Full text: Deutsches Baugewerks-Blatt : Wochenschr. für d. Interessen d. prakt. Baugewerks (Jg. 45, Bd. 4, 1885)

55 
Zur neuen Bauordnung. — Entscheidungen und Bauprozesse. 
156 
Begentheil erhält man einen entwertheten Dünger, den mit Recht 
fein Landwirth mag, und ein viel bedeutenderes Quantum Unrath, 
»as öftere Raumung verlangt. Der Einlaß in Schleusen und 
»stentliche Wasserläuse wird nach dem Vorgang in England, und 
sachdem sich verschiedene Medizinalkommissionen in den von dem 
Heinisterium eingeforderten Berichten entschieden gegen diese Verun— 
seinigung der Flüsse, des Bodens und der Luft ausgesprochen 
saben, jedenfalls in nicht ferner Zeit gesetzlich verboten werden. 
Die Ersolge der sämmtlichen sogenaunten Niederschlagsverfahren, 
welche die Fäkalstoffe mittelst Mischungen aus Kalk, Phenol, Thon⸗ 
7de und Essenoxydhydrat nach dem System Friedrich oder dem 
Süvern'schen Desinfektionsmittel, bestehend aus Kalk, Theer und 
Chlormagnesium hatten, sowie die zahllosen in England gemachten 
Versuche, mittelst ähnlich zusammengesetzter Mischungen, um die 
chhädlichen Stoffe der Erkremente zu fällen und zu zerstören, haben 
rgeben, daß damit wohl das Auge des oberflächlichen Beobachters 
elänscht werden kann, daß aber die gefährlichen Bestandtheile der 
Fäkalstoffe keineswegs beseitigt sind. Nach den Aussprüchen der 
erschiedenen damit beschäftigten Kommissiouen sind die abfließenden 
8össer durchaus nicht soweit gereinigt, um ohne Bedenken in öffentliche 
Wasserläufe eingelassen werden zu können. 
Die niedergeschlagenen festen Stoffe sind nicht nur völlig 
werthlos für die Landwirthschaft, sondern sie ertödten, nach den damit 
ingestellten Versuchen, sogar die Keimkraft der Samen. Diese 
inbestreitbaren Thatsachen, die durch vorliegende Analysen und 
imfangreiches Versuchsmaterial jederzeit bewiesen werden könnten, 
ind die Wahrscheinlichkeit, daß künftig durch landesgesetzliche 
Verbote, wie dies schon in verschiedenen Städten der Fall ist, die 
Anwendung von Wasserklosets sehr erschwert werden wird, dürften 
vohl den Baumeister und Bauherrn im vorliegenden Falle anregen, 
zie Frage, ob nicht das Trockenbindungssystem der Fäkalien vorzu— 
siehen sei, ernster zu erwägen, als dies bisher geschehen, zumal ja 
eine Bindung der Fäkalstoffe heutzutage im Interesse der Rein⸗ 
erhaltung des, auch trotz der besten in Cement gemauerten Gruben, 
die durch die Zersetzungsprodukte der Fäkalstoffe zerstört werden, 
imliegenden Bodens, der Brunnen und der Luft als höchst noth— 
vendig anerkaunt worden ist. Die Anwendbarkeit der Torffäkal— 
indungsanlagen, System Poppe, im größten Maßstabe ist bewiesen 
usch die großen, über 90 Aborte enthaltende Anlage in den Ge— 
»äuden der k. k. österr. ungar. Staatsbahn, durch weitere Anlagen 
nuf deutschen und russischen Bahnen, in Armeelazarethen, Fabriken, 
Hotels und Privathäusern. 
Ein sicherer Beweis für die Vollkommenheit der Poppe'schen 
Anlagen liegt wohl auch darin, daß ein großes rheinisches Fabrik— 
tablissement, dasjenige der Herren Braun und Blaan in Düssel— 
»orf, innerhalb 160 Monaten nach Aufstellung der ersten Anlage 
chon die vierte mit 8 Stück Streuapparaten anfertigen ließ. 
ind nachbarlich, so zu sagen auf einander angewiesen bleiben. 
