Full text: Deutsches Baugewerks-Blatt : Wochenschr. für d. Interessen d. prakt. Baugewerks (Jg. 44, Bd. 3, 1884)

Villa in Kruscy. — Arbeitstheilung. 
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Villa in Kruscy. 
Hierzu 13 Figuren.) 
Text siehe Seite 5366 u f. in Nr. 36; die beiden Figuren Seiten- und 
Vorderansicht können in dieser Nummer in Folge eines Unglücks bei Her— 
tellung der Stöcke nicht gebracht werden und werden daher in nächster 
Nummer folgen.) 
jolfenheit Einzelner, sich den veränderten Bedingungen anzupassen, 
ind in dem übertriebenen Konservativismus, mit welchem Viele 
in dem Althergebrachten hangen. Dagegen aber giebt umgekehrt 
»as allgemeine Streben nach Arbeitstheilung dem intelligenten und 
trebsamen Arbeiter andere werthvolle Mittel zur individuellen 
Weiterentwickelung an die Hand, auf welche er in früherer Zeit 
richt rechnen konüte. 
Allerdings ist es nicht leicht, in den neuen Verhältnissen 
sogleich den rechten Weg zu finden, und man muß sich auf mauche 
Jirfahrten gefaßt machen. Während früher, zur Zeit der Blüthe 
des Handwerkerstandes, jeder Arbeiter seinen Lebenszweck in der 
vollstaͤndigen Erlernung eines Handwerks und in der praktischen 
Tüchtigkeit suchte, muß sich der Arbeiter unserer Zeit auf ein an— 
cheinend geringeres Gebiet beschränken, wenn er nicht materiell 
hinter seinen Mitarbeitern zurückbleiben will. Der Grund dieses 
cheinbaren Rüͤckschrittes liegt darin, daß die einzelnen Handwerke 
sich im Laufe unseres Zeitalters innerlich so entwickelt haben, daß 
es für einen einzelnen Mann gar nicht mehr möglich ist, dasselbe 
in allen Details vollständig zu beherrschen, wenn er auch den 
Jrößten Theil seines Lebens als Lehrling zubringt. 
Es ist im Interesse der menschlichen Gesellschaft wie in dem 
des Individuums, daß Jedermann das ihm angeborene Streben 
nach Fortentwickelung kultivire. Aus diesem Grunde giebt es auch 
für den Arbeiter keine theoretische Grenze seines Wissens und 
Könnens. Die Aufnahme-Fähigkeit des meuschlichen Geistes jedoch 
ist innerhalb gewisser Grenzen beschränkt und auch die Zeit des 
Menschenlebens, welche zum Studium und Lernen zur Verfügung 
steht, ist nur gering, so daß der Durchschnittsmensch sich mit einer 
zeringeren Ausbildungsstufe begnügen muß. Bei den wilden 
Völkerschaften sind die Bedürfnisse des Lebens so einfache und 
geringe, daß jedes einzelne Individuum bei normaler Entwicke— 
lung den Anforderungen gerecht werden kaun, ohne von den an— 
deren abhängig zu sein. In unserem modernen Leben ist jedoch 
an eine derartige entsprechende, allgemeine Ausbildung nicht zu 
denken; so schön auch das Streben danach erscheinen mag, eben so 
unmöglich ist es auch für uns, dieses Ziel zu erreichen; unsere 
'ozialen und industriellen Verhältnisse sind dazu viel zu komplizirt. 
Der Fortschritt unserer Kultur besteht daher nicht in der 
Verallgemeinerung des Individunms, sondern in der Speziali— 
irung. Die Arbeitstheilung bildet hierbei ein wichtiges Hülfs— 
mittel und kann sogar als Endziel hingestellt werden, wenn man 
den Begriff der Spezialisirung nicht als ein Mittel der Beschrän— 
kung der individuellen Fähigkeiten, sondern umgekehrt gerade als 
ein Mittel zur freieren Entwickelung derselben in der einen oder 
anderen Richtung auffaßt. Die Jñdustrien haben sich in unserer 
Zeit sowohl dem Umfange wie der Mannigfaltigkeit der einzelnen 
Prozesse und Manipulationen nach so entwickelt, daß dieselben 
ohne das Prinzip der Arbeitstheilung gar nicht mehr bestehen 
könnten. In vielen Fällen erscheint allerdings der Arbeiter nur 
ils ein lebendiges Glied in der Kette eines großen industriellen 
Anternehmens, ein unbedeutender Theil in einer Organisation von 
Maschinen und Menschen, ohne Anerkennung seiner persönlichen 
Individualität. 
