553 Echule zu Meuselwitz für Knaben und Mädchen. — Die Gefahren für die gedeibliche Weiterentwickelung unserer gewerblichen Lehranstalten. 554
man auf einigen Stufen nach rechts und links nach den Schul—
öfen, bezw. dem mittleren kleinen Wirthschaftshof hinabsteigt.
Die beiden Schulhöfe, welche sich nach beiden Seiten des Schul—-
aufes noch ausdehnen, sind somit durch letzteres selbst voll—
ständig von einander getrennt.
Um die Vorplätze und von diesen sämmtlich unmittelbar
zugänglich gruppiren sich nun im Erdgeschoß und ersten Ober—
gescheß je drei, im zweiten Obergeschoß je zwei Lehrzimmer, die
hre Beleuchtung sämmtlich von den Schulhöfen aus erhalten,
zͤlio gegen das Geräusch und den Verkehr der Straße hin gut
geschützt sind. Die Gestaltung des Zimmergrundrisses ist in
Bezug auf die Fensterlage eine sehr zweckmäßige, da die Tiefe
der Lehrzimmer nur 5,60 mäbeträaͤgt. Im ersten Obergeschoß
st noch in der Achse der Hauptfront das Konferenzzimmer an—
Jelegt, zu dessen beiden Seiten die Bibliothek und die Lehr—
nittelsammlung einen passenden Platz sanden. Diese drei Räume
sind unter sich und mit den Vorplätzen durch Thüren verbunden.
Um jedoch auch das Konferenzzimmer unmittelbar von den beiden
Vorplätzen erreichen zu können, ist hinter demselben ein rund
2m breiter Gang angeordnet, der die beiden Vorplätze ver—
bindet. Ueber dieser Mittelgruppe, die mit den Portal-Vorbauten
durch ein Risalit aus dem übrigen Bau hervorgezogen wurde,
iiegt im zweiten Obergeschoß die Aula, die ihrer bedeutenderen
Höhenabmessung wegen beherrschend aus der ganzen Bauanlage
hervortritt. Da die beiden Lehrzimmer an der Vorderfront im
zweiten Stockwerk wegfallen konnten, blieb der entsprechende
Bebäudetheil, wie aus Abb. 3 der vorigen Nummer ersichtlich,
niedriger liegen. Durch diese verschiedenen Höhenentwicklungen
vurde in einfachster Weise eine gefällige Gruppirung des ganzen
Bauwerks erzielt. Die Architekturformen zeigen eine einfaches,
aber würdiges, der Bestimmung des Hauses entsprechendes Ge—
präge. Sehr reizvoll wirken die hübsch gezeichneten Portalbauten
des Mittelrisalits, über dessen Hauptgesims sich in einem zier—
sichen Aufbau die Schuluhr zeigt. In geschickter Weise sind die
niedrigen, fensterlosen, mit Quaderung eingefaßten Eckbauten
durch Anlage von Nischen zur Aufftellung von Figuren belebt.
Die Dächer sind mit Schiefer abaedeckt, der Mittelbau ist auch
hierbei noch durch ein einfaches, schine Weiterues Firsgiuler
hervorgehoben. In ausreichender Weise ist für Lüftung der
rehrzimmer und Aula gesorgt, so daß sich Alles vereinigt, um
den Anforderungen, die an ein solches Bauwerk gestellt werden
önnen, in jeder Weise zu entsfrechen. M—
Die Gefahren für die gedeihliche Weiterentwicklung
nuserer gewerblichen Lehraustalten.
In den letzten Jahren hat, so schreibt die „Zeitschrift f.
gzewerbl. Unterr.“, die Bewegung in der Förderung unserer ge—
verblichen Lehranstalten sichtbar um sich gegriffen, das Ansehen
»erselben hat zugenommen und die Werthschätzung, welche ihnen
in der Zukunft inne wohnen wird, überall an Boden gewonnen.
Je mehr unsere höheren Lehranstalten, die Gymnasien, Real—
chulen und Hochschulen, sich übervölkern, je mehr die Gefahr,
»urch ein zahlreiches, geistig gut geschultes Gelehrtenproletariat
iberschwemmt zu werden, ohne andererseits demselben hinreichen—
den Abfluß eroͤffnen zu koönnen, näher rückt, desto eher wird
nan sich nach einer kräftigen Hilfe umzusehen haben, desto
schneller wird eine gesunde Rückfluthung herbeizuführen, unsere
Aufgabe werden.
Sehen wir uns aber nach einem Mittel um und legen
uns die Fragen vor: „durch welche Maaßregeln, durch welche
Einrichtungen können diese krankhaften und“ — man täusche
ich nicht — „diese, unser ganzes Staats- und Gemeinwesen
yöchst bedrohenden Zustände gehoben oder doch wenigstens ver—
»essert werden?“ so werden wir immer wieder auf die Schule
zeführt. Ist es die Schule, welche dem unnatürlichen Anwachsen
»er Schaaren von Studirten als Brücke dient, so muß sie es
auch wieder sein, die Hilfe zu bringen hat.
Wir stehen nicht an, unsere Ueberzeugung hier klar und
»ündig auszusprechen: es ist verkehrt, nur zwei große Klassen
»on Erziehungsanstalten zu pflegen. Das Prinzip — nicht
etwa jenes auf dem Papier, sondern wie es sich in der Praxis
ergeben hat — der Elementarschule nur die hoͤhere Lehranstalt,
»as mit allen Vorrechten ausgerüstete Gymnasium, oder die
Realschule gegenüberzustellen, muß dahin führen, daß nicht nur
die besser situirten Berufsklassen ohne Ausnahme ihre Söhne
ener zweiten Gattung von Lehransialten zuweisen, sondern daß
es auch die Mittelklassen in ausgedehntestem Maaßstabe thun.
