Full text: Deutsches Baugewerks-Blatt : Wochenschr. für d. Interessen d. prakt. Baugewerks (Jg. 49, Bd. 8, 1889)

Der Geist im Gewerbe. 
Der Geist im Gewerbe. 
Auszug aus einer von Herrn Direktor E. Rudolph im Handwerker-Verein 
zu Chemnitz gehaltenen Festrede.) 
ESchluß.) 
Um weiter dem gewerblichen Leben einen idealeren Zug zu 
zeben, läßt der Geist des Gewerbes durch Fachblätter Bildungs⸗ 
koff aller und edelster Art in die Werkstätten tragen, eröffnet er 
nit jedem Jahre neue Bibliotheken, um die literarischen Er— 
eugnisse, welche dem Einzelnen neue Gedanken zuführen, dem 
on zugänglicher zu machen; und auch hier wieder sorgt er 
nit Hülfe der Maschinen für die Verbilligung und Verallge— 
meinerung der Literatur. Dies alles thut er in der Erkenntniß, 
daß nur durch Anregung und Belebung eines mehr wissenschaft⸗ 
lichen Sinnes das Handwerk eine höhere Stellung erreichen, 
mehr und mehr sich zur Kunst entwickeln kann. 
Der Geist der Industrie und des Gewerbes will aber auch 
Diejenigen, welche sich seiner Führung anvertrauen, versittlichen. 
Der Mensch, dessen vielfache — estillt sind (und sie 
werden durch das Wirken des Geistes ü ist sicher ein 
Anderer, als der, dem noch alles zu wünschen übrig bleibt. Wer 
„efriedigt ist, fühlt sich freier, selbständiger, und wer frei und 
elbständig ist, ringt nach Höherem, wünscht sich zuletzt auch 
mit dem Scheine der höchsten Schönheit zu umgeben. Er ver— 
hindet sich mit allem Edlen und Guten in der Welt. Ueberall, 
wo der Mensch etwas Löbliches im Gewerbe vollbringt, da spürt 
nan den sittlichen Odem, den veredelnden Einfluß des Geiftes 
der Industrie. Er sucht also in seinen Anhängern nicht nur die 
intellektuellen Fähigkeiten, sondern auch die Waͤrme des sittlichen 
Befühls zu steigern und eine solche Tiefe der sittlichen Gesinnung 
yerbeizufuͤhren, welche jede Unreinheit der Motive des Handelns 
zu entdecken und zu bekämpfen bemüht ist. Jeder Gewerbe— 
reibende wird sich —* veredeln und wird sich aller Kunstgriffe 
chämen, wodurch so Mancher unerlaubten Vortheil sucht. 
Wie der Geist die Willenskraft des Einzelnen stählt, mit 
deren Mangel so viel Halbheit und Unentschlossenheit verbunden 
ist, so erweckt er auch das Pflichtgefühl, die Gewissenhaftigkeit, 
die sich stes der mit der Berufsaufgabe verbundenen Verant— 
wortlichkeit bewußt ist, so regt er auch an zum Worthalten und 
zum Respekt vor dem gegebenen Versprechen, zur Pünktlichkeit, 
zu einer lebendigen, anhaltenden Thätigkeit, zum Fleiße, diesem 
Hauptträger der Sittlichkeit. Ja, noch mehr — indem er das. 
Sefuͤhl der Abhängigkeit von einer höheren Kraft wachruft, führt 
er seine Jünger zu der seligen Gemeinschaft mit Gott und läßt 
iie alle Treue, Ausdauer und Freudigkeit in ihrem oft harten 
Arbeitsdienste sich von oben erbitten. 
