Die Wohnungs-Rarawansereien in New-Hork.
Die Wohnungs-Karawansereien
in NewMork.
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miethen konnte. Allerdings wurde das Vorurtheil, über einem
vaden zu wohuen, erst allmälig überwunden; heute haben sich
‚edoch selbst sehr anspruchsvolle Leute daran gewöhnt, und bezahlt
man gern 5000 - 10000 Miark jährlicher Miethe für eine mittel—
zroße über einem Laden gelegene Wohnung.
Für diejenigen Familien, welche Anfangs nicht über einem
Laden wohnen wollten, wurden damals sechs- bis siebenstöckige
Häuser auf einem 8,0 mubreiten und 33,0 mn tiefen Grundstücke
erbaut und in jedem Stock zwei Wohnungen eingerichtet, die nur
23 Fenster Straßenfront hatten. Die Hälfte der zimmer war
daher ohne Fenster und Ventilation, und die gauze Aulage billig
und gewöhnlich. Derartige Wohnungen von sechs bis acht Räumen
drachten dem Eigenthümer 1500 — 10000 Mk. Miiethe pro Jahr.
In kurzer Zeit verschlechterten sich jedoch diese Art Häuser,
chnutzige Kinder spielten auf den engen Treppen und uͤn den
Hausthüren, die besseren Familien zogen fort und überließen solche
Wohnungen denjenigen, die sich nichts aus Schmutz und Verwahr—
losung machten. Es trat daher, zeitweilig wieder ein Umschlag
ein, die billigen French Flats geriethen zum Theil in Verruf, und
die Herstellung der Hochbahn führte Tausende weniger bemiittelte
Familien in entferntere Stadttheile, wo kleinere, für eine Familie
herechnete Häuser wie Pilze aus dem Boden wuchsen und neue
Straßen massenweise entstanden.
In den letzten drei Jahren entstand nun eine neue Klasse
hvon Miethshäusern, die einen besseren Bestand verheißen, als alle
»isherigen Versuche, und sich großer Beliebtheit erfreuen. Diese
Klasse war allerdings wieder für vermögendere Familien bestimmt,
denen besonders daran lag, sich angenehme, gleichartige Haus—
genossen zu sichern und unangenehme Nachbarn fern zu halten
Diese Beweggründe riefen die „Cooperative home-club aparte-
nent houses““ in's Leben, die jetzt in New-York die Mode des
Tages sind. Deunselben liegt folgendes System zu Grunde. Eine
Anzahl Familienhäupter, beispielsweise zehn, treten zusammen, um
eiu, in zehn Wohnungen getheiltes Miethshaus zu erbauen. Jede
Familie erhält ihre Wohnung und bezahlt den zehnten Theil
sämmtlicher Bau- und Herstellungskosten, wodurch sie ihre Wohnung
für alle Zeiten ebenso zu eigen erhält, wie ein einzelnes Haus.
Gleichzeitig liegt ihr die Entrichtung von ein Zehntel der Steuern,
der Heizungs-, Reinigungskosten ꝛc. ob. Eine Bestimmung in
dem gegenseitigen Vertrage bedingt, daß ein Theilnehmer seine
Vohnung event. nur einer solchen Familie vermiethen oder ver
aufen darf, welche der Mehrheit der anderen Theilnehmer genehm
st. Auf diese Weise sichert sich ein Theilnehmer an einem solchen
Bebäude nicht nur stets angenehme Nachbarn, sondern bezahlt auch
nur seinen Antheil an den wirklichen Herstellungs- und Betriebs
kosten. Er bezahlt weder den ersten Verdienst des Bauspekulanten,
noch den Verdienst des späteren Wirthes, noch für die Meiethe des
rückständigen Nachbars, oder für andere Wohnungen, die etwa in
demselben Hause leer stehen. Dieses neue System hat sich so
vorzüglich bewährt, daß man diese Home-club-cooperative aparte-
ment houses schon über die ganze Stadt verbreitet findet. Mehrere
derselben stehen mit der Front uach dem Centralpark, und ein
derartiger mächtiger, thurmhoher Bau, die Navarro-Flats, enthält
nicht weniger als zweihundert Einzelwohnungen, deren Miethe
von 3000 -6000 Dollars pro Jahr beträgt.
