Full text: Deutsches Baugewerks-Blatt : Wochenschr. für d. Interessen d. prakt. Baugewerks (Jg. 53, Bd. 12, 1893)

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Betrachtungen über deutsche Postbauten. 
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Betrachtungen über deutsche Posthauten 
daß diese Grundsätze eines weisen Maaßhaltens trotz der außer— 
gewöhnlichen Mannigfaltigkeit der künstlerischen Stylarten, die 
sich gleichfalls als echtdeutsche Eigenart erweist, durchweg mit 
froßer Strenge befolgt sind. Dem Einen mag die, dem Anderen 
ene Stylart oder Einzelheit nicht gefallen; in Geschmacksachen 
ann man nicht streiten; aber durchweg, nicht blos in der öffent— 
ichen Meinung, sondern vor Allem auch im Ulrtheil der Fach— 
reise, haben die deutschen Reichspostbauten sich das Zeugniß 
rworben, daß sie trotz genauer Befolgung der für alle preußischen 
Ztaatsgebäude ähnlicher Art maaßgebenden Normalsätze und 
dostenberechnungen unter strenger Vermeidung jedes unnöthigen 
Luxus durchaus gediegen und künstlerisch schön ausgeführt sind. 
Ein weiterer, nicht zu unterschätzender Vortheil, der die zu 
diesen Bauten verwendeten bedeutenden Kapitalien nicht dem 
Lande verloren gehen läßt, ist der, daß man, wenn nur irgend 
nöglich, deutsche Kunst, deutsches Material und deutsche Arbeits— 
raft benutzt und so also auch dem deutschen Baugewerke und 
unsthandwerk in vielen Städten geradezu erst den rechten Grund 
und Boden gegeben hat. Und noch ein tieferliegendes Moment 
ritt hierbei in Erscheinung: diese öffentlichen Nutz- und zugleich 
Prachtbauten sind gewissermaaßen der Prüfstein für die Berechtigung 
ind Nothwendigkeit unserer staatlichen Museen, technischen Hoch— 
schnlen und kunstgewerblichen Anstalten, und wir können sehr 
zufrieden sein mit den erzielten Resultaten. 
Eine recht anschauliche und ungemein treffende Erklärung 
der nöthigen Anwendung in das Auge fallender schöner Formen 
bei Reichsbauten, die sich ja auch mit unseren Ausführungen in 
ielem deckt, gab vor einigen Jahren Prof. Julius Lange; er 
agt: „Selbst Männer, welche geistigen Fragen ein wohlwollendes 
Verständniß entgegenbringen, sprechen nicht selten von einer Ver— 
chwenduug für Staatsbauten, sobald Summen beansprucht 
verden, wie sie eine monumentale Ausgestaltung statt eines ein— 
achen Nützlichkeitsbaues erheischt. Nichts ist verkehrter, als diese 
Anschauung, welche sich der „altpreußischen Sparsamkeit“ rühmt 
ind in den Verwaltungsbauten der letzten Jahrzehnte einen 
chweren Schaden herbeigeführt hat. Die Regierungsbauten in 
ainsern Provinzen sind zum großen Theil Nutzbauten der ödesten 
Art, nach einem vorhandenen Schema ohne Geschmack, ohne 
Aunstsinn. ia selbst ohne die bescheidensten-Rücksichten gauf die 
tlichen Verhalluufse hergestelt. Nan sehe einmal, mit welchem 
Grade künstlerischer Bewußtlosigkeit in mancher neu erworbenen 
Provinz das preußische Regierungsgebäude als viereckiger 
Klotz mitten in die Linie des schönsten Landschaftsbildes hinein— 
gestellt worden ist, mit welch' trockenem Schematismus man am 
Bosporus das Gesandtschaftsẽgebäude für das Deutsche Reich erbaut 
hat! Vergißt man denn ganz, daß ein solcher Bau doch nicht 
bloß eine Möglichkeit zur Unterbringung von Kanzleiräthen und 
Aktenbündeln geben soll, sondern daß er an seiner Stelle die 
Verkörperung des Staatsgedankens zu sein hat? Warum hat 
denn die Kirche ihre hochragenden Dome errichtet? Um einen 
Versammlungsraum für eine gewisse Anzahl von Menschen her— 
zustellen, bedurfte es dieser Dächer und Giebel nicht, bedurfte es 
nicht der Thürme, die paarweise stolz in die Luft emporsteigen. 
