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Tau-Bahnen für Berlin.
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wird es sein, denkt man, das Tau j derzeit fassen und loslassen
zu können: welche Schwierigkeiten wird die Leituug des Taues in
Kurven verursachen; wie leicht kinn das Seil sich faugen und
dann zerreißen! Wie schwierig alsdaun die Reparatur, und welche
Störung erfahrt dabei der Betricb!, Während soccher Unter—
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alio Pferde werden hereit zu halten seln, was nichts Auderes
heiftt als: dappelter Besatz. Und nun erst die Schwirrigkeiten im
Winter! Wird nicht der Schlitz im Ranal und dieser selbst durch
Schnee und Eis verstopft, versperrt, verlegt werden? Und wie soll
man ihn wieder reinigen, entleeren? Immer wieder neues Auf—
reißen des Fahrdammes, nicht wahr? Als ob wir nicht etwir
genug daran hätten! n. s. w., u. s. w. So und ganz ähnlich hat
man auch gedacht in Sau Francisco, als daselbst, vor nunmehr
11 Jahren, im Auqust 1873 nämlich, die von A. S. Hallidie
erbaute erste Taubahn eröffnet werden sollte Nar die Einwände
wegen Schuees und Eises wurden dort in jenen glücklichen Breiten,
welche den Winter nur dem Namen nahh kennen, nicht erhoben,
die andern Gründe aber dafir um so stärker; man hielt Hallidie's
neue Bahnanlage in Clay-Street für ein hiruverbranntes Projekt
Diese selbe „ ruverbrannte“ Bahu von etwas über 12000 Fuß
Lange, besahlt jetzt 17 pCEt. Dividende. Ihr folgten allmählich
vier andere Linien in San Francisco, welche meistens bestehenden
Pferdebahnbetrieb in Taubahnbetrieb Umwandelten und dieselben
qus kläglichen peknniären Verhältuussen in glänzende überführten.
Statistyche Beobachtung hat ergeben, daß „ihr Betrieb ebenso
sicher ist, wie derjeuige der Pferdebahnen, seine Bequemlichkeit
aber größer.“ Die Bodengestaltung von San'Francisco stellt sich
aber auch dem Unternehmen so günstig gegenüber den Pferdebahnen,
wie nur denkbar. Die Stadt ist nämlich auf drei, ungefähr paral—
lelen Hügelrücken, Dünenwällen, aufgebaut, welche für die quer
zum Hügelrücken geheuden Straßen sehr bedentende Steigungen
erforderlich machen. Die stärkste Steigung auf der wichtigsten
Linie ist 1: 6,15 oder 16,3 pCt. Aehnlich ist es auf den andern
Linien beschaffen (uur die allerneueste liegt etwas weniger un—
günstigu. Die starken Steigungen lassen den Betrieb nit Pferden
kaum durchführbar, jedenfalls äußerst schwer erscheinen, während
andererseits der Taubetrieb durch die Steiqgungen gar nicht be—
hundert, durch den fast ganz geradliuigen Verlauf der quer über die
Hügel gehenden Straßenzüge aber begünstigt wurde. Die Be—
quemlichkeit des Fahrers auf der Taubahn in San Franecisco ist,
wie auch der Einsender mehrfach erprobt, ganz ausgezeichnet. Mi—
Leichtigkeit setzt sich der Wagen in Bewegung, ohne Stoß oder
Ruck, und wird ebenso zum Stillstaud gebracht, so leicht, daß man
das Anhalten mitten anf der Strecke, zwischen den Stationen, gar
nicht scheut, sondern liberaler Weise auslübt. Der erwähnte eigen—
thümliche Gegensatz, Schwierigkeit des Pferdebahnbetriebs, Vor—
cheilhaftigkeit des Taubetriebs, scheint in dem allgemeinen, wie
dem sachmännischen Urtheil in Amerika die eigenthümliche Wirkung
gehabt zu haben, den Werth des Systems längere Zeit nicht zum
vollen Verständniß durchdringen zu lassen. Man hat gleichsam
die Schwierigkeit des Pferdebetriebes von den Vorzügen des Tau—
betriebes stillschweigend in Abzug gebracht. Thatsache ist, daß das
vorzügliche System 9 volle Jahre lang aus der Sakramentostadt
ozusagen nicht herausgekommen ist. Die Taubahn war gleichsam
eine Eigenschaft von San Francisco, untrennbar, so schien es, von
ihr, bis endlich der Welt die Augen aufgingen, als nämlich
Chicago den Versuch mit der: Taubahn machte und dieser über
alles Erwarten gelaug. Chicago's Straßen liegen ganz horizontal,
Chicago hat Schnee und Eis in Hülle und Fülle, die Befahrung
pon Kurven war unerläßlich, und trotz alledem bewährte sich die
Taubahn ganz vorzüglich. Anfragen über Anfragen gelangen an
die städtische Verwaltung von Chicago wegen der Bewährung der
Taubahnen; auf eine der neueren von Edinburg aus gestellten
antwortete sie jüngst nur lakonisch: „Vollständiger Erfolg in jeder
Richtung.“ Auch in Chicago war man nicht ohne Bedenken an
die Sache gegangen, der Skeptiker gab es eine Unzahl. Nach der
Eröffnung stellte man über 2000 Pferde außer Dienst und entließ
auch 200 Mann; heute stehen die Aktien, welche Pari mit 100 D.
