Full text: Deutsches Baugewerks-Blatt : Wochenschr. für d. Interessen d. prakt. Baugewerks (Jg. 49, Bd. 8, 1889)

Das neue Reichstagsgebäude 
hrer Bürger, wie das eigene Streben nach Bethätigung Ge— 
egenheit und Muth gaben, das Besondere, Eigenartige zu er— 
streben und durchzuführen. 
In diesen Kreis trat Wallot, nachdem er auf fremden Ateliers 
zenug Perspektiven gezeichnet und ausgemalt hatte. Er trat 
hm mit Unsicherheit, mit Sorge um das eigene Können ent— 
gegen, ein Maurermeister, der zunächst Arbeit für sich und seine 
Leute sucht und dann erst später an Kunst und an eigene Be— 
hätigung denken kann. Aber es dauerte nicht lange, bis er sich 
eingelebt hatte. Es steht eine ganze Anzahl stattlicher Häuser 
in den neuen Straßen der Stadt, welche Wallot entwarf. Die 
—VVV 
eit er an öffentlichen Wettbewerbungen Theil nahm. 
Freilich nur die Architekten! Deun wer kennt in Deutsch— 
land die Baukünftler auch nur der Nachbarstadt? Ihnen ist's 
o schwer gemacht, sich einen Namen zu erwerben. Unsere 
lustritten Zeitungen nennen zwar den Photographen, nach dessen 
Aufnahme fie das Bildniß eines berühmten Mannes in Holz 
cchneiden ließen; aber sie nennen nur selten den Namen des 
Baumeisters, wenn sie eine neue Kirche, ein neues Schloßz, oder 
gar eine neue Brücke darstellen. Und doch ist es wahrlich eine 
jrößere Leistung, in dem Kopfe und auf dem Papier jene ge— 
valtigen Massen zu gliedern, welche dann Hunderte von Hand— 
verkern aufrichten, sich über jede Einzelheit von vornherein klar 
zu sein und die Sorge mit sich herumtragen zu müssen, ob das 
im Kleinen Dargestellte, nun unwiderruflich zur Aufführung 
Helangende, auch wirklich endlich im Großen an seinen Platz 
gestellt, so wirkt, wie es beabsichtigt war — eine größere Leistung, 
ils einen berühmten Mann vor den photographischen Apparat 
gestellt zu haben! 
Der Sieg bei der Reichstags-Konkurrenz brachte mit einem 
Schlage Wallots Namen in aller Welt Mund. Erhefft mag 
er diesen Sieg haben — denn wer nicht diese Hoffnung hat, 
vird fich der Mühe der ungeheuren künstlerischen Arbeit nicht 
interziehen; ob er ihn erwartet habe, ist freilich eine andere 
Frage. Solche Wettbewerbe sind selbst für den tüchtigsten Künstler 
harte Probsteine, denn nicht einmal zu den Preistichtern hat 
er von vornherein völliges Vertrauen. Giebt es doch in Kunst⸗ 
achen kein unbedingtes Recht, ist doch die Schönheit kein in 
Paragraphen zu fassendes Gesetz, ist es dech Lebensaufgabe jedes 
vahren Künsilers, sein Ich zur Darstellung zu bringen, der 
Welt zu zeigen, wie er, der Neue, die Welt neu betrachtet, wie 
die“ Fehler der Alten zu überwinden strebt, wie er sich mit 
dem Bestehenden in Gegensatz stellt, um es zu fördern. Nur 
—V0— 
iindet keine Gegner. 
Und selbst wenn die Preisrichter Gewaltiges leisten, wenn 
ie die eigenen Schönheitsideale bei Seite setzen, um sich in die 
»er Bewerber zu verliefen, wenn, die Alten, und diese sind ja 
meift Preisrichter, den juugen Stürmern gerecht zu werden sich 
ingelegen sein lassen — werden sie selbst dann die Gedanken 
rkennen, die den Entwurf leiteten? Werden sie aus Hunderten 
hon Bewerbern, aus Taufenden großer Pläne das herausfinden, 
—D0 
Soll er den Richtern entgegenkommen? Soll er Formen 
vählen, die am Orte beliebt, altgewohnt sind? Oder darf er 
Joffen, wenn er männlich sein eigenes Empfinden walten läßt, je 
Zelegenheit zu finden, es zum monumentalen Ausdruck zu bringen? 
Wallot erhielt den Preis, indem er sein Bestes gab. Nicht 
aur er hatte die Ehre, die Preisrichter hatten sie nicht minder. 
Hätte in Berlin nicht die frendige Absicht geherrscht, das Beste 
u foͤrdern, so würde schwerlich ein Urtheilsspruch zu Stande ge— 
ommen sein, der einen wenig bekanuten jungen Mann „aus 
der Provinz“ den ausgezeichnetsten Künstlern Berlin's vorzog. 
Wallot hatte auch das Glück, daß der Preisertheilung bald 
der eigentliche Bau-Auftrag folgte. So wurde er aus dem doch 
mmer noch kleinen Schaffenskreise in Frankfurt an die Spitze 
des groͤßten Berliner Monumentalbaues gestellt, wie man sagt, 
ruf Wunsch Kaiser Wilhelms J. der dem Verdienste seine Krone 
lassen wollte. Aber so ohne Weiteres ging dies Alles doch nicht. 
Viel, sehr viel Köche umstanden den Brei: die Reichsregierung, 
die Ministerien, der Reichstag, die Akademie für Bauwesen als 
‚erathende Fachbehörde und hinter diesen allen der Chor der Presse, 
e aus Sachunkenntniß in architektonischen Fragen so leicht dem 
n die Hände fällt, welcher gerade das Wort zu ergreifen Lust 
jat. Und das sind nur zu oft nicht eben die Wohlwollenden. 
