Full text: Deutsches Baugewerks-Blatt : Wochenschr. für d. Interessen d. prakt. Baugewerks (Jg. 44, Bd. 3, 1884)

Technik und Techniker in Schweden. 
38. 
wöhnlich sind die Bauernhäuser ganz parterre gehalten; soll ein 
derartiges Haus nun Hochparterre werden, so muß es gehoben 
werden durch Erhöhung des Fußbodens, der Fenster ꝛc. Zeichen 
der guten Qualität des alten vorhandenen Baues sind: Genü— 
gende Dimension des Mauerwerkes, welche weder Sprünge 
seigen darf, noch Neigungen nach einer Seite, Senkungen: Mangel 
von Feuchtigkeit, Hausschwamm? gute Materialqualifikation an sich, 
wo einer oder der andere dieser Fundamentalpunkte nicht klappt, 
muß ein vollständiger Umbau vorgenommen werden. 
2. Entfernen gewisser Gebäundetheile, z. B. Keller— 
gewölbe, Treppen, Decken, Abtragung einer ganzen Gebäudehälfte 
eventuell; diese Vaßnahmen erfordern wie eine Demolition über— 
haupt oder wie bei Zubanten und radikalen Umbauten durch 
3. Enutblößung vorhandener Fundamente, Giebel— 
mauern (Feuermauern, Hausscheidemanern bei Einbauten) ꝛc, die 
größtmöglichste Vorsicht, weil sonst leicht äußzerst gefährliche Ein— 
stürzungen mit Verschüttungen von Personen (Vhtiethslente oder 
Arbeiter) statthaben können, wie dies leider schon oft genug der 
Fall war. Man muß daher beizeiten für die richtigen Pölzungen 
(Spreizen, Stütze oder Strebebäume) Sorge tragen, ja ganze Pölz⸗— 
gerüste eventuell durch dazu eigens berufene, erfahrene Gerüst⸗ 
hpoliere (gelernte Zimmerleute, die zuzgleich auch Maurer sind, 
wenigstens sein sollen) aufstellen lassen. (Veral. Anmerkung am 
Schlusse.) — 
Aehnliche Vo sichtsmaßregeln sind natürlich nöthig bei voll— 
ständigen Demolitionen bei Gelegenheit von radikalen Um— 
bauten und Neubauten an Stelle von abgebrochenen Einbauten, 
d. h. Häusern, die knapp unmittelbar an einander gebaut waren 
und durch den Ausbruch des einen Hauses an Stabilität durch 
Mangel der bestandenen Stütze einbüßen. 
4. Die Demolition (Demolirung) besteht aus der Demon— 
tirung des Hauses und der eigentlichen Destruktion. Erstere 
geht gewöhnlich voraus und faßt folgende Arbeiten in sich: 
a. Abdeckung des Daches und Fortschaffung der Dachdeck— 
Materialien (Ziegel, Schiefer, Zink ꝛc.) nach dem Material— 
platze. 
Aushebung aller Fenster und Thürstocke im ganzen Ge— 
bäude und Deponirung. 
Aufreißung der Parqueten. 
Eventuelles Ablösen von auf Leinwand gespannten oder 
geklebten Tapeten, Abnahme von Wandgetäfel, Plafonds. 
div. plastische und Holzplafonds) und Deponirung. 
Abtragung der vorhandenen Oefen, Kamine, Küchenherde, 
sammt allem Zugehör an Röhren ꝛc. 
Auslösung von Stiegengeländern, Gasarmen, Gasrohren, 
Wasserinstallationen, Telegrapheneinrichtungen, Brunnen ꝛc 
Deponirung dieser Gegenstände. 
Aushebung der Abortschläuche, wenn selbe nicht einge— 
mauert sind. 
Aushebung des Pflasters von Korridoren, Küchen, Kellern— 
Höfen. 
Abnahme von Regenwasserablaufrohren, Dachrinnen, Blitz⸗ 
stangen ꝛc. und Deponirung. 
