Full text: Deutsches Baugewerks-Blatt : Wochenschr. für d. Interessen d. prakt. Baugewerks (Jg. 49, Bd. 8, 1889)

Die Eisenbauten der Pariser Weltausstellung. 
J 
Die Eisenbauten der Pariser Weltausstellung. 
friedigung über eine große Leistung der frauzöñichen Ingenieurkunst 
und des französischen Eisengewerbes, die das patriotische Gefühl an— 
genehm erregende Wahrnehmung, daßz die gauze Welt diese letzte 
Schöpfung des französischen Genies bewundert und als eine neue 
mächtige Anziebungsktratft von Paris anerkennt, die Genug— 
huung, ein Werk bherhorgebracht zu haben und zu besitzen, dem 
die übrige Menschheit zur Zeit nichts Aehnliches an die Seite zu 
tellen vermag, bat wohl den allergrößten Antheil an der Freude, mit 
der der Pariser seinen Eiffelthurm betrachtet. Ich bin weit entiernt, 
die Berechtigung dieser Gefüble zu leugnen. Ich sage nur: ästhetische 
Hefühle sind es nicht. Der Eiffelthurm gefällt nicht durch seine mit 
den Augen wahrnehmnbare Erscheinung, sondern durch die Vorstellungen, 
die er in dem sein Land und seine Hauptstadt liebenden Franzosen 
erweckt. Die Probe darauf ist leicht zu machen. Zunächst wirkt der 
Fiffelthurm auf den Fremden, dessen Eigenliebe keinen Antheil an dem 
Helingen dieses Werkes hat, nicht entiernt so gefällig, wie auf den 
Sinheimischen, und daun möchte ich den Menschen sehen, der den 
Muth hätte, ein Modell des Thurmes, das alle Formen und Ver— 
vältnisse desselben getreu wiedergeben würde, schön zu finden! 
Ich sehe einen naheliegenden Einwand voraus: das Hauptelement 
der Schönheit des Eiffelthurmes ist seine Größze, d. h. seine Höhe, 
und die geht bei einem Modell verleren. Mir scheint dieier Ein— 
wand nicht ganz stichhaltig. Auch bei einer gothischen Kathedrale ist 
die Größe ein Element der Schönheit; aber da ihre Form und ihre 
Verhältnisse an sich schön sind, so bleiben sie auch in einer noch so 
weit gehenden Verkleinerung schön, wie die Reliquien-Schreine oder 
Zchmuückkästchen in der Gestalt gethischer Bauwerte beweisen. 
Und ist denn überhaupt die Höhe des Eiffelthurms ein Element 
einer Schönheit? Damit sie das sein könne, muß sie doch zum Be— 
wußtsein des Beschaners gelangen. Es ist aber eine seltsame That— 
sache, daß man bei bloßer Betrachtung gar nicht den Eindruck em— 
pfängt, ein se ungeheuer hohes Bauwerk vor Augen zu bhaben. Wenn 
man am Fuße des Eiffelthurmes steht und zu seiner Spitze empor— 
olickt, dann tritt das perspektivische Gesetz der Verkürzung in Wirksam— 
keit. Das Wort besagt zur Genüge, was das fuͤr ein Gesetz ist. 
Der Thurm sieht dann so aus, wie wenn er in sich zusammengeschoben 
wäre, feine gewaltige Länge kommt also gar nicht zur Geltung. Aus 
einer kleinen Entfernung desehen, wirkt er auch nicht überwältigend, 
weil dann die unglückliche Thatsache auffällt, daß er in einer Boden— 
rertiefnng stebt, statt sich von einer Höbe frei und keck in die Lüfte 
zu erheben. Den größzten Eindruck macht er eigentlich noch aus sehr 
jroßer Entfernung. Wenn man sich vem Westen oder Nordwesten 
her im Eisenbahn-Waggon der Stadt nähert, dann siebt man schon 
diele Meilen weit das schlanke Eisengerüst hoch über Paris emvror— 
sagen, die Spitzen aller übrigen Denkmäler tief unter sich lassend, 
wecklos, unverständlich, aber leicht und durchsichtig, ein räthselhaftes, 
doch anheimelndes Währzeichen, das auf gewaltige Entfernung den 
dommenden und Gehenden Willkemmen und Abschiedsgruß zuwinkt. 
