Full text: Deutsches Baugewerks-Blatt : Wochenschr. für d. Interessen d. prakt. Baugewerks (Jg. 53, Bd. 12, 1893)

2. 
Die Gefährlichkeit der Elektrizität. 
20 
Die Gefährlichkeit der Elektrijität.*) 
Heutzutage, wo die Elektriker ihre Stromnetze über gatze 
Stadtviertel und Städte ausdehnen, ist es wohl an der Zeit, 
eine Betrachtung über die Gefährlichkeit der elektrischen 
Leitungen anzustellen. 
Die Schäden, die durch unvorsichtige Behandlung der 
Elektrizität herbeigeführt werden können, betreffen theils Leib 
und Leben, theils Eigenthum, und demgemäß zerfällt die 
Untersuchung von selbst in zwei entsprechende Theile: sie be— 
schäftigt sich erst mit der Gefahr für Personen, dann mit der 
Gefahr für Sachen. 
Damit die Elektrizität einen Menschen beschädige, muß sie 
in Form eines Stromes durch seinen Körper gehen. Dieser 
Strom kann herrühren 1. von der plötzlichen Entladung einer 
angesammelten Elektrizitätsmenge, 2. von der Wirkung einer 
dauernden, fortwährend in gleichem Sinne wirkenden elektro— 
motorischen Kraft, 3. von einer elektromotorischen Kraft, die in 
kurzen Perioden ihre Richtung umkehrt und daher in schneller 
Folge Ströme wechselnder Richtung, sogenannte Wechselströme. 
durch den Körper schickt. 
Plötzliche Entladungen angesammelter Elektrizität haben 
wir im Blitz und in dem sogenannten Schlag der Leidener 
Flasche vor uns. Die Blitzgefahr gehört eigentlich micht hier— 
her, da wir von den künstlichen, für technische Zwecke willkürlich 
hergestellten Leitungen sprechen wollen. Wir erwähnen sie nur, 
um' festzustellen, daß der Blitz seine bekannten tödtlichen 
Wirkungen theils durch Lähmung des Nervensystems, theils 
aber auch durch mechanische Zerreißung von Nerven und 
Blutgefäßen ausüubt. Wo ein Mensch nur von einer mäßigen 
Theilentladung eines Blitzes getroffen wird, kann er mit einer 
bloßen Betäubung davonkommen; das beste Mittel, ihn wieder 
zu beleben, besteht in ausdauernd fortgesetztem Lufteinblasen. 
Eine kräftige Leidener Batterie wirkt gerade wie ein schwacher 
Blitzschlag, wenn sie durch einen menschlichen Körper entladen 
wird. Sie kommt übrigens nur in Laboracoriumsversurben 
vor und hat deswegen für das große Publikum keine Bedeutung. 
Genauer. gesagt: sie hat nur eine Bedeuͤtung; es hat so ziemlich 
jeder moderne Mensch in' der Zeit seines Gymnasialunterrichts 
oder auf dem Jahrmarkt einmal das unangenehm durch— 
zuckende Gefühl eines kleinen Flaschenschlages (so wie auch 
dasjenige, welches vom Strom einer schwachen Induktions— 
maschine verursacht wird) aus eigener Erfahrung kennen ge— 
lernt und hat davon den Eindruck behalten, daß die Elektrizität 
überraschend und peinlich auf die Nerven wirkt. Daher ist 
im Publikum eine gewisse Furcht; vor Allem, was elektrisch 
heißt, vorhanden; man scheut sich, ein elektrisches Ding mit 
der Hand zu berühren, auch wenn der Strom, den es aus— 
senden kann, so schwach ist, daß er keinem Infusionsthier 
etwas zu Leide thun würde. Besteht zwischen zwei Punkten 
eine dauernde, stets in gleichem Sinne gerichtete elektro— 
motorische Kraft, so entsteht in einem Leiter, den man zwischen 
die Punkte bringt, ein sogenannter Gleichstrom. Dies ist der 
zewoͤhnliche, früher ausschließlich in der Technik verwendete 
Strom, wie ihn die galvanischen Elemente und die Dynamo— 
maschinen liefern. Bringt man auf seinen Weg einen mensch— 
lichen Körper, so geht der Strom auch durch diesen; seine 
Wirkungen werden aber bei den in der Kraxis vorkommenden 
Spannungen nicht bedenklich, meistens kaum merklich. Die 
Pole einer mäßigen galvanischen Batterie, wie sie z. B. bei'm 
Telegraphiren gebraucht wird, kann man berühren, Lohne etwas 
zu fühlen; bei Spannungen von 50 bis 200 Volt verursacht 
eine Berührung von längerer Dauer, je nach der Empfindlich— 
keit der Person und der berührenden Körperstelle, schon un— 
bequeme oder schmerzhafte Gefühle, erst bei 500 und mehr 
Volt entsteht auch nach kurzem Zwischenschalten des Körpers 
ein höchst schmerzhafter Muskelkrampf, der längere Zeit anhält. 
Solche Ströme kommen aber wieder nur im Laboratorium 
hor und gelangen nicht in die Hände des großen Publikums, 
sodaß sie hier kaum zu berücksichtigen sind. 
