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Das Sanitäts-Ingenieuwesen der Gegenwart.
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wurde ein darauf hindeutender Antrag gestellt und in demselben
empfohlen, zur leichteren Kontrolle, nnd weil manche Ziegeleien
und viele andere Industriezweige, z. B. die Rübenzucker-Indnstrie,
nur während einiger Monate des Jahres in Thätigkeit sind, kürzere
Fristen als die Jahresfrist für die Feststellung der Beiträge zu—
zulassen.
h Dies die wesentlichen Punkte der Besprechung; das demnächst
zu erwartende definitive Normalstatut wird zeigen, wie weit die
aus allen Kreisen eingelaufenen Anträge Berücksichtigung ge—
funden haben.
Inzwischen ist auch die erste Nummer der amtlichen Nach—
richten“ des Reichsversicherungs-Amtes ausgegeben worden, über
deren Zweck und Juhalt wir später berichten werden.
Das Sanitäts⸗Ingenieurwesen der
Gegenwart.)
III.
Von allen Gefahren für die Gesundheit, welche die Woh—
nungen der Menschen umgeben, ist keine heimtückischer, als ein
gesättigter Erdboden oder Untergrund. Auf dem Lande erkennt
man gesunde Gegenden an einem porösen Sand- oder Kiesboden,
Malarien-Bezirke dagegen an dem Vorherrschen undrainirbarer
oder undrainirter Straßen. Alles flache undrainirte Land ist ge—
iundheitsschädlich, wie die Erfahrung lehrt, und die nachtheiligen
Finflüsse steigern sich, wo Bodenfläche und Untergrund die Fakalien
einer dichten Bevölkeruug empfangen.
In den meisten unserer Großstädte ist die ursprüngliche
Topographie durch die Anlage von Straßen, Bauten und Ban—
plätzen gänzlich verändert worden. Aber man hat bis jetzt wenig
darauf geachtet, welche Wirkungen derartige Veränderungen auf
die hochwichtige Frage der Drainirung ausüben. Man mag
Kloaken zu dem doppelten Zwecke anlegen, den Unrath und die
Abfälle der Wohnhäuser sowohl, als das auf die Dächer und
Straßen fallende Regenwasser zu entfernen, aber oft halten un—
gepflasterte Straßen, Höfe und leere Bauplätze das Oberwasser
zurück, bis es durch die Hitze der, Sonne verdunstet oder durch
krockene Luftströmungen weggeführt wird. Es ist keine bloße Theorie,
s'ondern vielmehr eine sehr traurige Erfahrung, daß, wo stagniren—
s8 Grüundwasser sich in bevölkerten Quartieren vorfindet der
und Erhaltung der Stratzen. Erst vor kurzer Zeit hat sich die
gesundheitliche Seite derselben der Aufmerksamkeit des Publikums
empfohlen. Man hat schmutzige Straßen wohl als eine Plage,
als ein Verkehrs-Hemmniß, als ungebührlich für eine anständige
Bevölkerung betrachtet, aber die Wirkung, welche der eigenthüm—
liche, sich in den Straßen ansammelnde Unrath, wenn die Ver—
wesung der darin enthaltenen organischen Stoffe vor sich geht, auf
die Gesundheit hervorbringt, ist bei uns wenigstens erst neuerdings
hinreichend gewürdigt worden.
Von allen organischen Abfällen sind diejenigen, die wir in
den Straßen einer dichtbevölkerten Stadt antreffen, in ihren Ele—
menteu wohl die am Mannigfachsten zusammengesetzten. Einen
Namen giebt es nicht dafür, aber man weiß, daß ihre löslichen
Bestandtheile durch die Erdoberfläche dringen und, wo sie nicht
sofort abgeführt werden, die Grundluit nigesund machen. Diese
Jasartige Form der Stoffe dringt sogar in Erdgeschoßze und Keller
hinein und findet ihren Weg selbst durch feste Mausen bis in das
Innere der Wohnungen. So werden jene Miasmen nicht nur in
den Straßen, wo das Auge die gröberen Formen des Straßen—
Schmutzes erblickt, sondern auch in den Poren des Erdbodens er—
zeugt, der die löslichen Bestandtheile einsaugt.
