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Ueber feuchte Wände bewohnter Räume. — Der Maximalarbeitstae
ringfügiger Art, erfolgt ist, wird die sonst sehr luftdurchlässige
Wand, durch die in den meisten Wohnungen überhaupt nur
Luftwechsel ermöglicht wird, für die Luft nach v. Pettenkofer's
Versuchen nahezu undurchlässig. Bleibt nun, wie gewöhnlich,
auch die Zuführung von Feuchtigkeit bei gehemmter, natürlicher
Ventilation die gleiche, so muß die Innenluft relativ feuchter
werden; der Thaupunkt steigt und mit diesem wieder der
Niederschlag auf der Wand. Außerdem leiten feuchte Wände
die Wärme bedeutend besser, als trockene Wände, und auch
hierdurch wird wieder durch Herabstimmen der Innenwand—
flächentemperatur der Niederschlag vermehrt. Hierdurch erklärt
sich auch, warum es so schwer fällt, eine einmal feucht ge—
wordene Wand wieder trocken zu bekommen.
Die niedrigste, in Nürnberg beobachtete Temperatur
(2. Februar 1830) beträgt nach dem Berichte der meteorolo—
gischen Station Nürnberg — 34,50 C. Es müßte somit bei
600,0 Feuchtigkeit der Zimmerluft von 180 C. — so erläuterte
Redner an den Tabellen — die Stärke der Außenmauern
wenigstens 2 Steine (O,s m) betragen, selbst bei den günstigen
Annahmen, welche den Zahlen der Tabelle als Grundlage
dienten.
Diese Wandstärke entspricht auch der in Petersburg
(Direktor Krell hat sich daselbst Jahre hindurch aufgehalten)
gesetzlich vorgeschriebenen Minimalstärke bewohnter Räume von
21/ Ziegel S O,«a m. Die niedrigste, dort beobachtete Temperatur
ist ca. — 500 C., und so erhalten wir unter Voraussetzung
von 600/, Feuchtigkeit der Zimmerluft nach den Tabellen eine
Wandstärke von 21/2 Steinen, wie das dortige Gesetz verlangt.
Diese gesetzliche Vorschrift, welche schon mehr als ein Viertel—
jahrhundert in Gültigkeit ist, wird auf das Schärfste einge—
halten, und Dr. Krell sind viele Fälle bekannt, daß Räume,
welche zu Wohnräumen umgebaut wurden, erst nachträglich
mit einer Steinverblendung versehen wurden, um die für
Wohnräume vorgeschriebene Minimalwandstärke zu erreichen.
Die Festsetzung dieser bedeutenden Wandstärke war das
Resultat einer langjährigen Baupraxis, welche ergab, daß in
strengen Wintern alle Wohnungen mit dünneren Waͤnden feucht
und unbewohnbar wurden. Auch in Nürnberg kann man
mit Leichtigkeit die Beobachtung machen, trotz der geringen
Kälte im letzten Winter, daß dünne, hauptsächlich Fachwerk⸗
wände durchfeuchtet sind, was schon von der Straße aus be—
obachtet werden kann. Die Forderung der Hygiene, daß die
Wandstärke der Außenwände von Wohnräumen, ob sie aus
Ziegeln, Sandstein oder Bruchstein bestehen, nicht unter O,z m
(2 Ziegelsteinen) betragen sollte, wenn anders man im Winter
rrocken wohnen will, glaubt somit Dr. Krell hinreichend bearündet
zu haben.
Nach der Baugesetzgebung in Bayern können bei An—
wendung besonderer Konstruktionen und Materialien (Eisen,
Beton) auf der Grundlage eines Zusatzes zu den betreffenden
Bauverordnungen Abweichungen von den vorgeschriebenen
Mauerstärken durch die Baupolizeibehörde bewilligt werden,
wenn genügende Festigkeit und Tragfähigkeit nachgewiesen ist.
Auf Grundlage dieses Zusatzes wuͤrde z. B. die Bau—
dehörde keinen Einwand erheben können gegen ein Wohn—
gebäude, welches in seinen Außenmauern durch ein aus
schmiedeeisernen Trägern zusammengesetztes Gerippe gebildet
würde mit Ausfüllung der Felder durch Rabitzwände, welche
ohne Zweifel bei 5 cm Stärke ausreichend stabil sein würden.
Dieses Beispiel ist hinreichend, um zu zeigen, daß das
neue Baugesetz den hygenischen Standpunkt in dieser Frage
vollständig bei Seite gelassen hat, und wenngleich das gesunde
Gefühl des bauenden Publikums uns wohl auch noch für den
Augenblick mit dem Extrem derartiger Wohnhäuser verschonen
wird, so ist doch die Gefahr nicht zu unterschätzen, daß auf
Grundlage dieser Bauordnung von Bauspekulanten Häuser
hergestellt werden könnten, in welchen man nicht einmal trocken
wohnen kann, sondern die durch das Bewohnen nur immer
jeuchter werden würden, ohne daß die Baubehörde gesetzlich
dagegen einschreiten könnte
Der Marimalarbeitstaa.
Die deutsche Regierung läßt bekanntlich Erhebungen darüber
instellen, welchen Einfluß die gesetzliche Einführung eines Maximal—
arbeitstages auf die verschiedenen Gewerbe ausüben würde. Aller
Voraussicht nach wird sich der deutsche Reichstag schon in seiner
iächsten Session mit einer diesbezüglichen Vorlage zu befassen
Jaben, es erscheint daher an der Zeit, daß sich auch die verschiedenen
Hewerbe mit dieser Materie, die einareifende Folaen nach sich
ziiehen wird, beschäftigen.
