Eine „neue“ Baukonstruktionsmethode. — Die Expropriation und das Baugewerbe.
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viele Gesellen diese Wohlthaten schnöde von der Haud weisen
würden, da dieselben von Aufsicht, Leitung und Erziehung nichts
vissen, sondern ihre gewohnte Freiheit genießen wollen.
Mit Zwangsmitteln wird auch nichts auszurichten sein, die
Hauptsache aber ist die, daß jeder Meister von der festen Ueber—
zeugung durchdrungen sein muß, daß es so, wie jetzt, nicht fort⸗
Jehen kann, wenn wir nicht ganz trostlosen Zuständen entgegen—
steuern wollen. Etwas muß geschehen, um die große Kluft zu
uüͤberbrücken, die sich zwischen Meister und Gesellen gebildet hat.
Und da hierbei von einer Seite zuerst die Hand geboten werden
muß, so kann es wohl nur die der Arbeitgeber sein, die den Ar—
beitern zur Versöhnung entgegen gehalten wird. Es wird das
unendlich mehr wirken, als alles Geschrei nach der Wiederbelebung
mittelalterlicher Institutionen und nach Ausnahmegesetzen.
Insbesondere müssen aber diejsenigen Eltern, welche selbst
Söhne in der Fremde haben, die entsetzlichen Gefahren in's Auge
fassen, denen ihre Söhne entgegen gehen, wenn sie sich vollständig
selbst überlassen werden. Mögen also diese Meister fremden jungen
Leuten diejenigen Wohlthaten erweisen, von denen sie wünschen,
daß sie ihren Söhnen ebenfalls erwiesen werden. — xr.
Diese Konstruktionsweise empfiehlt sich, wenn sie schon nicht
ür Privatbauten Anklang finden sollte, unzweifelhaft für manche
jffenthichen Bauten, z. B. Spitäler, Schulen, Amtsgebäude,
Bibliotheken, Laboratorien, Fabriken, Kasernen u. dal. In Wien
sat sie noch nicht viele Verehrer gefunden, doch wurde sie für den
Zouterrainbau relativ in Anwendung gebracht; in solchen Fällen
iämlich, wo das starke Heraustreten der Souterrainräume aus
»er Erde wegen Vermiethungszwecken oder wegen Ueberschwem—
nungsgefahren entweder sehr starke Mauern (Wiederlager an der
Façadenseite) oder die Unterlassung der gewöhnlichen Keller—
völbungen geboten und die Einwoölbung auf eisernen Traversen
7-Träger) nöthig gemacht hätte; man half sich daher auf diese
Weise, daß man nach dem in Rede stehenden Pfeilersystem
und dem mittelalterlichen Transversalbau Pfeilerverstärkungen
nit der Achse senkrecht zur Hauptmauerflucht, nach innen ge—
zückt — (event. Pfeiler nach gothischer Art mit Zwischenmauerung.
etzerer in schwacher Dimension) — und damit in Verbindung
Burtbögen mit Querwölbung inzwischen, anwendet, wo—
zurch vollste Solidität in stabiler wie feuersichernder
Beziehung erreicht wurde. Bei Einbauten wurde dasselhe
S„ystem der Kellermauerung an den Hausgrenzen d. h. wenn die—
elben an die Nachbarhäuser stoßen) angewendet, so daß letztere
ingenirt demolirt werden können, ohne daß ein unvorhergesehener
»der überhaupt gefährlicher und außer Kalkül stehender Gewölbe—
druck dem stehenbleibenden Gebäude Nachtheil bringen könnte.
Eine „neue“ Baukonstruktionsmethode.
Die in Nr. 13 dieses Blattes erläuterte Baukonstruktions—
methode mit total durchgeführter Wölbung ist bereits versuchs—
weise an verschiedenen Orten ausgeführt worden und findet sich
auch in einem früheren Jahrgange d. Bl. unter dem Titel „Bau—
erfindungen“ angedeutet und empfohlen; wir haben es also hier
mit nichts wirklich Neuem, sondern genau genommen mit etwas sehr
Altem, Reaktivirtem, für moderne Anwendung universellerer Art
Zurechtgelegtem zu thun; es ist das in Rede stehende „neue“ Bau—
iystem nichts Anderes, als das mittelalterlich-gothische
Transversal- und Pfeilersystem mit durchgängiger Wölbung.
Diese archäologische Provenienz soll aber dem Werthe der „neuen“
Konstruktion nicht im Mindesten Eintrag thun, im Gegentheil,
wir befürworten dieselbe hiermit auf das Wärmste.
Das zu Grunde liegende System ist nämlich nicht nur sehr
solid in jeder Beziehung, es ist auch unter gewissen Um—
sttänden ökonomisch, denn es macht einen ganz durchgeführten
Bewölbebau möglich, ohne der in unseren Zeiten nicht mehr be—
liebten und sehr kostspieligen Mauermassen zu bedürfen;
dadurch wird es auch in vielen Fällen sich als das prak—
tischste Bausystem darstellen. Von manchem spezielleren
Standpunkt aus wird es freilich als zu kostspielig und
schwierig sich erweisen, aber nichtsdestoweniger verdient es schon
vegen seiner fast absoluten Feuersicherheit möglichst all⸗
gemeine Anwendung.
Mit gewissen Modifikationen, Materialökonomie, günstigem
Materialbezug, und die Verbindung mit anderen Baukonstruk—
tionen“*) läßt sich jedoch auch dem Vorwurfe der Kostspieligkeit,
resp. der schweren Ausführbarkeit begegnen.