Hier eine künstliche Scheidung eintreten zu lassen, ist sozial absolut 
aͤlsch, stört die menschlich gegenseitige Erziehung, schürt die Klassen— 
jegensätze und fördert nur die Zwecke der Sozialdemokratie. Das 
ann unmöglich in der Absicht der Regierung liegen. Außerdem 
nacht sich immer mehr der gleich Anfaugs von uns hervorgehobene 
Finwand geltend, daß bei der unmittelbaren Zusammengehörigkeit 
der Vororte mit Berlin eine einseitige neue Bauordnung für 
Letzteres gar nicht erlassen werden kann. Thatsächlich sind die 
Baustellenpreise in den Nachbarorten bereits auf das bloße Be— 
anntwerden des Bauordnungs-Entwurfs hin erheblich gestiegen. 
And da die Grenzen Berlins zum Theil mitten durch fertige 
Ztraßen laufen, so entsteht die Frage, welchen Nutzen es gewähren 
ann, auf der einen Seite bauliche Uebelstände zu unterdrücken, 
velche auf der andern mächtig fortwuchern? Am gespanntesten ist 
nan über diesen Punkt auf das Gutachten des Magistrats, der ja 
iberdies soeben erst am Markthallenbau erfahren hat, welche 
Wichtigkeit der Berliner Bauordnung auch für die Kommune 
nnewohnt. — Inzwischen trifft unseres Erachtens dies Alles 
joch nicht den verhängnißvollsten Kern der Sache, welcher weit 
iefer liest. Das Eigenthum und das Recht auf ehrlich erworbenen 
Besitz sind sittliche Begriffe, welche die Grundlage unserer Staats— 
Hesellschaft bilden. Daß dieses Recht sich im Juteresse des Ge— 
neinwohls Einschränkungen gefallen lassen muß, ist ebenfalls ein 
ittliches Bedingniß. Wenn man aber, ohne nachgewiesenes Be— 
ürfniß, diese Einschränkungen in einer Weise ausdehnt, daß sie 
iner theilweisen Konfiskation des Eigenthumes gleichzukommen 
cheinen, so liegt darin, abgesehen von den schweren Schädigungen 
uhiger Bürger und der provozirten Verbitterung derselben, ein 
müberlegtes Verfahren, welches man sich am wenigsten in einer 
zeit erlauben sollte, wo ohnehin die Achtung vor dem Eigenthum 
rrundsätzlich abhanden zu kommen beginnt. Die organifirten 
Zartheien, welche das Motto „Eigenthum ist Diebstahl“ mehr oder 
veniger unverhüllt auf ihre Fahne schreiben, können nur eine 
chlimme Freude daran haben, wenn sogar im Lande des Suum 
uique bureaukratische Eigenmächtigkeiten die Begriffe zu verwirren 
»eginnen. Dies sollte man nicht unterschätzen, denn der Eindruck 
n Berlin gestaltet sich um so tiefer und nachhaltiger, als ohnehin 
ser Grundbesitz unserer Stadt durch Leistungen, Abgaben und 
Steuern im s. g. Interesse des Gemeinbesten hart gedruͤckt ist. — 
Wir haben Ursache, zu glauben, daß in den zahlreichen und ge— 
vichtigen Vorstellungen, welche gegen die neue Bauordnung durch 
alle behördlichen Justanzen laufen und schließlich zu den Füßen 
des Thrones niedergelegt werden dürften, der letztgedachte Gesichts— 
zunkt eine gewichtvolle Stelle einnehmen wird. „Unser Kaiser will 
nicht, daß seine Bürger geschädigt werden!“ — sagt der richtige 
Herliner. und das bleibt auch heute sein Vertrauen. 
Sur neuen Bauordnung. 
