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Die feuergefährlichen Fachwerkgebäude auf dem Lande wie in kleineren Städten ꝛc. — Euntscheidungen.
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Zweck praktische Häuser zu ganz überraschend billigen Preisen
Jebaut. Diefe Häuser sind, je nach Bedarf, 1- und 2⸗stöckig;
pielfach werden die Mauern mit Luftschichten gebaut, wodurch
sich die inneren Räume trocken und warm halten, während da—
durch noch viel theures Baumaterial gespart wird. Alle Vor—
theile, die sich für den Bau von Arbeiter-Wohnungen erreichen
ließen, dürften sich aber auf Nenbauten in den Törfern und
kleineren Städten übertragen lassen.
Hier wie dort handelt es sich um Befriedigung einfacher
Bedürfnisse, um Herstellung einfacher und billiger, zweckentsprechen—
der Wohnungen und Wirthschaftsgebäude; diese sind hier wie
die Arbeiter-Wohnungen, 1- und 2⸗stöckig, sodaß man die Kosten—
Anschläge der ersteren bei den letzteren zu Grunde legen kann.
Zu berücksichtigen wäre dabei, daß in den ländlichen Ort—
schaften auch darauf Bedacht geuommen wird, mehr als bisher
Häuser mit 2 Arbeiter- oder Handwerker-Wohnungen zu errichten.
Bei unbedeutenden kleinen Häusler-Nahrungen ohne Land, in
denen weder Ziegen noch Geflügel gehalten werden können, würde
sich eine Einrichtung zu 2 Wohnungen empfehlen, wovon die eine
zu vermiethen wäre; der Ertrag des Hauses wäre dadurch ge—
sicherter.
Das Bedürfniß hierfür wird sich mehr und mehr entwickeln.
Seit längerer Zeit schon ist man bestrebt, Fabriken und dergl.
dort anzulegen, wo billige Arbeitskräfte in genügender Zahl vor—
handen find. Ferner weiß man, daß, während sonst Maurer,
Zimmerleute und sonstige Handwerker ihren Wohnsitz in die
Städte verlegten, dieselben jetzt in den mitunter ziemlich entfernten
Dörfern ihr Heim aufschlagen, per Fahrrad am Morgen ihre
Arbeitsstätte aufsuchen und am Abend in ihr Heim auf dem
Dorfe zurückkehren, weil sie und ihre Familie dort billiger und
gesünder leben, als in den großen Städten mit ihren oft engen
und dumpfigen Straßen. — Wir befinden uns aber erst am
Anfang dieser Bewegung, und es liegt in hohem Interesse der
ländlichen Kreise, diese Bewegung mit allen Mitteln zu unter—
stützen. Bei der Einschränkung der Geschäftszeit in den Städten
auläßlich der Sonntagsruhe dürfte es sich empfehlen, hier und
dort einen Laden einzubauen; auf dem Lande wird in dieser Be—
ziehung noch wenig geboten und doch schließt man nach der
äußeren Ausstattung sehr oft auf die innere, ein mit einem
Laden ausgestättetes Haus dürfte sich auch hier bald sehr gut
derzinsen.
Vielleicht ließen sich auch auf unseren bäuerlichen Besitzungen
bessere Arbeitsverhältnisse erzielen, wenn bei'm Neubau von
Seitengebäuden auf eine oder zwei freundliche Wohnungen Be—
dacht genommen wurde. Bei zahlreicher Familie wird es selten
möglich sein, daß alle Kinder sich wieder in bäuerliche Besitzungen
einheirathen oder solche erwerben können. Manches der Kinder
dürfte vielleicht eine solche Wohnung in der elterlichen Heimath
peranlassen, dort zu bleiben und dem Bruder oder der Schwester
eine zuverlässige Stütze in der Wirthschaft zu sein. Diese
Stellung selbst würde durch die kleine Rente, die aus dem
elterlichen Nachlaß ihnen nebenher zur Verfügung stünde, sehr
oft eine freiere und angenehmere sein, als wenn dieselben mit zu
geringem Kapital Wirthschaften übernehmen, die ihren Mitteln
nicht entsprechen.
Die Frage, die uns nun zunächst beschäftigt, ist di:: Wer
soll bauen?
Der Besitzer solcher feuergefährlicher Gebände auf dem
Lande, wie wir sie oben beschrieben, gleichviel ob Bauer, Gärtner
oder Häusler, verfügt selten über die Mittel zum Bauen. Wo
die Mittel dazu vorhanden sind, dürfte ein Umbau in den meisten
Fällen erfolgen, doch kann man trotz alledem in manchen Gegenden
sehr viele Häuser finden, die, wenn auch nicht mehr zu den ganz
feuergefährlichen, so doch zu den ewig reparaturbedürftigen zu
zählen sind. Unter der Masse Grundbesitzer, die hier in Betracht
kommen, dürfte es schließlich auch Solche geben, die aus eigenen
Meitteln etwas zum Bau zuschießen wollenn; um diesen Betrag
würde sodann die Belastung des Grundstücks geringer.
GEs schweben uns verschiedene Korporationen vor, die ein
genügendes Iuteresse an solchen Bau-Unternehmungen hätten; wir
gehen jedoch über dieselben hinweg, weil wir von ihnen nur schwer
die von uns gestellten Bedingungen erfüllt sehen würden. — Da—
gegen halten wir die Fener-Versicherungs-Gesellschaften für die
geeignetsten Unternehmer, weil gerade diese nebst den Besitzern
das ureigenste Juteresse an der Beseitigung aller zweifelhaften
Gebäude haben müssen und diese in der Lage sind, mit Leichtigkeit
sich das Bau-Kapital zu verschaffen und Verzinsung und
Amortisirung in Verbindung mit der Verficherung am billigsten
für die Besitzer zu bewerkstelligen.
