Das freistebende Familienbaus in England.
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Die Lage des Wohnhauses soll derart gewählt sein, daß sie
den Bewohner vor jeder fremden Störung schütze. Exponirte
Plätze vermeidet der Engländer und flieht solche, welche zu einer
unliebsamen Berührung mit dem Nachbar führen können. Er
will in seiner Welt für sich leben, ungestört und ohne zu stören.
Deshalb liegt auf dem Lande das Haus abseits der Straße,
womöglich auf sanftem, nach Süden blickenden Hügelabhang, so
daß die Entwässerung des Terrains sich in natürlicher Weise
vollzieht. Man fürchtet die schädlichen Einflüsse des Grund—
wassers und strebt darum eine möglichst hohe Lage über dem—
selben an.
Die Aussicht vom Hause und seinen Haupträumen soll eine
möglichst gute sein. Aber nicht diese Ruͤcksicht allein darf die
Wahl des Bauplatzes bestimmen, sondern der Hinblick auf die
möglichst zweckentsprechende Lage der einzelnen Zimmer zum
Staͤnde der Sonne und der Windrichtungen. So soll das
Morgen⸗ oder Frühstückszimmer thunlichst nach Südosten liegen,
um inm ihm in der Frühe des Tages bereits den erquickenden
Gruß der Sonne zu haben. Das Speisezimmer soll nach Nord—
westen zu liegen kommen; es ist dann im Innern kühl, und
bietet, da die Sonne im Rücken des Beschauers steht, diesem
einen freien Blick in die Weite. Gegen Süd und Südwest,
die vornehmlich windgeschützte und wärmste Lage, verlegt man
zerne Wohn- und Arbeitszimmer; gegen Norden die Küche und
sonstige Wirthschaftsräume; gegen Westen, die Wetterseite, oder
den ebenfalls regnerischen Südwesten den Eingang.
Die Gewinnung solch' günstigsten Sonnenstandes für die
Lage der einzelnen Zimmer ist oft schwer; da hilft die unregel—
mäßige Grundrißbildung und neben dieser die englische Vorliebe
für Erker, das sind breite, tiefe, ganz in Fenster aufgelöste
Vorbauten, welche der Sonne auf weitem Ansschnitte ihrer
Kreisbahn Zutritt gestatten. Diese Erkerbauten sind in Eng—
land so beliebt, daß sie heute selbst bei den einfachsten Wohn—
häusern der Städte kaum fehlen dürfen; sie sind das am meisten
in die Augen fallende Moment der englischen Privatarchitektur.
Während in den Wohnhäusern der Städte das Souterrain
von besonderer Wichtigkeit ist, da sich in demselben nicht nur
die Vorrathskammern, sondern auch Küchen, Arbeits- und Wirth—
schaftsräume, Speise- und Schlafzimmer der Dienerschaft befinden,
fällt im ländlichen Wohnhaufe das Souterrain überhaupt fort;
Wirthschafts⸗ sowie alle Gesellschafts- und Wohnräume liegen
weitgedehnt im Erdgeschosse, während Schlaf- und Toiletten—
zimmer in das obere Stockwerk verlegt sind. Die Wohnzimmer
find thunlichst groß und, wie oben bemerkt, möglichst mit Erkern
belebt; die Schlafzimmer sind verhältnißmäßig klein, da sie eben
nur zum Schlafen, zum An- und Umkleiden dienen.
Man betritt im ländlichen Wohnhause, von Außen kommend,
zunächst die bei demselben nie fehlende, kleine, äußere Vorhalle,
welche an den Seiten halb oder ganz offen ist. Von dieser ge—
langt man durch die Hausthür in oie sogenannte äußere Halle,
welche in kleineren Haͤusern meist nur einen Gang bildet, der
in die eigentliche „Hall“ (oder innere Halle) und das Treppen—
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hergestellt wird, ist meist in diese Halle gelegt, für welche dadurch
ein malerisch belebendes Dekorationsmittel gewonnen wird.
Die „Hall“ ist der Mittelpunkt des englischen Wohnhauses;
von ihr soll man bequem in alle Zimmer gelangen können. Sie
ist der erste Wohnraum, den der Fremde betritt, und ihre De—
koration giebt in den meisten Fällen sofort das Bild der In—
teressensphäre und der Geschmacksneigungen des Hausherrn. Hier
werden Reise-Erinnerungen untergebracht, Sport- und Jagd—
Trophäen aufgestellt, hier findet der Besitz des Hauses an alten
Möbeln, Familienbildnissen ꝛc. seinen Platz. In kleineren Häusern
steht hier ein großer Tisch, mit Büchern oder Zeitungen beladen,
oder ein Billard. Nie fehlt ein großer Kamin. In größeren
Häusern wird die Halle oft durch zwei Geschosse geführt. Die
Holzdecke ist bei der Halle die stereotype Form, die gewölbte Decke
nicht beliebt. (Diese Halle, entsprechend dem deutschen Begriffe
des „Flures oder der „Diele“, sollte nicht nur in Bezug ihrer
Lage, sondern auch ihrer Einrichtung als ein besonders wichtiger
Theil auch unseres Familienhauses betrachtet werden. Es geschieh
leider so häufig bei uns, daß der Zugang zu den einzelnen Wohn—
räumen nur durch einen verhältnißmäßig schmalen Gang ver—
mittelt wird; dieser Uebelstand sollte auch im kleinsten Familien—
hause vermieden werden.)
