Barock- und Recocostyl.
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Gegensatze, daß man kaum begreift, wie man das Eine und das
Andere gleichzeitig schön finden kann.
Daß man dies dennoch kann, das ist eben der Vorzug unserer
'o gänzlich unparteiischen Zeit. Ein eigner, allgiltiger Styl, der
aus unserer heutigen Kultur hervorgewachsen wäre, wie beispielsweise
die Gothik aus derjenigen des XIII. Jahrhunderts, und der wie jene
in weniger als einem Menschenalter die ganze abendländische Welt
erobert, vor keiner politischen eder Nationalitätsgrenze zurückweichend
—ein solcher Styl des XIX. Jahrhunderts fehlt uns bekanntlich,
und wir begnügen uns seit mehr als drei Generationen damit, in die
Vergangenheit zu greifen, bald diese, bald jene Formensprache derselben
als die allein passende in unsere heutige Bankunst einzustellen. Treffen
wir dabei auf eine völlig ausgelebte, bis in ihre letzten Konsequenzen
entwickelte Stylgattung, wie es die Gothik war, so besteht die Wieder
aufnahme in einem mehr oder weniger regelrechten Kopiren. — Ist
dagegen ein Styl an der Reihe, der, wie der romanische eder die
deutsche Renaissance“, in der Vergangenheit noch nicht sein letztes
Wort gesprochen hat, sondern kurz vor dem Abschluß seiner Ent
wicklung durch eine mächtigere Richtung überholt und verdrängt wurde,
so bleibt den schöpferischen Geistern unserer Tage die dankbare Ge
legenheit, an dem überlieferten Rest weiterzubilden und die Ken—
equenzen im modernen Sinne zu ziehen, zu welchen den früheren
Jahrhunderten keine Zeit gelassen war.
Früher noch, um die Mitte unseres Jahrhunderts, war das Aus—
—DD
Erregung der Geister verbunden. Man verpflichtete sich nicht nur
mit Kopf und Hand, sondern auch mit dem Herzen dem gewählten
Styl, und wir wissen von erbitterten literarischen Kämpfen, welche
rheinische Gothik gegen Berliner Griechenthum ausgefochten. Heute
haͤt eine friedlichere Stimmung Platz gegriffen, man achtet, auch die
Neberzengung desjenigen, der nicht zur gleichen Fahne schwört, und
ucht nicht mehr mit dem früheren Fanatismus für denienigen Styl
Propaganda zu machen, zu dem man selbst sich bekennt.
Der Hauptgrund für diese erfreuliche Erscheinung liegt wohl, in
der im neuen Deutschland so gewaltig gesteigerten Zahl der Aufgaben
des Privat- wie des Monumentalbaues, die Jedem Gelegenheit geben,
unbekümmert um den Nachbar, seine Ueberzeugung zu vertreten. Sehr
wesentlich spricht aber auch die Schnelligkeit mit, in welcher sich heute
der Wechsel des Geschmacks vollzieht.
Deun gewaltig raich geht es in den letzten Jahrzehnten mit dem
Aufnehmen und Fallenlasen der Formeniprachen in den dekorativen
Künsten! Bei dem Tempo, in welchem die romantische Schule dem
Klafficismus der Romantik, die Renaissance, dieser jetzt wieder die
Stylarten der Spätzeit gefolgt sind, scheint es gar nicht mehr lehnend,
seeine volle Ueberzeugung für einen Stol eiuzusetzen, der uns vielleicht
im Augenblick besonders nach dem Herzen ist, von dem wir aber nicht
bestimmt wissen, ob unsere persoͤnliche Entwicklung uns nicht schon
binnen Kurzei über ihn hinaus führen wird, rascher vielleicht, als die
allgemeine Geschmacksrichtung mit ihm fertig wird; denn das persönliche
ästhetische Wohlgefallen ist, noch von anderen Faktoren abhängig und
vechselt daher unter Umständen schneller, als das der Altgemeinheit
