Die Expropriation und das Baugewerbe. — Nordamerikanische Holzbauten.
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Die Erpropriation und das Baugewerbe.
Von
Dr. jur. Gustav Freudenstein.
Chefredakteur der Blätter für populäre Rechtswissenschaft.)
II.
zur Zeit der Expropriation das fragliche Grundstück als Baugrund
zu verkaufen und daß diese Aunahme eine sichere und festbegrün—
dete sein müsse.
Danach wäre eine zur Zeit der Expropriation enicht verkäufliche
Parzelle, selbst wenn sie mitten in der Stadt an beiebter Siraße
iegt, niemals Baugrund. Die Entschädigungsfrage, die doch nach
»em objektiven Werth geregelt werden soll, hinge von der zu—
älligen alle Tage veränderlichen Verkaufskonjunttur ab. Wer
nitten in der Stadt eine große Anlage z. B. Fabrik besitzt oder
ver ebendort in Spekulation ein Areal gekauft hat, das ein paar
sundert Baustellen für kleine Arbeiterhäuser euthält, der könnte,
venn ihm Alles dies auf einmal enteignet wird, nur den einfachen
Werth verlangen, weil er auf einmal Alles dies nicht verkaufen
önne, nicht Alles zugleich verkäuflich sei? Wenn, wie zu Zeiten
des Seinepräfekten Hausmann ganze alte Stadtheile niedergerissen
vürden und nuu ploͤtzlich Jemandem der leere Bauplatz exproprurt
vird, soll er da etwa ohne Ruäcksicht auf Bauplatzqualität ent
chädigt werden, weil ia fraglich sei, ob jetzt grade sein Platz ver—
äuflich sei, da daneben so viele andere Baustellen lägen?
Nach diesem Obertribunalserkenntniß ist ieder Ankauf von
Brundstücken auf Spekulation von der Gefahr bedroht, daß der
Enteignete die theuer erworbeuen Grundstücke nachher als ein—
aches Ackerland bezahlt erhält. Niemand, dem 5 nebeneinander—
iegende Baustellen enteignet werden, wird am Tage des Expro—
zriationsbeschlusses bezw. Gerichtserkenntnisses, den sicheren und
jegründeten Nachweis liefern können, daß diese Stellen sämmtlich
ind gleichzeitig sofort verkäuflich gewesen seien. Es wird eben in
her 3 successive angekauft und angebaut und ist mithin ein
ängerer Zeitraum auch für die Ermittelung der Frage nach
her Baugrundsqualität in Ansatz zu bringen; nicht blos „die Zeit“
»der „der Tag“ der perfekten Expropriation, d. h. der Zeitpunkt
vo der Enteignete sein Eigenthum verliert. Allein der große
Frpropriator Staat hat ein Interesse, die Entschädigungen zu
rücken. Das Meiste expropriirt er selbst, oder er giebt doch
inem Anderen im öffentlichen Interesse, d. h. also im staat—
ichen Interesse ein Expropriationsrecht.
Die Verkäuflichkeit ist also niemals, wenn man richtig
chätzen will, entscheidend für die Baugrundseigenschaft. Der beste
ind notorischste Bauplatz, welchen Jemand ererbt hat, kann z. B.
nit einem vom Erblasser bei Strafe der Nichtigkeit des Ver—
aufs ꝛc. ausgestatteten Veräußerungsverbot belastet sein. Soll
deshalb die Baunlatzqualität außer Ausatz bleiben?
Ferner soll nach dem Erkenntniß für letztere nicht einmal
jenügen, die Feststellung, daß schon zur Zeit der Enteignung
Machfrage dicht bei den enteigneten Parzellen nach Bauplätzen ge—
wesen sei. Soll etwa gefordert werden, daß dem Enteigneten
elbst bereits Angebote gethan sind? Es scheint fast so. Als
ann thäte jeder am Wohlsten, er ließe sich unter Vorbehalt beider—
eitigen jederzeitigen Rücktritts von einem Dritten eine übermäßige
daufsumme von einem beliebigen Dritten bieten und man ließe
sieses Angebot stets in der Schwebe. Alsdann würde doch wohl
die Verkäüflichkeit feststehn.
Man erkennt, wohin es führt, das Erforderniß der Ver—
äuflichkeit bei der Werthabmessung von Bauplätzen aufzustellen
Der Betrügerei wäre Thür und Thor geöffnet. Der in Folge
inseres Expropriationsgesetzes mögliche und thatsächlich geübie
Schwindel, wodurch hohe Entschädigungssummen erzielt werden,
hat dahin geführt, daß der Richter die Forderungen der Expro—
priirten überhaupt mit ungünstigen Augen ansieht und darunter
muß die materielle Gerechtigkeit auch in solchen Fällen leiden, wo
in der That wegen der Baugrundsqualität eine höhere Entschädi—
zung als angemessen am Platze sein würde. Deshalb mätelt
hinterher der Gerichtshof an dem Gutachten der Sachverständigen
und zieht daraus andere, abweichende Schlüsse.
Anm. d. Red. Obgleich wir nicht mit allen Ausführungen des
derrn Verfassers einverstanden sind, gewähren wir diesem Artikel doch gern
ldufnahme, um zur Klärung dieses wichtigen Gegenstandes beizutragen.
