Full text: Deutsches Baugewerks-Blatt : Wochenschr. für d. Interessen d. prakt. Baugewerks (Jg. 49, Bd. 8, 1889)

Rechte und Vortheile der Iuuung im Gegensatz zur freien Genojsenschaft. 
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Rechte und Vortheile der Innung im 
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Gegensatz zur freien Genossenschaft. 
J— ⁊ 
Ueber den Unterschied zwischen Innungen und freien Ge— 
nossenschaften entnehmen wir dem Fachblatt „Bäcker- und Con— 
ditor-Zig.“ felgende vergleichende Auseinandersetzung, die, be— 
zleitet von einem Rückblick auf die Entwickelung der Handwerks— 
vereinigungen, auch in unserem Leserkreise Interesse finden dürfte. 
Der Tricbh, Vereinigungen, Gesellschaften, Genossenschaften ꝛc. 
zu bilden, ist tief in der menschlichen Natur begründet und hat 
sich bei den verschiedenen Volkern und in den verschiedenen Ge— 
schichtsperioden auch auf sehr verschiedene Weise entwickelt. Im 
Alterthumtrat das Genossenschaftswesen nur in ganz vereinzelten 
Erscheinungsfermen zutage, im alten Rom z. B. bei Vereinen 
von Handelstreibenden und Handwerkern unter einem gewissen 
obrigkeitlichen Schutze, ohne daß aber diese Genossenschaften 
irgend einen bemerkbaren Einfluß auf die Gestaltung des oͤffent— 
lichen und Privatlebers ausübten. 
Ueppiger wucherte der Genossenschaftstrieb in den germa— 
nischen Ländern des Mittelalters, wo es den gewerbetreibenden 
Bürgern ohne jede Einmischung seitens des noch dürftig ent— 
wickelten Staatslebens überlassen blieb, ihre Verhältnisse unter 
sich und zu anderen Handwerken selbständig zu regeln. 
Die weitaus bedeutendsten der genossenschaftlichen Ver— 
einigungen waren die Zünfte, später Innungen. Diese beruhten 
zunaͤchst auf wirthschaftlicher Basis, indem sie die für die ein— 
zelnen Gewerbe erforderlichen gemeinsamen Anstalten, Armen— 
unterstützungs-, Wander- und Krankafsen, gründeten und ver— 
walteten, die Arbeits- und Arbeiterverhältnisse in denselben 
regelten und hierdurch die ganze Produktion des einzelnen In— 
dustrie-Rweiges in ziemlich durchgreifender Weise organisirten, 
hatten aber außerdem auch den Zweck, nicht allein Schutz gegen 
Unterdrückung und Gewalt von Seiten der damals herrschenden 
Kasten der Ritter und Patrizier zu gewähren, sondern auch den 
heimathlichen Herd gegen Angriffe von außen zu vertheidigen, 
sowie endlich einen geordneten Rechtszustand herbeizuführen. 
Infolge dieser Organisation dehnte sich denn auch das 
Zuuftwesen bald mächtig aus und hob den Handwerksstand zu 
hoher Blüthe empor. 
Solange die Zünfte sich, abgesehen von ihrem bedeutenden 
Einflusse in städtischen und auch staatlichen Angelegenheiten, 
lediglich die vorerwähnten Zwecke als Ziel nahmen, solange sie 
es sich angelegen sein ließen, ihre Lehrlinge für das gewerbliche 
Leben angemessen auszubilden und zur Rechtschaffenheit, Wohl— 
aufständigkeit, Tüchtigkeit und Gottesfurcht zu erziehen, solange 
sie für arbeitsunfähige und kranke Mitglieder ihrer Zunft, fur 
ihre Wittwen und Waisen gewissenhaft sorgten, in ihren Ge— 
boten und Verboten das Gewerbe selbst zu vervollkommnen, den 
alten guten Ruf der Zunft zu bewahren und darauf zu halten 
strebten, daß die heranwachsenden Geschlechter zu allem Guten 
erzogen und vor allem Bösen und Gemeinen ernstlich behütet 
wurden, solange blühte auch Wohlstand und Sitte im Hand— 
werk und auf den bürgerlichen und künstlerischen Aufschwung 
desselben in jener Zeit findet so recht das Sprichwort Anwen— 
dung: „Handwerk hat goldenen Boden.“ 
Diesen Höhepunkt erreichte das Handwerk bei Beginn des 
17. Jahrhunderts. Durch die damalige traurige Lage Deutsch— 
lands während der Reformationsstürme und der Draugsale des 
30 jährigen Krieges, wo rehe und aller Sitten baare Völker— 
stämme das Land überschwemmten, durch den Eintritt des Aus— 
schließungssystems und der Auffassung des Handwerks als eines 
monopolartigen Vermögensrechts, wo die Zunft nicht mehr eine 
freie, sondern eine erzwungene war, welche den Mit- und Wett— 
bewerb der Berufsgenossen auf die engsten Grenzen einzuschränken 
juchte, den jungen Meistern den Einkritt in dieselbe auf alle er— 
nenkliche Weise erschwerte, ja unmöglich machte und außer sich 
keinen freien Handwerker duldete, da wurde nicht allein dadb 
Zunftleben, sondern auch das Handwerk, der Wohlstand und die 
Sittsamkeit unseres deutschen Volkes auf einige Generationen 
zeschädigt und zum Theil ganz vernichtet. 
Aus diesen Verhältnissen heraus machten sich mehr und 
mehr jene Einflüsse geltend, denen der moderne Staaf seine 
Entstehung verdankt. 