Wenn auch unsere politische Tagespresse sich bisher noch 
zuffallend wenig um die Umwälzungen gekümmert hat, welche 
nit der neuen Bauordnung den allerverschiedensten Verhäl— 
nissen Berlins drohen, so wird der Gegenstand doch in 
allen zunächst interessirten Kreisen mit steigender Lebhaftigkeit 
»esprochen. Es sind dies wesentlich die Grundbesitzer, die bau— 
echnischen Berufe und die Kommunalverwaltung. Im Acrchitekten⸗ 
erein ist man mit einer gewissen kurzen, vielleicht zu vornehmen 
Superiorität über den Entwurf als absolut unannehmbar zur 
»orläufigen Tagesordnung übergegangen. Aber auch in den fach— 
»erständigen und einfacheren Kreisen unserer Baugewerksmeister 
st man der einstimmigen Ansicht, daß eine solche Bauordnung 
»orläufig wenigstens einem Bauverbot nahezu gleich komme, da es 
n Berlin nur wenig Grundjstücke gebe, welche unter den neuen 
Borschriften mit nur einigermaßen zweckentsprechenden Erfolgen 
erwerthet werden könnten. In der That mangelt fast allen die 
nöthige Straßenfront, welche hinfort erforderlich ist, um die höheren 
Ztockwerke der Vorderhäuser durch Seitenflügel erweitern zu können, 
ielen fehlt überhaupt der Raum zur Anlage von Seitenflügeln, 
iachdemet / des ganzen Grundstückes für den Hofraum reservirt 
verden soll. Aber hiervon abgesehen, scheint es, wie dem „Grund— 
eigenthum“ geschrieben wird, daß auch neue soziale Gesichts— 
Aunkte schwer in's Gewicht fallen werden. Die Wohnungen im 
Junern der Stadt werden unausbleiblich binnen Kurzem so im 
Miethspreise aufschlagen, daß die ärmeren und unbemittelteren, 
iamentlich die sog. Arbeiter Klassen immer mehr in die Vororte 
yinausgedrängt werden müssen. Damit geht einer der größten 
oisherigen sozialen Vorzüge Berlins verldren, wonach die ver— 
chiedensten Klassen in denselben Straßen durch einander wohnen 
Entscheidungen und Bauprozesse. 
Reichsgerichtsentscheidungen. Ein Gewerbeunter— 
rehmer wurde zur Entschädigung des Arbeiters verurtheilt, welcher 
„ei seiner Beschäftigung im Schacht von einem herabstürzenden 
tübel beschädigt war, weil der Arbeitgeber es unterlassen hatte, 
»)as Seil, durch dessen Zerreißen der Unfall verursacht war, vorher 
uu untersuchen. Er wurde hierzu mit Rücksicht auf die gefährliche 
Beschäftigung des Arbeiters unter dem herabstürzenden Kübel ver— 
flichtet erachtet, ohne daß er sich darauf berufen durfte, das erst 
einen Monat alte Seil sei bis zum Tage des Unfalls zur Hebung 
chwerer Lasten mit Erfolg verwendet worden. — 
Den Maurermeister trifft die Verpflichtung, das bei den 
Arbeiten seiner Gesellen unentbehrliche Ger üst in solchem Zustande 
zu liefern, daß sie durch Besteigen desselben keinen Schaden erleiden. 
kreignet sich ein Unfall durch Zusammenbruch des Gerüstes, so 
rifft nach gemeinem Recht den Maurermeister die Beweislast, 
daß er in dieser Beziehung ohne Verschulden ist. Trifft ihn kein 
Herschulden, so hat er für den Unglücksfall nicht einzustehen. — 
Oberverwaltungsgericht. Entscheidung vom 22. Januar 
1885 O.V.“G. I. 87, betreffend die Benutzung von Keller— 
äumen in Berlin. 
Für das Baufach sowohl als für die Berliner Hausbesitzer 
äͤllt nicht unwesentlich schon jetzt und wird künftig noch mehr in's 
Bewicht fallen die Frage: 
„dürfen Kellerräume, welche den an Wohnräumen gestellten 
Anforderungen nicht ˖genügeu, z. B. wegen zu geringer Höhe, 
zu Küchen und Arbeitsstätten eingerichtet und in Verbindung 
mit Wohnräumen benutzt werden?“ 
Dder, im Sinne der neuen Bauordnung zu reden: 
„sind Küchen und Arbeitsstätten zum „dauernden Aufenthalt
	        

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.