So kann man an Orten, in welchen Dampisteinsägewerke
in Thätigkeit sind, vorgenauntes System mit dem Steinriegel—
oder Steingezimmer-System kombiniren; statt der Ziegelgewölbe
kann man Betongewölbe anwenden u. s. w. Solche Maß—-—
nahmen würden die Arbeiten und eventuell oder relativ auch die
Kosten vermindern und vereinfachen; denn in der That bedürfte
es für die — — genaue und sichere Ausführung des Systemes,
wie der Herr Verfasser des betreffenden Artikels sehr richtig be—
merkt, der besten Arbeiter und erfahrener, theoretisch und praktisch
stramm durchgebildeter Baumeister, die nicht gar so häufig anzu—
treffen sind. Das Skeleit bei Steinriegelsystem besteht dus den
in Quadern ausgeführten Hauptpfeilern, welche bedeutend schwächer
zehalten werden können als Ziegelpfeiler.
Auch die Füllmauern zwischen den Pfeilern können in
Beton hergestellt werden. Man kann auch die Pfeiler ganz
oder theilweise, um der Façade das kirchliche Aussehen,
welches sie derselben verleihen, zu nehmen, in das Innere
rücken, das Prinzip der Sache bleibt dennoch gewahrt; solche
VBersuche waren, wie gesagt, schon da, nur müssen dann eben im
Innern, wenn nöthig, da durch das Hineinrücken und die Aus—
füllung mit Interieur-Courtinen (Füllmauern, Zwischen—
mauern) Ungleichheiten der Scheidemauerflucht- oder Fläche
entstehen, durch Maskirung mittelst zierlicher Säulenstelluͤngen,
Holzverkleidungen, Drapperien, Vorhängen, Stukkatur ꝛc., event.
durch Ausfüllung (Ausgleichung) mit leichten, gelochten und
billigen Kalksand-, Gypsglasstanb-, Aschen- Bims⸗ oder Tuff—
steinziegeln ꝛc., welche die Gurtbögen nicht überflüssig beschweren,
genannte Ungleichheiten verdecken.
Die Expropriation und das Baugewerbe.
Von
Dr. jur. Gustav Freudenstein.
(Chefredakteur der Blätter für vopuläre Rechtswissenschaft.)
J
Der Staat tritt in der neueren Zeit in immer höherer Po—
enz in das wirthschaftliche Leben des Volkes als ein Faktor ein,
velcher sich den Erwerbs- und ökonomischen Kreisen der Indi—
»iduen von den verschiedensten Punkten aus fühlbar macht. Nir—
gends aber schneidet er die Privatsphäre des Einzelnen so em—
findlich, als durch das ihm beiwohnende Gewaltrecht der Ent—
»ignung oder Expropriation. Für die Angehörigen des Bau—
zsewerbes können die Fragen über die rechtliche Zulässigkeit und,
alls diese bejaht ist, über die Höhe der Entschädigung dessen, dem
ein Eigenthum genommen wird (des Expropriaten) von großer
Bedeutung werden. Ueberhaupt ist kein Grundeigenthümer und
dazu gehören namentlich auch die Eigenthümer von Parzellen,
velche Bauplätze entweder bereits sind, oder es zu werden ver—
prechen, davor sicher, daß er im geruhigen Besitze seines Eigen—
hums verbleiben werde und dadurch gewinnt die hier zum Gegen—
tand der Erörterung — und zwar mit besonderer Rücksicht auf
)»as Preußische Gesetz über die Enteignung von Grundeigenthum
»om 11. Juni 1874 — zu nehmende Entschädigungsfrage
ihre erhöhte Bedeutung.
Achtuug der erworbenen Rechte und Unverletzlichkeit des
Figenthums sind in allen zivilisirten Staaten als Grundlagen des
jffentlichen Bestandes anerkannt. Erworbenes Recht und Eigen—
hum sind gleich der persönlichen Rechtsfreiheit der Individuen
bensowohl Schranken der öffentlichen Gewalt, als Gegenstände
hrer Bewahrung und ihres positiven Schutzes. Die unverbrüch—
iche Erhaltung der Staatsbürger bei ihrem individuellen Rechte
vird ebensowohl als wesentliche Pflicht des obrigkeitlichen Amtes,
vie als Lebensbedingung des Staates selbst allgemein angesehen.
Hleichwohl ergeben sich ans dem Wesen des Staates bestimmte
Hrenzen für die Geltung des Individualrechts. Die Erkenntniß,
daß der Staat nicht blos eine zusammenaddirte Summe von
Finzelköpfen, sondern eine organische Einheit ist, daß er ein
ebendiger Leib und die Individuen nur dessen Gliedmaßen sind,
ergiebt mit Nothwendigkeit das Zurückstehen des Individualrechts
sinter der Erhaltung des öffentlichen Bestandes für den Kollisions⸗
'all. Es folgt dies nach dem nämlichen inneren Prinzip, nach
velchem die Amputation oder sonstige Beschädigung eines leib—
ichen Gliedes unbedenklich eintritt, sobald die Erhaͤltung des leib—
ichen Lebens diese Aufopferung erfordert. Die deutschen Ver—
assungsurkunden haben ja doch Bestimmungen getroffen, welche
eder formlosen Ausübung des Staatshoheitsrechts entgegen—
tehen. So lautet z. B. Art. 9 der Preuß. Verf. v. 31. Jan.
850: „Das Eigenthum ist unverletzlich. Es kann nur aus
Bründen des öffentlichen Wohls gegen Entschädigung nach Maß—
zabe des Gesetzes entzogen nud beschränkt werden!“
Aullso das Gesetz entscheidet über das Verfahren und die Art,
wie die Höhe der Entschädigung gefunden wird. Solche die Ver—
*Vergl. „Handbuch der Civilbautechnik'. Wien, 1875. (A. Hart—⸗
leben's Verlag.)