Wir haben im vorigen Artikel behauptet, das Preußische
Expropriationsgesetz werde von den Gerichtshöfen bezüglich der
jür den Enteigneten auszuwerfenden Entschädigung zu enge aus—
gelegt, ein Schicksal, welches es übrigens mit anderen Enteignungs—
gesetzen theilt. Für diese Behauptung sind wir in der Lage, zwei
das Baugewerbe interessirende Urtheile höchster Gerichtshöfe bei—
hringen zu können. Ueber die Berücksichtigung der Eigenschaft des
enteigneten Grundstücks als Baugrund erging ein Erkenntniß
des Preuß. Obertribunals zu Berlin vom 17. September 1877
vergl. Wallmann, Deutsche Juristen-Zeitung, Jahrg. 1878,
S. 11, 12). Der Sachverhalt war dieser:
Das 1877 zu Essen i. W. zum Theil enteignete Grundstück
war kurze Zeit vor der Enteignung noch als Acker- und Garten—
land benutzt worden. Erst Ende 1865 war es von den Klägern
mit den übrigen ihnen gehörigen, anliegenden Grundstücken zur
Bebauung bestimmt worden und zu diesem Zweck ein Bebauungs⸗
plan aufgestellt worden. Daraufhin fordern die Kläger von der
Xpropriirenden Rheinischen Eisenbahn Entschädigung unter zu
Hrundelegung der Baugrundqualität. Der Gerichtshof hat diesen
Anspruch verworfen und nur den gemeinen Verkaufswerth zuge—
dilligt. Aus den Entscheidungsgründen ist zu notiren:
Weder die von den Klägern für die Parzelle getroffene Be—
timmung als Baugrund, noch die Lage derselben in der Nähe
der Stadt seinen für sich allein geeignet, ihr die Qualität als
Baugrund zu verleihen. Es habe auch die Verkäuflichkeit der
Baustellen hinzutreten müssen; erst dadurch habe ein höherer als
der gemeine Werth überhaupt erst begründet werden können.
Ohne die Verkäuflichkeit sei das Projekt der Kläger und selbst
eine von ihnen bereits begonnene theilweise Bebauung der
enteigneten Parzelle eine unsichere, bei der Werthschätzung nicht zu
nerücksichtigende Spekulation geblieben.
Die Verkäuflichkeit sei aber von den Klägern nicht dar—
zelegt. — Sodann deduzirt das Urtheil das Gutachten des Sach—
herständigen, der die Verkäuflichkeit bejaht hatte, sei nicht schlüssig
gewesen, weil aus seiner Begründung sich die Verkäuflichkeit noch
iicht folgern lasse:
Der Sachverständige W. (NB. es sind mehrere vernommen!)
olgert die Verkäuflichkeit der Baustellen aus den Lokalverhält—
nissen, aus der in fortwährender Zunghme begriffenen Bevölkerung
von Essen und dem Bedürfniß zur Erweiterung der Stadt, und
es möge richtig sein, was der Apellationsrichter als notorisch
annehme, daß schon zur Zeit der Enteignung Nachfrage nach
Baustellen dort gewesen sei. Allein nach den Angaben des
Sachverständigen habe auch bereits im Jahre 1865 die Bauthätig—
keit in Essen ihren Höhepunkt erreicht und an Baugrund sei in
der Nähe der Stadt kein Mangel gewesen; noch jetzt lägen dort
gzrößere Flächen unbebaut. „Die vom Sachverständigen auf die
illgemeinen örtlichen Verhältnisse gegründete Annahme, daß es
den Klägern zur Zeit der Enteignung möglich gewesen wäre, auch
das fragliche Grundstück als Baugrund zu verwerthen, läßt sich
daher als eine sichere und festbegründete keinesweas aner—
ennen.“
Nach dem Anschlage des Sachverständigen umfasse ferner
das von der Enteignung betroffene Grundstück 63 Baustellen.
Außerdem kämen noch andere den Klägern gehörige, von ihnen
gleichfalls zur Bebaunng bestimmte 17 Morgen jenseits des
Steggenberger Weges hinzu. (NB. Diese 17 Morgen haben mit
der Expropriation Nichts zu thun!) Wenn die Kläger eine so be—
deutende Zahl von Bauplätzen mit einem Mal zum Verkauf
tellen wollten, so hätten besondere Umstände vorhanden sein
müssen, um ihrem Unternehmen Erfolg zu sichern und es nicht
als bloße Spekulation erscheinen zu lassen. Dergleichen Um—
stände hätten weder die Kläger, noch die Sachverständigen ange—
ührt. Sie geben sogar zu, es seien nicht sämmtliche Baustellen
ofort verkäuflich gewesen, hielten dies aber für unerheblich,
indem sie der irrigen Meinung feien, die von ihnen den Grund—
tücken gegebene Bestimmung sei lediglich entscheidend.
So das Preuß. Obertribunal.
Richtig ist in diesen Ausführungen, daß nicht die bloße Ab—
iicht (Bestimmung) auf einem Grundstück ein Gebäude errichten
u wollen, die Bauplatzqualität verleiht (s. später unten). Im
Uebrigen muß aber ein großes Fragezeichen bei dem Erkenntniß
gesetzt werden. Unrichtig ist nämlich die Aufstellung, daß Bau—
grundeigenschaft erheische, daß es dem Enteigneten möglich gewesen,
Nordamerikanische Holzbauten.
(Hierzu 6 Fig.)
Gelegentlich der Beschreibung eines von der Regierung der
Bereinigten Staaten Nordamerika's am Ufer des Meeres ausgeführten
stettungsstation berichtet der bisherige technische Attaché der preuß.
Bvesandtschaft in Washington, Regierungs- und Baurath Lange, in
rusführlicher Weise über nordamerikanische Holzbauten, welche auch
ür die Leser dieses Blaättes nicht ohne Interesse sein dürften.
Besonders charakteristisch für die dort übliche Bauweise ist es, daß
yei diesen Holzbauten, möglichst für alle Bautheile, für welche bei
ins oft auch andere Materialien Anwendung finden, das Holz ge—
vählt wird, sowie daß für die Decken und Wände an Stelle der