Ich für meinen Theil habe einen wirklich ästhetischen Eindruck 
nicht von der Höhe des Thurmes, sondern von seiner Leichtigkeit, die 
man zierlich nennen möchte, und von seinem Unterbau bis zur ersten 
Plattförm empfangen. Da schwingen sich ven steinernem Widerlager 
ier ungeheure Bogen mit athemraubender Kühnheit 40 m hoch in 
einem einzigen Satze in die Luft und bilden eben so viele schwindel— 
erregend hohe und weite Thoröffnungen, durch welche man Dome mit 
Kuppeln und Thürmen fahren kennte. Der ganze Trokadero, Hügel, 
Palast, Minarete, und Alles erscheint in einer solchen Bogenöffnung 
eingerahmt, und zwischen dem oberen Rande des Palastes und dem 
unteren Rande des Bogens ist noch ein ganz gehöriger Spielraum. 
Unter dem Eiffelthurm stehend, empfindet man wirklich die Schauer 
des Erhabenen, wenn man mit bangem Blick dem Schwunge der Bogen 
olgt, die allen Gesetzen der Schwere zu spotten scheinen, welchen der 
Zioff unterworfen ist. 
Und ähnlich ist der Eindruck, den ein zweites Bauwerk hervor— 
hringt, welches in seiner Weise ebenso merkwürdig ist, wie der Eiffel— 
hurm, wenn es auch bisher noch nicht se viel gerühut wurde. Das 
ift die Maschinenhalle. Die Nothwendigkeit hat da ein Wunder— 
werk veranlaßt, das seines Gleichen in der Welt nicht bat. Der Boden 
des Marsfeldes ist schwimmend und gestattet sichere Gründungen nur 
nit unverhaältnißzmäßig großem Aufwande von Geld und Zeit. Die 
Ingenieure, welche die Maschinenhalle bauten, hatten also die Aufgabe 
zu lösen, einen sehr großen Raum unter Dach zu bringen und doch 
'ehr wenige Pfeiler gufzumauern. Diese Aufgabe wurde mit wunder— 
barer Kühnheit gelöst. Der 110 mebreite Raum ist in seiner ganzen 
Weite von keiner einzigen Stütze unterbrochen. Iu großen Abständen 
ruht der gewaltige Juß von eisernen Pfeilern auf einem niedrigen 
gemanerten Unterbau auf, — 
ind springt in Form eines Eielsrückenbogens über den ganzen Raum 
hinweq, uin 110 m weit auf der anderen Seite anf einem ähnlichen 
nterbau wieder zu landen. Es giebt keine Kirche, keine Halle, keinen 
Bahnhof, welche derartige Verhaͤltnisse zeigen und einen derartiger 
Findruck machen würden. Der Holzbau gestattet freilich nicht entfern! 
ein solches Aufstreben und Ausgreifen der Träger, ein solches Hinauf 
Von den großen Weltausstellungen, die in den letzten drei Jaber— 
zehnten in Eurova stattgefunden, hat sich jede bemüht, einen neuen 
Gedanken im Bau, in der Ausschmückung oder Anordnung zum Aus— 
drucke zu bringen. Die Anhäufung von Rohstoffen und Gewerbe— 
Erzeugnissen, die mehr oder minder glückliche Rachahmung fremd⸗ 
ländischer Baudenkmäler, die theaterdekorationsartige Aufstellung von 
Moscheen, Alkazars, Alhambras, Csardas, Isbas, Sonnentempeln, 
Bauernhäusern u. s. w. aus Gyps oder Steinpappe machen keinen 
Tindruck mehr. Die einzige dauernde Erinnerung, die eine Ausstellung 
im Gedächtnisse des Besuchers, wie in der Geschichte der Technik zurück 
läͤßt, ist eben die an den ihr eigenthümlichen neuen Gedanken. 
Der eigene Gedanke der Londoner Weltausstellung von 1862 
war die monumentale Verwendung von Glas, in Eisen eingerahmt, 
ur Herstellung riesiger Wandflächen, wie sie im Krystallpalast, von 
Sydenham zur Erscheinung kam. Die Pariser Ausstellung von 186* 
ntereffirte durch eine geiflreiche Anordnung der ausgestellten Gegen 
stände. Der Palast bestand aus einer Reihe konzentrischer Galerien 
Jeder Kreis nahm eine bestimmte Gruppe von Gewerbe⸗-Erzeugnissen, 
seder Kreisabschnitt, von der Peripherie bis zum Mittelpunkt, ein be— 
stimmtes Land ein. Folgte man einer Kreislinie, so sah man ein 
ind dasfelbe Gewerbe-Erzeugniß, wie es in den verschiedenen Ländern 
hervorgebracht wird, folgte man einem Halbmesser, so sah man alle 
Lerschiedenen Gewerbe-Erzeugnisse ein und desselben Landes. Die 
Wiener Welt-Ausstellung von 1873 hatte ihre Rotunde, das erste 
Beispiel einer Eisenkonstruktion, welche einen ungeheuren Raum ohne 
andere als Randftütze in freier Spannung überdacht. Die Pariser 
Ausstellung von 1878 zeigte den kühnen Versuch einer neuen Bau⸗ 
kunst, welche die Schönheitswirkung der Schauseiten ihrer Bauten 
mit einem gar nicht mehr konstruktiven, nur noch rein dekorativen 
Schmuck von bunten Thoͤnplatten hervorzubringen sucht. Der eigene 
Hebanke der Pariser Weltausstellung von 1889 endlich ist die Er— 
richtung riefenhafter Bauwerke aus Eisen und Stahl allein, mit Aus— 
chluß jedes andern Baustoffs. 
