Das gewerbliche Hülfspersonal sonst und jetzt.
Das gewerbliche Hülfs Personal
sonst und jetzt.
Damit nach dieser Richtung ein passender Vergleich gezogen
verden kann, müssen wir auf einen Zeitraum von wenigstens
35 Jahren zurückgehen.
Wir müssen uns dabei in eine Zeitperiode zurückversetzen,
in welcher das Fabrik- und Maschinenwesen in Deutschland noch
auf einer niedrigen Stufe stand, in welcher das Zunstwesen noch
vorherrschte und Gewerbefreiheit und Freizügigkeit noch schöne
Ideen waren. Außerdem schlummerte zu jener Zeit auch noch
die soziale Frage.
Der eingetretene Umschwung war ein zu gewaltiger, und es
arf deshalb nicht befremden, wenn durch das Aufblühen der
Broßindustrie, durch die Gewerbefreiheit und Freizügigkeit und
insbesondere auch durch die aufgeworfene soziale Frage das Ver—
hältniß zwischen den Handwerksmeistern und ihren Hülfsarbeitern
derschoben wurde. Ob es aber unbedingt nöthig war, daß die
zuten Beziehungen, die früher zwischen beiden Theilen bestanden,
auf eine gar so bedauerliche Weise gestört wurden, und ob es nicht
nöglich sei, die früheren freundlicheren Verhältnisse zwischen
Arbeitgeber und Arbeiter wenigstens zum Theil wieder herzustellen,
das soll uns gegenwärtig beschäftigen.
Daß die Aenderung, welche in der gegenseitigen Stellung
»ingetreten ist, für beide Theile von großem Nachtheil gewesen,
teht fest; auch wird es hohe Zeit, daß die zum Theil fast uner—
räglich gewordenen Verhältnisse gebessert werden.
Da beide Theile bis jetzt nur dazu beigetragen haben, die
wischen ihnen entstandene Kluͤft zu erweitern, so kann nicht he—
zweifelt werden, daß, wenn der gegenseitige gute Wille ernstlich
»orhanden, diese Kluft auch, wenigstens in der Hauptsache, und
war zum großen Segen beider Theile, wieder ausgefüllt werden könnte.
Die Meister hatten zu jener Zeit an ihren Gesellen — und
»on diesen wollen wir hauptsächlich sprechen — treue und fleißige
Mitarbeiter, die, wo sie konnten, auch auf den Nutzen des Meisters
ahen und nicht selten dessen Eigenthum sorglich mit hüteten.
Abgesehen davon, daß es auch früher träge, liederliche und rohe
Besellen gab, so waren doch zu jener Zeit die Fälle unzählig, wo
ein Geselle viele Jahre lang bei einem Meister arbeitete und mit
der Familie desselben vollständig verwuchs. Daher kam es auch, daß
er Meister mit seinen Gesellen früher auf einem vertrauteren Fuße
tand, als jetzt. — Der Meister besprach mit denselben geschäft—
iche Angelegenheiten, hörte deren Ansicht und verschmähte mit—
inter vielleicht sogar ihren Rath nicht. — Das Vertrauen des
Meisters ging oft so weit, daß ein Geselle es war, der im Laden
des Meisters mitverkaufte oder zu Marktzeiten mit in der Bude
tand, ja die Fälle waren auch nicht selten, daß der Meister mit
einen Gesellen zu Bier ging. Zuweilen entspann sich auch ein
wirklich freundschaftliches Verhältniß, welches, wo es nicht gar in
ein verwandtschaftliches überging, viele Jahre über die Zeit hinaus
fortbestand, wo das Arbeitsverhältniß zwischen beiden aufgehoben
wurde.
Früher bestand ein gewisses partriarchalisches Verhältniß
wischen Meister, Gesellen und Lehrlingen, welche letzteren in
hrem Meister gewissermaßen einen väterlichen Freund, einen
Lehrer und Erzieher erblickten.
