31 Wann können resp. müssen die Miether eines Hauses in Folge baulicher Gebrechen sofort ausziehen? 182
Wann können resp. müssen die Miether eines
Hauses in Folge baulicher Gebrechen sofort
ausziehen?
Diese Frage zu beantworten, obliegt oft den Baugewerks—
neistern, Bauingenieuren oder Baubeamten, welche als Experten
einer Beaugenscheinigungs-Kommission ꝛc. zugezogen werden. Die
abei in Betracht kommenden physischen Schäden der Gebäude
önnen nun verschiedenen Ursprungs sein, wonach sich auch
ie Natur der Gebrechen und der möglichen und wahrschein—
ichen Konsequenzen, sowie die dagegen zu treffenden Maß—
rahmen richten und zwar:
. Brandschäden oder die durch Feuer resultirenden
Baugebrechen und Gefahren.
Ist der Dachboden nicht gepflastert oder estrichirt, so daß der
ntstandene Dachbrand sich leicht nach abwärts fortsetzen kann, oder
rennt bei einem großen Zimmerfeuer der Fußboden bereits stark
ind ist zu fürchten, daß, wenn derselbe nicht auf Schutt ruht,
»aher dieser die untere Deckenpartie nicht schützen kann, der Brand
iach unten dringt, oder wenn bei schon glimmenden Balken der
Stuck anfängt, sich abzulösen, so sind die Bewohner des betreffen—
»en Wohnraumes, eventuell des ganzen Geschosses, unterhalb der
Brandstelle sofort natürlich zu delogiren; von den Bewohnern der
brennenden Oberräume kann eigentlich gar nicht weiter gesprochen
verden, weil dieselben entweder selbst schon längst sich delogirten,
»der von der Feuerwehr delogirt wurden, wie denn überhaupt
letzteres eine spezielle Angelegenheit der Feuerwehr ist, eventuell
der Polizei. Im anderen Falle, wenn zu befürchten steht, daß
er Brand nach auf wärts dringt und sich gleichfalls die Stukkatur
zbzulösen beginnt, so ist der Miether oberhalb ohne weiteres zu
elogiren.
Ragen nach einem bedeutenden Brande des Daches oder von
Obergeschossen (z. B. Mansarden) hohe Mauern (Giebelmauern,
Feuermauern) isolirt in die Luft, desgleichen sehr hohe Schoörnsteine,
velche auch dem Einsturze drohen und bei dem Falle unterhalb be—
indliche Decken durchschlagen und die in den betreffenden Räumen
yefindlichen Personen beschädigen können, so müssen, vorausgesetzt,
aß diese stabilitätswidrigen, gefährlichen Bautheile — Ruinen —
nicht sofort leicht beseitigt oder durch Hilfsgerüste unschädlich ge—
nacht werden können, diese Miether provisörisch delogirt werden,
ais ein stabiler, sicherer Bauzustand wieder hergestellt ist.
Endlich ist auch die Möglichkeit vorhanden, daß der Brand
»on der Seite eindringen kann, wenn die einzelnen Wohnräume
»der sonstigen Nutzräume, in welchen sich mindestens ab und zu
Personen. aufhalten, seitlich nicht genügend geschützt sind; dies ist
»esonders dann der Fall, wenn die Wohnungsscheidemauern sehr
yünn oder aus einem Maaterial hergestellt sind, welches dem Feuer
einen Widerstand entgegensetzt, z. B. Holzwände, Wände aus
Backsteinen; auch Material, welches an sich zwar feuersicher, aber
tark wärmeleitend oder glühbar ist, begünstigt das Weitergreifen
des Brandes, z. B. Blechwände, Wände aus Schlacken ꝛc. Auch
n diesen Fällen ist das Ausziehen sofort anzuordnen.
2. Wassernoth oder die durch Wasser (Ueberschwemmung)
gerbeigeführten Gefahren für ein Gebäude und dessen
Bewohner.
