Full text: Deutsches Baugewerks-Blatt : Wochenschr. für d. Interessen d. prakt. Baugewerks (Jg. 49, Bd. 8, 1889)

Das freistebende Familienbaus in England. 
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Die Lage des Wohnhauses soll derart gewählt sein, daß sie 
den Bewohner vor jeder fremden Störung schütze. Exponirte 
Plätze vermeidet der Engländer und flieht solche, welche zu einer 
unliebsamen Berührung mit dem Nachbar führen können. Er 
will in seiner Welt für sich leben, ungestört und ohne zu stören. 
Deshalb liegt auf dem Lande das Haus abseits der Straße, 
womöglich auf sanftem, nach Süden blickenden Hügelabhang, so 
daß die Entwässerung des Terrains sich in natürlicher Weise 
vollzieht. Man fürchtet die schädlichen Einflüsse des Grund— 
wassers und strebt darum eine möglichst hohe Lage über dem— 
selben an. 
Die Aussicht vom Hause und seinen Haupträumen soll eine 
möglichst gute sein. Aber nicht diese Ruͤcksicht allein darf die 
Wahl des Bauplatzes bestimmen, sondern der Hinblick auf die 
möglichst zweckentsprechende Lage der einzelnen Zimmer zum 
Staͤnde der Sonne und der Windrichtungen. So soll das 
Morgen⸗ oder Frühstückszimmer thunlichst nach Südosten liegen, 
um inm ihm in der Frühe des Tages bereits den erquickenden 
Gruß der Sonne zu haben. Das Speisezimmer soll nach Nord— 
westen zu liegen kommen; es ist dann im Innern kühl, und 
bietet, da die Sonne im Rücken des Beschauers steht, diesem 
einen freien Blick in die Weite. Gegen Süd und Südwest, 
die vornehmlich windgeschützte und wärmste Lage, verlegt man 
zerne Wohn- und Arbeitszimmer; gegen Norden die Küche und 
sonstige Wirthschaftsräume; gegen Westen, die Wetterseite, oder 
den ebenfalls regnerischen Südwesten den Eingang. 
Die Gewinnung solch' günstigsten Sonnenstandes für die 
Lage der einzelnen Zimmer ist oft schwer; da hilft die unregel— 
mäßige Grundrißbildung und neben dieser die englische Vorliebe 
für Erker, das sind breite, tiefe, ganz in Fenster aufgelöste 
Vorbauten, welche der Sonne auf weitem Ansschnitte ihrer 
Kreisbahn Zutritt gestatten. Diese Erkerbauten sind in Eng— 
land so beliebt, daß sie heute selbst bei den einfachsten Wohn— 
häusern der Städte kaum fehlen dürfen; sie sind das am meisten 
in die Augen fallende Moment der englischen Privatarchitektur. 
Während in den Wohnhäusern der Städte das Souterrain 
von besonderer Wichtigkeit ist, da sich in demselben nicht nur 
die Vorrathskammern, sondern auch Küchen, Arbeits- und Wirth— 
schaftsräume, Speise- und Schlafzimmer der Dienerschaft befinden, 
fällt im ländlichen Wohnhaufe das Souterrain überhaupt fort; 
Wirthschafts⸗ sowie alle Gesellschafts- und Wohnräume liegen 
weitgedehnt im Erdgeschosse, während Schlaf- und Toiletten— 
zimmer in das obere Stockwerk verlegt sind. Die Wohnzimmer 
find thunlichst groß und, wie oben bemerkt, möglichst mit Erkern 
belebt; die Schlafzimmer sind verhältnißmäßig klein, da sie eben 
nur zum Schlafen, zum An- und Umkleiden dienen. 
Man betritt im ländlichen Wohnhause, von Außen kommend, 
zunächst die bei demselben nie fehlende, kleine, äußere Vorhalle, 
welche an den Seiten halb oder ganz offen ist. Von dieser ge— 
langt man durch die Hausthür in oie sogenannte äußere Halle, 
welche in kleineren Haͤusern meist nur einen Gang bildet, der 
in die eigentliche „Hall“ (oder innere Halle) und das Treppen— 
—DDDDDDDD—— 
hergestellt wird, ist meist in diese Halle gelegt, für welche dadurch 
ein malerisch belebendes Dekorationsmittel gewonnen wird. 
Die „Hall“ ist der Mittelpunkt des englischen Wohnhauses; 
von ihr soll man bequem in alle Zimmer gelangen können. Sie 
ist der erste Wohnraum, den der Fremde betritt, und ihre De— 
koration giebt in den meisten Fällen sofort das Bild der In— 
teressensphäre und der Geschmacksneigungen des Hausherrn. Hier 
werden Reise-Erinnerungen untergebracht, Sport- und Jagd— 
Trophäen aufgestellt, hier findet der Besitz des Hauses an alten 
Möbeln, Familienbildnissen ꝛc. seinen Platz. In kleineren Häusern 
steht hier ein großer Tisch, mit Büchern oder Zeitungen beladen, 
oder ein Billard. Nie fehlt ein großer Kamin. In größeren 
Häusern wird die Halle oft durch zwei Geschosse geführt. Die 
Holzdecke ist bei der Halle die stereotype Form, die gewölbte Decke 
nicht beliebt. (Diese Halle, entsprechend dem deutschen Begriffe 
des „Flures oder der „Diele“, sollte nicht nur in Bezug ihrer 
Lage, sondern auch ihrer Einrichtung als ein besonders wichtiger 
Theil auch unseres Familienhauses betrachtet werden. Es geschieh 
leider so häufig bei uns, daß der Zugang zu den einzelnen Wohn— 
räumen nur durch einen verhältnißmäßig schmalen Gang ver— 
mittelt wird; dieser Uebelstand sollte auch im kleinsten Familien— 
hause vermieden werden.) 