Als die Dentschritter die große Kulturarbeit in Preußen über— 
nahmen, schufen sie in der Marienburg nicht nur einen festen 
Wohnsitz für sich, eine Halle für den Gottesdienst, sondern hoch— 
auf richteten sie die Kirche, 40 Fuß hoch bauten sie am Giebel 
derselben das Marienbild, mit edler Gold- und Glasmosaik be— 
deckt, damit es hinausleuchte in die Lande und dem Sarmaten, 
der von weit her der Burg sich nahte, durch die monumentale 
Pracht der Erscheinung die Bedeutung des hier eintretenden 
dulturelements vergegenwärtige. Glaubt man denn, daß die 
Menschen jetzt viel nüchterner oder vernünftiger sind, daß der 
Abdruck der Verordnungen im Reichsanzeiger und im Kreisblatt 
zenügt, um die moralische Bedeutung der Staatsgewalt den Ge— 
müthern einzuprägen? Warum giebt man dem Militär den bunten 
Rock, die Fahnen, Standarten und das festliche Gepräge . .. 
Wenn man in einer Provinzialstadt das Regierungsgebände sucht, 
'o fragt man sich durch drei, vier Straßen und findet irgendwo 
einen nüchternen zweistöckigen Kasten mit schmaler Hausthür, 
engen Treppen, niedrigen und unfreundlichen Zimmern. Aber 
am Hauptplatz der Stadt in hervorragender Lage, weithin 
trahlend in luftiger, der Umgebung liebevoll angepaßter Archi— 
sektur, steht das Gebiude der Reichspost. Jenes Regierungsge— 
bäude wirkt wie eine drückende Polizeiverordnung, der man sich 
mürrischen Sinnes zu entziehen sucht, dieses Postgebäude als 
Repräsentation eines großen Staates, der freudig eintritt für die 
Bedürfnisse seiner Bewohner. Was man hier Luxus nennt oder 
berschwendetes Geld, das ist Kapitalanlage in dem Besten und 
Anbezahlbarsten, was die Menschheit besitzt; eine Kapitalsanlage 
Die „Kölnische Zeitung“ bringt in einer ihrer letzten Num— 
mern einen längeren Artikel über unsere „Postpaläste“, der sicher— 
lich in den weitesten Kreisen volle Beachtung finden wird. Der 
Aufsatz konnte kaum zu einer gelegeneren Zeit erscheinen, als im 
Augendblick, wo mit der stetig zunehmenden Bevölkerung das —R 
dürfniß zur Herstellung staatlicher Verkehrsanstalten und genü— 
gender Postbauten mehr und mehr wächst, und, wo es trobdem 
Jenug Leute giebt, die diese augenscheinliche Nothwendigkeit nuur 
Ils Luxus und Verschwendung betrachten und den anorduenden 
Behörden alle möglichen unschönen Beweggründe in die Schuhte 
schieben. Daß derartige Propheten stets gläubige Anhänger 
finden, ist eine allbekamite Thatfache, da gerade die urtheilslose 
Menge sich durch Bemäkeln und Verurtheilen einer über ihl 
eigenes Verständniß hinausragenden Sache einen gewissen Nimbus 
zu geben beliebt, ohne zu bedenken, welch' großen Schaden und 
welch' große Hindernisse sie dadurch einer opferwilligen Behörde 
bereiten kann. Bis in die Verhandlungen des Reichstags ist ja 
bekanntlich die Klage über Verschwendungssucht gedrungen und 
hat zu Erörterungen geführt, in welchen diese Beschuldigungen 
bon berufenster Seite die verdiente Abfertigung erfuhren, ja 
die Verhandlungen sogar schließlich einen für die Reichspostver— 
waltung sehr günstigen Verlauf nahmen. Das Beste aber, was 
diese Besprechungen mit sich brachten, war die Aufklärung der 
ganzen Postbauverhältnisse, welche dadurch vom Staaissekretär 
v. Stephan dem großen Publikum gegeben wurde. Ueber diese 
Ereignisse ist längst wieder Gras gewachsen, der gute 