ausgegeben wurden, auf 3003 170 — 180000 Personen werden
täglich oder über 60 Miill. jährlich auf der Taubahn dort be—
jördert. An die Stelle der 2000 Pferde ist Dampfkraft getreten
in der Form einer 400pferdigen Dampfmaschine, welche von vier
Mann für Heizung der Kessel und Wartung der Maschine bedient
wird. Einmal in je 5 Monaten wird das Rohr oder der Kanal,
in welchem das Tau läuft, gereinigt, und zwar indem mit einem
Wagen große Kehrbürsten durchgeschickt werden, erinnernd an die
Fegebürste, mit welcher unsere Rohrpostrohre, Pustrohre darf man
vielleicht sagen, von Zeit zu Zeit ausgekehrt werden. Die Be—
triebstaue in Chicago haben eine Gesammtlänge von 20englischen,
d. i. 41/, deutschen Veeilen. Die schwersten Schneefälle haben sich
nicht als hinderlich oder störend erwiesen, während solche, wie wir
wissen, für Berlin den Pferdebagnbetrieb schwer belästigen. Der
Widerftand der Wagen ist dann groß, die Hufbahn glatt und schlüpfrig,
mit schwerster Anstrengung nur vermögen die armen Thiere die
Wagen vorwärts zu bringen. Auf der Taubahn aber zieht das
Laustau einen Schneepflug durch, der den sechsfachen Wider—
kaud eines Wagens haben möze. In der That ist in Chicago
der Dienst durch Schneefall gar nicht beeinflüßt worden; nicht
eine einzige Fahrt hat seinetwegen ausfallen müssen. Die Sommer—
hitze, welche in Chicago öfter auf 100 Grad Fahrenheit oder über
30 Grad Réaumur steigt, ist sicher für die Pferde kaum zu er—
ragen; die Dampfmaschine macht sich aber aus ein paar Graden
F. bder R. natürlich nicht das Miundeste. Der Erfolg in Chicago
bar ein durchschlagender für das ganze System; die Einführung
Rieses letzteren macht seitdem schnelle Fortschritte. In Philadelphia
st eine Linie von beträchtlicher Ausdehnung bereits eröffnet; in
Melbourue in Australien will man eine erbauen; in Dunden auf
Nenu⸗Seeland ist eine solche bereits im besten Gange. Für die
großartige Hängebrücke zwischen New-York und Brooklyn hat ein
Tomitce alle bekaunten Systeine mit nugemeiner Sorgfält gepruft
ind erwogen und hat schließlich das Tanbahnsystem angenomnien;
asselbe zeigte sich auch bei diesen Erwägungen dem elektrischen
edeutend überlegen. Ju Brooklyn selbst hat sich im vorigen
Monat (Juni) eine Gesellschaft mit 2 Millionen Dollars Kapital
rür die anzulegenden städtischen Taubahnen gebildet. Endlich ist
janz vor Kurzem in London die erste Taubahn, Ende Mai eröff—
jet worden; sie geht von Archway Tavern hinauf nach Southwood
Laue, Highgate, mit Steiguugen und vielen Kurven. Man fährt
zort mit' einer Geschwindigkeit von 6 englischen Meilen in der
Stunde, d. i. 11/, deutsche Meile stündeich, was wohl eine Kleinig—
eit mehr ist, als unsere hiesige Fahrgeschwindigkeit. In Chicago
ährt man, wenn ich nicht irre, mit acht Meilen; auch in Brook—
iyn hat man diese Geschwindigkeit in Aussicht genommen, nicht etwa
als eine besonders große, sondern als eine solche, welche „die
