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Die Gefährlichkeit der Elektrizität.
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Die Gefährlichkeit der Elektrijität.*)
Heutzutage, wo die Elektriker ihre Stromnetze über gatze
Stadtviertel und Städte ausdehnen, ist es wohl an der Zeit,
eine Betrachtung über die Gefährlichkeit der elektrischen
Leitungen anzustellen.
Die Schäden, die durch unvorsichtige Behandlung der
Elektrizität herbeigeführt werden können, betreffen theils Leib
und Leben, theils Eigenthum, und demgemäß zerfällt die
Untersuchung von selbst in zwei entsprechende Theile: sie be—
schäftigt sich erst mit der Gefahr für Personen, dann mit der
Gefahr für Sachen.
Damit die Elektrizität einen Menschen beschädige, muß sie
in Form eines Stromes durch seinen Körper gehen. Dieser
Strom kann herrühren 1. von der plötzlichen Entladung einer
angesammelten Elektrizitätsmenge, 2. von der Wirkung einer
dauernden, fortwährend in gleichem Sinne wirkenden elektro—
motorischen Kraft, 3. von einer elektromotorischen Kraft, die in
kurzen Perioden ihre Richtung umkehrt und daher in schneller
Folge Ströme wechselnder Richtung, sogenannte Wechselströme.
durch den Körper schickt.
Plötzliche Entladungen angesammelter Elektrizität haben
wir im Blitz und in dem sogenannten Schlag der Leidener
Flasche vor uns. Die Blitzgefahr gehört eigentlich micht hier—
her, da wir von den künstlichen, für technische Zwecke willkürlich
hergestellten Leitungen sprechen wollen. Wir erwähnen sie nur,
um' festzustellen, daß der Blitz seine bekannten tödtlichen
Wirkungen theils durch Lähmung des Nervensystems, theils
aber auch durch mechanische Zerreißung von Nerven und
Blutgefäßen ausüubt. Wo ein Mensch nur von einer mäßigen
Theilentladung eines Blitzes getroffen wird, kann er mit einer
bloßen Betäubung davonkommen; das beste Mittel, ihn wieder
zu beleben, besteht in ausdauernd fortgesetztem Lufteinblasen.
Eine kräftige Leidener Batterie wirkt gerade wie ein schwacher
Blitzschlag, wenn sie durch einen menschlichen Körper entladen
wird. Sie kommt übrigens nur in Laboracoriumsversurben
vor und hat deswegen für das große Publikum keine Bedeutung.
Genauer. gesagt: sie hat nur eine Bedeuͤtung; es hat so ziemlich
jeder moderne Mensch in' der Zeit seines Gymnasialunterrichts
oder auf dem Jahrmarkt einmal das unangenehm durch—
zuckende Gefühl eines kleinen Flaschenschlages (so wie auch
dasjenige, welches vom Strom einer schwachen Induktions—
maschine verursacht wird) aus eigener Erfahrung kennen ge—
lernt und hat davon den Eindruck behalten, daß die Elektrizität
überraschend und peinlich auf die Nerven wirkt. Daher ist
im Publikum eine gewisse Furcht; vor Allem, was elektrisch
heißt, vorhanden; man scheut sich, ein elektrisches Ding mit
der Hand zu berühren, auch wenn der Strom, den es aus—
senden kann, so schwach ist, daß er keinem Infusionsthier
etwas zu Leide thun würde. Besteht zwischen zwei Punkten
eine dauernde, stets in gleichem Sinne gerichtete elektro—
motorische Kraft, so entsteht in einem Leiter, den man zwischen
die Punkte bringt, ein sogenannter Gleichstrom. Dies ist der
zewoͤhnliche, früher ausschließlich in der Technik verwendete
Strom, wie ihn die galvanischen Elemente und die Dynamo—
maschinen liefern. Bringt man auf seinen Weg einen mensch—
lichen Körper, so geht der Strom auch durch diesen; seine
Wirkungen werden aber bei den in der Kraxis vorkommenden
Spannungen nicht bedenklich, meistens kaum merklich. Die
Pole einer mäßigen galvanischen Batterie, wie sie z. B. bei'm
Telegraphiren gebraucht wird, kann man berühren, Lohne etwas
zu fühlen; bei Spannungen von 50 bis 200 Volt verursacht
eine Berührung von längerer Dauer, je nach der Empfindlich—
keit der Person und der berührenden Körperstelle, schon un—
bequeme oder schmerzhafte Gefühle, erst bei 500 und mehr
Volt entsteht auch nach kurzem Zwischenschalten des Körpers
ein höchst schmerzhafter Muskelkrampf, der längere Zeit anhält.
Solche Ströme kommen aber wieder nur im Laboratorium
hor und gelangen nicht in die Hände des großen Publikums,
sodaß sie hier kaum zu berücksichtigen sind.
