das Recht haben ꝛxc. — Ein amerikanisches Familienhaus.
Sollen Gesellen das Recht haben,
die Versammlungen der Innungen besuchen
zu dürfen?
Diese vielfach ventilirte Frage verlangt bei einer etwaigen
Bejahung gleichzeitig die Beantwortung dreier weiterer Fragen,
welche sich aus der ersteren von selbst ergebeu.
Man muß sich nämlich darüber schlüssig werden, ob die
Gesellen in Innungsversammlungen nur berathende oder auch be—
schließende Stimmen oder ob sie gar keine Stimme haben sollen.
In den Innungsversammlungen gelangen vorwiegend Gegen—
stände zur Berathung und Beschlußfassung, welche nur die Inter—
essen der Meister berühren. Diese werden daher die Geseilen
weder mit berathen noch gar mit beschließen lassen wollen, sodaß
es sich also höchstens um den Zutritt der Gesellen ohne jede be—
cathende oder beschließende Stimme handeln wird.
Jeder Gewerbebetreibende wird wohl ohne Weiteres zuge—
stehen, daß die Interessen der Meister und Gesellen nicht in jeder
Hinsicht solidarisch sind, sondern sich sogar in vielen Punkten feind—
lich gegenüberstehen.
Wenn nun aber die Meister in ihren Innungsversammluungen
Gegenstände besprechen, welche in ihrem Interesse, nicht aber im
Juteresse der Gesellen liegen, so müßten sich die Meister dabei
einen großen Zwang anthun, um die anwesenden Gesellen nicht
zu verletzen. Thun sie das aber nicht, so können sie auch von
den Gesellen nicht erwarten, daß dieselben zu dem Gehörten
schweigen, es ist vielmehr zu fürchten, daß die Gesellen ihre Inter—
essen dabei auch, und vielleicht sogar mit großem Nachdruck ver—
theidigen.
Dieser Hinblick wird, wohl genügen und diejenigen zu ge—
nauerer Ueberlegung veranlassen, die geneigt sind, den Gesellen
die besprochene Theilnahme zuzugestehen, insbesondere wird man
auch zu der Ueberzeugung gelangen, daß die Zulassung der Ge—
sellen zu den Innungsversammlungen nicht das Mäiittel wäre, die
gegenseitigen Beziehungen zwischen Meister und Gesellen zu bessern,
sondern es würde das strikte Gegentheil eintreten.
Berücksichtigt man die Erfahrungen, welche man früher mit
den zu Grabe getragenen Innungen gemacht hat und vergleicht
die Widersprüche in den Ansichten der gegenwärtigen Gewerbe—
betreibenden, so wird man leicht der Meinung werden, daß die
Gewerbebetreibenden der Gegenwart häufig Noth haben, unter sich
selbst einig zu werden resp. einig zu bleiben, sodaß man ihnen
sedenfalls nicht rathen kann, noch weitere Keime der Zwietracht
in ihre Versammlungen hineinzutragen.
Man muß aber auch vor einem Versuche, die Gesellen zu
den Innungsversammlungen zuzulassen, warnen, denn ein solcher
mißglückter Versuch würde unter den Gesellen böses Blut erregen,
wenn ihnen später der Zutritt zu den Versammlungen wieder ver—
sagt würde.
Die Vertheidiger der unserer Meinung entgegengesetzten,
führen als Beweisgrund für ihre Ansicht an, daß in früheren
Zeiten die Gesellen zu den Gilden und Zünften ebenfalls zu—
gelassen sein, sie vergessen aber dabei, daß zu damaliger Zeit das
Verhältniß zwischen Meeister und Gesellen ein wesentlich anderes
war, als jetzt, und daß damals, wo die Gesellen vom Meister
Kost und Wohnung erhielten, der Lohn eine reine Nebensache war,
während er jetzt die Hauptsache ist. Jedenfalls schwebt Denjenigen,
die einer Theilnahme der Gesellen an den Innungsversammlungen
das Wort reden, die gute Absicht vor, das frühere gute Einver—
nehmen zwischen Meister und Gesellen wieder herzustellen. Keines—
falls aber glauben wir, daß dieses Mittel iemals zum Ziele
führen kann.
Unserer Meinung nach muß dies besser auf völlig neutralem
Boden geschehen können, wo die gegenseitigen Interessen sich gar
nicht berühren. Wenn z. B. bei allen Gewerbe- und Handwerker
Vereinen statutarisch festgesetzt würde, daß den Meistern erlaub:
wäre, in den Personen ihrer Gesellen Gäste zu den Vereinsver—
sammlungen einzuführen, wenn ferner die Meister von dieser Be
stimmung einen weisen und häufigen Gebrauch machten, ins
besondere solide nnd strebsame Gesellen auf diese Weise aus—
zeichneten, und wenn auch andere Meister den so eingeführten
Gesellen mit einiger Aufmerksamkeit in jenen Versammlungen be—
zegneten, so würde dies jedenfalls ein besseres Bindemittel an die
Hand geben, als das Zuziehen der Gesellen zu den Innunas—
verbänden.
Die Kluft zwischen Meister und Gesellen ist durch Entfrem—
dung entstanden, welche zum großen Theil dadurch erzeugt ist, daß
die Gesellen nicht mehr bei ihren Meistern wohnen und beköstigt
werden. Es liegt aber außerdem die Schuld an der Entfremdung
zum großen Theil auch an den Meistern. Fangen es die letztereü
nur danach an, daun kann es ihnen auch nicht so schwer werden,
das Vertrauen ihrer Gesellen wieder zu gewinnen.