Bei Gebäuden aus Bruchsteinen und gewöhnlichem Mörtel,
velche gemeiniglich keinen Ueberschuß an Stabilität haben, bei
ehr schwachen Ziegel- und Riegelbauten, ist, wenn der Andrang
ind die Höhe des Wassers im Verhältniß zu den Dimensionen
es Hauses schon sehr stark sind, Delogirung anzuordnen, weil das
Haus sonst leicht durch den Anprall und den Oruck der Wasser—
suthen eingedrückt oder weggerissen werden kann. Bei schwachen
Bauten, besonders Pisébauten, genügt oft ein sehr geringer Wasser—
)ruck, mäßiges Wellenspiel und eine Wasserhöhe von 2 Meter, um
zine Katastrophe herbeizuführen, besonders, wenn das Gewässer
tarken Fall hat. Die Ueberschwemmungen 1882 in Tyrol haben
a sehr lehrreiche Beispiele geliefert; in Brunneck wurde z. B.
hei einem Wasserstande von 3 Meter über Null eine solide gebaute
neue Villa binnen wenigen Stunden zerstört; vom Gange der
Sache macht man sich den besten Begriff, wenn man auf eine
Theeuntertasse, mit ein paar Millimeter Wasser benetzt, ein Stück⸗
hen Zucker legt; so wie dieses sich auflösend, allmählich Stück für
Stück sich abloͤst, versickert und endlich ganz, aufgelöst wird, so sah
es mit der besagten, aus lagenhaften Bruchsteinen, gewöhnlichen
Bruchsteinen und Ziegeln, bei einigen Riegeltheilen, gebauten
Billa aus. ,
Solchen Verhältnissen und Umständen entsprechend, muß
nan natürlich auch bei der Delogirung vorgehen, dieselbe vorbe—
reiten oder beschleunigen
3. Erdbeben, Orkane, Erddruck, Felsabrutschung, Schäden
durch Gas- oder Dynamit- event. Pulverexplösionen ?ꝛc.
Erstere und letztere zerstören oft vollkommen; denn haben
iich die betreffenden Bewohner ohnedies schon längst selbst geflüch—
et*), oder sind vielleicht erschlagen worden, ist aber die Desitruktion
m Entstehen, nur vorbereitet, so sind in den meisten Fällen die
bhewohner ohne Weiteres sofort zu delogiren. Der Fachmann
vird sich bei den sich zeigenden starken Sprüngen und Rissen ꝛc.
eicht orientiren.
Aehnlicher ist der Fall, wenn ein Haus an einer Berglehne
zjebaut ist und sich Spuren von oder Neigungen und Möglichkeiten
zu Abrutschungen zeigen, dies ist besonders bei durch Feld-, Wald—
»der Wiesenkulturen maskirten Lehm- und Schutthalden, Schieser—
lattenlehnen ꝛc. der Fall; aber auch bei Aulagen in Orten mit
Terrassen, wenn der Druck nach der Seite und von oben stärker
st, als die durch Etagirung herbeigeführte Entlastung: hier zeigen
ewöhnlich die Rückwände der betreffenden Gebäude Sprünge und
Veichungen, welche die nahe Gefahr in der Regel deutlich
rkennen lassen. Die ungünstigen Umstände können hier oft um so
chueller wirken, als die Rückwände durch das, von den Lehnen
»der Terrassen herabfallende oder sickernde Wasser den Körper des
Hemäuers ganz durchsetzt, erweicht und widerstandsunfähig gemacht
jat. Wir haben dann noch
1. Senkungen durch schlechte Fundamentirung oder schlechte
Konstruktion, sowie bei Neu-, Zu- und Umbauten.
In genannten Fällen zeigen sich als charakteristische
Merkmale bedeutende Risse und Sprünge in der Mauer.
