Der Streit um den Meistertitel und die Angriffe auf die neuen Innungen.
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»ätten eine zuwartende Stellung einzunehmen und die Ent—
cheidung über dieselbe, sofern sie etwaͤ von Betheiligten bean—
ragt werden sollte, mit dem Hinweise auf die Zuständigkeit der
Herichte abzulehnen.
Dieser Ministerialerlaß bestätigt also ebenfalls, daß der ein—
ache Titel „Meister“ nach Gewerberecht bis zum heutigen Tage
Jedermann freigegeben und lediglich die unbefugte Bezeichnung
„Innungsmeister“ unter Strafe gestellt ist.
Und nun zum Schluß noch ein Wort über unsere Stellung
zu den neuen Innungen, von dem wir hoffen können, daß die
neisten Leser ihm zustimmen werden.
Einer nicht geringen Anzahl von Gewerbetreibenden, na—
nentlich in kleineren Orten, ist die alte, von der Zeitströmung
veggefegte Zunft noch das Ideal, fie lebt bis heutigen Tages
noch in der stillen Hoffnung, es werde einst der Tag der Wieder⸗
einführung der alten Einrichtung schließlich doch einmal wieder—
ehren und die Gewerbefreiheit sammt der Kealitionsfreiheit und
Freizügigkeit fiür immer beseitigt werden. Diese Partei bezeichnet
den 21. * 1869, an welchem das Gesetz mit seinem grundsätzlich
»edeutsamen 8 1: „Der Betrieb eines Gewerbes ist Jedermann ge—
ittet“, als den Unglückstag, in dessen Gefolge aller Jammer herei—
zebrochen sei, unter welcher das Kleingewerbe in neuerer Zeit leide.
Gewiß — der Niedergang des Kleingewerbes ist gar nicht
„inwegzuleugnen. König ist heute der fast überall fehr gut
»elohnte Geselle, seine Lage ist in sehr vielen Gewerben ungleich
yesser, als die des Meisters. Was aber der kleine, unter den
Zeitverhältnissen schwer leidende arme Meister nicht begreift, ist,
daß man „die Zeit nicht zurückschrauben“ kann, wie des Kaisers
Wort lautete, jene Rechte also, welche die 1848er Zeit „Grund—
rechte des Staatsbürgers“ nannte, der arbeitenden Klasse nicht
mehr zu nehmen sind. Der Kleinmeister sieht unter seinem engen
Besichtswinkel auch nicht, daß eine Zurückführung der Zunft auf
dem Papier ihm wenig helfen würde. Wären zukünftig wieder
Alle gezwungen, Gesellen- und Meisterstück zu machen und in
eine Zunft einzutreten, so würde dies an den Hauptfakloren nichts
indern, unter deren Einfluß sehr viele Gewerbe im Vergleich
mit früher sehr herabgekommen sind.
Diese Faktoren sind bekanntlich das Großkapital, welches
ille neuzeitlichen Betriebs- und Hilfsmittel heranzieht, ferner die
aufmännische Bildung und zuletzt, worauf in der Fachpresse viel
u wenig hingewiesen wird, die Uebervölkerung! — Ein berühmter
Techniker hat uns zwar neulich in einem oͤffentlichen Vortrage
zu beweisen gesucht, daß es heutzutage die kleinen Motoren,
»on denen auf der Münchener Ausstellung eine sehr interessante
Sammlung zur Schau stand und arbeitete, den Gewerbetreibenden
ermöglichten, in vielen Zweigen die Konkurrenz mit dem Groß—
zewerbe wieder aufzunehmen, als da sind die kleinen Dampf-,
die Gas-, die Heiß- und Preßluft- ꝛ⁊xc. Maschinen, er hat uns
aber nicht gesagt, woher der kleine Mann das Anlage-Kapital
nehmen soll. Denn die weit meisten Kleinhandwerker haben
ich höchstens die geringe Summe zur essten Einrichtung gespart,
'allen aber gewöhnlich schon mit dem Rohstoffbezuge dem Händler
inn die Hände, aus denen sie zumeist nie wieder herauskommen.
Ueberdies aber paßt für eine große Reihe der Gewerbe die Maschine
aur bei größerem Absatz, den zu erringen nur wenige Kleinmeister
Gabe und Kenntnisse haben, für viele Handwerke überhaupt nicht.
Den anderen Faktor, die Uebervölkerung, kann man gerade
mm Kleingewerbe auf das Schlimmste wirken sehen. Die Üeber—
üllung, die übergroße Konkurrenz ist in verkehrslebhafteren Orten
iäberall zu Tage tretend. Der Verfasser wohnt in einer Straße
Berlins, in welcher sich 4 Bäcker, 3 Schuhmacher, 3 Uhrmacher
und 4 Gärtner ziemlich dierekt gegenüber wohnen, bei hoher
Laden- und Wohnungsmiethe. Die Folge ist die, daß die
wenigsten Handwerker heute etwas vor sich bringen und selbst
die Bäcker, ehedem bekanntlich ein „Handwerk mit goldenem
Boden“, nach der sehr geringen Gesellenzahl zu schließen, meistens
leine, also nicht wohlhabende Leute sind.
Hier steht das Gewerbe der rücksichtslos waltenden Macht
der Zeitentwickelung gegenüber, gegen welche der Einzelne ohn⸗
mnächtig ist und auch die alte Zunft nichts mehr vermöchte, da
nan das Kapital, die Intelligenz und kaufmännische Bildung,
vie die Verwendung der Elemenlarkraft in der Dampfmaschine
o wenig durch ein Gesetz wegzudekretiren vermag, wie man die
Zzweikindertheorie durchführen kann, um so die rapide Bevölkerungs—
zunahme wirksam zu bremsen.