Erinnern wir uns doch, daß Goethe, auch der bildenden Kuns
gegenuͤber eine der feinfühligsten Naturen, noch im Jahre 1772 beim
Skudium des Straßburger Htünsters seine Betrachtung über „deutsche
sunst“ schrieb, jenen, den Manen Erwins von Steinbach geweihten
Lobgesang der gothischen Baukunst — und daß er schon 15 Jahre
spaͤter, von Venedig aus, diese Regung selbst verneint und die Hoff⸗
mingausspricht: „von den ,kauzenden Enalein‘ nun auf die Dauer
befreit zu sein.“
Eine solche Erfahrung, die auch heute kaum Einei, der sich um
Stylfragen ümnmert, erspart bleibt, muß uns nothwendig verzweifeln
lassen an dem, was absolut wahr und richtig ist, oder sie muß uns
zur Ueberlegung hinführen, daß das, was da wechselt, doch nicht das
Wesen der Sache, sondern nur ihr Kleid ist, und daß, während an
der Oberfläche sich unserem Auge Alles in unaufhörlichem Fließen
und Wechseln begriffen darstellt, darunter doch etwas Bleibendes,
Sicheres existirt, was von der Unbeständigkeit der Mode nicht berührt
wird. Ohne einen Ausflug in die hohe Aesthetik wird es freilich schwer
ein, dies Bleibende zu erklären. Allein wir können uns ja auch
wesentlich auf das Gebiet der dekorativen Kunst, beschränken, und hien
ist das, was wir suchen, ungleich leichter namhaft zu machen. Win
berstehen uns darüber schon eher, wenn wir den Begriff „guter
Geschmack“ einführen; und dieser ist weniger ein Codex positiver
Gesehze, als eine Warnung vor Uebertretungen. Als Prüfstein guten
Geschmacks können wir es immer ansehen, wenn ein Ding vieler
Leuten von gesundem Sinn und einer ästhetischen Durchschnittsbildung
Jefällt. Daß aber derartig geschmackvolle Bildungen nicht von der
Zunehaltung eines bestimmten Styls abhängig sind, können wir er—
kennen, wenn wir mit' einer gleichgestimmten —ER
Gewerbemuseen durchwandern. Da wird hier eine verzierte Hand—
schrift aus dem frühen Mittelalter, dort eine Stickerei aus dem XVJ.
Jahrhundert, bald eine Schmiedearbeit aus der Spätgothik, bald ein
Muoͤbel der Rococozeit Gegenstand des Beifalles sein und zur Nach—
aAhmung empfobhlen werden. Und wir werden an den Ausspruch
Jakob Burghbards erinnert werden: „Ueberall, wo ein Reiz für das
Auge vorliegt, ist sicher auch ein Element der Schönheit vorbanden.“
Dieser Standpunkt des naiv Genießenden genügt uns aber doch
nicht ganz, wenn wir zu einer bestimmten Gruppe histeriicher Formen
Stellung nehmen wollen. Eine gewisse Menge geschichtlicher Daten,
sichere Klassifizirung werden wir nicht entbehren können, wenn wir
nicht in ein unfruchtbares Streiten über Namen, Zeitgrenzen und Be—
griße gerathen sollen. Speziell in unserem Falle begegnen wir that
sfächlich schon einer so hübschen Verwirrung in Namen und Anschau—
ingen, daß eine ganz kurze historische Verständigung nicht zu umgehen
ein wird. Oder sollten selbst die Fachleute die drei Bezeichnungen
„Barock“, „Rococo“ und „Kopf“ immer in aanz korrektem Sinne
gebrauchen?
Die Franzosen und ebenio auch die Engländer und neuerdings
die Oesterreicher haben diese Unterscheidung weit leichter, weil sie die
Styl-Nuancen nach den Königen benennen, mit deren Regierungszeit
die Blüthe derselben ungefähr zusammenfällt. So können dieselben
die Bezeichnung des Barock durch „Louis quatorze“, des Rococo durch
„Regencè“ und „ILouis quinze“, endlich den späteren Stvl mit
ILouis scize“ bezeichnen und sind sicher, ganz allaemein verstanden
zu werden.
