Der Baustyl des 19. Jahrhunderts.
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allen Boden abzusprechen. Gleicher Weise räumen wir der
ttalienischen oder deutschen Renaissance, dem Barock oder
Rokoko als der Neuzeit nur bedingungsweise entsprechenden
Stylarten keinen ausschließlichen Vorrang ein.
Dr. Reichensperger ertheilte seiner Zeit seinen Kölner
Mitbürgern bezüglich ihrer Stadterweiterung wohlgemeinte
Rathschläge über Außen- und Innenausbau der neuen Häuser,
betonte alle Erfordernisse des Komforts und die Nothwendigkeit,
die Façaden in solidem Haustein auszuführen, anstatt mit
Cement, Gyps und Zink architektonische Lügen zur Schau zu
stellen. Außer der gewünschten gothischen Styleinheit kann
man dies Alles füglich unterschreiben, denn leider enttäuschen die
Bauten auf dem Hohenzollern- und Hohenstaufcnringe in Köln
den Kunstfreund gewaltig. Bei'm NRamen eines Hohenstaufen—
ringes in Köln erklingt dem historisch gebildeten Sinne ein
Akkord, so gewaltig, so stolz, daß man wünschen möchte, den—
selben in Stein verkörpert zu sehen. Statt dessen ein system—
loses, blindes Zufallsspiel von an einander gereihten Speku—
lationshäusern in allen möglichen und unmöglichen Styl- und
Geschmacksarten; nirgends ein führender, ordnender Gedanke!
Dieser Hohenstaufenring könnte ebensogut Karnevalsring heißen:
Hier verkennen offenbar Architekten und Väter der Stadt ihre
Aufgabe. Nicht allein der Grundriß, sondern auch der Aufriß
der Straßen muß cinheitlich und von einer Künstlerhand
entworfen werden. Denn hierin liegt eine neue große Aufgabe
unserer schnell wachsenden Großstädte, und diese wird fast
überall noch verkannt, Das beleidigende Nebeneinander der
verschiedenartigsten Bauarten hat einem wohldurchdachten
künstlerischen Aufbau Platz zu machen mit architektonischer
Gliederung der Gesammtmassen. Solche wird nicht durch die
kleinlichen Mittel von Erkern und Loggien erreicht, sondern
nur durch größere Höhenunterschiede in den Häusern und
Etagen, durch reich profilirte hohe Dachaufbauten, durch
größere Tiefenwirkung mittelst in Abständen angebrachter
Vorgärten, die für Bäume und Fontänen Platz bieten und
den zurücktretenden Hausfronten wie Flankenthürmen Gelegenheit
zu schönen Silhouetten bieten.
Nur durch solche Gruppirung wird es gelingen, der
modernen Straße mit der umerträglichen Einförmigkeit ihrer
gleich hohen Dachsimse den kegelschubartigen Charakter zu
nehmen; sie charaktervoll und interessant zu gestalten. Charak—
tervoll, indem jedes einzelne Haus der Gesammtkomposition
sich zu unterstellen hat in Ausdehnung und Styl; lebendig
und interessant, indem durch das Zusammenfassen mehrerer
Einzelhäuser in ein einziges imponirendes Ganzes von klarer
Uebersichtlichkeit und duͤrch das rhythmische Gegengewicht
anderer Gruppen ein künstlerischer Gedanke ausgesprochen
werden kann. Darum wird es kein Schade sein, wenn die
Betonung der scheidenden Brandmauern hierdurch mehrfach
wegfällt; ein großer Gewinn aber wird uns erwachsen durch
gemeinschaftliche Lichthöfe, rationelle Vertheilung der Hinter—
häuser und vor Allem in der größeren Mannichfaltigkeit des
Etagengrundrisses. Den sich stets wiederholenden 5. oder 75
fenstrigen Etagenhäusern der meisten Städte, denen sich die
berschiedensten Wohnungsansprüche wohl oder übel anbequemen
müssen, wird gerade hierdurch ein wirksames Gegenmittel
gegeben. Die Änlage der Straßen vermag in die öde Lange—
wweile der geradlinigen Straßenzüge malerische Abwechselung
zu bringen durch geschwungene Linien und sternförmige
Ausbreitung von den größeren Plätzen aus. Auch sollten die
Fernsichten der großen Straßen auf Kirchen und Monumental⸗
bauten hinauslaufen. Und nur der Art können wir das malerisch
Gewordene der Städte, wie Nürnberg, Rothenburg, Hildesheim,
mit ihrem unverlierbaren Reize in unsere Gewalt bekommen.
Nicht in sklavischer Nachahmung, wie die blassen Kopien von
Burgen und Landsitzen mit ihren kleinen gothischen Anbauten,
sondern in freier künstlerischer Komposition aus einer leitenden
Grundidee.