Das Speisezimmer (Diningroom) fällt in kleineren Häusern
meist mit dem Frühstückszimmer (Morningroem) zusammen. Doch
da man in diesem Falle den Strahl der Morgensonne gerne auf
dem Tisch haben will, so erhält das immer nach Norden brientirte
Speisezimmer einen Erker, der groß genug ist, um den Frühstücks—
tisch zu fassen, auf welchen nun von seitwärts die Sonne Zutritt
)at. Stofftapeten, reichere Drapirung der Gardinen und dicke
Teppiche sind im Speisezimmer verpönt, weil sie den Geruch fest—
'Jalten; stets muß das Zimmer geöffnet sein in den Stunden
wischen den Mahlzeiten. Der Tisch, ein breites, schweres Moͤbel,
nimmt die Mitte des Speisezimmers ein. Auf ihm fehlt, wenn
er nicht gedeckt ist, nie inmitten ein Gefäß mit Blumen oder
einer Pflanze, und auf der einen Ecke ein kleines Glas mit
einer oder zwei abgeschnittenen Blumen.
Im Wohnzimmer (Drawingroom) wird der regelmäßige,
rechtwinkelige Grundriß thunlichst vermieden und mit Vorliebe
durch Erkerbauten unregelmäßziig gemachte Bildungen geschaffen.
Dieses Zimmer muß besonders freundlich und hell sein und das
Licht in demselben womöglich von zwei Seiten einfallen. An
den Fenstern werden die dasselbe halb verdeckenden Vorhänge
»ermieden, die Lichtöffnungen bleiben womöglich ganz frei, da die
Hardinen nur seitlich angebracht werden. Es werden im Wohn⸗
zimmer viele und verschiedene Möbel vereinigt; ebenso ist reicher
Wandschmuck beliebt, und zwar werden in diesem Zimmer gern
Aquarelle in einfachen Goldrahmen aufgehängt. Besonders aber
tritt hier wieder die Blumenliebe der Engländer hervor, doch sind
zroße Blumentische nicht in Verwendung, es werden vielmehr
einzelne Pflanzen, ferner in Gläsern abgeschniktene Blumen in
zroßer Zahl (oft bis vierzig in demselben Raume) unregelmäßig
durch das Zimmer vertheilt.
Das „Library“ ist im Stadthause das Wohn- und Arbeits—
immer des Herrn, im Landhause ist es das Korrespondenz- und
Lesezimmer der Familie, wie der Gäste; in letzterem Falle ist
für den Hausherrn manchmal noch ein besonderes Arbeitszimmer,
das „Study“, reservirt. Lesezimmer, Wohnzimmer und Speise—
immer bilden neben der Halle die vornehmlich für den gemein—
amen Verkehr bestimmten Räume; man schließt sie deshalb gern
zusammen, und zwar derart, daß das Lesezimmer sich zwischen
die beiden anderen schiebt, indem so auf der andern Seite des
Speisezimmers dessen Verbindung mit den Wirthschaftsräumen
rei bleibt. Ein „Boudoir“, das Privatgemach der Dame, findet
sich nur in reicheren Häusern.
Die Schlafzimmer liegen stets im Oberstock. In der Nähe
desjenigen für die Dame oder das Ehepaar befindet sich das
Badezimmer und die Toilette. In besseren Häusern liebt man
es, das Schlafzimmer ganz mit Holzvertäfelung zu bekleiden,
welches weiß oder doch ganz licht gestrichen und lackirt wird.
Diefse Täfelungen werden oft für Kleider- oder Wäscheschränke
iusgenützt, zwischen welchen dann offene Etageren für Bücher
ingebracht, sowie Plaͤtze für die Waschtische ausgespart sind. Ein
Teppich durch das Zimmer, sowie schwere wollene Gardinen sind
hier noch mehr als im Speisezimmer vermieden; ein leichter Teppich
bor dem Bette ist allein zulässig, und sind die asiatischen Stroh—
geflechte als Fußbodenbelag sehr beliebt.
Es seien zum Schlusse noch einige, in Bezug auf die Plan—
hdildung des englischen Wohnhauses unerläßliche Punkte hervor—
zehoben. Hierher gehört vor Allem die geschickte Disposition
„on Thüren und Fenstern, welche nicht so liegen dürfen, daß bei
zleichzeitigem Oeffnen beider der Hauptplatz im Zimmer von der
direkten Zuglinie bestrichen werde. Für das Sopha, den Schreib—
tisch oder das Bett muß bereits im Grundrisse ein geschützter
Platz vorgesehen sein. Die hohen, zweiflügeligen Thüren gelten
ils unkomfortabel und werden nur in Gesellschaftsräumen für
vassend erachtet; es kommen gewöhnlich nur kleinere einflügelige
Thüren zur Verwendung. Alle Zimmer, welche zum persönlichen
Gebrauche bestimmt sind, werden isolirt angelegt und nur durch eine
Thüre vom Vorraume zugänglich gemacht. Die für die Diener—
schaft bestimmten Räume müssen von jenen der Herrschaft voll—
tändig gesondert angelegt werden, so daß sie entweder im Erd—
geichosse bei den Wirthschaftsräumen, oder im Dachgeschosse zu
liegen kommen.
Diese kurze Skizze giebt die leitenden Momente wieder,
welche bei dem Baue des freistehenden Familienhauses in England
zur Richtschnur dienen; die Anwendung derselben kann, soweit