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Wohlfahrtseinrichtungen für Arbeiter.
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Arbeitslosigkeit aber giebt es keine wissenschaftlichen Heilmittel,
die Beschäftigung ist nur im Getriebe des Lebens zu finden.
So nöthig dem Menschen die Gesundheit ist, so wenig kann
er die Arbeit entbehren. Er muß sie haben, nicht nur, um
einen Lebensunterhalt zu erwerben, sondern auch, weil der
Drang nach Bethätigung seiner körperlichen und geistigen
Fähigkeiten es zwingend verlangt. Wir müssen also für Ar—
zeit und für Pflegestätten der Arbeit sorgen. Wie trostlos es
ist, ohne Arbeit zu sein, wenn man sein tägliches Brot damit
rwerben muß, hat man oft Gelegenheit zu beobachten. Ju
einer Stadt des sächsischen Erzgebirges war ich einmal zugegen,
vie eine Frau bei einem Kaufmanne ein Scheck (60 Stück)
ꝛines für den Kirmeshandel bestimmten Spielzeuges ablieferte.
Es waren kleine Stangen, auf denen ein geschnißter und mit
hunten Farben bemalter Gliederaffe auf und ab bewegt werden
onnte. Die Frau erhielt für die fertige Ware, die sie zu
Hause mit ihren Kindern hergestellt hatte, nach ihrer Angabe
m Ganzen 80 Pfennige, also für das Stück 15,4 Pfennig.
Auf ihre Frage, ob sie weitere 60 Stück liefern dürfe, wurde
ihr von dem Kaufmann erwidert, daß sein Lager so überfüllt
ei, daß er weitere Bestellungen zu seinem Bedauern nicht er—
theilen könne. Traurig ging die Frau von dannen. Ich
wurde unwillkürlich an Hauptmanns „Weber“ erinnert und an
die aufreizende Tendenz dieses Stückes. Wie gern hätte die
Frau für den geringen Preis von 13,5 Pfennigen weiter ge—
chnitzt Aber der Vorrath des Kaufmanns war übergroß, er halte
schon weit über seinen Bedarf arbeiten lassen, und konnte jetzt
eine Arbeit mehr geben. Seine Mittel waren erschöpft. Was
in dem Augenblicke größer war, das Herzeleid des Kaufmanns
darüber, daß er die Frau ohne Arbeitsauftrag gehen lassen
mußte, oder die Sorge der Frau, bleibt schwer festzustellen.
Dieser Fall, der sich anderswo und unter anderen Ver—
jältnissen tausendfach wiederholen mag, belehrt uns in drastischer
Weise, wie hülflos bei Arbeitsmangel gerade die Einzelarbeiter,
vie Tagelöhner und die in Hausindustrie beschäftigten Personen,
dastehen. Da sie bald hier, bald dort und selten lange Zeit
ür ein und denselben Auftraggeber arbeiten, so entwickeln sich
ür sie keine näheren Beziehungen weder zu dem Arbeitgeber,
noch zu den Mitarbeitern. Solche Beziehungen sind aber das
iothwendige Bindemittel unseres ganzen Zusammenlebens. Die
kinzelarbeiter müssen es leider entbehren. Wieviel besser haben
s dagegen die Arbeiter, die größeren oder kleineren Fabrik—
hetrieben angehören. Für solche Betriebe ist die Herbeischaffung
der Arbeit organisirt, und wenn die Geschäfte nicht gar zu
schlecht gehen, wird ein Arbeiter nicht entlassen. Die Betriebs—
tätten haben daher den Vortheil, daß sich die. Arbeiter als
Mitglieder einer Gemeinschaft fühlen, die sie hält und stützt.
Je mehr sich das Gefühl der Zugehörigkeit festsetzt und je
patriorchalischer die Verhältnisse in solchen Fabriken sind, desto
besser ist es für die Arbeiter, desto besser für den Staat, desto
zesser für die Zukunft des Volkes.
Auch die Sorge für die Beschäftigung der Arbeiter kann
nicht von einzelnen Kreisen erwartet werden. Jeder Besitzende
jat die moralische Pflicht, einen Theil der Sorge mit zu über—
rehmen. Unzweifelhaft nützen diejenigen wirthschaftlich mehr,
die nach ihren Vermögensverhältnissen Aufwendungen machen,
die Arbeit schaffen, als diejenigen, die ihren Besitz in be—
scheidener Anspruchslosigkeit behüten und vermehren.
Wenn wir jedoch mit der Arbeit, die wir dem Mit—
nenschen geben, auch sittlich etwas erreichen wollen, dann
nüssen wir — und hier kommen wir zu den verhindernden
Mitteln der Wohlfahrtspflege — alles fernhalten, was den
Arbeiter gesundheitlich und moralisch schädigen kann.
Das Wirthshaus- und Vereinsleben und die unwürdige
Hepflogenheit der jungen Burschen, den Eltern Kostgeld zu
ahlen, das übrige verdiente Geld aber zu verjubeln, sind ein
Jroßer Krebsschaden. Einschränkung der Zahl der Feiertage,
der Festtage und besonders der Tanzbelustigungen ist dringend
zu empfehlen.