Wer immer es nur einigermaßen kann — sei es auch mit Auf—
bürdung der höchsten Opfer — mag er Beamter, Kaufmann
»der Gewerbetreibender sein, wird ohne alle Bedenken, ohne
Rücksichtnahme auf etwaige Anlagen oder Neigungen, seinen
Zohn der höheren Schule zuführen, und wo die Mittel etwa
nicht langen, kommen ihm thörichterweise Stipendien zu Hilfe,
Stipendien, die, entgegen ihrem eigentlichen Zwecke, durchaus
nicht immer hervorragenden Talenten verliehen werden. — Wo
Aleibt aber da der Nachschub für den Mittelstand? — werden
ihm nicht auf solche Weise die wichtigsten Lebenssäfte entzogen?
— Was hilft das tägliche Predigen: „Handwerker, du mußt
»einen Sohn wieder Handwerker werden lassen,“ wenn wir ihm
nicht auch die Mittel bieten, sich mehr als die elementare
Bildung auf der einen Sorte unserer Schulen, sich weniger
ils die Gelehrtenbildung auf der anderen anzueignen. Was
nützt es, dem Namen nach Mittelschulen zu haben, wenn sie
nur in vereinzelten Städten zu finden sind, wenn fast in allen
Mittel-, ja selbst in einer großen Zahl kleinerer Städte wohl
yöhere Lehranstalten bestehen, die Mittelschule aber keinen Raum
jesitzt? Heißt das nicht gerade die Verhältnisse auf den Kopf
tellen und statt tüchtige, für das praktische Leben reife Bürger
in Heer von Beamtenkandidaten und Zukunftsgelehrten künstlich
zu züchten? — Der Beamtenstand kann aber niemals so an
UImfang gewinnen, daß die für ihn bestimmten Schulen zahl—
eicher sein duürften, als jene für die Mittelstände.
Das Verhältniß, wie es heute vielfach besteht, daß Städte
on weniger als 15— 20000 Einwohnern neben ihren Elementar⸗
chulen nur höhere Lehranstalten, selbst mit Aufwand oft recht
erheblicher Mittel, erhalten, ist ein ungesundes und entspricht
in keiner Weise dem Gesammtwohl. In heutiger Zeit gilt es
— vielleicht mehr wie je — den Mittelstand zu kräftigen; das
ann aber auf die Dauer nur dann geschehen, wenn wir die
m Mittelstande geborenen und großgezogenen Elemente jenem
erhalten und nach beendigter Schulzeit wieder zuführen. Dem
Handwerker muß für seinen Sohn eine seinen Bedürfnissen an—
—DDDVVD
hden zwar wohlgemeiunten, aber doch nur wohlfeilen Mahnungen:
beziehe den Nachwuchs für deinen Beruf, die Lehrlinge, aus
»einen Kreisen und nicht vom Lande,“ zu erwarten sein. Was
vir brauchen, sind Mittelschulen und hieran anschließend Berufs—
chulen, jene, um neben allgemeiner Bildung vorzugsweise erzieh—
iche Zwecke zu verfolgen, diese, um eine praktische Fachaus—
»ildung zu erstreben. Damit sind wir aber in das eigentliche
Thema unserer heutigen Abhandlung eingetreten: die kurze Be—
eüchtung der Gefahren, welche allerseits die gedeihliche Ent—
vicklung unserer gewerblichen Berufsschulen bedrohen.
Vorerst sind es die Gewerbetreibenden felbst, welche der
Foͤrderung der für sie bestimmten Anstalten einen nicht zu unter—
chätzenden Widerstand entgegensetzen. Einem Theil von ihnen
naugelt jedwedes Interesse, was die Zukunft ihrem Stande zu
ringen droht, wenn nur sie nicht Noth darben; sie betrachten
ich nicht als Glieder größerer Gesellschaftsklassen, an deren Wohl
uind Wehe der Einzelne mitbetheiligt ist und mitzuarbeiten hat;
n ihrer Kurzsichtigkeit erblicken sie vielmehr ihre einzelne Lebens—
nufgabe darin, nur für die eigene, höchst theure Person zu
orgen. Durch ihre Gleichgültigkeit schaden sie ihrem Stande
in Lempfindlichster Weise; was aus dem ihnen anvertrauten
Hute, dem heranwachsenden und zu bildenden jungen Geschlechte
vird, kümmert sie blutwenig — mag aus jenem werden, was
vill — sie sorgen weder fuͤr eine gründliche Werkstättenlehre,
roch für die 'erforderliche Schulbildung ihres Nachwuchses.
Durch ihre Gewissenlosigkeit gehören sie buchstäblich zu den
Jemeingefährlichen Elementen nicht nur ihrer eigenen Berufs⸗
lasse, sondern auch des Staates; es sind die eigentlichen Züchter
der Unwissenheit und des mit ihr verbundenen Elends. Andere
Zandwerksmeister dagegen, die es wohl ernst mit der Werk—
fättenlehre nehmen mögen und ihren Lehrlingen so viel prak—
ische Fertigkeiten beiznbringen suchen, als ihr eigenes Wissen
ind Koͤnnen reicht, fuͤrchten sich aber, jenen eine bessere Schul—
ildung geben zu lassen, als sie selbst genossen; sie glauben, sich
onst Jefährliche Konkurrenten zu erziehen. Die Schule mit
atwickeln zu helfen und leistungsfähiger zu gestalten, komm—