Diese Idee für einen Hohenstaufenring in Köln war
gegeben, aber der Künstler ward nicht berufen, der sie ge
staltete. Hier hätte Gothik oder der malerische Uebergangssty!
des Romanischen, der in Alt-Köln vielfach zu sehen ist, Platz
greifen sollen; in Verbindung mit der lichtvollen Großartigkeit
des Renaissancepalastes hätten herrliche Silhouetten erreicht
werden können, flankirende Thürme und Fontänen in den
Vorgärten hätten dazu beigetragen, um den Akkord der
Kaisergröße ausklingen zu lassen. Gleicher Weise hätte der
Hohenzollernring in den Formen der deutschen Renaissance
sein ästhetisches Kleid gefunden.
Doch Nichts von alledem, nur ein gedankenloses Durch—
einander von Spekulationsbauten mit der Lüge in ihrer
Fratze von Cement und Gyps.
Ist solches der bauliche Ausdruck des heutigen Bürger—
sinnes von Köln oder der der anderen großen, mächtig wachsenden
Städte, wie Berlin, Hannover, Frankfurt a. M., Dresden
u. A. mehr? Das einzige Gute, was man darin erblicken
könnte, wäre der bauliche Ausdruck eines lebendigen Individualis—
mus, den unsere Zeit gereift hat, dessen Auswüchse aber
unsere neuesten sozial-politischen Bestrebungen zu Gunsten der
Allgemeinheit ganz bedeutend zurück schrauben wollen. Das
viele Schlechte liegt in der Prunksucht mit unechtem Material
und, von Gemacklosigkeiten abgesehen, in der Vernachlässigung
des historisch gewordenen städtischen Baucharakters. Städte,
wie die obigen, haben ihre alten baulichen Fraktionen, die
weiter ausgebildet zu werden verdienen und den Neubauten
einen malerischen warmen Lokal-Charakter verleihen würden.
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Statt dessen bringen uns die neuen Straßenfronten
Schmuckfaçaden, die ebensogut in Brüssel, Paris und London
stehen könnten und mit ihrem charakterlosen Allerweltsgesicht
uns recht gleichgültig und kühl anschauen. So ergeht es
den Dresdenern mit dem kostspieligen Akademiebau auf der
Brühl'schen Terrasse und anderen Staatsbauten; eine rühm—
liche Ausnahme macht der neue Facadenschmuck des Kgl.
Schlosses in altsächsischer Rengaissance und vor Allem für
zanz Deutschland der Neubau der Kaiserlicher Postanstalten.
Vvieser Einfügteug des Bartftyles · der Nai⸗ckanstalten in das
lokale Gewand der einzelnen Städte liegt etwas Geistreiches
und Zukunftverheißendes*s) Denn alle Kunst und alles Menschen—
werk würde erstarren, wenn ihr das Befruchtende der lokalen
Einflüsse genommen würoe. Die Postgebäude in Münster,
Braunschweig, Hildesheim, Heidelberg athmen warmes Leben,
weil sie das historische Kleid des Bodens annahmen, auf dem
sie stehen. In dieser Richtung haben wir weiter zu arbeiten,
wie in politischer gegen Gleichmacherei, sowie gegen schranken—
losen Individualismus.
Zum Schluß noch ein Wort über das neueste Bau—
material, das Eisen, das einen Baustyl noch nicht gefunden.
Die Ausstellungsgräume kommen nicht über die Form des
Gewächshauses hinaus und die Brücken des Rheins und der
Elbe erheben sich nicht über die nothwendigen und meist recht
häßlichen Konstruktionsformen. Mit der berüchtigten Zigarren—
kiste haben sich die Kölner die Perspektive ihres Doms vom
rRhein aus gründlich verderben lassen, und neuerer Zeit ist
die berühmte Elblandschaft von Dresden-Blasewitz durch eine
Eisenbrücke von rohesten Sparren und Balken gänzlich ver—
dorben worden. Auch nicht der geringste Ansatz zu einer
künstlerischen Lösung der Formen oder Einfügung in das
Landschaftsbild ist zu bemerken. Solches kann unmöglich der
Baustyl der Zukunft werden wollen. Nicht minder beleidigen
die neuen Geschäftshäuser der großen Städte mit den weit—
räumigen Schaufenstern und den geradlinigen Eisenbalken
darüber das gebildete Auge, besonders wo die oberen Stock—
werke architeklonisch reichere und gewoͤlbte Fensterabschlüsse
aufweisen. Hier macht sich die Gedankenlosigkeit, bei Architekten
und Bauherren breit, sowie die Unfähigkeit unserer Zeit, ein
Material zu stylistren, für welches uns die berühmten alten
Muster nicht vorliegen.
*) Vergleiche auch den nächsten Aufsat dieser Nummer.
Die Red