Das gewerbliche Hülfspersonal sonst und jetzt.
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Das gewerbliche Hülfs-Personal
sonst und jetzt.
Meister anzuvertrauen und ihn um seinen Rath und Beistand au—
zugehen, aber er war ihm zu kalt, zu verschlossen. Aber gerade
dieser wäre der Mann gewesen, der rathen, der helfen konnte auf
ede Weise, ohne in Verlegenheit und Schaden zu kommen. Hätte
der Meister ein Herz für seinen Gesellen gehabt, so brauchte er
nicht erst darauf warten, daß ihn derselbe um Hülfe anging,
denn er sah es doch dem armen Menschen an, daß er einer Stütze
»edurfte.
Um sich zu betäuben, verfällt der junge Mann immer mehr
ind mehr der Flasche; er fühlt aber hierbei, daß seine Kräfte
iachlassen, und da in Folge dessen auch sein Verdienst geringer
vird, so sinkt er tiefer und tieser, bis eines Tages eine sozial—
»emokratische Versammlung angezeigt wird. Früher hat er diese
Partei, noch mehr aber ihre Lehren gehaßt, jetzt aber mit dem
Amschwunge seiner Verhältnisse ist auch eine große Wandlung in
einen Ansichten vorgegangen. Er findet den Haß der Armen
jegen die Reichen, den Haß gegen das Kapital, den Haß gegen
Ordnung und Gesetz ganz natürlich, denn kein Reicher hatte ihm,
wenn er hungerte, einen Bissen Brod gegeben, und kein Gesetz
nahm sich seiner in seinem großen Elend an. Jetzt fühlt er, daß
die Sozialdemokraten Recht haben, wenn sie die Arbeitgeber Blut—
auger, Schinder und Sklavenhalter nennen, denn er glaubt diese
Ersahrung an seinem Meister gemacht zu haben, der so lange
reundlich gegen ihn war, als er rüstig arbeiten, also dem Meister
hdiel Geld verdienen konnte, der ihn aber, sobald ihn die Kräfte
derließen, keines Blickes mehr würdigte.
Der Meister war Zeuge seines Unglücks und hat es durch
Andere erfahren, in welchem grenzenlosen Elende er sich befand,
ꝛx hätte ihm rathen, hätte helfen können, er hat es aber nicht
Jjethan. Früher, als er noch glücklich war, sträubte sich sein gutes
Herz dagegen, daß die natürlichen Bande der Familie zerrissen
verden sollten, jetzt aber, wo Eltern und Geschwister ihm in seiner
zrößten Noth jeden Beistand versagten, jetzt findet er diese herzlose
That völlig unbedenklich.
Früher, als er noch glücklich war, konnte er die Phrase nicht
»egreifsen, „daß auch der Aermste in den Stand gesetzt werden
nusse, um ein menschenwürdiges Dasein zu fristen“; jetzt begriff
er leider den tiefen Sinn dieser Worte nur zu gut.
Sonst empörte sich sein ganzes sittliches Gefühl, wenn er
)jörte, wie die Sozialdemokraten Gott und Religion verachteten,
jetzt fand er auch diese Lehre nach seinem Sinn.
Nichts war daher natürlicher, als daß er diese ihm viel
dersprechende Versammlung besuchte; er hörte den gehaltenen Vor—
rägen mit sichtlichem Interesse zu und applaudirte bei jeder Kraft—
telle. Das Ende war, daß er angegriffen vom Schnapsgenuß in
Folge der Aufregung schwer krank in das Krankenhaus geschafft
verden mußte. Nach seiner Genesung wurde er in seine Heimath
erwiesen.
Das Entsetzen der Eltern trotzt jeder Beschreibung, als die—
selben den in Lumpen Heimgekehrten erblickten und in demselben
aum ihren Sohn wiedererkennen konnten, der von den Aus—
chweifungen, von Hunger und Krankheit abgezehrt und moralisch
pöllig verpestet in das Vaterhaus zurückkehrte.