Die Anforderungen an Wallot waren groß. Er sollte den 
Haupteingang an dem von Berlin abgelegenen Königsplatze lassen 
ind doch es so einrichten, daß Niemand ihn zu benützen brauche; 
er sollte den Sitzungssaal, der gegen 60 Stufen über dem Erd— 
oden lag, niedrig legen; aber die Thorbauten sollten hoch und 
hieder nicht störend für den Verkehr dieses niedrigen Geschesses 
ein; er sollte über dem Mittel des Baues eine Kuppel haben, 
ind der Saal lag doch nicht im Mittel! Und dabei sab er sich 
erpflichtet, sein fiegreiches Projekt zu vertheidigen. War doch 
ieses eigentlich die einzige Stütze bei seinem Anspruche, den Bau— 
iuftrag zu erhalten, durfte er doch bei Neubearbeitungen nicht 
en Einwurf aufkommen lassen, sein neues Werk habe mit dem 
reisgekrönten Plane Nichts mehr zu thun: er habe diesen selbft 
erworfen. 
Zweimal legte Wallot neue Pläne im Jahre 1882 und 1883 
sor. Bei der ersten dieser Neubearbeitungen kam es im Wesent— 
ichen auf eine geschicktere Ausnutzung des Raumes, auf Ver— 
ninderung der Zugänge und dergleichen praktische Bedenken an. 
Damals frat die Berliner Schule noch einmal entschieden in 
Viderspruch mit der freieren Kunstform Wallots. Die „Akademie 
»es Bauwesens“, jene Vereinigung vom Staat berufener Fach— 
eute, forderte die Fortbildung der Pläne „im Sinne einer edlen 
ind würdigen Einfachheit“, einzelne Schüler Schinkels, an der 
Spitze der auch als Kunsthistoriker hochverdiente Adler, forderten 
ber' in einem Sondergutachten dringend, „dem Künstler ein 
rößeres Maaßhalten und Vermeiden aller willkürlichen und über— 
riebenen Anordnungen zu empfehlen.“ „Denn nicht in der an— 
zemessenen Häufung architektonischen und plastischen Schmuckes, 
ondern in sparsamer und dadurch um so wirkungsvollerer An— 
vendung sinnvoller Kunstgestaltungen bestehe das Wesen wahrer 
Monumentalität.“ Daher forderten fie „einfach vornehme Haltung.“ 
Die Sache lag nun für Wallot schlimm. Er sollte sparsam 
ein mit seiner Formenkraft und seiner Formenfreude, er sollte 
as Innere des Gebäudes umgestalten, die preisgekrönte Fassade 
iber thunlichst erhalten. In solchen Fesseln ließ sich nicht schaffen. 
Der dritte Plan war daher auch kein dortschritt, trotz zahlreicher 
erbesserungen. Es wurden hier und da Zweifel laut, ob Wallot 
iberhaupt die Arbeit zu ertheilen sei, selbst die Bau-Akademie 
orderte ein neues Projekt. 
Da griff die Reichsregierung thatkräftig ein. Sie, hatte 
zutrauen zu dem jungen Meister gewonnen und schloß kurzen 
Weges mit ihm den Bauvertrag ab, dem der Reichstag zustimmte. 
Basd darauf erhielt Wallot im Königlichen Baurath Häger einen 
Beirath in der technischen und geschäftlichen Oberleitung, welcher 
hn ermächtigen sollte, seiner künstlerischen Aufgabe voll und ganz 
u leben. 
Es war keine geringe Last somit vom Künstler genommen, 
a er nun, sicher im Befitz des Bau-Auftrages, auch mit seinem 
eigenen Plane schalten und walten konnte, wie er wollte. Noch— 
nals erfuhr dieser völlige Umwandlung. Das Kellergeschoß 
vurde beseitigt, der Sitzungssaal tiefer gelegt, die Festräume 
zöllig umgebidet und — das Wichtigste — der Sitzungssaal und 
omit auch die Kuppel in des Baues Mitte gerückt. So erst 
ewann Wallot Platz für eine der reizvollsten Anlagen des 
HZaues, für die Treppe, welche dem Hofe und dem Bundesrathe 
zu dienen haben wird. 
Nuͤn aͤber konnte Wallot auch die künstlerische Gestaltung 
er Fasfade neu in Angriff nehmen. Die Moötive wuhsen in 
einet Hand. Aber es ist nicht die „Sparsamkeit“, welche ihn 
sei ihrer Durchbildung leitete. Wunderbare Entwickelung der 
nschauungen! Nachdem die Berliner Baukunst so lange unter 
em Joche? der Aermlichkeit geseufzt hatte, war es ihr zum 
Slaubensartikel geworden, Reichthum, Prachtentfaltung und 
wahre“ Schönheit vertrügen sich nicht miteinander. Sie hatte 
en Trost der Atmen zu oft gehört, um noch glauben zu können, 
aß auch Reiche in den Himmel kommen koͤnnen. Sie war zu 
ehr durchtränkt von dem Geiste der Biedermänner-Zeit, die nur 
nder Einfachheit die wahre Vornehmheit sah, die im Selbst—⸗ 
eschränken die höchste Tugend erblickt, die nicht jenes freudige 
Zichausgeben kennt, welches die Seele alles frischen künstlerischen 
Zchaffens ist, nicht jene echte Sinnlichkeit, welche an dem Packen— 
»en, Mächtigen, Glänzenden sich freut und den Reichthum des 
Stoͤffes nicht wie ein gefährliches Verführungsmittel vom Wege
	        
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