Hurley hat festgestellt, daß ein gesunder Mensch, abgeselsen
von der Kohlensäure und dem Wasserdampf, welche die Athmung
und die Transpiration begleiten, binnen vierundzwanzig Stunden
dreihnndert Gran fester Masse durch die Haut abgiebt. Diese
chwitzt in sinnlich nicht wahrnehmbarer Gestailt aus und bildet
nn einer bevölkerten Stadt eine große Meuge thierischen Unrathes.
Ziehen wir die Nichterwachsenen in gehöriger Weise in Betracht,
so liefert eine Stadt von einer Million Einwohner, auf dreiund—
dreißig Personen innerhalb einundzwanzig Stunden ein Pfund ge—
»echnet, von der Luft oder den Kleidern unmerklich absorbirt, all—
zährlich nahezu fünftausendfünfhundert Tounen solcher animalischen
Materie. Wieviel davon während einer gegebenen Zeit in der
Atmosphäre schwebt, bis es zu Boden fällt, das zu entscheiden ist
unmöglich, aber mit den Aussscheidungen der Thiere, mit den Küchen—
abfällen und mit dem Staub, der sich durch Reibung in den
Straßen bildet, häuit sich auf der Bodenfläche jene Mischuug an,
die wir Straßenschmutz nennen. Unregelmaßige, zerborstene oder
schlecht gepflasterte Trottoirs und Straßen — lauter Umstände
—
und eine gründliche Säuberung sehr schwierig machen“ — steigern
die nachtheiligen Einflüsse auf die Gesundheit.
Die einzige wirkliche Abhülfe dagegen sind glatte, undurch—
dringliche, mit Asphalt oder einer gleichar igen Masse geöoflasterten
Straßen, in denen das Regenwasser die Reinigung der Erdober—
fläche besorgt und ein nur geringer Theil des Schmutzes durch
mechanische Mittel fortgeschafft zu werden braucht, eine Segnung,
die in Zukunft hoffentlich vielen unserer großen Städte durch das
Sanitäts-Ingenieurwesen zu Theil werden wird. Gute Ordnung,
Anstandsgefühl, reinliche Gewohnheiten, Selbstachtung in allen
Ständen und Freisein von einigen der schlimmsten Laster in den
unteren Klassen der Bevölkerung einer Großstadt zu erzeugen, dazu
tragen gut gebaute, geräuschlose und undurchdringliche Straßen und
Bürgersteige sehr viel bei. Bis zu welchem Grade der unauf—
hörliche Lärm über schlechtes Pflaster rasseluder schwerer Fuhrwerke
dazu dient, Nerven-Krankheiten hervorzubringen, wird sich kaum
bestimmen lassen, jedenfalls aber stört es die Ruhe und Zufrieden—
heit des Lebens.
Das Heizen und die Ventilation der Gebäude ist ein anderer
Gegenstand des sanitärischen Studiums, dessen Bedeutung noch nicht
hinläuglich gewürdigt wird, und noch weniger kennt die große Masse
das Verhältniß, in welchem die Heizung zu einem gesunden Luftzng
in den Häusern steht.