Freuen wir uns, daß der Geist auch dem Handwerke ein 
Jjohes, sittliches Ziel steckt. Möge die damit dem Gewerbetreiben⸗ 
hen zufallende Aufgabe auch manchmal schwer sein, sie zeigt ihm 
doch auf das Unzweideutigste, daß und wieviel er dazu beitragen 
'ann und soll, unser Leben, indem er es verschönert, auch zu 
zersittlichen. Die Gewerbetreibenden sollen nicht allein den 
räftigen Mittelstand bilden, in welchem Fleiß und Redlichkeit, 
Natürlichkeit und Unabhängigkeitssinn die festesten Säulen des 
Staates sind, sie sollen mithelfen an der sittlichen Vervollkomm— 
nung der großen Gemeinschaft und sie von allem Gemeinen, 
Rohen und Unedlen befreien. Handwerk hat also nicht allein 
einen goldenen, es hat auch einen geistigen, einen sittlichen, einen 
dealen Boden, und diesen hat ihm der Geist der Industrie 
zegeben. 
Wohin wir auch im Gebiete der Wirksamkeit dieses Geistes 
licken mögen, überall tritt uns das Bild der Verklärung des 
Niedrigen, der Vergeistigung und Versittlichung der Arbeit ent— 
zegen. Wie des Lebens hoͤchste Aufgabe ist, uns selbst zu ver— 
lären, d. h. die streitenden Gegensätze von Unvollkommenem, 
»on Niedrigem und Hohem zu versöhnen, also hat auch die In— 
zustrie in der Verklärung des Niedrigen die höchste sittliche Auf— 
zabe zu lösen, hat nach dem Idealen zu streben. Dadurch erst 
erhält der Geist seine Frische und Lebendigkeit, jenen erhabenen 
Schwung,jenen gesammelten Ernst, ohne den nichts Großzes 
gelingt, jene Energie, die keine Hindernisse scheut, sich durch keine 
zerfehlten Erfolge entmuthigen läßt. 
Achten wir auf die dritie umfassende Wirksamkeit des Geistes 
des Gewerbes, so besteht dieselbe darin, daß er seine Juͤnger 
tuch praktisch zu vervollkommen sucht. 
Wie er Ideen erweckt, so leitet er in der Erkenntniß, daß 
ieselben, sobald sie sich auf bloße Einsicht beschränken, keinen 
Verth haben, den Gewerbtreibenden an, das in der Idee ent⸗ 
altene Urbild, überhaupt Alles, was er für die irdischen Be⸗ 
iehungen des Menschen erdacht hat, durch die That darzustellen 
ind schöpferisch zu gestalten. In der Werkstatt sollen auch 
deale berwirtlicht werden, und zu diesem Zwecke strebt der Geist 
ach dem Ziele, den Faktor der Geistesarbeit immer mehr Macht 
ewinnen zu lassen über die bloße Handarbeit. Er will den 
Zewerbetreibenden über das Niveau des Alltäglichen erheben, 
— D dessen er fähig ist. 
Zo will er das“ Handwerk, das er als einen berechtigten Faktor, 
iis eine nothwendige Bedingung im Staatsleben ansieht, heben, 
„ine wirthschaftliche Lage, die zur Zeit noch manches zu wünschen 
ibrig läßt, bessern. Durch die enorme Ausdehnung der kapital⸗ 
räfuͤgen Großindustrie, wie sie namentlich durch die Erfindungen 
ind Verbesserungen auf dem Gebiete der maschinellen Ein— 
ichtungen möglich war, ist dem Handwerk eine Konkurrenz er⸗ 
vachsen, die vielfach unüberwindlich erscheint. Tretzdem braucht 
as Handwerk nicht zu verzweifeln; es braucht nicht einmal 
iagstuch in die Zukunft zu sehen, wenn es nur die ihm vom 
deiste des Gewerbes zu seiner Entwickelung dargebotenen natur— 
emaßen Mittel recht benutzt, wenn es sich, kurz gesagt, künstle⸗ 
isch auszubilden sucht. Es bleibt nichts anderes übrig, ruft der 
heist der Industrie seinen Angehörigen zu, als sich auf das 
hebiet zu werfen, auf dem die Handwerker im Mittelalter so 
Zedeutendes leisteten, auf das Gebiet des Kunstgewerbes. Sie 
nüssen nach seinem Willen ihre Erzeugnisse durch künstlerisches 
Herständniß und geschmackvolle solide Ausführungen herausheben. 