Anders steht es um Wechselströme. Die hin- und her— 
zehenden Erschütterungen, welche diese im Nervensystem hervor— 
rufen, erregen die Nerven-Elemente viel stärker, als gleich— 
gerichtete Strome; bringt man den Körper zwischen zwei 
Bunkte, deren gegenseitige Spannung 100 Volt beträgt, so 
nerkt er die Wirkung schon deutlich, bei 200 Volt wird sie 
inangenehm, bei 500 unerträglich; gegen 1000 Volt und 
arüber kann Betäubung, ja Tod eintreten. Diese Angaben 
zelten für Ströme, die ihre Richtung etwa 50 bis 200 Mal 
u der Sekunde wechseln. Der Tod erfolgt, indem die 
zroßen Lebensfunktionen: Athmung, Herzschlag, Austausch 
nnerhalb der Gewebe, durch Lähmung der Nerven stillgestellt 
verden. Die Grenze aber, bei der die Betäubung in end— 
ziltigen Tod übergeht, ist noch nicht genau festgestellt und 
iegt wahrscheinlich erheblich höher, als man bis in die letzte 
Zeit geglaubt hat. Man nahm an, 1000 Volt seien schlecht— 
sin tödtlich, und die Amerikaner führen ihre modernen Hin— 
ichtungen mit Spannungen von 2000 bis 3000 Volt aus. 
In neuester Zeit haben aber französische Forscher, eben im 
Interesse der Hinrichtungen durch Elektrizität, die Sache an 
Thieren näher untersucht und gefunden, daß die Wirkung 
nerhältnißmäßig recht unsicher ist. Viele Thiere, die man der 
Analogie nach für sicherlich und endgiltig todt hätte halten 
nüssen, ließen sich durch Lufteinblasen wieder zum Leben 
»xingen. Biraud in Lyon z. B. konnte ein unglückliches 
daninchen durch einen Wechselstrom von 2500 Volt Spannung 
ticht mit Sicherheit tödten. Bezüglich der amerikanischen Hin— 
richtungen kommt man hiernach zu dem nicht eben schönen Er— 
zebniß, daß das sicherste dabei die Oeffnung des Hingerichteten 
st, die nach gesetzlicher Vorschrift auf die elektrische Behandlung 
des Verbrechers folgt. 
Die Gesellschaften für Beleuchtung und Kraftübertragung 
verwenden nun in der That in ihren Wechselstromleitungen 
Spannungen von unbedingt gefährlicher Höhe. Tie Kraft— 
ibertragung von Lauffen nach Frankfurt a. M., die bei der 
Frankfurter Ausstellung vorgeführt wurde, hat mit 15 000 Volt 
zearbeitet; sie ist freilich bis jetzt ein Unikum geblieben, aber 
Spannungen bis 3000 Volt werden in Deutschland, solche 
»is 10 000 Volt in New-York und Chicago, sowie in der 
Schweiz gebraucht. Selbstverständlich werden Drähte oder 
Zabel, welche derartige Spannungen führen, nicht dem Publikum 
u die Hand gegeben, sondern man leitet sie, gut isolirt, 
purch die Luft oder durch den Erdboden, und wo ihre Zweige 
n die Häuser führen, da sorgt man dafür, daß in diese nur 
iin ungefährlicher Antheil der hohen Spannung gelangt. 
Wären die Vorrichtungen für Isolation und Umformung absolut 
uverlässig, so würde das Publikum weder als Konsument noch 
ils Spaziergänger jemals in Berührung mit den Hoch— 
pannungsdrähten kommen und da, wo sie gut ausgeführt 
ind, ist dieser Zustand in der That so gut wie erreicht. 
Die praktische Gefährlichkeit der Hochspannungsleitungen ist 
emnach wesentlich eine Frage der Ausführung; wird diese 
zut gemacht, so sind sie unbedenklich, wird sie nachlässig ge— 
irbeitet, so ist die Gefahr vorhanden. Amerikanische Ingenieure 
saben vor einigen Jahren in der letzteren Richtung stark ge— 
ündigt und dadurch die Wechselströme eine Zeit lang in be— 
enklichen Ruf gebracht; sie zogen Drähte, die bis 10 000 Volt 
rugen, offen auf Mastbäumen über die Straßen, die Drähte 
ielen gelegentlich herunter und schlugen Menschen oder Pferde 
odt, bis die Polizei ein Einsehen hatte, die Pfähle umhieb 
ind die Techniker zwang, ihre Drähte besser zu verlegen. Bei 
uns sind derartige Liederlichkeiten im großen Stil von vorn— 
jerein unmöglich und sind nie dagewesen, wohl aber kann es 
jorkommen und ist (z. B. in Halle) vorgekommen, daß der obere 
Zuführungsdraht einer elektrischen Trambahn reißt, auf's 
pflaster sällt und, wenn er gerade einen Menschen oder 
ein Thier trifft, diesen unangenehm wird. Indessen auch 
dafür giebt es Mittel, und die Elektrotechniker haben 
ich derselben bereits bemächtigt. Von dem Augenblick, wo 
der Draht reißt, bis zu dem. wo er in Manneshöhe ankommt. 
*) Mit Rücksicht auf die große Bedeutung, welche die Elektrizität 
jetzt schon besitzt und mehr noch in der Zukunft zweifellos erlangen wird, 
auch für das Bauwesen, dürfte diese interessante Arbeit die Aufmerksamkeit 
unserer Leser verdienen. DPie Red.
	        
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