Zur Frage der Beschaffung des Bau-Kapitals sei Folgendes
zur Erwägung gestellt:
Man kapitalisire die Differenz, welche zwischen den Feuer—
Versicherungs-Prämien eines massiven Grundstücks und den
Prämien eines Fachwerk-Grundstückes mit Stroh- oder Holz—
»edachung liegt, und man wird schon ein ganz nettes Sümmchen
herzeichnen können. Dieses Sümmchen vermehrt sich zunächst in
derfelben Weise durch die Mobiliar-Versicherung, ebenso durch
die Versichernug der Ernte gegen Feuersgefahr.
Das Unternehmen müßte im Verbande durchgeführt werden,
d. h. die sämmtlichen Besitzer feuergefährlicher Häuser zunächst
iner Gemeinde müßten auf den Antrag eingehen.
Die Regelung der Hypotheken zu einem mäßigen Zinsfuß
nüßte ebeufalls die Fener-Versicherungs-Gesellschaft in die Hand
jehmen und ev. neue, in Folge des Baues entstehende Hypotheken
eslen resp. einheitlich auf einen langen Zeitraum hinaus
edeln.
Entscheidnugen.
In einer Entscheidung vom 22. September d. J. hat der
V. Senat des Oberverwaltungsgerichts, abweichend von der
»isherigen Rechtsprechung des Gerichtshofes, den Grundsatz gus—
gesprochen, daß Zäune und Gitter zu den Bauwerken (Neu⸗
‚auten, Um- und Ausbauten) nicht gehören, deren Errichtung über
eine in Aussichtgenommene Straßeuflüchtlinie hinaus nach Maaßgabe
des Baufluchtengesetzes vom 2. Juli 1875 untersagt werden darf.
Zwei Streitfälle lagen dem Gerichtshofe zur Entscheidung vor,
n denen es auf diese Frage ankam. In dem einen Falle war
dem Eisenbahn-Betriebsamt Breslau von der Polizeiverwaltung
einer schlesischen Stadt die Genehmigung zur Einzäunung eines
hmm gehörigen Terrainstreifens nur mit der Magßgabe ertheilt
vorden, daß die Einzäunung unterbleiben müsse, soweit sie über
ie Straßenfluchtlinie hinausgehe. Im anderen Falle war einem
dausbesißer in Charlottenburg-Westend von der dortigen Polizei—
direktion aufgegeben worden, das sein Vorgartenterrain gegen
die Straße abschließende Gitter zu beseitigen, soweit es über die
ZStraßenfluchtlinie hinausgehe. Hier wie dort war mittels der
dlage gegen die potizeilichee Verfügumgen zugleich gelteud gemacht
vorden, daß eine endgiltige Festsetzung der Fluchtlinie noch gar
aicht stattgefunden habe. Dieser Einwand wurde vom Ober—⸗
»erwaltungsgericht verworfen. Dasselbe hielt vielmehr an seiner
hisherigen Praxis fest, daß die Versagung des Baufkonsenses
vegen Ueberschreitung der Fluchtlinie an sich auch bereits während
)es Feststellungsverfahrens zulässig ist, sobald nur ein Einver—
tändniß der Gemeinde- und Polizeibehörde über die einzuhaltende
Fluchtlinie erzielt ist. Dagegen ging der Gerichtshof in der
ingangs erwähnten Beziehung von dem in früheren Entscheidungen
estgehältenen Standpunkte ab und erkannte aus diesem Grunde
»em Klageantrage gemäß auf Außerkraftsetzung der polizeilichen
Verfügungen, soweit dieselben auch für Gitterbaufen die Einhaltung
der Fluchtlinie forderten.
Bei der Verabredung der Gewährung eines Dar—
ehns an ein Genossenschaftsmitglied, wobei definitiv der Ge—
rossenschaftsvorstand zu befinden hat, war von dem Kassirer mit
»em Bürgen die mündliche Nebenabrede getroffen, daß die
Bürgschaft im Falle späterer hypothekarischer Sicherstellung er—
öschen solle. Diese Sicherstellung war erfolgt, und als der
Bürge später in Anspruch genommen wurde, erhob er den Ein—
vand aus der verlangten mündlichen Nebenabrede, wurde jedoch
rotzdem verurtheilt. Das Reichsgericht, III. Civilsenat, hat dies
m Urtheil vom 29. April 1893 dahin begründet: Daß die
Henossenschaft an die mündliche Nebenabrede gebunden sei, würde
ruur dann ohne Bedenken angenommen werden können, wenn der
dzassirer allgemein oder durch besonderen Beschluß des über die
hewährung von Darlehen beschließenden Organs des Vereins
zum Abschluß der Nebenverabredung ermächtigt war. Hatte der—
elbe aber unter Ueberschreitung seiner Vollmacht nur persönlich
eine derartige Zusicherung ertheilt, so konnte der Beklagte aus
herselben keine wirksame Einrede gegen den Anspruch des klagenden
Vereins herleiten. Die schriftliche Bürgschaftsurkunde bildete die
Grundlage, auf Grund deren der Vereinsvorstand über die Ge—
vährung oder Ablehnung des Darlehusgesuches Beschluß faßte,
und indem der Beklagte diese Urkunde unterzeichnete, ohne daß
n derselben ein Vorbehalt zum Ausdruck gelangte, mußte er sich
sagen, daß die Bürgschaftsverpflichtung, wie sie schriftlich lante,
ür den Beschluß über die Darlehnsgewährung maaßgebend sein
önne. Hatte der Beklagte solchermaaßen den klagenden Verein
zurch Abgabe seiner schriftlichen Bürgschaftserklärung zur Ge—