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Mittheilungen aus der Praxis.
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sie 24 Stufen herabzusteigen haben, 24 Sekunden später an das
Vestibül gelangen und die Besucher des zweiten Ranges etwa
weitere 30 Sekunden später. Beide würden dann das Vestibül
schon gefüllt finden und warten müssen, wenn ihnen nicht getrennte
Durchgänge durch dasselbe freigehalten werden. Hätte der erste
Rang 150 Plätze, so brauchte die Passage für diese Personenzahl
rechnungsmäßig noch nicht einen halben Meter und für 250 Per
sonen des zweiten Ranges nur wenig breiter zu sein, gäbe man
beiden also das aus praktischen Rücksichten geringste Maaß von je
150 m, so würden die beiden unteren Ränge früher als in 5
Ptinuten geräumt, ihre Besucher schon früher sämmtlich im Freien
sein, und an keiner Stelle zu warten brauchen. Zu so getrennten
Durchgängen durch ein gemeinsames Ausgangsvestibül würden
selbstverstaͤndlich auch getreunte Treppen führen müssen. Dasselbe
gilt für den dritten und event. vierten Rang, die Gallerie. Hätte
die Gallerie 300 Plätze und läge dieselbe 90 Stufen über der
Straße, so würde dieselbe bei 15 m Korridorlänge Ausgangs—
breiten von rechnungsmäßig etwa 70 em erhalten müssen, um
in fünf Minnten geräumt zu sein. Es ergiebt sich hieraus, daß
das allgemein als normale Breite anzunehmende Maß von 1,80 m
nicht nur ausreichen, sondern die Räumung selbst auf einem ein—
zigen Wege schon in drei Minuten gestatten würde.
Geriugere Anforderungen an die Verbindungen der Ver—
sammlungsräume mit der öffentlichen Straße werden indessen
überall zulässig sein, wo günstigere Verhältnisse für eine schnelle
Räumung, oder für eine anderweite Sicherung der Personen ge—
geben sind. Also z. B. bei großen Sälen, welche mit zahlreichen
niedrig belegenen Fenstern an öffentlichen Straßen, innerhalb
großer freier Gärten, oder innerhalb anderer unbebauter Räume
liegen, und welche den bis dahin gelangten Menschenmengen voll—
kommene Sicherheit bieten. Andererseits werden von Grundstücken,
auf welchen große Menschenmengen zu verkehren pflegen, auch alle
Veranlassungen zu außerhalb der Versammlungslokale möglicher
Feuersgefahr, z. B. alle feuergefährlichen Gewerbebetriebe, fern
gehalten werden müssen, um jede Gelegenheit, welche auch nur
Schrecken und Bestürzung veranlassen könnte. nach Möalichkeit
auszuschließen.
Immerhin köunen in allen vorgedachten Rücksichten bestimmte,
allgemein gültige und doch auf jeden einzelnen Fall verwendbare
Vorschriften überhaupt nicht aufgestellt werden. Diese würden
entweder zu viel oder zu wenig jordern.
Es lassen sich aber nach Wiaßgabe der jeweiligen Ein—
lichtung der Feuerwehren, des Standes der Technik und ihrer
Hilfsmittel, sowie uach Maßgabe des wechselnden Bedürfnisses
Jewisse Grundsätze feststellen, welche allgemein zu beachten wären
Die Bekanntgebung solcher Normen würde für das bauende
Publikum sehr erwünscht sein, wenn dieselben auch neueren Er—
fahrungen beweglicher folgen müßten und nicht immer so bestimmte
Vorschriften enthalten könnten, wie dies von polizeilichen Ver—
ordnungen zu wünschen ist.
Schmiedeeisens eine schädliche Aeußerung auf die Umfassungsmauern
hervorruft. Die Verlängerung beträgt bei 300 Grad für einen
5 mälangen Träger schon 2 cm und die Ausdehnungskraft
wirkt hier schon desormirend auf das Mauerwerk, wenn der Träger
enkrecht zu demselben steht und nicht in der Façade liegt, wo er
durch die Masse der Nachbarfaçaden Widerstand findet. Letzteren
Falls aber beschleunigt die feste Einspannung die Durchbiegung.
Vor zwei Jahren wurde hier von dun Rabitz und dessen Ver—
treter ein Versuch über die Feuerbeständigkeit seines Verputzes an—
gestellt, wozu an einer freien Stelle ein Hüuschen mit zwei Kammern
zanz aus Stein erbaut wurde. In der einen Kammer war unter
dem Gebälke ein schmiedeeiserner Träger unbelastet eingemauert, so
daß seine Euden in den Umfassungsmauern ruhten. Kurz nach
dem Entzünden des Feuers am Fußboden der Kammern barsten
die Umfassungsmauern an den Stellen, an welchen der Träger
ein Auflager hatte. Wenn ich nun nach den geschilderten Er—
s'ahrungen dem Eisen nie eine große Sicherheit in Bezug auf
Feuersgefahr zutraute, so waren mir doch die günstigen Resultate
bezüglich des Gußeisens neu. Ebenso ungünstig wie für das Schmiede—
eisen sind aber die Bauschinger'schen Versuche für das Polizei—
Präsidium Berlins ausgefallen, da sie gezeigt haben, wie leicht eine
Verwaltungsbehörde neben das Ziel schießen kann, wenn sie Ver—
ordnungen auf vorgefaßten Meinungen und nicht auf praktischen Er—
fahrungen gründet.