Die deponirten Montirungsobjekte werden einer eingehenden 
Besichtigung unterzogen, entweder nach vorausgegangener Säube— 
rung, Reparatur, Renovation und dgl. eventuell bei dem Neu— 
oder Zubau (Umbau) verwendet oder im Licitationswege veräußert, 
je nach der juridisch-finanziell-ökonomischen Sachlage, dem Ueber— 
einkommen mit dem Bauherrn ꝛc. Meistens werden diese Gegenstände 
wieder verwendet; die Arbeiter müssen strengstens beauftragt wer— 
den, beim Abtragen der Oefen, wenn sie noch brauchbar erscheinen, 
ee von Tapeten ꝛ⁊c. mit der größten Sorgialt zu Werke zu 
gehen. 
ohne eingebhendes Studium der Gesetze über Elastizität und Festig— 
keit der Köorper nicht möglich gewesen wären. Kein Zeitalter weist 
eine so lebendige Wechselwirkung zwischen reiner Wissenschaft und 
dem praktischen Leben auf als das heutige. 
Diese Wechselwirkung zu bewerkstelligen, obliegt in erster 
Linie dem Stande der Techniker. Während das Gebiet ihrer 
Leistungen das reiche große praktische Leben, die Natur und deren 
Kräfte ümfaßt, liegen die Wurzeln dieser Leistungen in der gedie— 
zenen Kenntniß der Mathematik, der Naturwissenschaften und deren 
praktischer Anwendung. Der Techniker ist somit das echte Kind 
her Neuzeit, welche ihm die größte Aufgabe stellt. Dementsprechend 
sollte auch das Ansehen des Technikers sein. 
Weunn der Techniker in sich den Mann der Wissenschaft mit 
dem Mann der Praxis harmonisch vereinigt, so kann auch nur 
bon diesem Gesichtspunkt aus die Bedeutung des technischen Standes 
richtig erfaßt werden. Da der Deutsche dahin neigt, den Werth 
der Wissenschaft mehr in der Theorie als in der Anwendung im 
yraktischen Leben zu finden, so bricht sich in Deutschland das Ver— 
tändniß für die Bedeutung der Technik schwieriger Bahn als in 
Ländern, deren Bewohner vorwiegend praktische Naturen sind. 
So genießt in England der technische Stand ein hohes Ansehen, 
aber nur wegen der praktischen Leistungen. Bei dieser Beurthei— 
iung wird jedoch das Wissen der Techniker als die Grundlage 
einer Leistungen oft übersehen und die Pflege der Wissenschaft 
eicht vernachlässigt, womit auch allmälig die im Wissen wurzelnden 
Leistungen sinken müssen. Demgegenüber hat doch Deutschland 
den besseren Weg eingeschlagen, indem es vor allem die Technik 
als Wissenschaft entwickelt. 
Sobald in Deutischland das Verständniß für die praktischen 
Leistungen der Techniker einmal festen Boden gefaßt hat, muß 
zrade in Deutschland das Ausehen und die Stellung der Techniker 
die gesichertste sein, weil der Deutsche niemals Wissen und Wissen- 
schaft in den Hintergrund setzt. 
Eine solche feste Stellung hat sich die Technik bei dem ver— 
wandten und ähnlich beanlagten Volke der Schweden schon er— 
rungen. In einem schwach bevölkerten, von Natur nicht reichen 
Lande wohnend, ist der Schwede mehr als wir auf Selbsthülfe, 
auf praktische Bethätigung der erworbenen Kenntnisse angewiesen. 
Mit seinem tiefen und zugleich praktischen Sinn versteht er Theorie 
und Praxis zu vereinigen und ebenso wenig über der Wissenschaft 
deren praktische Anwendung als über der Praxis deren Grundlage, 
die theoretische Thätigkeit, zu versäumen. Aus diesem Grunde 
finden wir nicht nur, daß die Schweden sehr zur Technik beanlagt 
ind und in derselben achtungswerthe Leistungen aufzuweisen haben, 
sondern vor allem auch, daß das schwedische Volk der Technik und 
den Technikern ein gesundes Verständniß entgegenbringt. 