Anders steht es um Wechselströme. Die hin- und her—
zehenden Erschütterungen, welche diese im Nervensystem hervor—
rufen, erregen die Nerven-Elemente viel stärker, als gleich—
gerichtete Strome; bringt man den Körper zwischen zwei
Bunkte, deren gegenseitige Spannung 100 Volt beträgt, so
nerkt er die Wirkung schon deutlich, bei 200 Volt wird sie
inangenehm, bei 500 unerträglich; gegen 1000 Volt und
arüber kann Betäubung, ja Tod eintreten. Diese Angaben
zelten für Ströme, die ihre Richtung etwa 50 bis 200 Mal
u der Sekunde wechseln. Der Tod erfolgt, indem die
zroßen Lebensfunktionen: Athmung, Herzschlag, Austausch
nnerhalb der Gewebe, durch Lähmung der Nerven stillgestellt
verden. Die Grenze aber, bei der die Betäubung in end—
ziltigen Tod übergeht, ist noch nicht genau festgestellt und
iegt wahrscheinlich erheblich höher, als man bis in die letzte
Zeit geglaubt hat. Man nahm an, 1000 Volt seien schlecht—
sin tödtlich, und die Amerikaner führen ihre modernen Hin—
ichtungen mit Spannungen von 2000 bis 3000 Volt aus.
In neuester Zeit haben aber französische Forscher, eben im
Interesse der Hinrichtungen durch Elektrizität, die Sache an
Thieren näher untersucht und gefunden, daß die Wirkung
nerhältnißmäßig recht unsicher ist. Viele Thiere, die man der
Analogie nach für sicherlich und endgiltig todt hätte halten
nüssen, ließen sich durch Lufteinblasen wieder zum Leben
»xingen. Biraud in Lyon z. B. konnte ein unglückliches
daninchen durch einen Wechselstrom von 2500 Volt Spannung
ticht mit Sicherheit tödten. Bezüglich der amerikanischen Hin—
richtungen kommt man hiernach zu dem nicht eben schönen Er—
zebniß, daß das sicherste dabei die Oeffnung des Hingerichteten
st, die nach gesetzlicher Vorschrift auf die elektrische Behandlung
des Verbrechers folgt.
Die Gesellschaften für Beleuchtung und Kraftübertragung
verwenden nun in der That in ihren Wechselstromleitungen
Spannungen von unbedingt gefährlicher Höhe. Tie Kraft—
ibertragung von Lauffen nach Frankfurt a. M., die bei der
Frankfurter Ausstellung vorgeführt wurde, hat mit 15 000 Volt
zearbeitet; sie ist freilich bis jetzt ein Unikum geblieben, aber
Spannungen bis 3000 Volt werden in Deutschland, solche
»is 10 000 Volt in New-York und Chicago, sowie in der
Schweiz gebraucht. Selbstverständlich werden Drähte oder
Zabel, welche derartige Spannungen führen, nicht dem Publikum
u die Hand gegeben, sondern man leitet sie, gut isolirt,
purch die Luft oder durch den Erdboden, und wo ihre Zweige
n die Häuser führen, da sorgt man dafür, daß in diese nur
iin ungefährlicher Antheil der hohen Spannung gelangt.
Wären die Vorrichtungen für Isolation und Umformung absolut
uverlässig, so würde das Publikum weder als Konsument noch
ils Spaziergänger jemals in Berührung mit den Hoch—
pannungsdrähten kommen und da, wo sie gut ausgeführt
ind, ist dieser Zustand in der That so gut wie erreicht.
Die praktische Gefährlichkeit der Hochspannungsleitungen ist
emnach wesentlich eine Frage der Ausführung; wird diese
zut gemacht, so sind sie unbedenklich, wird sie nachlässig ge—
irbeitet, so ist die Gefahr vorhanden. Amerikanische Ingenieure
saben vor einigen Jahren in der letzteren Richtung stark ge—
ündigt und dadurch die Wechselströme eine Zeit lang in be—
enklichen Ruf gebracht; sie zogen Drähte, die bis 10 000 Volt
rugen, offen auf Mastbäumen über die Straßen, die Drähte
ielen gelegentlich herunter und schlugen Menschen oder Pferde
odt, bis die Polizei ein Einsehen hatte, die Pfähle umhieb
ind die Techniker zwang, ihre Drähte besser zu verlegen. Bei
uns sind derartige Liederlichkeiten im großen Stil von vorn—
jerein unmöglich und sind nie dagewesen, wohl aber kann es
jorkommen und ist (z. B. in Halle) vorgekommen, daß der obere
Zuführungsdraht einer elektrischen Trambahn reißt, auf's
pflaster sällt und, wenn er gerade einen Menschen oder
ein Thier trifft, diesen unangenehm wird. Indessen auch
dafür giebt es Mittel, und die Elektrotechniker haben
ich derselben bereits bemächtigt. Von dem Augenblick, wo
der Draht reißt, bis zu dem. wo er in Manneshöhe ankommt.
*) Mit Rücksicht auf die große Bedeutung, welche die Elektrizität
jetzt schon besitzt und mehr noch in der Zukunft zweifellos erlangen wird,
auch für das Bauwesen, dürfte diese interessante Arbeit die Aufmerksamkeit
unserer Leser verdienen. DPie Red.