Was sich für's Kleingewerbe thun ließ, ist von Regierung
ind Reichstag geschehen: Man hat die Gruͤndung von moͤdernen
Innungen im Geiste der Neuzeit angebahnt, man hat sie mit
Vorrechten versehen, die zum Theil sehr bedeutsam sind — wir
erinnern nur an das bedingungsweise Alleinrecht, Lehrlinge zu
halten — man hat ihnen dafür aber auch eine ziemliche Reihe
pflichten zugewiesen, welche Opfer zu ihrer Durchführung erfordern.
Außerdem kann das Statut noch eine Reihe Zwecke und
ziele, welche die Gewerbetreibenden für nützlich und nothwendig
halten, mit aufnehmen. Bekanntlich ist ein Hauptpunkt die
Pflege der Bildung der Lehrlinge, Ordnung des tief darnieder⸗
iegenden Herbergswesens, Schlichtung von Streitigkeiten im
chiedsgerichtlichen Wege, Gründung verschiedener Kassen, Ein—
ichtung des Arbeitsnachweises ꝛc.
Nun reden sich eine Menge Leute in die Feindschaft gegen die
ieuen Innungen hinein, weil diese oder jene Zeitung ihnen die
Wiederherstellung der alten Zunft als eigentliches geheimes Ziel schuld⸗
zegeben, dieser oder jener Redner ihnen die Absicht der Abschaffung
der Gewerbefreiheit, der Unterdrückung der „freien“ Konkurrenz
und der der Innung nicht beigetretenen Meister untergeschoben hat.
Dem stellen wir einfach die Frage gegenüber: Kann die
noderne Innung etwas thun, was Regierung und Reichstag
»urch Gesetz geordnet, oder in den der behördlichen Genehmigung
interliegenden Statuten sanktionirt hat? Nein! Wir fragen
veiter: Wird der isolirte Einzelne, der sog. „Wilde“, der sich
yon seinen Berufsgenossen fern hält, sich auch nur eine Stunde
im gemeinnützige Interessen des Gewerbes kümmern, oder auch
nur einen Groschen dafür opfern, soweit er nicht sich dazu ge—
wungen sieht? Hier liegt eben die Bedeutung der korporativen
Zusammenfassung der Mitglieder desselben Gewerbes! Ein
Hewerbeverein wird diesen korporativen Geist nie haben, seine
Mitglieder wechseln, sie betheiligen sich oft nur aus Geselligkeits—
rrieb, treten heute ein und vielleicht schon in kurzer Zeit wieder aus.
Woher soll hier warmes Interesse an ganz speziellen An—
zelegenheiten des einzelnen Handwerks, woher Opferwilligkeit
iommen? Und wenn irgendwo die Wiedererweckung von Muih
ind Korpsgeist, Gefühl der Zusammengehörigkeit und Handwerks—
ehre nothwendig ist, um verschiedene Reformen anzubahnen und
zuch geschäftliche Dinge zu berathen und zu foördern, so ist es
gerade hier, in unserm entmuthigten Gewerbe! Wer jahrelang
ziner Innung gedient hat und die tiefgehende Zerfahrenheit und
doffnungslosigkeit, daß es je wieder besser werden koͤnne, wer
den Mangel an Energie, dessen trübe Quelle wieder meist der
Mangel an Mitteln ist, lange Zeit mit angesehen hat, der wird
oegreifen, daß die große Anzahl von Männern, welche sich für
zie korporative Organisirung von Innungen warm interessiren,
unächst nicht von politischen und reaktionären Motiven geleitet
Jandeln. Die Innungssache hat auch auf der liberalen Seite
hiele und lebhafte Freunde.
Vor Kurzem führte eine Berliner Innung einen ihr auf—
gezwungenen Strike durch, Einer für Alle, Alle für Einen, mit
zroßen Opfern und mit der sicheren Aussicht auf Sieg gegen—
iber den Gesellen, die, von Sozialdemokraten angehetzt und ge—
ührt, schen gewiß waren, „die Meister ganz in ihre Hand zu
„ekommen“, d. h. zu terrorifiren, wie sie gerade wollten. Was
oll hier ein Gewerbeverein nuͤtzen? Dieselbe Innung schickt
ille Lehrlinge in ihre Fachschule und kontrollirt streng, sie ordnet
oeben den Arbeitsnachweis und reformirt das Herbergswesen ꝛc.,
auter wichtige Angelegenheiten, welche einen Gewerbe-Verein
alt lassen und die „Wilden? fern halten, um ja nicht Beiträge
ahlen, oder sonstwie mitrathen und thaten zu müssen.
Unser Jahrhundert ist das Vereinsjahrhundert. Je fester
in Verein, Verband, desto reger das innere Leben, je näher die
Berufsgenossen zu einander gehören, desto wärmer das Interesse,
zesto sachgemäßer ihre Erledigung. Moͤge man doch endlich auf⸗
hören, die Sache der Innungen mit der politischen Parteibrille
inzusehen. Dann wird sich Manches ganz anders darftellen, als
es nach bloßen Schlagworten erscheint und selbst die Frage des
Innungszwanges, der Gesellen- und Meisterprüfung wenigstens
ils diskussionsffähig und erwägungswerth erscheinen. Mit bloß
hetorischen Wendungen von Zunftgelüsten und Reaktion ist den
Hewerben nichts gedient, so sehr man sich als deren Freunde
zusgiebt, so sehr, daß die Handwerker sagen können: „Gott be—
züte uns vor unseren Freunden!“ Prof. Frübauf.