Full text: Deutsches Baugewerks-Blatt : Wochenschr. für d. Interessen d. prakt. Baugewerks (Jg. 44, Bd. 3, 1884)

21 
Das Sanitäts-Ingenieuwesen der Gegenwart. 
822 
wurde ein darauf hindeutender Antrag gestellt und in demselben 
empfohlen, zur leichteren Kontrolle, nnd weil manche Ziegeleien 
und viele andere Industriezweige, z. B. die Rübenzucker-Indnstrie, 
nur während einiger Monate des Jahres in Thätigkeit sind, kürzere 
Fristen als die Jahresfrist für die Feststellung der Beiträge zu— 
zulassen. 
h Dies die wesentlichen Punkte der Besprechung; das demnächst 
zu erwartende definitive Normalstatut wird zeigen, wie weit die 
aus allen Kreisen eingelaufenen Anträge Berücksichtigung ge— 
funden haben. 
Inzwischen ist auch die erste Nummer der amtlichen Nach— 
richten“ des Reichsversicherungs-Amtes ausgegeben worden, über 
deren Zweck und Juhalt wir später berichten werden. 
Das Sanitäts⸗Ingenieurwesen der 
Gegenwart.) 
III. 
Von allen Gefahren für die Gesundheit, welche die Woh— 
nungen der Menschen umgeben, ist keine heimtückischer, als ein 
gesättigter Erdboden oder Untergrund. Auf dem Lande erkennt 
man gesunde Gegenden an einem porösen Sand- oder Kiesboden, 
Malarien-Bezirke dagegen an dem Vorherrschen undrainirbarer 
oder undrainirter Straßen. Alles flache undrainirte Land ist ge— 
iundheitsschädlich, wie die Erfahrung lehrt, und die nachtheiligen 
Finflüsse steigern sich, wo Bodenfläche und Untergrund die Fakalien 
einer dichten Bevölkeruug empfangen. 
In den meisten unserer Großstädte ist die ursprüngliche 
Topographie durch die Anlage von Straßen, Bauten und Ban— 
plätzen gänzlich verändert worden. Aber man hat bis jetzt wenig 
darauf geachtet, welche Wirkungen derartige Veränderungen auf 
die hochwichtige Frage der Drainirung ausüben. Man mag 
Kloaken zu dem doppelten Zwecke anlegen, den Unrath und die 
Abfälle der Wohnhäuser sowohl, als das auf die Dächer und 
Straßen fallende Regenwasser zu entfernen, aber oft halten un— 
gepflasterte Straßen, Höfe und leere Bauplätze das Oberwasser 
zurück, bis es durch die Hitze der, Sonne verdunstet oder durch 
krockene Luftströmungen weggeführt wird. Es ist keine bloße Theorie, 
s'ondern vielmehr eine sehr traurige Erfahrung, daß, wo stagniren— 
s8 Grüundwasser sich in bevölkerten Quartieren vorfindet der 
und Erhaltung der Stratzen. Erst vor kurzer Zeit hat sich die 
gesundheitliche Seite derselben der Aufmerksamkeit des Publikums 
empfohlen. Man hat schmutzige Straßen wohl als eine Plage, 
als ein Verkehrs-Hemmniß, als ungebührlich für eine anständige 
Bevölkerung betrachtet, aber die Wirkung, welche der eigenthüm— 
liche, sich in den Straßen ansammelnde Unrath, wenn die Ver— 
wesung der darin enthaltenen organischen Stoffe vor sich geht, auf 
die Gesundheit hervorbringt, ist bei uns wenigstens erst neuerdings 
hinreichend gewürdigt worden. 
Von allen organischen Abfällen sind diejenigen, die wir in 
den Straßen einer dichtbevölkerten Stadt antreffen, in ihren Ele— 
menteu wohl die am Mannigfachsten zusammengesetzten. Einen 
Namen giebt es nicht dafür, aber man weiß, daß ihre löslichen 
Bestandtheile durch die Erdoberfläche dringen und, wo sie nicht 
sofort abgeführt werden, die Grundluit nigesund machen. Diese 
Jasartige Form der Stoffe dringt sogar in Erdgeschoßze und Keller 
hinein und findet ihren Weg selbst durch feste Mausen bis in das 
Innere der Wohnungen. So werden jene Miasmen nicht nur in 
den Straßen, wo das Auge die gröberen Formen des Straßen— 
Schmutzes erblickt, sondern auch in den Poren des Erdbodens er— 
zeugt, der die löslichen Bestandtheile einsaugt. 
