Full text: Deutsches Baugewerks-Blatt : Wochenschr. für d. Interessen d. prakt. Baugewerks (Jg. 53, Bd. 12, 1893)

Der Baustyl des 19. Jahrhunderts. 
502 
allen Boden abzusprechen. Gleicher Weise räumen wir der 
ttalienischen oder deutschen Renaissance, dem Barock oder 
Rokoko als der Neuzeit nur bedingungsweise entsprechenden 
Stylarten keinen ausschließlichen Vorrang ein. 
Dr. Reichensperger ertheilte seiner Zeit seinen Kölner 
Mitbürgern bezüglich ihrer Stadterweiterung wohlgemeinte 
Rathschläge über Außen- und Innenausbau der neuen Häuser, 
betonte alle Erfordernisse des Komforts und die Nothwendigkeit, 
die Façaden in solidem Haustein auszuführen, anstatt mit 
Cement, Gyps und Zink architektonische Lügen zur Schau zu 
stellen. Außer der gewünschten gothischen Styleinheit kann 
man dies Alles füglich unterschreiben, denn leider enttäuschen die 
Bauten auf dem Hohenzollern- und Hohenstaufcnringe in Köln 
den Kunstfreund gewaltig. Bei'm NRamen eines Hohenstaufen— 
ringes in Köln erklingt dem historisch gebildeten Sinne ein 
Akkord, so gewaltig, so stolz, daß man wünschen möchte, den— 
selben in Stein verkörpert zu sehen. Statt dessen ein system— 
loses, blindes Zufallsspiel von an einander gereihten Speku— 
lationshäusern in allen möglichen und unmöglichen Styl- und 
Geschmacksarten; nirgends ein führender, ordnender Gedanke! 
Dieser Hohenstaufenring könnte ebensogut Karnevalsring heißen: 
Hier verkennen offenbar Architekten und Väter der Stadt ihre 
Aufgabe. Nicht allein der Grundriß, sondern auch der Aufriß 
der Straßen muß cinheitlich und von einer Künstlerhand 
entworfen werden. Denn hierin liegt eine neue große Aufgabe 
unserer schnell wachsenden Großstädte, und diese wird fast 
überall noch verkannt, Das beleidigende Nebeneinander der 
verschiedenartigsten Bauarten hat einem wohldurchdachten 
künstlerischen Aufbau Platz zu machen mit architektonischer 
Gliederung der Gesammtmassen. Solche wird nicht durch die 
kleinlichen Mittel von Erkern und Loggien erreicht, sondern 
nur durch größere Höhenunterschiede in den Häusern und 
Etagen, durch reich profilirte hohe Dachaufbauten, durch 
größere Tiefenwirkung mittelst in Abständen angebrachter 
Vorgärten, die für Bäume und Fontänen Platz bieten und 
den zurücktretenden Hausfronten wie Flankenthürmen Gelegenheit 
zu schönen Silhouetten bieten. 
Nur durch solche Gruppirung wird es gelingen, der 
modernen Straße mit der umerträglichen Einförmigkeit ihrer 
gleich hohen Dachsimse den kegelschubartigen Charakter zu 
nehmen; sie charaktervoll und interessant zu gestalten. Charak— 
tervoll, indem jedes einzelne Haus der Gesammtkomposition 
sich zu unterstellen hat in Ausdehnung und Styl; lebendig 
und interessant, indem durch das Zusammenfassen mehrerer 
Einzelhäuser in ein einziges imponirendes Ganzes von klarer 
Uebersichtlichkeit und duͤrch das rhythmische Gegengewicht 
anderer Gruppen ein künstlerischer Gedanke ausgesprochen 
werden kann. Darum wird es kein Schade sein, wenn die 
Betonung der scheidenden Brandmauern hierdurch mehrfach 
wegfällt; ein großer Gewinn aber wird uns erwachsen durch 
gemeinschaftliche Lichthöfe, rationelle Vertheilung der Hinter— 
häuser und vor Allem in der größeren Mannichfaltigkeit des 
Etagengrundrisses. Den sich stets wiederholenden 5. oder 75 
fenstrigen Etagenhäusern der meisten Städte, denen sich die 
berschiedensten Wohnungsansprüche wohl oder übel anbequemen 
müssen, wird gerade hierdurch ein wirksames Gegenmittel 
gegeben. Die Änlage der Straßen vermag in die öde Lange— 
wweile der geradlinigen Straßenzüge malerische Abwechselung 
zu bringen durch geschwungene Linien und sternförmige 
Ausbreitung von den größeren Plätzen aus. Auch sollten die 
Fernsichten der großen Straßen auf Kirchen und Monumental⸗ 
bauten hinauslaufen. Und nur der Art können wir das malerisch 
Gewordene der Städte, wie Nürnberg, Rothenburg, Hildesheim, 
mit ihrem unverlierbaren Reize in unsere Gewalt bekommen. 
Nicht in sklavischer Nachahmung, wie die blassen Kopien von 
Burgen und Landsitzen mit ihren kleinen gothischen Anbauten, 
sondern in freier künstlerischer Komposition aus einer leitenden 
Grundidee. 
