Full text: Deutsches Baugewerks-Blatt : Wochenschr. für d. Interessen d. prakt. Baugewerks (Jg. 44, Bd. 3, 1884)

Zur Nothlage der Techniker. — Das Heidelberger Tonnen-System. 
SZur Nothlage der Techniker.“ 
In Nr. 26 Ihres geschätzten Blattes brachten Sie einen 
Artikel über die Nothlage der geprüften Techniker in Bayern zur 
öffentlichen Kenntniß. Ein jeder Techniker muß Ihnen zu Daͤnk 
verpflichtet sein, wenn er sieht, daß Artikel, die zur Verbesserung 
seiner Lage dienen, in Fachblättern Aufnahme finden. 
Gestatten Sie mir gütigst, daß ich Sie auf einige weitere 
Mißstände unseres Standes aufmerksam mache. 
Es sind nicht nur die staatsgeprüften Techniker Bayerns 
allein, welche über Mangel an Anftellung klagen, sondern auch 
in jedem anderen Bundesstaate Deutschlands bekommt man die 
Klage der Nichtanstellung immer und immer wieder zu hören. 
Fragen wir uns aber, wie ergeht es den Technikern, die auf An— 
stellung bei Privatarchitekten zu rechnen haben? Stehen diese viel— 
leicht besser da? Wie viele Techniker sind stellenlos, wie viele be— 
finden sich in unsicherer Anstellung? 
Nicht selten kommt es vor, daß ausgeschriebene Stellen 100 
und noch mehr Bewerber finden, darunter akademisch gebildete, 
welche sich mit 60 Mark und weniger Gehalt pro Monat anbieten 
und zufrieden stellen. Ist dies eines Technikers würdig? 
Kein Wunder braucht es daher zu nehmen, wenn wie in 
den letzten Jahren verantwortliche Bauführerstellungen mit 100 M. 
Gehalt pro Monat ausgeschrieben und hierfür außer der Zu— 
muthung Nachtwächterdienste zu verrichten, auch noch Nebenarbenen 
während der freien Zeit näch Feierabend und Sonntags gratis 
verlangt werden. 
Oder — wenn es sich jetzt einzelne Arbeitsgeber anderer 
Geschäftszweige angelegen sein lassen die Sonntagsarbeit, was 
sehr anzuerkennen ist, von selbst abzuschaffen — so ist man in 
unserem Fache bestrebt diese kontraktlich einzuführen. 
Ein Passus eines mir vorgelegten Kontraktes lautete: Der 
Techniker hat, sofern es der Chef verlangt, ohne Entschädigung 
Sonntags Vormittags von 8212 Uhr ihn bei seiner Arbeit zu 
unterstützen, während beim Ausbleiben pro Tag 3 M. bei 90 M. 
monatlichen Gehaltes abgezogen werden. 
Außerdem hatte der Arbeitgeber nur 14 Tage, der Techniker 
aber 4 Wochen vorher zu kündigen. Kann dies Gebahren eines 
Architekten gerechtfertigt werden? 
Dies sind kaum glaubliche Fälle, die sich aber in Wirklich— 
teit so verhalten und dabei ist nicht etwa mit zu starken Farben 
aufgetragen, eher ist die Lage schlechter als besser. 
Woher kommen aber diese Uebelstände? Durch die Ueber— 
produktion der Techniker im letzten Jahrzehnt und durch den ge— 
ringen Zusammenhalt, durch die Uneinigkeit der Techniker unter 
sich. Es wäre wohl an der Zeit, und ich spreche dabei gewiß im 
Interesse vieler Kollegen, wenn derartigen laxen Zuständen ein 
Ende gemacht würde und wenn die Techniker zur Wahrung ihrer 
Interessen sich endlich einmal vereinigen und zusammenhalten 
wollten. G. — 
70 
bei dem Tranusport Mißstände, zu deren Beseitigung unnöthig 
iinanzielle Opfer gebracht werden müssen. 
Um über die Ausführung einer solchen Abortanlage nach 
dem Heidelberger Tonnensystem ein klares Bild zu geben, fügen 
wir in den Figuren 1 bis 4 Tonnenabtritte vor, sowohl für pri— 
oate als für öfsentliche Bauten geeignet. 
Fig. 1 zeigt eine Abortanlage nach dem 
Tonnensystem mit Syphonabschluüß und Ven— 
ilationsrohr. Anstatt der eisernen Tonnen 
nit Rädern werden auch in neuerer Zeit höl— 
erne gekuppelte Tragtonnen angewendet. Die 
Tonnen stehen im Söuterrain. Der Anschluß 
vird durch eine weite Schieberohroerbindung 
»ewerkstelligt. Das Abortrohr ist als Ven— 
ilationsrohr über Dach hinaus verlängert. 
Derartige Kuppeltonnen werden in Wohnhäu— 
ern angewendet, welche von 30 und mehr 
Personen bewohnt werden und ist dann event. 
eine zweimalige Auswechselung der Tonnen 
oro Woche erforderlich. 
Fig. 2 zeigt eine Abortanlage nach dem 
Tonnensystem mit Pissoireinrichtung und Auf— 
zug für die Tonne. Die Tonnen stehen im Souterrain und werden 
»urch einen Schacht außerhalb des Gebäudes unter Anwendung 
eines Flaschenzuges beseitigt. Die Verbindung zwischen Tonne 
ind Rohrleitung ist durch 
einen Geruchabschluß — 
—A 
heil hergestellt. Die Ven— 
Ailation der Abtrittsräume 
indet durch einen neben 
dem Küchenkamine aufge— 
ührten event. auch heiz— 
‚aren gemauerten Schacht 
tatt. Das Abtrittrohr ist 
ilso nicht wie bei Fig. 1 
iber das Dach zu führen, 
ondern oben abzuschließen. 
kine solche Einrichtung 
epräsentirt eine Normal— 
Ibortanlage nach dem 
System „Mittermaier“ und 
ollte, wenn irgend möglich 
nach diesem Prinzipbei 
Neubauten verfahren wer— 
den. Die Tonne kann auf 
ꝛiner in Schienen laufen— 
den Rollvorrichtung stehen, z; 
mittelst welcher die Tonne Fig. 2. 
leicht unter den Aufzugskrahn gebracht werden kann. 