Das neueste dieser Wunderbauten ist ein Steinkoloß in der
23. Straße, das Chelsea-Apartement-House, welches kürzlich be—
zogen wurde. Das Grundstück hat eine Front von 53,34 m und
eine Tiefe von 30,48 m. Es wurde von der Kooperativogesellschaft
vor einem und einem halben Jahre für 760000 Mek. erstanden.
Das Gebäude selbst hat eine Front von 53,34 m, ist 24,38 m
tief und 11 Stockwerke hoch. Jedes Stockwerk über dem Erd—
geschoß ist in 10 Wohnungen von je 4 bis 9 Räumen getheilt,
so daß sich im Ganzen 100 Wohnungen ergeben. Jedes Zimmer
des Gebäudes wird durch Fenster erhellt, welche sämmtlich in's
Freie gehen. Vier Aufzüge befördern vom untersten bis zum
obersten Stockwerk; der eine wird von den Dienstboten und Ge—
verbetreibenden, zwei werden von den Miethern und der vierte
tür Möbeltransport benutzt. Das Erdgeschoß zerfällt in vier
zroße elegante Ladenmagazine und ein feines Restaurant von
15,24 m Länge und 24,38 mm Tiefe, wo die Miether, falls sie es
vünschen, ihre Mahlzeiten einnehmen können.
Jede Wohnung hat, so klein sie auch sein mag, ein Bade—
zimmer und ein Kloset, heißes und kaltes Wasser in Röhren—
leitungen, elektrisches Licht und Dampfheizung. In den mit
Küchen versehenen Wohnungen des Chelsea ist die Einrichtung
zeradezu großartig und musterhaft. In jeder Küche befinden sich
zin Kohlenbehälter, der, O,G61 m tief und 1,52 mm breit, bis zur
Decke reicht. Dieser Behälter stößt unmittelbar an den Kohlen—
aufzug und hat zwei Oeffnungen, eine in der Küche am Fußboden
mit einem Schieber. wie an einem Hühnerhause, und die andere
Vor einigen Jahren brachte ein New-NYorker Witzblatt
Karrikaturbilder sogenannter „französischer Flats““ oder Etagen—
häuser, und kam damit der Wahrheit näher, als Publikum und
Künstler sich damals träumen ließen. Es stellte unter Anderem
eine New-Yorker Straße im Jahre 1900 als eine von zwanzig
Stock hohen Riesengebäuden begrenzte Gasse dar. Die Häuser
thürmten sich so hoch auf, daß, während oben die Sonne schien,
nten auf der Straße die Laternen angezündet werden mußten.
Was das Innere dieser Miethskasernen betraf, so war beispielsweise
das Speisezimmer ieder Wohnung so klein, daß ein Mitglied der
Familie „bei Tische“ bereits in der Vorhalle saß und das auf—
wartende Dienstmädchen die Gerichte über die Köpfe der Speisenden
reichen mußte, da kein Raum übrig blieb, um rings um den
Tisch herumgehen zu können. In den Schlafzimmern war absolut
kein Platz zum Aus- und Anziehen, was von dem Betreffenden
draußen im Flur besorgt werden mußte, und die Küche war so
eng, daß die Köchin beim Kochen auf dem Fensterbrett sitzen
mußte und ihr Körper halb aus dem Fenster hing. Das Gemach
für das Tienstmädchen bestand aus einem engen Wandschrank, in
dem die Insassin ihre Nachtruhe nur finden konnte, wenn sie
stehend die Arme in Riemen steckte, welche von der Decke her—
niederhingen. Im Besuchszimmer mußten die Leute einander auf
dem Schooß sitzen, wenn mehr als vier oder fünf Personen zu—
zegen waren. Eine solche Raumbeschränkung erinnert an die Ge—
schichte von den vier Familien, die ein einziges Zimmer gemein—
schaftlich inne hatten, das durch Kreidestriche in vier Theile ein—
getheilt war. Eine der vier Hausfrauen wurde von einem Be—
sucher gefragt, wie es möglich wäre, in einem so verengten
Raume zu leben. Es wäre nicht so schlimm, entgegnete sie, wenn
iene Familie dort in der Ecke nicht noch Pensionaͤre nähme.