Diese Idee für einen Hohenstaufenring in Köln war 
gegeben, aber der Künstler ward nicht berufen, der sie ge 
staltete. Hier hätte Gothik oder der malerische Uebergangssty! 
des Romanischen, der in Alt-Köln vielfach zu sehen ist, Platz 
greifen sollen; in Verbindung mit der lichtvollen Großartigkeit 
des Renaissancepalastes hätten herrliche Silhouetten erreicht 
werden können, flankirende Thürme und Fontänen in den 
Vorgärten hätten dazu beigetragen, um den Akkord der 
Kaisergröße ausklingen zu lassen. Gleicher Weise hätte der 
Hohenzollernring in den Formen der deutschen Renaissance 
sein ästhetisches Kleid gefunden. 
Doch Nichts von alledem, nur ein gedankenloses Durch— 
einander von Spekulationsbauten mit der Lüge in ihrer 
Fratze von Cement und Gyps. 
Ist solches der bauliche Ausdruck des heutigen Bürger— 
sinnes von Köln oder der der anderen großen, mächtig wachsenden 
Städte, wie Berlin, Hannover, Frankfurt a. M., Dresden 
u. A. mehr? Das einzige Gute, was man darin erblicken 
könnte, wäre der bauliche Ausdruck eines lebendigen Individualis— 
mus, den unsere Zeit gereift hat, dessen Auswüchse aber 
unsere neuesten sozial-politischen Bestrebungen zu Gunsten der 
Allgemeinheit ganz bedeutend zurück schrauben wollen. Das 
viele Schlechte liegt in der Prunksucht mit unechtem Material 
und, von Gemacklosigkeiten abgesehen, in der Vernachlässigung 
des historisch gewordenen städtischen Baucharakters. Städte, 
wie die obigen, haben ihre alten baulichen Fraktionen, die 
weiter ausgebildet zu werden verdienen und den Neubauten 
einen malerischen warmen Lokal-Charakter verleihen würden. 
—D 
Statt dessen bringen uns die neuen Straßenfronten 
Schmuckfaçaden, die ebensogut in Brüssel, Paris und London 
stehen könnten und mit ihrem charakterlosen Allerweltsgesicht 
uns recht gleichgültig und kühl anschauen. So ergeht es 
den Dresdenern mit dem kostspieligen Akademiebau auf der 
Brühl'schen Terrasse und anderen Staatsbauten; eine rühm— 
liche Ausnahme macht der neue Facadenschmuck des Kgl. 
Schlosses in altsächsischer Rengaissance und vor Allem für 
zanz Deutschland der Neubau der Kaiserlicher Postanstalten. 
Vvieser Einfügteug des Bartftyles · der Nai⸗ckanstalten in das 
lokale Gewand der einzelnen Städte liegt etwas Geistreiches 
und Zukunftverheißendes*s) Denn alle Kunst und alles Menschen— 
werk würde erstarren, wenn ihr das Befruchtende der lokalen 
Einflüsse genommen würoe. Die Postgebäude in Münster, 
Braunschweig, Hildesheim, Heidelberg athmen warmes Leben, 
weil sie das historische Kleid des Bodens annahmen, auf dem 
sie stehen. In dieser Richtung haben wir weiter zu arbeiten, 
wie in politischer gegen Gleichmacherei, sowie gegen schranken— 
losen Individualismus. 
Zum Schluß noch ein Wort über das neueste Bau— 
material, das Eisen, das einen Baustyl noch nicht gefunden. 
Die Ausstellungsgräume kommen nicht über die Form des 
Gewächshauses hinaus und die Brücken des Rheins und der 
Elbe erheben sich nicht über die nothwendigen und meist recht 
häßlichen Konstruktionsformen. Mit der berüchtigten Zigarren— 
kiste haben sich die Kölner die Perspektive ihres Doms vom 
rRhein aus gründlich verderben lassen, und neuerer Zeit ist 
die berühmte Elblandschaft von Dresden-Blasewitz durch eine 
Eisenbrücke von rohesten Sparren und Balken gänzlich ver— 
dorben worden. Auch nicht der geringste Ansatz zu einer 
künstlerischen Lösung der Formen oder Einfügung in das 
Landschaftsbild ist zu bemerken. Solches kann unmöglich der 
Baustyl der Zukunft werden wollen. Nicht minder beleidigen 
die neuen Geschäftshäuser der großen Städte mit den weit— 
räumigen Schaufenstern und den geradlinigen Eisenbalken 
darüber das gebildete Auge, besonders wo die oberen Stock— 
werke architeklonisch reichere und gewoͤlbte Fensterabschlüsse 
aufweisen. Hier macht sich die Gedankenlosigkeit, bei Architekten 
und Bauherren breit, sowie die Unfähigkeit unserer Zeit, ein 
Material zu stylistren, für welches uns die berühmten alten 
Muster nicht vorliegen. 
*) Vergleiche auch den nächsten Aufsat dieser Nummer. 
Die Red
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.