Der Gebrauch des Heidelberger Tonnen-Systems verbietet 
keineswegs das Zuschütten von Spülwasser aus den Nachttöpfen 
»der die Einrichtung von sogenannten Wasser-Klosets, aber selbst— 
oerständlich dürfen keine Ströme von Wasser durch die Abtritte 
geleitet werden, da sonst natürlich die Tonnen zu rasch überfüllt 
werden und überlaufen würden. Durch momentanes Emporheben 
des betreffenden Schieberohres oder durch Beklopfen der Tonne 
äßt sich erkennen, wie weit letztere gefüllt ist. Für den Fall, daß 
inverhältnißmäßig viel Spülwasser in die Abtritte gegossen würde 
ind die Tonne überlaufen könnte, besitzt jede Tonne oben ein 
ein kleines Röhrchen, welches von außen anzuschrauben ist. Unter 
dem Röhrchen steht ein Blecheimer, O,80 m hoch, 0,20 m Durch— 
messer, 3 kguschwer und 20 1J fassend, welcher den Ueberlauf auf— 
rimmt. Siehe Fig. 1 und,2. Im Innern der Tonne befindet 
ich, im Anschluß an das Röhrchen, ein gelochter eiserner Seiher, 
velcher eine Verstopfung des Röhrchens verhindert. Die kleine 
Deffnung bei abgeschraübtem Röhrchen wird durch eine eiserne 
Deckelmutter zugeschraubt, also geschlossen. 
Zur Aufstellung einer Tonne mit Ueberlaufeimer bedarf es 
eines Raumes von höchstens 1,00 qm und einer Höhe vom Boden 
des Tonnenraumes bis unter däs Sitzbrett des Abtrittes von 
2,835 m, sodaß im eigentlichen Tonnenraum eine Höhe, von 180 m 
»esteht, damit ein Mann zur Ausübung der nöthigen kleinen Vor— 
richtungen bei der Umwechselung der Tonnen stehen kann. In 
den Häusern steht die Tonne bezüglich der leichteren Wegschaffung 
im besten im Erdgeschosse — oder im Souterrain wie in Fig. 2 
— entweder in einem eigenen kleinen Tonnenraum — einer Nische 
»der einem Vorbau — an der Stelle der früheren Abtrittsgrube 
»der auch frei im Gange oder Hofe. Ist bei der Anlage im 
Souterrain kein Aufzug für die Tonne, wie in Fig. 2, angeordnet, 
ann wird die Tonne an Stangen die Kellertreppe heraufgetragen. 
Zuweilen läßt sich auch die Einrichtung treffen, daß der unterste 
Äbtritt einige Stusen erhöht, der Tonnenraum ein oder zwei Tritte 
Fig. 1. 
Das Heidelberger Tonnen⸗System. 
Hierzu 4 Fig.) — Echluß.) 
Sollte der Fall eintreten, daß eine bedeutende Vermehrung 
der Exkremente stattfindet, wodurch die umwohnenden Landwirthe 
nicht mehr in der Lage sein würden, das ganze Quantum ab— 
nehmen zu können, so müßte man dazu übergehen, die Fäkalien 
per Bahn bei geeigneter Anlage auf weitere Entfernungen zu ver— 
schicken, wie dies in den Staͤdten, Stuttgart, Leipzig und neuer— 
dings auch in Dresden mit dem besten Erfolge durchgeführt ist. 
Zweckmäßiger dürfte es noch sein, die Stoffe in den festen Zustand 
überzuführen, wodurch Tränsportkosten erspart und dieselben ein 
Handelsartikel werden würden. Bis jetzt arbeiten die hierauf 
eingerichteten Fabriken noch ohne Nutzen, da an den Apparaten 
und Maschinen stets noch geändert werden muß, um deren Lei— 
stungsfähigkeit zu erhöhen. Es unterliegt jedoch keinem Zweifel, 
daß diese technischen Schwierigkeiten bald gehoben sein werden, 
wodurch dann ein vereinfachter dentabler Betrieb ermöglicht wird. 
Der Vorstand des Heidelberger Tonnenvereins ist gern be— 
reit, seine Satzungen und sonstigen Schriststücke auf Wunsch mit— 
Itheien, wenn irgendwo ähnliche Einrichtungen beabsichtigt 
werden. 
Bei der Einführung des Tonnensystems in Städten ist noch 
darauf zu achten, daß sämmtliche Tonnen und deren Bestandtheile 
genau nach Normalien gearbeitet werden können, ferner müssen 
die einzelnen Theile unter sich auswechselbar sein. Die Höhe der 
Tonnen muß ebenfalls genau übereinsimmen. Es entstehen sonst 
) Wir verweisen unsere Leser noch ganz besonders auf den in heutiger 
Nummer enthaltenen Aufruf zur Bildung eines allgemeinen Deutschen Tech⸗ 
niker-Verbandes. Die auf den 3. u. 4. Aug. d. J. ein berufene Versammlung 
werden die betheiligten Kreise hoffentlich in ihrem eigenen Interesse nichi 
perabsäumen, da Fragen von einschneidender Wichtigkent zur Verhandlung 
kommen. Die Redaäktion.
	        

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.