In dieser Hinsicht kann man sagen: der Eiffelthurm ist die 
Parifer Ausstellung von 1889. Er zeigt, was man heute mit 
Fifen erreichen, welche baulichen Aufgaben der Ingenieur mit diesem 
Metalle lösen kann. 
Man kennt heute aus Berichten und Abbildungen alle Einzel— 
zeiten des ungeheuren Werks. Man weiß, daß es dreihundert w 
hoch ist, auf vier Beinen ruht, drei Plattformen und eine Glas⸗ 
saterne enthält, von unten bis oben aus zusammengenieteten eisernen 
Schraägkreuzen besteht, daß seine Spitze selbst beim stärksten, in 
Paris vorkommenden Sturm nicht weiter als zehn bis fünfzehn cm 
don der Senkrechten abschwanken wird, und daß er so eingerichtet 
ist, daß er von der Begrundung zweier seiner vier Beine aus mittels 
Wasserdruck-Vorrichtungen in seiner ganzen Masse nach Belieben 
Jehoben werden kann. Ebensowenig ist es dem Leser unbekannt 
Jeblieben, daß Aufzüge verschiedener Systeme den Besucher von 
unten bis zur dritten Plattforin in etwa sieben Minuten befördern, 
und daß auf der ersten und zweiten Plattform zahlreiche Kaffee⸗, Bier⸗ 
und Gasthäuser eingerichtet sind, wo man, beinahe im Bereiche der 
Wolken, es sich so gut geschehen lassen kann, wie nur irgend auf 
ebener Erde. 
Was nach Allem über den Eiffelthurm schon Gesagten vielleicht 
noch interessiren kann, das sind perfsönliche Wahrnehmungen und 
isthetische Eindrücke eines ruhigen Beobachters. 
Ifl der Eiffelthurm schön? über diese Frage streiten hier die be— 
cufensten Richter: Baukünstler, Maler, Lehrer der Schönheits-⸗Wissen— 
schaft, Philosophen, Dichter, u. s w. seit vielen Monaten. Als man den 
Plan des Herrn Eiffel und die Zeichnung seines Thurmes kennen lernte, 
dar Alles darüber einig, daß dieser Thürm ein Ding von ausbündiger 
Haͤßlichkeit sein werde, Man richtete an die Regierung ein Bitt⸗ 
Fesuch des Inhalts, daß sie die Verwirklichung des Luftschlosses eines 
in Groͤßenwahn leidenden Eisen-Konstrukteurs verhindern möge, da 
der Dreihundert-Meter-Thurm alle Denkmäler von Paris erdrücken, — 
das Bild der Stadt verunschönen werde, überdies nicht den geringsten 
hernunftigen Zweck habe. Dieses Gesuch trug die Unterschrift einer 
Anzahl der ersten Geister des heutigen Frankreichs. Jetzt, da der 
Thurm fertig dasteht, schlagen sich viele Unterzeichner ven, damals 
reuig an die Brust und bekennen, daß sie in ihrer Leichtfertigkeit und 
Unwissenheit gesündigt haben. Nach dem Zwecke des Thurmes 
fragen sie nicht mehr; daß er dem Stadtkilde und den übrigen Bau— 
denkmälern nicht schade, erkennen sie völlig an, und Manche gehen 
iber das Maaß des Gebotenen hinaus und erklären ihn sogar für 
schön, für an sich und ohne Rücksicht auf seine technische Merkwürdig— 
seit schön. 
Diejenigen, die den Eiffelthurm derart bewundern, sind ohne Zweifel 
guten Glaubens. Sie empfinden bei seinem Anblick wirklich an— 
gJenehme Eindrücke. Aber ich glaube, sie irren sich, wenn sie diei 
angenehmen Eindrücke für ästhetische halten. Sie bemübhen sich nich 
genug, die Quellen ihrer Lustgefühle zu unterscheiden. Die stolze Be
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.