Es handelt sich dieses Mal um die Einführung des acht—
tündigen Arbeitstages. Bevor wir indessen diese Maaßnahme an
sich besprechen, wollen wir einige Betrachtungen austellen über die
arbeiterfreundliche Stellung der Regierungen und der Folgen.
Wir haben in der Einführung eines Maximalarbeitstages wiederum
ein Mittel zu sehen, mit welchem die Regierung dem Arbeiter—
tand entgegenkommen will, um ihn mehr und mehr auf eigene
Füße zu stellen und ihu den Bestrebungen der Sozialdemokratie
zu entziehen. Man nimmt in Regierungskreisen allgemein an,
aß dieser Maximalarbeitstag gewissermaaßen das Endziel des
ozialpolitischen Weges darstellt, der in der bekannten Kaiserlichen
Boͤtschaft vom 27. November 1881 vorgezeichnet ist. Die erste
der arbeiterfreundlichen Maaßnahmen war das Krankenkassen—
gesetz von 1883; dann folgte das Unfallversicherungsgesetz von 1885;
'm Jahre 1892 das Invaliditäts- und Altersversicherungsgesetz,
ind die sog. Arbeiterschutzgesetzgebung mit der Sonntagsruhe.
Die Hoffnung der maaßgebenden Kreise, mit diesen Arbeiter—
Unterstützungsgesetzen die Position der Sozialdemokratie zu er—
chüttern, hat sich als eine vergebliche erwiesen, und wenn man
ich jetzt wiederum in der Hoffnung wiegt, der Maximalarbeitstag
verde, was die bisherige Arbeiterschutzgesetzgebung nicht vermocht,
»ie Sozialdemokratie vermindern, so dürfte man sich abermals
getäuscht sehen. Trotzdem ist es am Ende möglich, daß in Zu—
unft, infolge der Wirkung der Arbeiterschutzgesetzgebung, ein
zroßer Theil der Arbeiter sich von der Sozialdemokratie abwenden
wird. Theilweise recht schwer trägt der Stand der Axbeitgeber
an den Lasten der Arbeiterschutzgesetzgebung, es wäre daher wohl
angezeigt, vor evy. Einführung des achtstündigen Maximalarbeits—
tages auch die Wünsche der Arbeitgeber zu berücksichtigen.
Der NMaximalarbeitstag, also die Beschränkung der täglichen
Arbeitszeit auf 8 Stunden, ist ja mehrfach, z. B. in Erz- und
Kohlengruben, auf Hütten und größeren Werken eingeführt, und
es hat sich im Laufe der Jahre herausgestellt, daß beide Theile
damit zufrieden sein könnten; thatsächlich ist man jedoch, zumal
in Bergarbeiterkreisen, trotz des achtstündigen Arbeitstages nicht
zufrieden. Trotz alledem nun, daß der Maximalarbeitstag that—
ächlich schon besteht, würde es ein schwerer Fehler sein, denselben
ür alle, Betriebe auf gesetzlichem Wege festlegen zu wollen. Diese
Schablone paßt nicht für Jeden. Vor allen Dingen paßt sie
niemals für Saisongeschäfte und niemals für den Kleinbetrieb,
»er mehr auf Bestellung, als auf Vorrath arbeitet. Alle die—
enigen, die von den verschiedensten Verhältnissen und den
Wechselfällen des Tages abhängig sind, würden durch eine gesetz-—
iche Aenderung der Arbeitszeit schwer betroffen werden; es läßt
ich gar nicht absehen, welche Folgen das nach sich ziehen würde.
Der ganze Geschäftsbetrieb würde sich ändern müssen, und da
dieses wlederum an Bedingungeun geknüpft ist, die nicht Jeder
erfüllen kann, so würde eine weitere Schädigung des Klein—
zetriebes zu Gunsten der Großindustrie eintreten. Wer allerdings
auf dem Standpunkte steht, daß die Kleinbetriebe und Handwerke
überhaupt verschwinden können, der mag sich zum Fürsprecher
des Maximalarbeitstages aufwerfen: Einsichtigere vermögen dem
nicht beizustimmen.
Naturgemäß würde mit einer Verkürzung der Arbeitszeit
eine Verringerung der Produktion verbunden sein, die allerdings
zuf vielen Gebieten sehr zu wünschen wäre, oder es müßte die
EFinrichtung getroffen werden, daß nach Verlauf der 8 Stunden
andere Arbeiter zur Arbeit antreten. Durch Einführung einer
zerartigen „Schicht“ würde die Produktion wieder in's Ungeheure
jesteigert werden. Wie aber, wenn nun schon erwiesen ist, daß
die 8-stündige Arbeitszeit nicht den Ertrag der 10stündigen
Arbeitszeit liefert, denkkt man sich das Lohnverhältniß? Wird
man den Arbeitgebern zumuthen wollen, für die 8stündige
Arbeitszeit denselben Lohn zu zahlen, wie für die 10stündige?
Wird man sie durch Strike dazu zwingen wollen? Oder was
wird die große Masse der Arbeiter zu der Verminderung des
Lohnes sagen? Möglicherweise verläßt man sich in der sozial—
demokratischen Arbeiterschaft auf die zwingende Logik der Gewalt;
aber das ist überhaupt keine Logik, weil sie schon zu oft, zumal
n letzter Zeit, kläglich Schiffbruch gelitten hat. Diese Lohn—