Oeffentliche Beschenkungen verletzen oder verderben das
noralische Empfinden des Beschenkten. Wer seinen Mitmenschen
twas autes thun will. sollte oeß in der Stille thun und sich
einmal selbst an die Stelle der Personen denken, in dem
Augenblicke, wo sie in Gegenwart Anderer, sei es in einem
Jrößeren oder kleineren Kreise, Almosen in Empfang
nehmen sollen.
Vor Allem ist es nothwendig, schädliche Beeinflussungen
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interlassen und bestehende zu verhindern.
Solange es Menschen giebt, werden körperliche Arbeiten
gebraucht werden, und es wird immer Menschen geben, die sie
derrichten. Sollten sie im eigenen Laude fehlen, werden sie
uus anderen Ländern beständig nachrücken. Diese Arbeiter
hrem Berufe zu entreißen und besseren Lebensverhältnissen mit
jöheren Genüssen zuzuführen, werden wir der Entwickung des
Menschengeschlechtes in den nächsten Jahrtausenden überkassen
nüssen. Für uns bleibt es jedenfalls ein unerreichbares Ideal.
Die scharfsinnigsten wissenschaftlichen Systeme zur anderweitigen
RNegelung der bestehenden wirthschaftlichen Verhältnisse werden
)as nicht ändern. Es ist im höchsten Grade schädlich, die
Arbeiterkreise immerfort zu beunruhigen und Hoffnungen in
hnen zu erwecken, die sich nach menschlichen Vegriffen nicht
erfüllen können. Wie nachtheilig solche Einwirkungen sind,
ehen wir an dem Einflusse, den sozialdemokratische Irrlehrer
ind sozialistische Eiferer auf die Masse ausüben. Jeder
Mensch hofft mit Naturnothwendigkeit bis zum Grabe auf die
Möglichkeit einer Verbesserung seiner Lage, umso lieber zollt
er jenen Beifall, die ihm die Erfüllung seiner Hoffnungen
derheißen. Er hofft, ohne zu prüfen, ob seine Hoffnungen sich
auch erfüllen können. Die Enttäuschung, die unausbleiblich ist,
herbittert ihn, stört ihm die Lust zur Arbeit und raubt ihm
die Zufriedenheit.
Uebersehen wir nun kurz zurückschauend das Gebiet,
nit dem wir uns beschäftigen, so kommen wir zu folgendem
Ergebniß:
Die handarbeitende Schicht unserer Volksgemeinschaft hat
ils Berufsstand Anspruch auf volle Achtung von Seiten aller
zesser gestellten Kreise. Alle auf Förderung dieses Standes
gerichteten Bestrebungen sollten das nie außer Acht lassen. Es
ergiebt sich dann von selbst, daß Alles vermieden wird, was
den Arbeiter in seinem Ehrgefühl verletzen, oder was ihn er—
ziedrigen könnte.
Die zu häufige Beschäftigung mit dem Arbeiterstande als
armer und bemitleidenswerther Volksschicht verletzt den ordent—
iichen Arbeiter, dem unordentlichen ist es Anlaß zu maaßloser
Begehrlichkeit.
Alle besonderen, über die eigenen Erwartungen des Ar—
heiterstandes hinausgehenden Aufmerksamkeitsbezeugungen machen
»en Arbeiter stutzig. Es erscheint ihm eigenthümlich, daß
zrade diejenigen Kreise eine allgemeine Hülfsbedürftigkeit seines
Ztandes erkannt haben wollen, die seinem Berufe am fernsten
tehen und kaum mit ihm in Berührung kommen. Er ver—
nuthet, daß irgend eine Absicht dahinter stecke und wird miß
rauisch. Oder er glaubt es und wird unzufrieden
In den verschiedenen gesetzlichen und nicht gesetzlichen
dülfs- und Versicherungskassen unterhalten Arbeitgeber und
Arbeiter gemeinschaftlich Veranstaltungen der Fürsorge für den
Arbeiterstand in einer Ausdehnung und Großartigkeit, die
einzig dastehen. Trotzdem erschöpfen sie nicht das Maaß
inserer Fürsorge und Hülfsbereitfchaft. Es ist nur unsere
Aufgabe, sie auch an der richtigen Stelle, auf die passendste
Weise und mit vereinten Kräften auszuüben.
Das Ziel aller Wohlfahrtspflege ist die Zufriedenheit, und
zie besten Mittel zur Erreichung dieses Zieles sind Unterricht
ind Arbeit. Wo beide Mittel wirken, ist Alles erreicht:
Der Arbeiter ist in seinem Berufe ein zufriedenes,
glückliches Glied der menschlichen Gesellschaft, wie er es
in seinem großen Bestande bisher war.
Alle Menschenfreunde streben dahin, ihren unbemittelten
Mitmenschen die Erreichung dieses Zieles zu ermöglichen. Wie
veit die Ansichten über die richtigen Wege auch auseinander
gehen, Alle wollen unzweifelhaft das Gute, dem Jeder freudia
seine Unterstützung leiht.
Nher welche Einrichtunagen und Veranitaltungen »es