Für die Gesellen aber, insbesondere für intelligente junge
Leute, ist der Zutritt zu den gewerblichen Versammlungen von
außerordentlichem Nutzen, denn, abgesehen davon, daß sich die
jungen, Leute dadurch in auständigen Kreisen bewegen leinen, kann
es auch keinem Zweifel unterliegen, daß dieselben sowohl in tech—
nischer als in intellektueller Bezichung bedeutend gewinnen werden.
Hört z. B. der Meister einen, sein Handwerk besonders be—
ührenden Vortrag allein an, so ist es sehr fraglich, ob er im
Stande sein wird, den Inhalt desselben seinen Gesellen klar zu
machen; dagegen wird der Nutzen für Beide ein bedeutend größerer
sein, wenn auch der Geselle den Vortrag selbst mit angehört und
den Geist desselben aufgefaßt hat, denn Beide können 'dann mit
diel mehr Verständniß das Gehörte zu Hause in der Workstatt
gemeinschaftlich praklisch verwerthen.
Ein unberechenbarer Vortheil für die jungen Leute liegt
übrigens schon darin, daß sie geistige Anregung bekommen, denn
durch diese und durch fortgesetzte geistige Nahrung werden sie sehr
eicht von materiellen Bedürfnissen abgezogen, die ideale Seite
gewinnt mehr die Oberhand, Langeweile giebts so leicht nicht
mehr, und was die Hauptsache ist, Ausschweifungen und Rohheiten
kommen bei den gebildeten jungen Leuten nicht mehr in dem
Maaße vor, als bei den ganz ungebildeten.
Beklagen sich Eltern über ihre Kinder, daß sie gehässig und
ieblos gegen sie find, so sind sie in der Regel selbst darau schuld,
denn sehr oft haben solche Eltern ihre Kinder hart und lieblos
behandelt und gauz bestimmt zu dem erzogen, was sie sind. Nicht
hiel anders ist das Verhältniß zwischen Meister und Lehrling.
Wir wollen nicht uugerecht sein, sondern ausdrücklich hervorheben,
daß wir noch sehr viele Handwerksmeister haben, die mit ihren
Besellen und Lehrlingen in steter Eintracht leben, und für sie in
eder Beziehung wahrhaft vaäterlich sorgen, aber immerhin ist zu
»eklagen, daß die Zahl derjenigen Meister überaus groß ist, die
hei der vorherrschend materiellen Richtung der Zeit, doch gar zu
nateriell selbst geworden sind und dabei den Sinn für Humanität
ind ideales Streben völlig verloren haben. Wird für den ge—
vährten Lohn möglichst viel Arbeit geleistet, dann sind sie zu—
rieden; darüber hinaus giebt es nach ihrer Meinung „Nichts“!
Wenn solche Männer doch überlegen wollten, daß mit dem
erfüllten vierzehnten Lebensjahre kein Mensch für vollständig er—
sjogen angesehen werden kann, sondern daß bei Vielen das Werk
der Erziehung fast noch 10 Jahre fortgesetzt werden müßte. Der
Meister, welcher einen Lehrling annimmt, muß sich nicht blos
die Aufgabe stellen, den letzteren technisch auszubilden, sondern er
muß auch gleichzeitig die Pflicht mit uͤbernehmen, die noch nicht
vollendete Erziehung des Lehrlings fortzusetzen. Und ebenso muß
der Meister, der einen jungen Mann sals Gesellen annimmt, in
demselben nicht blos die Muskeln seines Körpers und die Geschick—
ichkeit und Thätigkeit seiner Hände miethen, sondern er muß auch
»en Bexuf in sich fühlen, den jungen Mann auf seiner Lebeusbahn
orgfältig zu beobachten und zu leiten und ihn für das Gute em—
»fänglich zu machen.
Es ließe sich noch sehr viel über diesen Punkt sagen, aber
vir meinen, die auregenden Momente zum Nachdenken gegeben zu
jaben.
Je genauer man das überlegt und dabei den besten, wahr—
haft-menschlichen Gefühlen Spielraum gönnt, desto fester kann
nan der Ueberzeugung werden, daß ein allseitiges Vorgehen der
Meister in der angedeuteten Richtung der sozialen Frage den
eigentlichen Stachel ausziehen und schließlich besser wirken muß,
als die schärfsten Ausnahmegesetze.
Nicht die fortwährenden Aenderungen der Gesetze werden
unsere trostlosen Verhältnisse ändern, sondern die Menschen müssen
sich ändern. *
Ein amerikanisches Familienhaus.
(Hierzu 7 Figuren.)
Eine frühere Nummer dieser Zeitschrift nahm Gelegenheit
iich eingehend mit dem Bau einer amerikanischen Villa zu be—
chäftigen, und hat gezeigt, daß der Amerikaner in Bezug auf
domfort sowohl, als auch Konstruktionsweise und Feuersicherheit
yon den unsern sehr abweichende Anschauungen besitzt. Einiges
davon ist gut, nachahmungswerth und wäre unseren Verhältnissen
anzupassen, manche amerikanische Einrichtung aber möchte den be—
treffenden Architekten von unseren deutschen Hausfrauen nicht
zerade die schmeichelhaftesten Epitheta eintragen. — Während der
zeutsche Städtebewohner gelernt hat, sich den hauspolizeilichen
Anordnungen einer Miethkaserne zu fügen, mit des Nachbars