Pei der weiteren Aushildung seiner Verfassung, der frühberen 
Tüchtigkeit des Handwerkerstandes gedenkend und mit klarem 
Blick erkennend, daß dieser der erste Kern des Bürgerstandes 
und die beste Stütze seines staatlichen Bestehens sei, erließ man, 
als das Handwerk nicht im Stande war,, aus sich heraus sich 
hon den schweren Schlägen zu erholen, eine allgemeine Hand— 
verks⸗Ordunng. Hiernäch hatten die noch, bestehenden Zünfte 
der einzelnen Gewerke ihre Privilegien (heutigen Statuten) auf— 
ustellen. Es wurden die beengenden Bestimmungen des Zunft⸗ 
bens, die in dasselbe eingeschlichenen überlebten Mißbräuche, 
velche das Handwerk lähmten und, keinen Fortgang zuließen, be— 
reitigt und neue zeitgemäße Bestimmungen eingefuͤhrt, welche 
eine Wiederbelebung uͤnd Fortentwickelung erhoffen ließen. 
Der Handwerkerstand erholte fich bald infolge dieser Maaß— 
nahmen und der Wohlstand blühte, wieder auf; aber eben diese 
züustige Wendung ließ die neu gebildeten Innungen wieder die 
zu ihrer Erhaltung nothwendigen Grenzen überschreiten und in 
Ze alten Fehler, wie sie oben erwähnt sind, verfallen, wodurch 
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zurch die Entfesselung der wirthschaftlichen Kräfte zu beseitigen 
hoffte. 
Er führte die vollständige Gewerbefreiheit ein, erklärte die 
Lösung eines Gewerbescheins für genügend zur Eröffnung eines 
Hewerbebetriebes, hob den Unterschied zwischen Stadt, und Land, 
sowie alle Vorrechte, welche mit der Mitgliedschaft einer Zunft 
»der mit dem Besitz eines Grundstückes in gewerblicher Be— 
iehung verbunden waren, auf, ließ die Handwerker-Zünfte oder 
Innungen als freie Genossenschaften zur gemeinsamen Förderung 
des Gewerbebetriebes bestehen, nahm ihnen jedoch ihre früher 
— 
nicht den gehofften Erfolg; das Handwerk ging infolge dieser 
Maͤßnahmen mehr und mehr zurück. An allen Ecken und Enden 
regte es sich in Handwerkerkreisen, welche erklärten, daß das 
Gewerbewesen, wie es sich unter der Herrschaft der Gewerbe— 
freiheit gestaltet habe, in einen ordnungslosen Zustand aus— 
geautet sei, welcher den gefammten Handwerkerstand in seiner 
Eristenz bedrohe und der Vernichtung preisgebe. 
Wiederholte devisionen der Gewerbeordnung ergaben zwar 
in einiger Beziehung eine Abänderung, ließen es aber im Prinzip 
beim AÄlten, d. h. es blieb bei der Gewerbefreiheit und den freien 
Genosfenschaften, indem der Staat sich auf den Standpunkt 
fellte, daß es nicht sein Recht sei, der Entwickelung der Innungen 
eine fördernde Thätigkeit zuzuwenden. 
Aber immer von Neuem wurde aus Handwerkerkreisen die 
Forderung gestellt, den Innungen eine entscheidendere Ordnung 
zu geben, deren Nothwendigkeit sich nun auch die Staats— 
regierung, welche die Verfassung der freien Genossenschaften mit 
den inzwischen auf volkswirthschaftlichem Gebiet vollzogenen 
Iroßartigen Umwälzungen nicht mehr im Einklang fand, nicht 
herschließen konnte. 
Diese Einsicht führte zur Vorlage des Reichsgesetzes vom 
18. Juli 1881, betreffend die Abänderung des Tit. VI der Ge— 
verbeordnung: „Innungen von Gewerbetreibenden“, und zwar 
zing die Staatsregierung in der Begründung dieser Vorlage 
hon' dem Gesichtspunkte aus, daß unterschieden werden müsse 
zwischen denjenigen Aufgaben, 
„welche den geschichtlichen Kern des Innungswesens bilden 
(S8 97 und 97 2) uͤnd welche überhaupt oder, wenigstens mit 
dauerndem Erfolge nur durch die genossenschaftliche Thätigkeit 
einer Berufsgenossenschaft gelöst werden können und erfüllt 
werden müssen, wenn die Genossenschaft die Berechtigung, 
als eine im öffentlichen Interesse aufrecht zu erhaltende Kor— 
poration anerkannt zu werden, nicht verlieren will“ 
und solchen Aufgaben, 
„welche die einzelnen Innungen, je nach den vorhandenen Be⸗ 
dürfnissen und Kräften, in den Bereich ihrer Thaͤtigkeit ziehen 
können, wo es aber nicht Aufgabe der Gesetzgebung sein könne, 
derartige nußlose Vereinigungen (freie Genossenschaften) mit 
Korporationsrechten auszustatten.“ 
Dieser Rückblick auf die geschichtliche Entvickelung der Hand— 
werksgenosfenschaften liefert uns lehrreiche Vorgänge und ist der 
beste Spiegel für die Gegenwart, auch wenn dieser uns fast 
uͤberall ein häßliches, abstoößendes Bild zeigt. 
Kommen wirt nun zu dem Vergleich der Vor- und Nach— 
theile der reorganifirten Junungen und der freien Genossenschaften, 
faiebt fich ans der oben angeführten Gesetzes-Begaründung.
	        
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