Dies Alles kam aber auch mit daher, daß früher der Meister
jür das geistige, sittliche und körperliche Wohl seines Hülfs—
personals sorgte, in einzelnen Fällen sogar in wahrhaft däter—⸗
icher Weise, während jetzt sich sehr viele Meister um ihr Personal
gjeradezu gar nicht kümmern. Dabei ist freilich auch nicht zu ver—
ennen, daß heute die jungen Leute sich gar nicht mehr vom
Meister belehren, rathen oder gar erziehen lassen wollen, daß sie
»ielmehr im Drange eines falschen oder unzeitigen Freiheitsgefühls
ich der Aufsicht und Zucht des Meisters am liebsten ganz ent—
ziehen, um nur ja das Baronsleben recht genießen zu können.
Die in der neueren Zeit gemachten tausendfachen Erfahrungen
»eweisen aber unwiderleglich, daß die meisten Gesellen, insbesondere
zie jüngeren, gar noch sehr der Unterweisung, des Rathes und
elbst der Erziehung bedürfen und daß ihnen eine strenge Aufsicht
»eshalb sehr nothwendig wäre, um nicht so leicht verführt werden
zu können.
Die wahrhaft elterliche Fürsorge des Meisters und seiner
Frau gegen ihre Gesellen und Lehrlinge fand man vorzugsweise
in solchen Handwerkerfamilien, aus denen sich Söhne in der
Fremde befanden, und die Frau Meisterin sorgte vorzugsweise
iuch in der Hoffnung mit einer gewissen mütterlichen Liebe für
hre Leute, damit ihre eigenen Söhne vielleicht von anderen
Meistersfrauen dieselbe Fürsorge empfangen möchten.
Früher brauchten ordentliche Gesellen, weiche beim Meister
Wohnung und Kost erhielten, fast gar kein Geld; ihren Lohn
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tießen sie beim Meister Jahre lang stehen, und die Fälle waren
gar nicht selten, daß mancher Geselle bei seinem Abgange, trotz
)es geringen Lohnes, fünfzig und mehr Thaler Lohn von feinem
Meister ausgezahlt erhielt. Auf diese Weise blieben die jungen
Leute ordentlich und wurden sparsam.
Wie anders ist das jetzt, wo selbst ein hoher Lohn nicht
hinreicht, um die vielen Bedürfnisse der jungen Leute zu befrie—
digen und an's Sparen wird nur von Eiuͤßzelnen gedacht. Es
ehlt also jetzt an einer gehörigen Eintheilung; die Hälfte des
Wochenlohnes wird, Sonntags leichtsinnig dergeudet und die
Woche über wird nicht selten gedarbt.
Selbst in denjenigen Bürgerfamilien, wo heute noch Gesellen
ind Lehrlinge Wohnung und Beköstigung erhalten, hat sich das
Jegenseitige Verhältniß sehr getrübt, deun wenn der Meister dem
Besellen auch jetzt noch giebt, was ihm zukommt, so fehlt doch,
uind zwar in den meisten Fällen, gegenseilig die ehrliche Absicht,
sich irgend einen Liebesdienst zu erweisen.
Im glücklichsten Falle stehen sich jetzt Meister und Gesellen
fremd gegenüber, wenn ihr gegenseitiges Verhältniß nicht gar ein
zesammtes oder feindliches ist, denn es giebt gerade jetzi vielleicht
nicht wenig Arbeitgeber, welche durch den Trotz und die Bös—
willigkeit ihrer Arbeiter so abstoßend und hart gegen dieselben ge—
macht worden sind, daß sie ihre Leute gewissermaßen wie er—
miethete Maschinen behandeln, die beim Beginn der Arbeit von
hnen angelassen und nach Schluß derselben wieder abgestellt
werden. Im Uebrigen bekümmern sie sich um ihre Leute auch
nicht im Geringsten, sie verlangen von denselben nur ihre richtige
Arbeit, bezahlen ihnen dieselbe, und damit ist das gegenseitige
kontraktsverhältniß erfüllt.
