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Der Geist im Gewerbe.
Auszug aus einer von Herrn Direkter E. Rudolph im Haudwerter Verein
zu Chemnitz gehaltenen Festrede.)
Wenn wir durch die Gewerbemuseen und Industrie-Aus—
stellungen unserer Zeit wandern, so begegnen wir einem gewaltigen
Ringen und Schaffen, daß uns zur Bewunderung hinreißt, so
ergreift uns ein Staunen über die auf allen Gebieten der Kunst
und des Gewerbes von Jahr zu Jahr mächtiger hervortretende
Entwicklung. Und wenn es unseren Vorfahren vergönnt sein
könnte, die großartigen Erfindungen und Entdeckungen in dem
nun bald sich zu Ende neigenden Jahrhundert zu überschauen,
sie würden mit dem vor 2000 Jahren lebenden Dichter der
‚Antigone“ ausrufen: „Vieles Gewaltige lebt, doch nichts ist
gewaltiger, als der Mensch.“ Ja, in jenen Errungenschaften
offenbart sich ein Geist, der die Menschheit aus beschränkter
Enge herausriß und sie zur gewaltigen Eroberin des Erdballs
machte, der alle kommerziellen und gewerblichen Verhältnisse
vollig umgeändert hat, und das ist der Geist des Gewerbes,
der Geist der Industrie.
Dieser Geist hat uns auf eine Höhe der Entwicklung geführt,
von welcher aus wir in tiefster Seele inne werden, daß es noch
etwas anderes giebt, als was das körperliche Auge überschaut.
Raum und Zeit, diese Schranken, welche stets die Menschen an
die engen Grenzen ihres Koͤnnens mahnten, sie sind gefallen;
setzt doch jener Geist heute mit der Kraft des Dampfes und der
Elektrizität siegreich über dieselben hinweg, segelt doch der beutige
Luftschiffer mit Stolz und Sicherbeit zu den Wolken hinauf,
hoch über die Gegenden, zu welchen der Flug des Adlers sich
zu erheben vermag.
Was vor 60 Jahren nur ein Phantafsiegebilde war, heute
ist es Wahrheit geworden. Ein Band, von Eisen geschmiedet,
umschlingt den Erdball und verbindet die Völker zu einer nie
geahnten Gemeinsamkeit. Ein wunderbares Netz schwebt in den
Lüften über der Erde, deren Nächte taghell gelichtet sind, ein
Netz, dessen Fäden die Nerven des Menjchengeistes sind, welche
schreibend und sprechend mit Gedankenschnelle die Empfindnnaen
für Alles vermitteln, was die Menschbeit bewegt.
Das hat der Geist der Industrie gethan. Und blicken wir
noch auf den ungeheuren Troß unserer heutigen Maschinen, die
mit Hilfe der Naturkräfte den Menschen von dem Jeche roher
Arbeit erlösen, so offenbart sich auch hier sein gewaltiges Streben.
Ja, wie er äußerliche Erfolge in nie geahnter Weise erzielt hat,
so hat er auch nach innen seine Thätigkeit entfaltet. In immer
weiteren Kreisen wird das mechanische Thun durchgeistigt und
dadurch veredelt, so daß in immer wachsendem Grade die rehe
Kraft ihre Macht der Bildung abtreten muß, daß das Streben
nach Wabhrheit, Schönheit und Reinheit immer deutlicher hervor—
tritt. Immer mächtiger zeigen sich unter seinem Einflusse die
Bestrebungen der Kultur, immer größer werden die Kreise, die
sie zieht, immer stärker ihre Ausläufer. Der Baum der In—
dustrie setzt immer kräftigere Aeste und Zweige an, und schen
prangen an ihm herrliche Blüthen menschlicher Bildung in den
Erzeugnissen der Kunst und des Kunstgewerbes; schon vffenbart
sich, nachdem jener Geist die Fesseln, welche früher dem Gewerbe
angelegt waren, mit eisernem Fleiße und unbesiegbarer Ausdauer
gesprengt, eine Entfaltung der Kräfte nach allen Richtungen hin
und infolge dessen eine gesteigerte Leistungsfäbigkeit.
Man erkennt aus dieser reichen Wirksamkeit, wie des Geistes
Streben darauf gerichtet ist, uns die kurze Spanne Zeit, die
uns das Leben zugemessen hat, durch Befriedigung unserer Be—
dürfnisse zu erleichtern, zu verschönern, bequemer und erfreulicher
zu machen. Er will aber auch Alle, die sich in seinen Dienst
stellen und seiner Führung anvertrauen, geistig und sittlich heben
und praktisch vervollkommnen. Darin ruhte sein inneres Wirken
seit Jahrhunderten, und das hat er sich auch für die Zukunft
zur Aufgabe gestellt, denn das ihm vorschwebende Ideal ist noch
nicht vollkommen erreicht; ist er sich dech bewußt, daß in der
Industrie, wie in allem Irdischen, noch viel höhere Offenbarungen
wohnen, als der gewoͤhnliche Mensch vermuthet. Um diese zu
enthüllen, um es überhaupt dem Geiste möglich zu machen,
seinen großen und umfassenden Einfluß auf Kunst und Ge—
werbe auszuüben, müssen Diejenigen, welche sich seiner Leitung
unterstellen, um sich den ihnen vorschwebenden Zieien zu nähern,
zu einer tieferen, klareren, perständiagen Einfidet' Sebiaün
nüssen sich in Verbindung mit den Jüngern der Wissenschaft
etzen, die seither meist allein berufen waren, das Wirken unseres
Heistes durch Forschungen, Entdeckungen und Erfindungen zu
interstützen.