Die Barockkunst ist das letzte Wort, welches die Renaissance ge—
sprochen hat. Die Aufgabe der letzteren war gewesen, den ganzen
Junhalt ihrer Zeit in die Formen antiken Lebens zu gießen; speziell
in der Architektur waren die Baureste der Römer die unmittelbaren
Vorbilder. Diese Vorbilder waren erschöpft. Die Motive waren be—
nutzt, kopirt und variirt. Der stets neue Inhalt des politischen Lebens
drängte nach neuen Formen, und nun war es Michel Angelo und
seine Schule, welche die Antike zu übertreffen suchten, und indem sie
ür uneue Ideen eine neue Sprache auszubilden strebten, sich von der
Bevormundung der Antike zu befreien suchten. So entstand in Italien
der Barocco, das immer noch auf der Formensprache der Renaissance,
namentlich auf deren Säulenordnungen beruhte, in jeder Weise aber
diese Fessel zu sprengen, starke Effekte mit neuen Mitteln zu erreichen
trebte.
Aber nicht in Italien sollte der Barockstyl seme höchste Ent—
faltung finden: die absoluteste Fürstenmacht der neueren Geschichte,
?udwig XIV. von Frankreich, fand in der pomphaften Sprache dieses
Kunstftyls den passendsten Ausdruck für die Sonnenhöhe, in welcher
»r über allem Geschaffenen stand. Wenn man in einem Baustvl
anen geschichtlichen Gedanken ausdrücken kann, jo ist die wahnwitzigt
Selbstvergötterung dieses Fürsten auf's Klarste den Schloßbauten des
Barockstyis aufgeprägt, die derselbe geschaffen. Und lehrreicher noch
als das, was ausgefuührt werden konnte, sind die Entwürfe, die künst-
lerische Phantasie bleiben mußten: die Dekorationsräume eines Lepautre.
Die enge Beziehung zwischen dem Hofleben Ludwig's XIV. und
dem Styl des Barocco ist der Anlaß zu dem weit verbreiteten Irr—
tbum, als hätten wir in demselben Sinne im Rococostol den Aus—
druck des am Hofe der Regentschaft und Ludwig's XV. herrschenden
Geistes. Und da dieser Geist nach keiner Richtung hin ein schöner
ind wohlanständiger war, so ist von der berechtigten Abneigung, dem
noralischen Bedenken, welchem derselbe begegnet, ein unverdienter
Zchatten auf den Recocostyl gefallen. Und doch bezeichnet dieser
Styl, wenn wir ihn im Zusaminenhang mit anderen Aeußerungen
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des geistigen Lebens jener Zeit betrachten, geradezu eine Reaktion
zegen den übermächtigen Einfluß der Höfe auf das Leben der Nationen,
hie ihn die Zeit des Louis quatorze ausgeübt hatte. Es machte sich
eine Neigung zum Privatleben unter den tonangebenden schönen
Heistern der damaligen Zeit geltend. Springer zeigt, wie verlassen
gerade damals der Hof war und welch bedeutsamer Unterschied stattfand
Jegen das pomphafte, alles aufsaugende Hofleten unter Ludwig XIV.
In weiterem Sinne sind hier auch die englischen Humoristen, ein
Swift, Smollet, Sterne in ihrer Beziehung zum Rococo anzuführen,
zie (als bewußte Nachfolger Cervantes) um diese Zeit den Boden
des Ritterthums und des Hofes verließen, um das bürgerliche Leben
zu schildern und mit dem Reize ihrer Datstellung zu adeln.
Hatte das Barock, wie oben gesagt, noch das ganze Gefüge der
Renaiffance überkommen und sich somit als einer jener Style gezeigt,
hei welchen die Motive: „Stütze und Last“ oder „Säule und Ge—
»älk“, bezw. „Säule und Bogen“ die Grundlage für alle Formen⸗
zehandlung bildeten, so bricht das Rococo mit dieser Tradition voll—⸗
tändig, wenigstens da, wo es sich in seiner ganzen Eigenthümlichkeit
zeigt, bei der „Innendekoration“.
Die organische Wechselwirkung, zwischen der Säule und dem, was
dieselbe trägt, verschwindet; wo eine pilasterartige Stütze vorkommt,
derflüchtigt sie sich zum Ornament, , und wir haben im Rococo das
zweite große Grundprinzip aller architektonischen Bildung: „Rahmen
ind Füllung“. Das Rococe ist ein echter „Rahmenstol“. Und zwar
ist es der Rahmen selbst, dessen Dekoration die Erfindundungskraft
des Künstlers in Anspruch nimmt, weit mehr als die Füllung, welche
der Rahinen umschließt. In letzterem sehen wir ein Spiel der Linien,
das man geradezu für lebend halten möchte — keine Starrheit der