Der schwedische Techniker genießt im gesellschaftlichen Leben 
und in seiner amtlichen Stellung dasselbe Ansehen wie irgend ein 
anderer Stand. So finden wir schwedische Techniker im schwe— 
zischen Reichstage, bei den kommunalen Behörden und in anderen 
Ehren- und Vertranensstellungen. An die Spitze einer technischen 
Verwaltung einen Juristen zu stellen, verbietet des Schweden 
paktischer Sinn. Nur das Patentwesen ruht noch in Händen 
des alten, aus Juristen mit einem technischen Beirath zusammen— 
zesetzten Kommerzkollegiums. Doch ist die zeitgemäße Umgestaltung 
des Patentwesens demnächst zu erwarten. An der Spitze des 
Wege- und Wasserbaues steht ein Ingenieur; ebenso ruht die Lei— 
tung der Staatsbahnen in den Händen eines Technikers. 
In einem räumlich so ausgedehnten Staate mit schwacher 
Bevölkerung — Schweden ist um ein Drittel größer als Preußen, 
hat jedoch sechsmal weniger Einwohner — ist es nicht möglich, 
das Leben so stark in einen Punkt zu zentralisiren und von einem 
Punkte aus zu leiten, wie bei uns. In Schweden werden daher 
eine Menge volkswirthschaftlicher Angelegenheiten von den Ge— 
meinden und Kreisen (den Läns) gelöst, welche bei uns der Staat 
ibernommen hat. Der schwedische Staat besitzt daher nur eine 
kleine Anzahl technischer Beamten, theils um Staatsbauten auszu— 
führen, theils um die Staatsaufsicht zu üben und den kleineren 
GBemeinwesen helfend zur Hand zu gehen. 
Eine solche Aufgabe obliegt dem Ingenieurkorps für Wege— 
ind Wasserbau. An der Spitze dieses Korps sowie des gesammten 
Wege- und Wasserbaues steht ein Ingenieur-Oberst sowie ein In— 
gjenieur-Oberstlieutenant, welch' letzterer zugleich Büreauchef ist. 
das Gehalt beträgt 9900 M. bezw. 7300 Wie. Der Chef erhält 
außerdem 2250 M. für Dienstleistungen beim Eisenbahnbau. 
Anter diesen fungiren die Vorstände (Ingenieur-Majore) der sieben 
Wege- und Wasserbaudistrikte, in welche Schweden eingetheilt ist. 
Diese Majore haben entweder selbst oder durch ihre Untergebene 
zie Vorarbeiten und Fertigung zu denjenigen Arbeiten zu bewerk— 
telligen, welche Korporationen oder Gemeinden auszuführen beab— 
ichtigen und zu denen Beiträge aus öffentlichen Mitteln beantragt 
1. 
(Schluß fola' 
Technik und Techniker in Schweden 
Die heutige Entwicklung unserer Kultur ist in erster Linie 
durch die so außerordentlich fruchtbringende Anwendung der Er— 
gebnisse wissenschaftlicher Forschungen auf praktischem Gebiete be— 
dingt. Aus der Studirstube des Gelehrten sind gleichsam die 
Wissenschaften herausgetreten und in alle Zweige des Lebens ein— 
gedrungen. Man denke nur an die Umgestaltungen, welche die 
praktische Anwendung der Elektrizität hervorgerufen hat, an alle 
die großartigen Brücken-- Eisenbahn- und Kanalbauten. welche 
) Wir geben gern dieser interessanten Abhandlung nach der „Köln 
Ztg.“ Raum, nachdem uns der Herr Verfasser um deren Abdruck ersuchte 
und wir mit ihm der Meinung sind, daß es auch für die Leser unseres 
Blattes ebenso lehrreich wie interessant ist, einen Blick in die Institutionen 
eines Landes zu werfen, das in kechnischer Beziebung einen respektablen Plat 
einnimmt Pie⸗ Red.
	        

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