Jrößte Sicherheit gewähre“. Der Leser wird nuß wünschen, sich
jon den Einzelheiten der Taubahn noch etwas näher unterrichtet
zu sehen. Daher noch Folgendes. Der Kanal, in welchem das
Tau läuft, liegt mitten im Gleis unter dem Pflaster und steht
durch einen mit Eisen eingefaßten schmalen VLängschlitz mit dem
Raum über dem Damm in Verbindung. In diesen Schlitz hinein
zragt vom Wagen aus ein nur 12 Millimeter dicker, stark hand—
zreiter Arm aus Stahl, der Greifer genaunt, welcher das Tau
zu fassen bestimmt ist. Die Ausführuugsweise oder Bauart, der
Auskleidung des Taukanals hat sich allmälig geändert; aus Guß—
isen in San Franzisko, aus Schmiedeeisen nicht sehr einfach in
Thicago hergestellt, ist sie in Philadelphia zu einem schlichten,
iahezu rechteckig im Querschnitt gebildeten Rohr aus Eisenblech,
Taurohr wollen wir es nennen, geworden. Vom Wagen aus kann
»er Führer den Greiferarm tief nach unten schieben. Geschieht
zies, so tritt, vermöge angebrachter hübscher Leitvorrichtungen, das
Tau auf kleine Tragröllchen, welche unten am Greiferarm sitzen.
Nunmehr wird letzterer wieder etwas gehoben, damit er beim Fort—
»ewegen nicht an die Tragrollen streife; er trägt nun das fort—
vährend laufende Seil, welches er etwas von den Rollen abge—
hoben hat. Am Greifer ist aber nun noch eine zweite Einrichtung
ingebrächt, eine Klemme mit zwei hölzernen Backen, welche das
Tau fest zu fassen vermögen; diese Backen kann der Führer von
»ben fest an das Tau pressen. Thut er dies, so nimmt das Tau
den Greifer sammt Wagen alsbald mit und der Betrieb ist im
Hange. Soll angehalten werden, so löst der Führer einfach die
dlemme, beläßt aber nach wie vor das Tau auf den Greiferrollen;
zußerdem bremst er den Wagen wie gewöhnlich. Es ist klar, daß
er den Wagen in weit kürzerer Zeit als beim Pferdebetrieb an—
jalten kann, da er nicht erst die Pferde zurückzuhalten nöthig hat.
Besteht der Zug aus zwei Wagen, einem Greiferwagen und einem
»los angehäugten Personenwagen, so kann der Schaffner die
Bremse des letzteren bedienen. Es hat sich praktisch gezeigt,
venigstens in San Franzisko, den Zug aus den zwei genannten
Fahrzeugen zusammenzusetzen. Der kleinere Greiferwagen, Blind—
vagen genannt, hat ungefähr die Länge des Pferdes, so daß beide
Wagen zusammen so viel Längsraum einnehmen, wie jetzt Wagen
ind Gespann zusammen. An Stellen, wo die Bahn in einer
durve geht, muß das Tau seitlich abgelenkt werden. Dies geschieht
durch Leitrollen mit stehender Axe; lange Kurven erfordern oft
ine ganze Reihe auf einander folgender Äblenkungsrollen. Aus—
veichungen oder Weichen kann man zur Anwendung bringen, in
San Franzisko sind solche an den Enden der Linie benutzt, um
die Wagen das Gleis wechseln zu lassen. In Chicago hat man
sie durch Anlegung von Schleifen glücklich vermieden. Die Be—
rriebsmaschine wird an irgend einer beliebigen Stelle nicht zu weit
vom Bahnkörper aufgestellt und das Tau ihr mittelst Leitscheiben