Will man aus dieser Geschichte eine Lehre ziehen, so muß
man sich sagen, daß der junge Mann nicht gesunken wäre, wenn
der Meister sich seiner nur einigermaßen angenommen, ihn ver—
tändig geleitet, einigermaßen beaufsichtigt und vor Verführung
geschützt hätte. So junge Leute beduͤrfen ganz entschieden noch
iner gewissen Leitung; sie werden dagegen, wenn sie sich selbst
iberlassen werden, unzweifelhaft der Sozialdemokratie in die Arme
jeführt, wenn sie nicht außerordentliche Charakterstärke besitzen.
Ohne die Schwierigkeiten verkennen zu wollen, welche damit
»erbunden sind, daß ein Unternehmer, der eine größere Anzahl
yon Arbeitern beschäftigt, denselben besondere Aufmerksamkeit
vidmen soll, so sollte es doch der Arbeitgeber ernstlich in Ueber—
egung ziehen, wie er wenigstens seine unverheiratheten Arbeiter
nit einem behaglichen Unterkommen versehen kann, welches ihnen
we Wirthshausleben erspart und sie möglichst vor Verführung
ützt.
Da, wie die glänzenden Beispiele beweisen, es schon deu
Besitzern großer Etablissements gelungen ist, für ihre vielen Ar—
seiter Einrichtungen zu treffen, welche ihnen zur großen Wohlthat
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eitgebern möglich zu machen sein.
Was aber diejenigen Gewerbetreibenden anlangt, welche nur
eine geringe Anzahl Ärbeiter beschäftigen, so sollten sich diese
jeradezu darauf wieder einrichten, ihren Hülfspersonal Wohnung
ind Kost zu gewähren, um dieselben in Bezug auf ihren Lebens—
vandel überwachen und ihnen mit Rath und That zur Seite
tehen zu können. Diese Vorschläge werden freilich mit der Ver—
icherung Seitens der Meister zurückgewiesen werden, daß sehr
Echluß.)
Der Antritt der Arbeit erfolgt; aber nur so lange der junge
Mann beim Meister arbeitet, weiß er nicht, wem er eigentlich an—
Jehört, sobald er Feierabend gemacht hat, dann ist er frei, frei
vie der Vogel in der Luft, ja sogar noch freier, wie dieser, denn
der Vogel hat sein Nest und das ist sein, es bietet ihm einen
)öchst angenehmen Aufenthalt und ist sein Heim. Unser Jüngling
aber fühlt sich in seiner Kammer nicht zu Hause, ebensowenig in
)em kleinen Stübchen seiner Wirthsleute, welche außer ihm noch
nehrere Schlafburschen beherbergen, die ihren Verkehr in dem
Stübchen mit ihm gemeinschaftlich haben.
Während des Sommers sucht er sein Heim in der schönen
reien Natur oder er durchschlendert in seinen Feierstunden die
chöne Stadt und besieht sich die Sehenswürdigkeiten derselben.
Aber schon am ersten Regentage fühlt er, daß er recht einsam,
lecht verlassen ist. In solchen Stunden der Einsamkeit wird das
Ddeimweh wach, die Sehnsucht nach der Heimath und nach den
Seinigen bemächtigt seiner Seele.
Den ersten Sonntag, den unser Jüngling in der Fremde
erlebt, weiht er, einer alten guten Gewohnheit getreu, der Kirche.
So vergehen einige Wochen. Eines Sonntags aber macht
X auf einem Spaziergange die Bekanntschaft einiger jungen Leute.
Das Gespräch dreht sich fast ausschließlich darum, wie man den
jeutigen Sonntag am genußreichsten ausfüllen könne. Unser
Freund läßt sich leider bereden, mit den Anderen einen Tingel—
Tangel zu besuchen. Schon auf dem Wege dahin begrüßen ihn
Hesang und Meusik. Es gefällt ihm dort ausgezeichnet; das Bier
und das Essen schmecken ihm sehr gut, die Preise sind zwar sehr
heuer, aber es ist ja Sonntag.