Hurley hat festgestellt, daß ein gesunder Mensch, abgeselsen 
von der Kohlensäure und dem Wasserdampf, welche die Athmung 
und die Transpiration begleiten, binnen vierundzwanzig Stunden 
dreihnndert Gran fester Masse durch die Haut abgiebt. Diese 
chwitzt in sinnlich nicht wahrnehmbarer Gestailt aus und bildet 
nn einer bevölkerten Stadt eine große Meuge thierischen Unrathes. 
Ziehen wir die Nichterwachsenen in gehöriger Weise in Betracht, 
so liefert eine Stadt von einer Million Einwohner, auf dreiund— 
dreißig Personen innerhalb einundzwanzig Stunden ein Pfund ge— 
»echnet, von der Luft oder den Kleidern unmerklich absorbirt, all— 
zährlich nahezu fünftausendfünfhundert Tounen solcher animalischen 
Materie. Wieviel davon während einer gegebenen Zeit in der 
Atmosphäre schwebt, bis es zu Boden fällt, das zu entscheiden ist 
unmöglich, aber mit den Aussscheidungen der Thiere, mit den Küchen— 
abfällen und mit dem Staub, der sich durch Reibung in den 
Straßen bildet, häuit sich auf der Bodenfläche jene Mischuug an, 
die wir Straßenschmutz nennen. Unregelmaßige, zerborstene oder 
schlecht gepflasterte Trottoirs und Straßen — lauter Umstände 
— 
und eine gründliche Säuberung sehr schwierig machen“ — steigern 
die nachtheiligen Einflüsse auf die Gesundheit. 
Die einzige wirkliche Abhülfe dagegen sind glatte, undurch— 
dringliche, mit Asphalt oder einer gleichar igen Masse geöoflasterten 
Straßen, in denen das Regenwasser die Reinigung der Erdober— 
fläche besorgt und ein nur geringer Theil des Schmutzes durch 
mechanische Mittel fortgeschafft zu werden braucht, eine Segnung, 
die in Zukunft hoffentlich vielen unserer großen Städte durch das 
Sanitäts-Ingenieurwesen zu Theil werden wird. Gute Ordnung, 
Anstandsgefühl, reinliche Gewohnheiten, Selbstachtung in allen 
Ständen und Freisein von einigen der schlimmsten Laster in den 
unteren Klassen der Bevölkerung einer Großstadt zu erzeugen, dazu 
tragen gut gebaute, geräuschlose und undurchdringliche Straßen und 
Bürgersteige sehr viel bei. Bis zu welchem Grade der unauf— 
hörliche Lärm über schlechtes Pflaster rasseluder schwerer Fuhrwerke 
dazu dient, Nerven-Krankheiten hervorzubringen, wird sich kaum 
bestimmen lassen, jedenfalls aber stört es die Ruhe und Zufrieden— 
heit des Lebens. 
Das Heizen und die Ventilation der Gebäude ist ein anderer 
Gegenstand des sanitärischen Studiums, dessen Bedeutung noch nicht 
hinläuglich gewürdigt wird, und noch weniger kennt die große Masse 
das Verhältniß, in welchem die Heizung zu einem gesunden Luftzng 
in den Häusern steht. 