Samen, den Stephan damals in die Herzen seiner Widersacher 
gesäet hat, ist besonders in nenerer Zeit vor dem Austurm des 
Steuerdruckes verweht, und in dem Raiscennemlent über die Ur— 
sachen desselben spielen die „Postpaläste“ abermals eine große 
Rolle. Man macht sich nicht klar, daß bei dem gewaltigen Auf— 
schwung, welchen der Postverkehr in den letzten 20 Jahren ge— 
nommen hat, ganz bedeutende Aenderungen und Erweiterungen 
auf dem Gebiete des Postwesens wie auch der Postbauten nöthig 
waren, und man will nicht verstehen, daß derartige riesige Unter— 
nehmungen, die wir doch nie entbehren können und die sich 
hundertfach rentiren, naturgemäß kollossale Summen kosten 
Berade das Werthvollste au unseren usodernelt Straßeubauten, 
die große, auf lange Zeiten hinaus berechnete Solidität, die Licht 
und Luft bietende Geräumigkeit und die architektonisch schöne 
Ausführung wird vielfach verkannt. Man beruft sich immer 
wieder auf die „gute alte Zeit“ und denkt nicht daran, wie arm und 
geschmacklos gerade sie in Bezug auf Baukunst und überhaupt 
tünstlerisches Empfinden war; von Gediegenheit und Geschmack 
konnte doch bei den damaligen sog. Gründerbauten gar nicht die 
Rede sein; alles Unechte, alles Blendwerk hatte, wie im übrigen 
Leben, so erst recht in der Baukunst ein Recht auf Verwendung. 
Man würde entsetzt sein, wollte man heute solche Bauten in die 
Welt setzen, wie sie damals gang und gäbe waren; Publikum 
und Baupolizei würden einen ganz energischen Protest einlegen trotz 
der großen Ersparnisse, die man bei der Verfolgung eines solchen 
Systems erzielen würde. „Billig und schlecht“ ist eben Gott sei 
Dank nicht mehr der Gründsaß unseres heutigen Lebens und 
vor Allem nicht der unserer Behörden in Bauangelegenheiten; 
gerade v. Stephan sind wir zu großem Dank verpflichtet, dessen 
Energie wir die durchgreifende Reorganisation unserer ehemaligen 
Postanstalten zurechien müssen. Wo könnte eine würdige 
Repräsentation unseres Reiches besser angebracht sein, als in der 
Ausführung seiner staatlichen Bauten; welcher Staͤdt gereichte 
nsicht ein in edlem, der Bauart der Stadt angepaßtem Styl er— 
bautes Postamt zur Freude und Zierde? Wie ernst es die 
Reichspostverwaltung auch in dieser Hinsicht nimmt, beweist 
folgende Bestimmung der Postbanordnung, wesche Tr. v. Stephan 
1883 auch im Reichstag eitirte: „Wirthschaftlichkeit kommt ferner 
noch für die architektonische Gestaltung und Ausstattung wesent— 
lich in Betracht. Eine wohlerdachte, stylgerechte und geschick! 
behandelte Gesammtgliederung der Bauwerke, verbunden mit 
einer gediegenen Ausbildung der Einzelform, ist für die Wirkung 
der Facaden entscheidend. Hicranf ist höherer Werth zu legen, 
als auf eine über das ästhetische Bedürfniß hinausgehende und 
stylistische willtürliche Anhäufung“ von, Architekturmotiven. Die 
architektonische Würde eines öffentlichen Bauwerks wird ferner 
nicht bedingt durch die Fülle ornamentalen und bildnerischen 
Beiwerkes; bei Anordnung des letzteren ist daher ein sparsames 
Maaßhalten am Platze.“ 
Prüft man an der Hand der reichlich vorhandenen Post— 
bautenlitteratur die seit 20 Jahren errichteten Postgebäude, welche 
die Zahl 1000 übersteigen dürften, so wird'man gestehen müssen.
	        
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