Selbstverständlich übertrieben jene Karrikaturen des Witz—
blattes, allein die gegenwärtig in New-York herrschende Manie,
in großen Miethshäusern zu wohnen, ist so stark, daß man mit
den kleinsten Zimmern zufrieden ist, wenn nur eine genügende
Anzahl Zimmer für den Bedarf der Familie vorhanden ist. In
einigen Miethswohnungen, die 4000 Me. pro Jahr kosten, messen
die Schlafzimmer thatsächlich nur 30 m im Quadrat. Eine
Amwälzung in der Meobiliareinrichtung ist bereits die Folge davon
in einer derartigen Musterwohnung lassen sich die Betten zu—
sammeunschieben und verwandeln sich am Tage in aufrecht stehende
Schränke, während die Stühle nur Feldstühle sind, der Eßtisch
zum Büffet wird, kurz Alles sich bei Berührung einer Feder, wie
mit einem Zauberschlag in etwas Anderes, Kleineres verwandelt
— mit alleiniger Ausuahme der Miethe. Klavierfabrikanten
finden unter solchen Umständen in New-HYork vorzugsweise Absatz
für Pianinos, da größere Instrumente in den Flats keinen Plaßz
inden.
Die Hauptursache dieser Uebelstände sind die hohen Preise
der Grundstücke. Wenn ein solches Grundstück, d. h. das unbe—
baute Stückchen Boden von 8,0 m Länge und 33,0 w Tiefe mit
mindestens 100000 M. bezahlt werden muß, so siud die Miethen
natürlich hoch und je mehr Familien sich andererseits auf dem
Grundstück einschachteln lassen, desto billiger werden die Miethen.
In den letzten 5 Jahren sind 1100 bessere Miethshäuser — die
also wohl zu unterscheiden sind von den sogenannten Tenements
oder Miethskasernen für ärmere Leute — in New-PYork errichtet
worden, und in diesem Jahre werden mehr gebaut, als je zuvor.
Die hiesige städtische Baukommission bezeichnet ein Miethhaus als
ein solches erster Klasse, wenn durchschnittlich mehr als 6 Zimmer
von einer Familie bewohnt werden. In den 1100 Miethsgebäuden
erster Klasse, die jedes von fünf bis hundert Einzelwohnungen
enthalten, raugiren die Miethen von 100-2000 Me. pro Monat
oder 1200 bis 24000 M. pro Jahr, und in einigen neu errichteten
selbst noch höher. Im Jahre 1865 errichtete Rutherford Stuyve—
sant, der viele Jahre in Paris gelebt hatte, das erste Mieths—
oder French-Flat-Haus und verlangte für eine Wohnung von
3 Zimmeru eine Miethe von 4200 Mek. pro Jahr; allein die
New-Yorker machten sich lustig über Stuydesant's Miethskaserne
und konnten sich zuerst gar nicht mit dem Gedanken befreunden,
daß mehr als eine Familie in demselben Hause wohnen sollten.
Als jedoch im Jahre 1868 die Miethen für Wohnhäuser fabelhaft
stiegen, fand Stuyvesant's Miethshaus auf einmal Gnade, füllte
sich schnell mit Miethern und wurde sogar Mode. Schnell baute
Stuyvesant ein zweites Miethshaus und stellte in demselben einen
Portier in Livree an. Der Kostenprets des Gebäudes war durch
die zehnjährige Miethe gedeckt. Billigere Nachahmungen kamen
nunmehr in allen Vierteln der Stadt zu Stande, besonders an
den Avenues, wo man im Erdaeschoß Läden vortheilhaft ver—