Volksbäder.*)
Von Stadibaurath Schultze, Bonn.
Von allen den Aufgaben, deren Bearbeitung sich der
Heist unserer Zeit zum Ziel gesteckt hat, giebt es kaum eine,
velche so segensreiche Wirkungen für die Allgemeinheit her—
vorzubringen imstande ist, wie die Sorge für die Gesundheit
des Volkes, die sogenannte öffentliche Gesundheitspflege. Die
rundlage derselben bildet die wissenschaftliche Erforschung
der Bedingungen, auf welchen die Erhaltung und Förderung
der Volksgesundheit beruht, sowie die Erkenntniß der Mittel,
urch welche Schädigungen derselben verhindert, insbesondere
die ansteckenden Voikskrankheiten, welche in früheren Zeiten so
ingeheure Verheerungen anrichteten, eingeschränkt werden
onnen. Großes und Außerordentliches hat die Wissenschaft
inserer Zeit ohne Zweifel auf diesem Gebiet bereits geleistet:
zur weiteren Erfüllung ihrer Aufgabe hat sie sich verbündet mit
der Technik, welche für die als Ideal hingestellten wissen—
chaftlichen Forderungen die in den Grenzen der Ausführbarkeit
ind der Wirthschaftlichkeit liegenden Formen zu erfinden hat;
iie muß endlich die Hilfe des Gesetzgebers und des Ver—
valtungsbeamten anrufen, um dem als nothwendig Erkannten
und praktisch Möglichen die allgemeine Durchführung zu sichern
zurch gesetzliche und obrigkeitliche Beschränkung des Einzelnen
zu Gunsten der Allgemeinheit. Außerordentlich mannigfaltig
ind weit verzweigt sind die Arbeitsgebiete der öffentlichen Ge—
undheitspflege; die Hauptpunkte ihrer Vorsorge bilden be—
onders an den Orten, wo die Bevölkerung dicht gehäuft bei
einander wohnt, also in den Städten: die Reinhaltung von
Boden und Luft, die Beschaffung reinen Wassers und die
törperreinigung.
In der Praxis der städt. Verwaltung und des Städte—
baues fallen unter dieses Gebiet die unschädliche Entfernung
der städt. Abwässer und Abfallstoffe, die Trinkwasserversorgung,
zie Anpassung des Stadtplanes und Städtebaues an die For—
derungen der Gesundheit, die Herstellung von Baumpflanzungen
und Plätzen als Lungen der Stadt, die zulässige Art der
Errichtung von Wohnstätten, die Ordnung des Begräbniß—
vesens, die Ueberwachung der Herstellung und des Verkaufs
der Nahrungsmittel, insbesondere des wichtigsten derselben,
—
ihnlichem Zwecke die Erbauung von Markthallen; die Vorsorge
ür Arbeiterwohnungen und Volksheilstätten und endlich neben
hielem anderen die Schaffung von Volksbädern.
Die Bestrebungen und Arbeiten unserer auf klare Ziele
sAinwirkenden öffentlichen Gesundheitspflege sind freilich noch
derhältnißmäßig jung und daher noch nicht in allen Theilen
oöllig geklärt, und sie sind noch lange nicht so stark in das
Bewußtsein, in das Fleisch und Blut des Volkes übergangen,
wie dies für einen dauernden Erfolg unbedingt erforderlich ist.
Iu manchen Dingen, besonders auch auf dem Gebiete
der Volksbäder, sind wir erst im Anfange der Entwickelung,
und es wird mancher Mühe und Arbeit bedürfen, vorwärts
zu kommen; aber ein günstiger Wind schwellt die Segel und
die sichibare Abnahme der früher so verheerend aufgetretenen
Volkskrankheiten erscheint als ein reicher Lohn für die Arbeiten
und Kämpfe derjenigen Männer, welche wegweisend und
hahnbrechend auf dem Gebiete der öffentlichen Gesundheitspflege
borangegangen sind.