Wo billiges Feuerungs-Material und andere Umstände die
Verwendung von großen, offenen Kaminen oder Rostieuern ge—
tatten, da wird in den meisten Fällen ein g nügender Grad von
Ventilation hergestellt, wo aber jenes Material theuer wird, ist es
mit der offenen Heizung viichts, und der geschlossene Ofen, die
Heizung mit warmer Luit, mit Dampf oder heißem Wasser tritt
an die Stelle der primitiven Methode. In gewissem Sinne stehen
sich alsdann Sparsamkeit und Gesundheit gegenüber. Es schaaren
ich Familien in engen, mit Oefen geheizten Zimmern zusammen,
eder Luftzug wird versperrt, und man begnügt sich mit dem augen—
hlicklichen koͤrperlichen Comfort, weil er durch die geringsten Kosten
beschafft werden kann. Es hält schwer, selbst Leute von mehr als
gewöhnlicher Intelligenz zu überzeugen, daß weniger Hitze und
mehr reine Luft größere Gesundheit und auf die Dauer auch mehr
physisches Behagen gewähren. Sogar der Ausbruch irgend einer
Krankheit, verursacht durch eine schlechte Atmosphäre in so ge⸗
schlossenen Wohnräumen, wird in der Regel Ursachen zugeschrieben,
die außerhalb des Bereiches menschlicher Kontrolle wirken—
Argi fas
neiste Gefahr entsteht aus den Unterarunt.nn
wasser.
Die Stadt New Vork bietet ein schlagendes Beispiel dafür.
Hier sind die ursprünglichen Wasserläufe gänzlich verschwunden, so
daß kanm eine Spur von der ehemaligen Bodengestaltung ver—
blieben ist. Infolge des Netzwerkes von Deichen und Gräben,
die behufs der Straßen-Aussuüllungen durch die natürlichen Kanäle
geführt worden sind, haben sich unterirdische Becken gebildet, in
denen sich alles Wasser ansammelt, welches durch den Boden hin—
durchsickert. Man weiß sehr wohl, daß dieses Grundwasser, nach—
dem es die Erd-Oberfläche filtrirt und sich mit organischen Ver—
wesungsstoffen mehr oder weniger gesättigt hat, kaum weniger
schädlich ist, als der Unrath selbst. Ueber diesen unterirdischen
Rnhäufungen faulen Wassers erzengt die Grundluft jene giftigen
Ansdünstunngen, die stets das Resultat der Fäulnitz thierücher
Stoffe sind.
In manchen Städten hat man die Beobachtung gemacht, daß
das Steigen und Fallen dieses Grundwasser-Niveau's eigenthüm—
liche Krankheiten hervorbringt, die sich fast epidemisch verbreiten.
Das Sinken jenes Niveau's zieht in die Poren des Erdbodens
große Quantitäten von Luft, die durch das Steigen desselben wieder
ausgestoßen werden, nachdem Wärme und Feuchtigkeit diese Grund—
lust mit Giften gesättigt haben. Weder der Chemiker noch der
Mikroskopiker sind bislang im Stande gewesen, die Natur oder
die Zusammensetzung dieser giftigen Ausdünstungen zu bestimmen.
Das Oeffnen unventilirter Draimirungs-Kanäle, das Erschließen
bedeckter Gossen und Schleusen, das Aufreißen von Straßen, das
Aushöhlen des Erdbodens für ein Bahngeleise erzeugt oft plötz—
liches Entwickeln ganz unbekannter Substänzen in solcher Menge,
daß lokale Störungen der öffentlichen Gesundheit eintreten. Hier
bietet sich also dem Sanitäts-Ingenieur ein anderes Feld dar: in
aufblühenden Städten schon im Voraus die zu oft vernachlässigte
Untergrund-Drainirung neuer Bezirke zu besorgen, noch ehe das
Ausfüllen und das Aushöhlen der Erdoberfläche eine derartige
Entwässerung unausführbar gemacht hat, und in älteren, bereits
bebauten Distrikten durch „Surface-Drainage“ oder Bodenent—
wässerung das Einsickern des Regenwassers in den Erdboden soviel
als möglich zu reduziren.
Eine andere nahe damit verwandte Frage ist die Pflasterung
*) Der Verfasser liefert mit obigem Aufsatz noch einen interessanten
Nachtrag zu seiner Arbeit. Die Red.