Das neue Reichstagsgebäuct
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Das neue Reichstagsgebäude.
Theilnahmlos gebt Berlin an dem Bretterzaun vorüber,
hinter welchem aus einem Walde von Rüstwerk das neue Reichstags—
gebäude hervorwächst. Die unförmigen Backsteinpfeiler, brücken—
artig hochgespannte Bogen zwischen diesen, das krause Durch—
einander von Vor- und Rucksprüngen, aus welchen ein künstlerisches
Gebilde im Geist zu formen unmöglich ist, können den rasch
Vorbeieilenden nicht fesseln. Von der Plattform der Pferdebabn
sieht man wohl in das vom Bauzaun eingeschlossene Grundstück
hinein auf mächtige Quadern weißlichen Sandsteins, auf Gesims—
stücke und Säulentrommeln, welche wie riesige Käse über den
Platz verstreut liegen. An einer Ecke erhebt sich eine in Gyps
hergestellte, hoch aufragende Architektur, ein Modell in Natur—
größe. Aber die Gesimshöhen scheinen mit senen der Mauer—
massen nicht zu stimmen. Anch durch dieses Mittel erhält der
flüchtige Beschauer kein Bild des zukünftigen Ganzen.
Ein Blick durch die offene Thür des Bauzaunes schafft neue
Eindrücke. Heute gerade ist's ganz still.
Draußen braust der Lärm der Großstadt vorüber, hier aber
spielen Kinder im weißen Sande, welcher den Werkplatz der
Steinmetzen bedeckt; unter hohen Linden, in einem in den Zaun
mit eingeschlossenen Theil des Thiergartens, hat sich ein Bau—
verwalter einen Hühnerbof eingerichtet. Geradeaus geht der Weg
auf einen einförmigen Schuppen zu, der sich vor die Zeichen—
stuben legt. Diese befinden sich im ersten Stock eines noch er—
haltenen Flügels jenes gräflich Raczynski'schen Palais, welches
den Königsplatz früher gegen Osten abschloß und dem Reichstags-—
gebäude Platz machen mußte. Das Haus ist überwuchert von
wildem Wein, auf den Wegen grünt das Gras zwischen den Resten
alten Pflasters, zerbrochene Gypsmodelle schauen aus hochauf—
geschossenem Unkraut, klafsischen Ruinen vergleichbar, hier und
dort hervor.
Die Holztreppe, welche zur Zeichnerwerkstätte hinaufführt,
ist eng und bescheiden. Auch sie ist ein Rest jenes Palais, welches
noch vor wenig Jahren eine überaus werthvolle Gemäldesammlung
beberbergte und an sich als ein hervorragendes Architekturwerf
galt. Nur wenig ist noch von dem übrig geblieben, was noch
vor Kurzem als bedeutend galt. Aber das Wenige ist bezeichnend
für den Wechsel der Dinge. Die schmale Treppe hat Spindeln,
an welchen die Reliefbildnisse von Michelangelo und Rafael, von
Dürer und Holbein angebracht sind. Dem sparsamen Geist jener
Zeit zu genügen, sind diese zwar nur in billigen Zink gepreßt,
aufgenagelt und mit Oelfarbe als „Eiche“ gestrichen. Aber die
Zeit des Berliner „Hellenismus“ war befriedigt von dieser Aus—
schmückung. Sie lebte in tiefen und hehen Gedanken, in bedeutungs—
vollem Geistreichthum und ließ sich durch die Aermlichkeit ihrer
Kunstmittel nicht abschrecken, allen Dingen Beziehung zu den
höchsten Erwägungen zu geben. Selbst eine Treppenspindel war
hierzu gut genug. Weun die Hand des die Treppe Erklimmenden
den großen Rengissancemeistern um Nase und Ohren strich, dann
mußte er etwas vom Geiste jener Zeiten empfinden, denen man
sich durch die Macht hingebender Verehrung so verwandt fühlte!
Die schmale Holztreppe führt zur Werkstätte des Mannes,
welcher das groͤßte Baudenkmal der Reichshauptstadt auszuführen
hat: zum Baurath Paul Wallot. Die feine, abwägende, be—
deutungsreiche, aber nur zu oft kleinliche Architektur der Zeit, in
welcher wir nur im „Reiche der Geister“ die leitende Großmacht
waren, weicht unter dieses Mannes Leitung der Wucht des neuen
nationalen Lebens, das auch auf der Erde' sich auszubreiten ent—
schlosfen ist. Das äußert sich bei'm ersten Umblick in der Werk—
stätte: an den mächtigen Bauzeichnungen, welche Tisch und
Staffelei, Wand und Fußboden bedecken, die nicht mehr leicht,
mit spitzem Bleistifte gezeichnet, mager in der Umrißlinie, farb—
los sich darstellen, sondern breit und mächtig malerisch vorgetragen
werden und bei denen nicht die fein durchdachte Einzelheit, sondern
die planmäßige Vertheilung der Massen entscheidet.