Dennoch können wir diese Erfolge, in denen Deutschland
etzt allen anderen Kulturstaaten vorangeht, nicht uneingeschränkt
ils Errungenschaften unserer Zeit ansprechen; mehr oder
veniger haben alle Kulturvölker in ihrer Blüthezeit ähnliche
Bestrebungen verfolgt, und ein leuchtendes Beispiel könnte uns
enes große Römervolk sein, das vor fast 2000 Jahren auf
heinischem Boden unsere Städte gründete, zu deren ersten
Bauanlagen die Wasserversorgung der Stadt mit dem reinen
Quellwasser der Gebirge gehörte, während wir bis vor kurzem
unser Trinkwasser den verseuchten städtischen Brunnen ent—
*) Vortrag, gehalten im Liberalen Bürgerverein zu Bonn am
31. Januar 1898
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ahmen und seit kaum 25 Jahren eine Versorgung mit
-einem Wasser besitzen, die ihre Städte zur Beseitigung der
Abwässer mit großartigen Kanalanlagen versahen, wie sie in
köln noch heut unser Staunen erregen, während wir erst seit
30 Jahren eine planmäßige Kanalisation begonnen und noch
his heut nicht vollständig durchgeführt haben; welche schon
150 v. Ch. als ein Grundgesetz die Bestimmung aufstellten,
zaß eine Leiche in der Stadt weder verbrannt noch begraben
verden dürfe, während wir noch bis vor 100 Jahren die
dauptversammlungsorte der Menschen, die Kirchen und deren
nächste Umgebung, mit verwesenden Körpern anfüllten, und
velche außer vielem andern insbesondere das Bad als ein so
inentbehrliches Bedürfniß zum Gedeihen des Volkes erkannt
satten, daß dasselbe den prunkenden Kaiserresidenzen ebenso
venig fehlen durfte, wie den einsamen Grenzfesten im wilden
germanischen Bergwald, den vornehmen Privathäusern so wenig,
wie dem einfachsten Landhause eines Kolonisten.
So sind es — ganz besonders auch auf dem Gebiete des
Volksbadewesens — Errungenschaften alter Kultur, und zwar
rnicht nur aus römischer und orientalischer, sondern auch aus
»eutscher Vorzeit, die uns verloren gegangen sind und die
vir aufzuwecken und wieder zu beleben trachten müssen.
Der hervorragende Nutzen des Volksbadens für die
Zultur und die Volksgesundheit ergiebt sich durch die Er—
'ahrung, daß Unsauberkeit und Unreinlichkeit der Bevölkerung
»ine der dauernden unversiegbaren Quellen der Volkskrank—
seiten sind, daß sie den Menschen in der Selbstachtung herab—
etzen und so Rohheit und Laster begünstigen, daß sie die
geistigen Fähigkeiten beschränken, indem sie den Körper schädigen
ind dem Einzelnen somit nicht die volle Entwickelung seiner
ratürlichen Kräfte und Geistesgaben gestatten. Denn das ist
»eine Lehre, die uns schon das Alterthum überliefert hat, daß
eine gesunde Seele nur in einem gesunden Körper wohnen
önne, daß also geistige und leibliche Gesundheit in engem
Zusammenhange mit einander stehen, und daß diese beiden
ür die Volksgemeinschaft die Norbedinqgung für die Erhaltung
hrer Geisteskultur und für den Fortschritt auf eine höhere
Stufe derselben bilden. Mehr noch, als jede andere Wohl—
'ahrtseinrichtung erfordert das Volksbaden die persönliche
Mitwirkung des Einzelnen, aber die Wirkung der Durchführung
dieses Mittels übertrifft auch fast alle anderen Maaßregeln,
die zum Schutze der Volksgesundheit ergriffen werden können,
an unmittelbarem Erfolge Der Grad der geistigen und
eiblichen Gesundheit des Einzelnen bedingt mittelbar dieselben
Verhältnisse der Gemeinschaft des ganzen Volkes, und der
kinwirkung dieser Verhältnisse kann sich Niemand, der ein
Mitglied dieses Volkes ist, entziehen, mag er auch noch so
yochgestellt oder reich sein.
Die Bevölkerung, der die Sorge für die Reinlichkeit des
reibes zur Lebensgewohnheit geworden ist, wird belohnt durch
die Erhaltung und Erhöhung der Arbeitskraft und -Lust, durch
die Beförderung des Wohlbefindens und der Zufriedenheit,
velche der Badegenuß erzeugt; sie wird unreinliche Orte und
Winkelkneipen meiden und verabscheuen lernen, und sie muß
iothwendig, wenn sie ihren Körper an Reinlichkeit gewöhnt
hat, diese Tugend auf ihre Kleidung, auf Wohnung und
Haus übertragen.
Von der Erreichung dieses Zieles, welches die Vorkämpfer
der öffentlichen Gesundheitspflege sich gesteckt haben, sind wir
allerdings noch recht weit entfernt, und es wird ernster und
edlicher Arbeit bedürfen, ibm näher zu kommen. Zunächst
nüssen in unseren Städten Badegelegenheiten, besonders für
)ie Benutzung der minder wohlhabenden Volksklassen, erst noch
zeschaffen werden. Wenn in dieser Hinsicht auch schon Erfolge
rzielt worden sind, so beweist doch gerade das Beispiel unserer
Stadt Bonn und ihrer Außenorte, daß noch sehr viel zu thun
ibrig ist. Dann aber müssen sich die Bemühungen daräuf
richten, unser Volk zur Badegewohnheit wieder zit erziehen.
Wir müssen die Jugend durch die Errichtung von Schulbädern
ehren, die regelmäßige Körperreinigung als ein nothwendiges
Lebensbedürfniß anzuerkennen, damit die Gewohnheit der Jugend
von bleibender Nachwirkung für das ganze Leben wird
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