Sein Streben geht darum dahin, ein mehr freundschaft—
iches Verhältnißz zwischen Wissenschaft und Gewerbe herbei—
zuführen, den Vertretern beider klar zu machen, was sie gewinnen,
venn sie in innigem Bunde miteinander stehen. Wie der Wissen—
chaftler durch diese Wechselwirkung den Vortheil hat, daß seine
Aufmerksamkeit häufig auf Einzelheiten der Erfahrungen hin—
gelenkt wird, welche er so oft versucht ist, aus den Augen zu
»erlieren, wie er, da ihm in der Praxis so manches entgegen—
ritt, wovon seine Theorie keine Rechenschaft zu geben vermag,
zu neuen Untersuchungen getrieben wird, so seßen den Gewerbe—
reibenden die gewonnenen wissenschaftlichen Kenntnisse in den
Stand, die Gründe für dasjenige, was er sich vornimmt, ein—
zusehen, weshalb er dann vieles zu leisten vermag, was ihm
»orher unmöglich war. Er wird mit mehr Verstand, mit mehr
Einsicht, in Folge dessen auch mit mehr Liebe und Freude, er
wird fleißiger und besser arbeiten; sein Geist wird sich zu einem
Frfindungsgeiste entwickeln, indem er sich fortgesetzt Fragen vor—
egt, welche sich nur durch neue Versuche beantworten lassen.
Daran liegt dem Geiste des Gewerbes ganz besonders viel, und
da die Versuche in der Hauptsache darin bestehen, sich die Kräfte
der Natur mehr und mehr dienstbar zu machen, führt er den
Hewerbetreibenden vor allem in die Wissenschaft ein, welche die
zroße Wahrheit, daß die Natur nach ewigen Gesetzen sich richtet,
nicht allein lehrt, sondern auch beweist, und nicht nur beweist,
sondern auch vor Augen stellt.
Zur Kenntniß der Natur will er die Seinigen führen, da—
mit sie in den Stand gesetzt werden, die gewaltigen Kräfte der
Natur nach ihrem Willen zu lenken, „denn nur die Wissenschaft
bon der Natur giebt die Macht über die Natur.“ Mit ihrer
Hilfe können die Gewerbetreibenden des Vaterlandes Natur—
erzeugnisse fleißiger und besser benutzen, mit ihrer Hilfe kommen
dann auch die Entdeckungen und Erfindungen auf den ver—
chiedenen gewerblichen Gebieten rascher in Umlauf und zur An—
vendung. So stellt der Geist des Gewerbes seine Jünger vor
hhere Aufgaben. Damit sie sich aber dieser Aufgabe recht be—
wußt werden, sucht er auch ihre allgemeine Bildung zu fördern.
Er will ihnen überhaupt die Augen öffnen für das Wesen der
ie umgebenden Welt der Menschheit, will das Licht des Wissens
inn ihre Köpfe leuchten lassen, damit sie klar werden über das—
enige, was ihnen frommt. Um deswillen reicht er schon dem
s)eranwachsenden gewerblichen Geschlecht gute geistige Speise und
regt einen Wettkampf an zur Erreichung höherer geistiger Bil—
dung. Er hat erkannt, daß er einen falschen Weg einschlagen
vürde, wollte er die gewaltigen industriellen Fragen lösen, ohne
zleichzeitig die intellektuelle Förderung der Gewerbetreibenden
in's Auge zu fassen. Darum dringt er darauf, daß der Hand—
verker in seinem Berufe sich stets seines Zweckes und seiner
Aufgaben klar bewußt wird, daß er mit Verständniß die ihm
»argebotenen Mittel zu seiner weiteren beruflichen Ausbildung
ich dienstbar macht. Er will keine Handlanger in den Werk—
tätten, sondern denkende Leute, die immer bedenken, was sie
vollbringen, die jede Arbeit als eine Verkörperung der Gedanken,
als eine äußere Gestaltung des innerlich als wahr, schön und
zut Empfundenen ansehen. Jener Maler war ihm recht, der
on Jemandem einst gefragt, welches wunderbaren Verfahrens er
ich zur Mischung seiner Farben bediene, antwortete: „Ich mische
sie mit meinem Kopfe.“
Zur Erreichung solcher Ziele stellt der Geist des Gewerbes
die Schule, die Fachschulen und gewerblichen Fortbildungsschulen,
in seinen Dienst. Wohl weiß er, daß das Handwerk nicht aus
Büchern erlernt werden kann, daß tüchtige Handwerker aus
üchtigen Werkstätten hervorgehen, aber da ihm die Vergeistigung
der Arbeit als das befte Mittel erscheint, die Gewerbetreibenden
»on rein mechanischem Thun zu befreien und den inneren, see—
lischen Werth der Arbeit zur Anerkennung zu bringen, so leitet
er als ein weiser Erzieher die jungen Leute in die Schulen, wo
sie in die Theorie der verschiedenen Arbeitsgebiete eingeführt, wo
sie in den Stand gesetzt werden, sich mit Kopf und Herz auch
einem idealeren Streben hinzugeben, wo sie sich eine gegen—
wärtig auch für den Handwerkerstand so nothwendige kauf—
ännische Bispung anecianen fönnen, welche ihnen viele VNor—