Es ist begreiflich, daß Herr Kommerzienrath Kustermann
in München, Besitzer des größten Gußeisengeschäftes daselbst, die
Mittel zu den angestellten Versuchen aufwendete, da er ein großes
Interesse daran hatte, den Krieg, der in Berlin gegen die Ver—
wendung gußeiserner Säulen ausgebrochen ist, von München fern—
zuhalten. Professor Bauschinger hält nun aber auf Grund der
zewonnenen Resultate eine Fortsetzung der Versuche in Bezug auf
das Verhalten horizontaler Träger aus Schmiedeeisen für noth—
wendig, welche, wie er sagt, allerdings viel Mittel und Arbeit er—
fordern. Es ist jedoch nicht anzunehmen, daß ein Walzwerk oder
der Besitzer eines Schmiedeeisengeschäftes diese Mittel in ähnlicher
Weise zur Verfügung stellt, wie dies Herr Kommerzienrath Kust er—
mann in Bezug auf die Rettung der gußeisernen Säulen gethan
hat; denn es steht zehn gegen eins, daß die fortgesetzten Versuche
zu einer Reihe von Vorschriften führen werden, welche die aus
der unbeschränkten Verwendung des Schmiedeeisens zu Bauzwecken
entspringenden Gefahren paralysiren sollen und dies führt weiter
zu einer Einschränkung oder Vertheuerung der Anwendung von
dewalzten Trägern.
Deshalb glaube ich den Zeitpunkt für gekommen, in dem es
für den Staat als Verwaltungsbehörde Pflicht wird, der Frage
näher zu treten und die Mittel zu bewilligen, um die Versuche
in der von Prof. Bauschinger angedeuteten Weise zu Ende zu
führen. Bayern besitzt an dem mechanisch-technischen Laboratorium
seiner technischen Hochschule eine Anstalt und an deren Leiter eine
Kraft, welche ganz geeignet erscheinen, volle Klarheit in die
Sache zu bringen. Die durch die bisherige Versuchsreihe aufge—
rauchten schweren Bedenken gegen fernere Verwendung des Schmiede—
eisens zu Bauzwecken in bisheriger Weise können nicht mit Still—
schweigen übergangen werden. Jetzt schon Verordnungen hierüber
zu erlassen, wäre entschieden verfrüht und könnte zu ähnlichen
Mißgriffen führen, wie in Berlin und darf dabei nicht außer
Acht gelassen werden, daß eine einseitig erlassene Polizeiverordnuug
leicht eine schwere Schädigung der Eisenindustrie im Gefolge
haben könnte, die doch nur daun gerechtfertigt erschiene, wenn der
durch diese Verordnung angestrebte Zweck der Wahrung der Feuer—⸗
sicherheit nicht in gleicher Weise erreicht werden kann ohne diese
Schädigung. Es würden sich also die Versuche auch dahin auszu—
dehnen haben, zu untersuchen, welche Schutzmaßregeln gegen die
Einwirkung des Feuers auf schmiedeeiferne Bautheile gegeben sind
und in, wie weit dieselben Stand halten, z. B. eine Umkleidung
der Träger mit Rabitz'schem Verputze, dikdekt auf das Eisen ge—
bracht, oder durch eine Isolirschicht getrennt.
Derartige Versuchsreihen können aber nicht von Privaten
angestellt werden, da die Gefahr nahe liegt, daß die Mittel
immer nur so weit bewilligt werden, als das Interesse des ein—
zelnen Spenders reicht, und wäre es deshalb im Interesse der
oöffentlichen Sicherheit ebenso wie im Interesse der Technik zu
wünschen, wenn jene Staatsverwaltungen, denen technische Labo⸗
ratorien zur Verfügung stehen, sich durch die bisherigen Versuche
des Herrn Prof. Bauschinger aͤngeregt fühlen würden, diese
Versuche fortsetzen und zum Äbschluß bringen zu lassen.
Nürnberg, April 1885.
Mittheilungen aus der Praxis
Ueber, das Verhalten gußeiserner, schmiede⸗
eiserner und steinerner Säulen im Feuer wird dem „Wochen⸗
blatt für Baufunde“ geschrieben: Die unler obigem Titel gebrachte
Mittheilung über die Versuche des Herrn Professors J. Bauschinger
ist geeignet, das Interesse nicht nur der Fachgenossen, sondern auch
der Verwaltungsbehörden in hohem Maaße in Anspruch zu nehmen.
Der geringe Grad von Feuersicherheit, der Eisenkonstruktionen inne—
wohnt, ist zwar den meisten Technikern keine Neuigkeit, denn alle
bisherigen Erfahrungen bestätigen die geschilderten Versuchsresultate
pollkommen. Ich erinnere an den vor mehreren Jahren stattge
habten Brand des Pantechnikons in London, das, da seine Stock—
werke sämmtlich auf Eisenschienen gewölbt waren, für volkommen
fenersicher galt und beim Brande aber vollkommen zerstört wurde.
Von einem Augenzeugen erhielt ich eine Schilderung eines vor
längerer Zeit in San Francisco stattgehabten Brandes, wo inmitten
des brennenden Quarfiers ein Haus stand, ganz aus Stein gebant
mit Ausnahme des Parterres, das zumeist aus Eisen hergestellt
war, wie dies in unseren größeren Städten ja bei Bauten mit
Ladeneinrichtungen jetzt faf durchweg geschieht. Das genannte
Haus galt auch als dollkommen sicher, noch als das Parterre,
bezw. dessen Inhalt, in's Breunen gerieth. Allein nicht lange
darnach brach es in sich zusammen. Meiner Ansicht nach komm
nämlich zu den von Professor Bauschinger geschilderten gefähr—
lichen Eigenschaften des Schmiedeeisens noch der Umstand, daß,
bevor die, erhoͤhte Temperalur die Tragfähigkeit des Schmiedeeisens
noch erheblich mindert. der bedeutend Ausdehnunagskosffizient des
Emil Hecht, Architekt.