SZolchen Senkungen sind nicht allein neue, sondern anch ältere
Zzäuser unterworfen, wenn nämlich unterirdische Wasserläufe oder
onstige unterirdische Vorgänge die Festigkeit des Terrains aufheben
ind zerstören. In geschlossenen Orten kommen Senkungen neuer
Bebäude wegen Einzelstand seltener vor, als au solchen Orten,“*)
vo es nicht Vorschrift ist, daß eine Baulinie gleichweit und
'omplet ausgebaut wird, wie z. B. in Wien.“***) Bei solchen
solirt stehenden Häusern ist es dann oft vorgekommen, daß die
Hiebel-- Hausscheide- und Feuermauern, welche rechts und links
reistehen, bis zum Niveau der Kellersohle — da nebenan ja der
Bauplatz vertieft bleibt — sich gesenkt haben und theilweise abge—
rochen und abgestürzt sind, wodurch auch Theile der Fagaden- und
Mittelmauern beschaädigt und Wohnungsräume freigelegt wurden!
Bei den ersten derartigen Anzeichen ist natürlich schon das Nöthige
vorzukehren — d. h. es sind Pölzgerüste anzubringen u. dergl. —
eigen sich aber sehr bedenkliche Weichungssymptome, so müßte
ine partielle oder allgemeine Delogirung nach Umständen
erfolgen. Senkungen kommen auch wohl durch schlechte Verbin—
ungskonstruktionen — besonders bei Zn- und Umbauten —, schlechtes
Material, alte Ziegeln, bröckeliges Gestein, schlechten Mörtel ꝛc.
»or; dies ist dann besonders bei freistehenden Feuer- (Giebel-)
Mauern gern der Fall. Diese Mauern werden oft übermäßig
chwach und gleichmäßig dimensionirt hergestellt, dagegen wirkt die
S„chwere doch bei bedeutender Höhe vehement. Unter solchen Um—
tänden treten oft Katastrophen plötzlich ein, ohne bedeutende vor—
uusgehende Merkmale.
5. Ausbauchungen von Fagçadenmauern durch Gewölbe—
druck, Einsturzdrohungen von Gewölben ꝛe.
Ersteres kommt leicht dann vor, wenn die Widerlags—
tärke zum Gewölbedruck zu schwach bemessen wurde; dann baucht
sich die äußere Mauerfläche in der Richtung der Drucklinie des Ge—
völbes hinaus; dies kann bei großer Belastung des Gewölbes,
dei schwacher Uebermauerung und wenn bei Herstellung des
Gewölbes zu rasch vorgegangen und die Setzung des Gewölbes
nicht abgewartet wurde, vorkommen. Einem bedeutenden Baumeister
in Wien passirte vor mehreren Jahren bei einigen Häusern ein
solches Malheur. Die Folge davon war, daß sämnitliche Bewohner
und Miether des Parterres sowohl, als auch der Beletage sofort
delogirt (() werden mußten und die übrigen Parteien des Hauses
die Anzeige bekamen, auf eventuelle zweite Aufforderung ebenfalls
»hne Weiteres zu delogiren. — (Man kann sich vorstellen, wie
angenehm dies für die Miether eines solchen Hauses ist, nachdem
sie sich schon sehr luxuriös eingerichtet hatten.)
Der Einsturz von Gewölben kommt besonders oft bei
leichtfertia hergestellter Bruchsteinmauerung vor: der Einsturz
*) Bei einem der letzteren Erdbeben (es ist mir entfallen wo?) wurden
die Einwohner polizeilich gehindert, (H die Häuser zu verlassen, welche mit
dem Einsturze drohten, angeblich, um auf der Gasse keine Unordnung hervor—
zurufen, wenn Alles aus den Häusern läuit. Es geht nichts über diese
Weisheit mancher Stadtbehörden!
**) An neuentstehenden Orten, oder bei Ortserweiterungen, Anlaag⸗
neuer Stadttheile u. dergl.
*** In Berlin ist dies Vorschrift