In der Großindustrie ist dies nicht viel anders möglich;
rotzdem giebt es recht viele schöne Beispiele von Besitzern sehr
großer Fabriken, die für ihre Arbeiter ein Herz haben, um wie
ziel mehr könnten es die Kleingewerbetreibenden oder überhaupt
Diejenigen thun, die nur eine geringe Zahl von Arbeitern be—
chäftigen.
Noch um Vieles schlechter, als die Meister von ihren Ge—
ellen, denken die Letzteren von ihren Meistern. Mancher Arbeiter
erblickkt in dem Unternehmer nur einen Sklavenhalter und be—
rrachtet sich selbst nur als dessen weißen Sklaven. So unzutreffend
dieser Vergleich an sich ist, so richtig ist er in Bezug auf die Arbeit,
senn in der That arbeiten die meisten Gesellen und Arbeiter jetzt
vie die Sklaven, d. h. ohne alles Interesse. Wenig Arbeit, viel
Lohn, das ist, natürlich mit lobenswerthen Ausnahmen, jeßt die
Parole der Arbeiter, ein höheres Ziel ist ihnen dabei völlig fremd.
Daraus geht indeß unzweifelhaft soviel hervor, daß gerade
o wie früher das gute Verhältniß, jetzt auch das schlechte Ver—
jältniß zwischen Arbeitgeber und Arbeiter auf Gegenseitigkeit beruht.
Wären die Meister besser, fürsorglicher und rücksichtsvoller
jegen ihre Gesellen, so würden diese größere Anhänglichkeit und
Treue dem Meister entgegenbringen, wie umgekehrt, wenn die
BHesellen nicht so trotzig uünd boshaft gegen ihre Meister wären,
etztere nicht so fremd und abstoßend gegen ihre Gesellen sein würden.
Sonach sind beide Theile daran schuld, wenn ihre gegen—
eitigen Beziehungen schlechter geworden und ihre beiderseitigen
Interessen schwer geschädigt worden sind.
Was nun das moralische Elend der Arbeiter anlangt, so ist
zies nur eine ganz natürliche Folge der völlig leitungs- und
zügellosen Freiheit, welcher junge, unerfahrene Leute Preis gegeben
ind, und der Verführung, die sich denselben von allen Seiten un—
yelästigt nähern kann. .
Um diese Behauptung zu rechtfertigen, müssen wir die Art
und Weise, wie jetzt so viele junge, ganz unerfahrene Leute leben
wollen und leben müssen, von allen Seiten beleuchten.
Zu diesem Zwecke wollen wir uns eines Beispiels bedienen,
velches uns ein junger Mann von 17 bis 18 Jahren, der Sohn
eines achtbaren Bürgers, moralisch vollständig unverdorben, liefern
oll. Der junge Mann verläßt zum ersten Male das väterliche
daus und wandert in einer fremden Stadt ein. Er ist mit reich—
icher Wäsche und doppelter Kleidung versehen und besitzt noch
eine kleine Summe Geldes, welche trotz der weiten Reise noch
ibrig geblieben ist.
Der junge Mann findet sofort gute Arbeit. Da er aber
eim Meister nicht wohnen kann, so ist seine erste Sorge, sich eine
Schlafstelle zu suchen. Es findet sich auch eine solche, jedoch ist
ieselbe keineswegs billig, denn 1,6 bis 2 Mark wöchentlich muß
r, für ein kleines Kämmerchen, in welchem ein dürftiges Lager
uufgeschlagen ist, bezahlen. Die Kammer leidet entweder Mangel
in Platz, Licht, Wärme und guter Luft oder nach Befinden Ueber—
luß au Lusft, Licht, Kälte oder Wärme. Der Vermiether der
Kammer will an dem Miiether verdienen und zwar, so viel als
nöglich. (Forts. folgt.)