Um dies zu erreichen, hat er Gewerbemuseen in's Leben 
zerufen, welche die Aufgabe haben, durch Aufstellung von ver— 
esferten Werkzeugen und Hilfsmaschinen, worauf zur Zeit noch 
u'wenig Werth gelegt wird, von Gebilden des Kunsthandwerkes 
um Muster fuͤr die Meister und Arbeiter in unseren Werk⸗ 
statten ihren Einfluß dahin auszuüben, daß der Geschmack des 
gewerbelreibenden eine künstlerische Richtung erhält, daß seine 
chaffende Phantasie auf die rechten Bahnen geleitet wird. Zu 
iefem Zwecke veranstaltet der nie ruhende Geist alljährlich kleinere 
»der größere Ausstellungen, fordert zur Betheiligung auf und 
etzt Preise für die besten industriellen Erzeugnisse aus. Da⸗ 
uͤrch will er anregen. Aber nicht dadurch allein— Schon oft 
at er ungescheut und rückhaltslos auf Fehler und Irrungen des 
heschmacks, auf Mangel an Solidität hingewiesen; ja, er hat 
chon unverhohlen bitteren Tadel ausgesprochen — es sei, an das 
Aner Zeit von Philadephia herübergerufene scharfe Urtheil: 
billig und schlecht“ erinnert. Dies alles hat er gethan, nicht 
im zu entmulhigen, sondern um seine Angehörigen zu klarerer 
rinficht der Mängel zu bringen, durch welche allein eine Besse⸗ 
ung der Zustände herbeigeführt werden kann. 
Weiter iegt er zu neuen engeren Verbindungen der Gewerbe— 
reibenden an.“ Auf den Trümmern der alten Innungen hat 
er neue Genossenschaften organisirt, durch welche er das Selbst⸗ 
jefühl des Handwerkers erhöhen, die Achtung vor dem Hand— 
herkerstande steigern will. In Verfolgung dieses letztgenannten 
zieles strebt er sichtlich darnach, es dem Veutschen Volke immer 
nehr zum Bewußtlsein zu bringen, daß der Stand als solcher 
nicht den Menschen ehrk, sondern daß die Ehre des Standes 
nn der Art befteht, wie der vernünftige Mensch seine Arbeit 
„errichtet. Vor ihm gilt der ehrbare Meister in seiner Werk⸗ 
att, der seine Ideen zu verwirklichen bestrebt ist, dasselbe, wie 
er Großindustrielle. Er fragt bei der Beurtheilung der Men— 
hen nie darnach, welchem Stande gehörst du an, sondern was 
astest du in deinem Fache? Durch diesen Grundsatz sucht er 
ie falschen Werthschätzungen einzelner Berufsarten zu vernichten, 
ie Ehre des Handwerkes zur rechten Anerkennung zu bringen, 
em Volke zu zeigen, daß auch das Gewerbe, das Handwerk 
iichtiger Kraͤfte und gediegener bedarf, daß ein Genie auch im 
Zandwerke Großes leisten und sich aus der Menge herausheben 
ann. Durch Verbreitung solcher Anschauungen glaubt er auch 
einen schon lange gehegten Wunsch realisiren zu können, daß 
Rie Zahl derer, die aus den besser situirten Gesellschaftskreisen 
nit Bewußtsein für das Gewerbe, für das Handwerk von Jugend 
uuf sich entscheiden, eine größere werde. Verdient solches Wirken 
— D Hochachtung? 
Mochten darum alle Gewerbetreibenden diesem Geiste seinen
	        
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