Die Woche vergeht, es kommt der Sonnabend; da es an
diesem Tage noch schoͤner wie am Sonntag im Tingel-Tangel sein
oll, geht der junge Mann schon heute hin. Da am nächsten
Tage Ausschlafetag, d. h. Sonntag, ist, war es noch lustiger als
das erstemal, und sehr spät sucht er sein Nachtlager auf. Als er
rwacht, steht die Sonne schon hoch und es ist zu spät, um in die
xrirche zu gehen. Der Kirchgang unterbleibt, aber nicht nur heute,
ondern für immer. Von jetzt än ist der Sonntag stets dem Aus—
chlafen gewidmet.
So vergehen einige Monate nud der jnnge Mann befindet sich
sier wohl dabei. Der Aufangs sehr lebhafte Briefwechsel mit den
altern ist indeß mehr und mehr in's Stocken gerathen, wenigstens
ind seine Briefe immer selsener und kürzer geworden. Er hat
auch weibliche Bekanntschaft gemacht und nicht allein seinen Lohn
nit dem Mädchen veriubelt, sondern auch einige kleine Schulden
gemacht.
So vergeht fast der Winter. Unser Jüngling genießt die
Freuden des Lebens in langen, vollen Zügen; unterdessen hat er
iber zu seinem Unglück die Entdeckung gemacht, daß in einem
kleinen Nebenzimmer auch gespielt wird. Er läßt sich verleiten,
ein Glück auch einmal zu versuchen, und das Ende vom Liede
sst, daß er sein ganzes Geld verliert. Im Unmuthe darüber trinkt
er noch einige Glas Bier, borgt sich dann noch Geld und verliert
auch dieses.
Am nächsten Tage erwacht er mit wüstem Kopfe, ist in
Sorge wie er seinen Verbindlichkeiten nachkommen soll, und ent—
chließt sich, an seine Eltern, an die er lange nicht geschrieben,
die Bitte zu richten, ihm schleunigst 100 M. zu senden.
Waren die Eltern des jungen Mannes schon ungehalten auf
hren Sohn, weil er ihre Briefe unerwidert ließ, so wurde ihre
Unzufriedenheit noch größer, als er, bei seinem guten Verdienst,
eine für sie unerschwingliche Summe verlangte. Sie senden ihm
ilso Vorwürfe, Ermahnungen und gute Regeln, aber kein Geld.
Der junge Mann ist vernichtet! Wie soll er seine Gläubiger
»ezahlen? Er' braucht außerdem Kleidung und Wäsche, aber Nie—
nand hilft ihm. Er fühlt seine Verlassenheit, denn auch die Ge—
iebte, mit welcher er nicht mehr häufig ausgehen konnte, und der
ie Geschenke ausblieben, hat ihn verlassen. Um seine Verhältnisse
zu verbessern, legt er sich Eutbehrungen auf; er ißt nicht mehr
zu Mittag, sondern ein Stück Brod soll dasselbe ersetzen, aber,
am die dem Körper nun fehlende Wärme zu beschaffen, trinkt er
Branntwein. Hierdurch wird sein moralischer Halt vollends ge—
brochen. Er fühlt, daß sich selbst seine früheren Genossen nach
und, nach von ihm zurückziehen und nur verkommene Subiekte sich
zu ihm hingezogen fühlen.
Selbst sein Meister, der sonst immer so freundlich mit ihm
ind so zufrieden mit seiner Arbeit war, würdigt ihn nur noöch
»ann eines Wortes, wenn er Veranlassung hat, zu tadeln oder zu
anken. Wie oft hat sich der Gefallene vorgenommen, sich seinem