Wo billiges Feuerungs-Material und andere Umstände die 
Verwendung von großen, offenen Kaminen oder Rostieuern ge— 
tatten, da wird in den meisten Fällen ein g nügender Grad von 
Ventilation hergestellt, wo aber jenes Material theuer wird, ist es 
mit der offenen Heizung viichts, und der geschlossene Ofen, die 
Heizung mit warmer Luit, mit Dampf oder heißem Wasser tritt 
an die Stelle der primitiven Methode. In gewissem Sinne stehen 
sich alsdann Sparsamkeit und Gesundheit gegenüber. Es schaaren 
ich Familien in engen, mit Oefen geheizten Zimmern zusammen, 
eder Luftzug wird versperrt, und man begnügt sich mit dem augen— 
hlicklichen koͤrperlichen Comfort, weil er durch die geringsten Kosten 
beschafft werden kann. Es hält schwer, selbst Leute von mehr als 
gewöhnlicher Intelligenz zu überzeugen, daß weniger Hitze und 
mehr reine Luft größere Gesundheit und auf die Dauer auch mehr 
physisches Behagen gewähren. Sogar der Ausbruch irgend einer 
Krankheit, verursacht durch eine schlechte Atmosphäre in so ge⸗ 
schlossenen Wohnräumen, wird in der Regel Ursachen zugeschrieben, 
die außerhalb des Bereiches menschlicher Kontrolle wirken— 
Argi fas 
neiste Gefahr entsteht aus den Unterarunt.nn 
wasser. 
Die Stadt New Vork bietet ein schlagendes Beispiel dafür. 
Hier sind die ursprünglichen Wasserläufe gänzlich verschwunden, so 
daß kanm eine Spur von der ehemaligen Bodengestaltung ver— 
blieben ist. Infolge des Netzwerkes von Deichen und Gräben, 
die behufs der Straßen-Aussuüllungen durch die natürlichen Kanäle 
geführt worden sind, haben sich unterirdische Becken gebildet, in 
denen sich alles Wasser ansammelt, welches durch den Boden hin— 
durchsickert. Man weiß sehr wohl, daß dieses Grundwasser, nach— 
dem es die Erd-Oberfläche filtrirt und sich mit organischen Ver— 
wesungsstoffen mehr oder weniger gesättigt hat, kaum weniger 
schädlich ist, als der Unrath selbst. Ueber diesen unterirdischen 
Rnhäufungen faulen Wassers erzengt die Grundluft jene giftigen 
Ansdünstunngen, die stets das Resultat der Fäulnitz thierücher 
Stoffe sind. 
In manchen Städten hat man die Beobachtung gemacht, daß 
das Steigen und Fallen dieses Grundwasser-Niveau's eigenthüm— 
liche Krankheiten hervorbringt, die sich fast epidemisch verbreiten. 
Das Sinken jenes Niveau's zieht in die Poren des Erdbodens 
große Quantitäten von Luft, die durch das Steigen desselben wieder 
ausgestoßen werden, nachdem Wärme und Feuchtigkeit diese Grund— 
lust mit Giften gesättigt haben. Weder der Chemiker noch der 
Mikroskopiker sind bislang im Stande gewesen, die Natur oder 
die Zusammensetzung dieser giftigen Ausdünstungen zu bestimmen. 
Das Oeffnen unventilirter Draimirungs-Kanäle, das Erschließen 
bedeckter Gossen und Schleusen, das Aufreißen von Straßen, das 
Aushöhlen des Erdbodens für ein Bahngeleise erzeugt oft plötz— 
liches Entwickeln ganz unbekannter Substänzen in solcher Menge, 
daß lokale Störungen der öffentlichen Gesundheit eintreten. Hier 
bietet sich also dem Sanitäts-Ingenieur ein anderes Feld dar: in 
aufblühenden Städten schon im Voraus die zu oft vernachlässigte 
Untergrund-Drainirung neuer Bezirke zu besorgen, noch ehe das 
Ausfüllen und das Aushöhlen der Erdoberfläche eine derartige 
Entwässerung unausführbar gemacht hat, und in älteren, bereits 
bebauten Distrikten durch „Surface-Drainage“ oder Bodenent— 
wässerung das Einsickern des Regenwassers in den Erdboden soviel 
als möglich zu reduziren. 
Eine andere nahe damit verwandte Frage ist die Pflasterung 
*) Der Verfasser liefert mit obigem Aufsatz noch einen interessanten 
Nachtrag zu seiner Arbeit. Die Red.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.