Ich sah da eine Kohlenzeichnung, aus der man die Archi—
tektur einer Txeppenvorhalle herauslcesen konnte, wenn man die
Zprache der Skizzen versteht. Sie lehrte mich begreifen, wie
Wallot entwirft, wie er erst das Ganze in Licht und Schatten
zu gliedern versucht, den Gesammtaufbau zu beherrschen bestrebt
ist und dann erst aus dem Gewirr derber Kohlenstriche die ver—
feinerte Ausdrucksform des entschieden vorgetragenen Grund
Jgedankens sucht, nicht aber, wie die alte Schule, die erlernten
Formen als Selbständiges, Achtungheischendes der Aufgabe gegen—
iberstellt, um diese mit den Idealen vergangener Zeiten, so gut
es gehen will, zu versöhnen. Und während ich, umschauend die
plaͤne betrachtend, den Schöpfer dieser Blätter erwartete, er—
nnerte ich mich des Augenblickes, in welchem mir Wallot's Name
zuerst entgegentrat. Das war in Dresden, etwa um das Ende
der 7Oer Jahre, gelegentlich einer Bewerbung um eine Friedhof—
inlage. Sein Plan, der den ersten Preis erhielt, erregte unter
den Fachleuten Aufsehen durch die Art der zeichnerischen Dar—
tellung. Es war das erste Mal, daß man in Dresden jenes
Höhen“ der Lichter mit Dickweiß auf Bauplänen sah, in dem
ie alte Schule ein Verbrechen erblickte Denn damals war das
eine Lasiren der Schatten, das „Schummern“, noch in hoher
Achtung, so viel unütz verwendete Zeit es auch kostete. Damals
rzählte man sich auch in Dresden, dieser Wallot habe in Berlin
ei Gropius geärbeitet, sei als geschickter Zeichner und Maler in
»erschiedenen Werkstätten zum „Herausputzen“ von Plänen, zur
derstellung flotter, perspektivischer Ansichten verwandt worden und
ei nun Maurermeister in Frankfurt a. M.
Aber nicht nur die Darstellung, sondern die eigenthümliche
Stimmung des Bau-Entwurfs verschaffte Wallot den Preis; ein
chlichter Ernst, ein sicheres Losgehen auf das Wesentliche, eine
este Durchführung des dem feierlichen Zwecke der Aufgabe ent—
prechenden Stiles. So habe ich den Entwurf in der Erinne—
ung. Ausgeführt wurde er nicht.
Denn Frankfurt genoß damals in der Bauwelt nicht den
illerbesten Ruf. Es waltete dort ein Geist der Unbotmäßigkeit
jegen die nun freilich lange schon in allgemeines Schwanken
jerathenen „ewigen Gesetze wahrer Schönheit“, wie sie durch
die Schinkel'sche Schule, namentlich durch Bötticher, festgestellt
worden waren und, an allen Kunstschulen verbreitet, Deutschland
»eherrschten. In Frankfurt war man noch oder schon „zopfig“,
d. h. man scheute sich nicht, dort Formen zu verwenden, welche
zicht die Läuterung durch den hellenischen Geist erfahren hatten.
Da war der Architekt Burnitz, der ganz seine eigenen Wege ging
und unbeengt durch Akademien und bevormundete Meister sich
einer frischen Auffassung italienischer Kunst zuwandte, sogar jene
Versuche stilistisch hinter sich ließ, welche Semper und Nikolai
in Dresden und Leins in Stuttgart mit der Frührenaissance ge—
macht hatten und munter aus der Schaale reifen, italienischen
Zchaffens trank. Als er schon in den 50er Jahren eine An—
ahl Geschäftshäuser ganz in Haustein und in derberen, voll—
aftigeren Formen in Frankfurt den mageren romanischen und
othischen Versuchen der Münchener Schule und dem in Süd—
eutschland nie recht heimischen Hellenismus entgegensetzte, nannte
er Volksmund die Bauten „Malakow“, verglich diese also mit
enem festen Thurme Sebastopols, dessen Erstürmung dem Krim—
rieg ein Ende gemacht hatte. So wenig war man damals eine
olide, kräftige Architektur gewohnt, daß sie der Menge wie ein
»ombensicheres Werk erschien. Der Sinn für das Echte, für
tärkere Formensprache mußte erst geweckt werden!
Burnitz war nicht der Einzige, welcher diese Richtung ver—
rat. Heinrich Theodor Schmidt, Sommer n. A. standen ihm
zur Scite. Selbst der ausgezeichnete Berliner Meister Lucae,
her die Schule Schinkel's aus der Selbstvergötterung und da—
aus entspringender Verknöcherung zu freieren, reicheren Gestalten
pinüberführen half, seit 1870 Architekt des Frankfurter Stadt—
heaters, sog in der Mainstadt die frischere künstlerische Luft zu
eigenem Wohlbefinden ein. Dort auch erwarb sich Friedrich
Thiersch die Frische des Schaffens, welche ihn später zu Wallot's
Jefährlichsten Nebenbuhler im Wettbewerb für das Reichstags—
gebäude machte.
Es ist kein Zufall, daß in dieser wichtigsten Konkurrenz
zwei Künstlern der erste Preis zuertheilt wurde, welche in den
7Oer Jahren in Frankfurt die Anregung für ihr Schaffen er—
hielten. Denn Burnitz hatte Schule gemacht. Da war Blunt⸗
chli, dem bei Semper und in Paris der Blick über die trockene
Wiederholung der Antike hinaus erweitert worden war und der
damals gemeinsam mit dem an Schule und Kunstabsicht ver—
»erwandten Mylius den künstlerisch fast ebenso wichtigen Sieg
in der Bewerbung um das Rathhaus in Hamburg gewann,
einen der entscheidenden Triumphe der Kunstart Sempers über
ꝛie Schinkel'sche. Da war ferner eine ganze Anzahl tüchtiger
ünagerer Männer, welchen die reichen Mittel der Stadt und