In dieser Lage kommt es nicht darauf an, daß der ideale 
Arbeiter das Meiste weiß oder die mannigfaltigsten Arbeiten aus— 
uführen vermag, sondern, daß er eine ganz bestimmte Arbeit 
chneller, zuverlässiger und besser ausführen kann als ein Anderer. 
Diese Fähigkeiten kann der Mensch aber nur erwerben, wenn er 
ich beständig der einen Beschäftigung hingiebt. — Die unaus— 
leibliche Folge einer solchen einseitigen Thätigkeit aber ist natür— 
ich die Beschränkung der übrigen Fähigkeiten. In diesem Falle 
st das Prinzip der Arbeitstheilung schädlich, indem es den Men— 
hen, zur lebendigen Maschine degradirt. Glücklicherweise aber 
»egnügt sich der denkende Mann nicht hiermit; bei seinem indivi— 
zuellen Streben nach Weiterentwickelung sucht er mechanische Hülfs— 
nittel zur Ausführung der häufiger wiederkehrenden, Verrichtungen 
seranzuziehen und substituirt die menschliche Maschinerie durch 
olche aus Metall und Holz. 
Auf diese Weise ist die Tendenz der Arbeitstheilung die 
Mutter vieler wichtiger Erfindungen und besonders vieler Spezial— 
Maschinen geworden. Die Rückwirkung derselhen auf den Ar— 
seiter kann sich nun in sehr verschiedener Weise bemerklich machen. 
Thatsache ist, daß durch dieselben der Arbeiter von den gröberen 
ind schweren Arbeiten befreit wird und er seine Fähigkeiten in 
iner bestimmten Richtung freier entwickeln kann, als es sonst 
nöglich wäre. Die Befreiung von den gröberen Arbeiten begün— 
tigt immer die Entwicklung der geistigen Fähigkeiten, wie es ja 
eiine oft gemachte Beobachtung ist, daß z. B. die Uhrmacher durch— 
chnittlich intelligenter sind als die Grobschmiede. 9J 
In dieser Beziehung sind die automatischen Maschinen die 
Freunde der Arbeiter, indem sie die Förderung der geistigen Fähig— 
Fig. 1 
Arbeitstheilung. 
Die großen industriellen Fortschritte unseres Zeitalters ver— 
danken wir hauptsächlich der immer tiefer und tiefer wurzelnden 
Tendenz der Arbeitstheilung. Die Folge hiervon war die Aus— 
»ildung von hervorragenden Spezialisten und die Erfindung von 
ahlreichen ingeniösen Spezialwerkzeugen und Spezialmaschinen. 
Es ist allgemein anerkannt, daß das Prinzip der Arbeitstheilung 
owohl für das Gedeihen unserer Industrien selbst, wie für die 
Büte und Billigkeit des Arbeitsproduktes von hervorragender Be— 
deutung ist. Die in dieser Richtung gewonnenen Vortheile liegen 
lar auf der Hand; dagegen aber hät dieselbe Tendenz unser ganzes 
pürgerliches Leben umgestaältet. Die alten Handwerkerstände, welche 
besonders in Europa Jahrhunderte lang ein völlig gesundes Dasein 
rristeten, find durch dieselbe zu Grunde gegangen, oder haben 
wenigstens so tiefgehende Umwälzungen erfähren, daß sie kaum 
nehr zu erkennen sind. Durch die Ümstürzung der alten Ein— 
cichtungen hat die neue Tendenz viele Feinde gefunden, welche 
allerdings ohnmächtig sind und bei ihrem Kampfe gegen die 
mächtige, stets wachsende Strömuug uͤntergehen müssen. Die 
Schuld an diesem inneren Kampfe liegt aber weniger in einer 
etwaigen prinzipiellen Schädlichkeit der neuen Tendenz für das 
ndividuelle Wohl des Arbeiters, sondern vielmehr in der Unbe—
	        

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