Das Speisezimmer (Diningroom) fällt in kleineren Häusern 
meist mit dem Frühstückszimmer (Morningroem) zusammen. Doch 
da man in diesem Falle den Strahl der Morgensonne gerne auf 
dem Tisch haben will, so erhält das immer nach Norden brientirte 
Speisezimmer einen Erker, der groß genug ist, um den Frühstücks— 
tisch zu fassen, auf welchen nun von seitwärts die Sonne Zutritt 
)at. Stofftapeten, reichere Drapirung der Gardinen und dicke 
Teppiche sind im Speisezimmer verpönt, weil sie den Geruch fest— 
'Jalten; stets muß das Zimmer geöffnet sein in den Stunden 
wischen den Mahlzeiten. Der Tisch, ein breites, schweres Moͤbel, 
nimmt die Mitte des Speisezimmers ein. Auf ihm fehlt, wenn 
er nicht gedeckt ist, nie inmitten ein Gefäß mit Blumen oder 
einer Pflanze, und auf der einen Ecke ein kleines Glas mit 
einer oder zwei abgeschnittenen Blumen. 
Im Wohnzimmer (Drawingroom) wird der regelmäßige, 
rechtwinkelige Grundriß thunlichst vermieden und mit Vorliebe 
durch Erkerbauten unregelmäßziig gemachte Bildungen geschaffen. 
Dieses Zimmer muß besonders freundlich und hell sein und das 
Licht in demselben womöglich von zwei Seiten einfallen. An 
den Fenstern werden die dasselbe halb verdeckenden Vorhänge 
»ermieden, die Lichtöffnungen bleiben womöglich ganz frei, da die 
Hardinen nur seitlich angebracht werden. Es werden im Wohn⸗ 
zimmer viele und verschiedene Möbel vereinigt; ebenso ist reicher 
Wandschmuck beliebt, und zwar werden in diesem Zimmer gern 
Aquarelle in einfachen Goldrahmen aufgehängt. Besonders aber 
tritt hier wieder die Blumenliebe der Engländer hervor, doch sind 
zroße Blumentische nicht in Verwendung, es werden vielmehr 
einzelne Pflanzen, ferner in Gläsern abgeschniktene Blumen in 
zroßer Zahl (oft bis vierzig in demselben Raume) unregelmäßig 
durch das Zimmer vertheilt. 
Das „Library“ ist im Stadthause das Wohn- und Arbeits— 
immer des Herrn, im Landhause ist es das Korrespondenz- und 
Lesezimmer der Familie, wie der Gäste; in letzterem Falle ist 
für den Hausherrn manchmal noch ein besonderes Arbeitszimmer, 
das „Study“, reservirt. Lesezimmer, Wohnzimmer und Speise— 
immer bilden neben der Halle die vornehmlich für den gemein— 
amen Verkehr bestimmten Räume; man schließt sie deshalb gern 
zusammen, und zwar derart, daß das Lesezimmer sich zwischen 
die beiden anderen schiebt, indem so auf der andern Seite des 
Speisezimmers dessen Verbindung mit den Wirthschaftsräumen 
rei bleibt. Ein „Boudoir“, das Privatgemach der Dame, findet 
sich nur in reicheren Häusern. 
Die Schlafzimmer liegen stets im Oberstock. In der Nähe 
desjenigen für die Dame oder das Ehepaar befindet sich das 
Badezimmer und die Toilette. In besseren Häusern liebt man 
es, das Schlafzimmer ganz mit Holzvertäfelung zu bekleiden, 
welches weiß oder doch ganz licht gestrichen und lackirt wird. 
Diefse Täfelungen werden oft für Kleider- oder Wäscheschränke 
iusgenützt, zwischen welchen dann offene Etageren für Bücher 
ingebracht, sowie Plaͤtze für die Waschtische ausgespart sind. Ein 
Teppich durch das Zimmer, sowie schwere wollene Gardinen sind 
hier noch mehr als im Speisezimmer vermieden; ein leichter Teppich 
bor dem Bette ist allein zulässig, und sind die asiatischen Stroh— 
geflechte als Fußbodenbelag sehr beliebt. 
Es seien zum Schlusse noch einige, in Bezug auf die Plan— 
hdildung des englischen Wohnhauses unerläßliche Punkte hervor— 
zehoben. Hierher gehört vor Allem die geschickte Disposition 
„on Thüren und Fenstern, welche nicht so liegen dürfen, daß bei 
zleichzeitigem Oeffnen beider der Hauptplatz im Zimmer von der 
direkten Zuglinie bestrichen werde. Für das Sopha, den Schreib— 
tisch oder das Bett muß bereits im Grundrisse ein geschützter 
Platz vorgesehen sein. Die hohen, zweiflügeligen Thüren gelten 
ils unkomfortabel und werden nur in Gesellschaftsräumen für 
vassend erachtet; es kommen gewöhnlich nur kleinere einflügelige 
Thüren zur Verwendung. Alle Zimmer, welche zum persönlichen 
Gebrauche bestimmt sind, werden isolirt angelegt und nur durch eine 
Thüre vom Vorraume zugänglich gemacht. Die für die Diener— 
schaft bestimmten Räume müssen von jenen der Herrschaft voll— 
tändig gesondert angelegt werden, so daß sie entweder im Erd— 
geichosse bei den Wirthschaftsräumen, oder im Dachgeschosse zu 
liegen kommen. 
Diese kurze Skizze giebt die leitenden Momente wieder, 
welche bei dem Baue des freistehenden Familienhauses in England 
zur Richtschnur dienen; die Anwendung derselben kann, soweit
	        
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