Full text: Erläuternder Text (Textband) (1905)

Abteilung IV. 
blätter — vermittelt den Übergang zur nächsten 
Zone, die nun mit Akanthuslaub von zartester Zeich 
nung und feinsten Spitzenformen ausgestattet ist. 
Zierliche Blüten drängen sich dazwischen hervor, 
ein reiches Oewoge von Übereinandergreifenden 
Spitzen und Blattenden durchbrechend. In wunder 
barer Linie entwickeln sich daraus die geriefelten 
Volutenstengel, deren Ursprung ein Akanthusblatt 
umhüllt. Nach der Mitte rollen sich kleinere Voluten 
gegeneinander, die nach oben eine breite Mittel 
palmette tragen (vgl. dazu Tafel 57 und das nor 
male korinthische Kapitell V, Tafel 16). Eine kräftig 
profilierte Platte, auch im Grundriß stark gekrümmt, 
bildet den Abschluß dieses einzigartigen zarten 
Gebildes, das als Vertreter des griechischen Akan- 
thusstiles im Altertum den ersten Platz einnimmt. 
Tafel 60. Antenkapitell der inneren Pro 
pyläen zuEleusis (Material: Marmor). Höchst 
originelle Bildung eines Kapitells. Zu dem Blätter 
kranz und der Rankenfüllung treten an Stelle der 
Eckvoluten gehörnte Flügellöwen, also figürliche 
Zutaten, — ein Vorgang, der bereits in der helle 
nistischen Kunst des 2. Jahrhunderts erscheint und 
am Apollontempel bei Milet eine große Rolle spielt. 
Dort sind in die ionischen Voluten hinein, eigent 
lich ihre Stelle einnehmend, große Götterköpfe und 
Löwenprotomen eingesetzt. Die gewöhnliche geo 
metrische Volute genügt nicht mehr, das Verlangen 
nach stärkerer Betonung und nach größerem Reich 
tum der Form führt zu solchen phantastischen Bil 
dungen. Ganz besonders köstlich sind hier die 
reichen Verschlingungen des zart geformten Ranken 
füllwerks. Freilich geht ihm etwas von der klaren 
Größe ähnlicher Bildungen früherer Zeit ab, die 
Zeichnung füllt wie ein Netz den Platz aus, ohne 
daß eine stärker betonte Linie die gewünschte Ver 
bindung von Blattkranz und Platte herstellen würde. 
Tafel 61, Fig. 1. Korinthische Gebälke. 
Vom Monument des Lysikrates (vgl. Tafel 58/59). 
Ein ionisches Gebälk mit Fries und Zahnschnitt, 
wie wir es im Anschluß an die kleinasiatisch 
ionischen Bildungen des 4. Jahrhunderts erwarten. 
Im Fries waren tyrrhenische Seeräuber dargestellt, 
die den Dionysos fangen wollten, aber auf des 
Gottes Geheiß gezüchtigt und in Delphine ver 
wandelt wurden. 
Fig. 2. Von der Stoa des Hadrian in Athen. 
Ein in der römischen Zeit üblicher Gesimstypus, 
bei dem an Stelle des Zahnschnitts schwere Kon 
solen getreten sind, eine Bauform, die vermutlich 
ebenfalls im Osten (Ägypten?) und zwar in der 
hellenistischen Zeit entstanden ist. 
Tafel 62. Griechische Stelen (Grabsteine, 
Material: Marmor). Stele von den Ionischen Inseln 
(jetzt im Berliner Museum); Mädchen mit einem 
Kästchen, die ganze Höhe und Breite der Stele 
ausfüllend; oben ein gedrungener Palmettenaufsatz. 
Es war seit dem 6. Jahrhundert in Athen üblich, die 
Stelen mit figürlichen Darstellungen zu schmücken. 
Diese Sitte blieb auch im 5. Jahrhundert bestehen. 
In den Reliefs wurden aber nicht wirkliche Porträt 
figuren abgebildet, sondern zu Typen erhobene 
Gestalten. Am Ende des 5. Jahrhunderts ist der 
ganze Ausdruck der Figuren noch durchaus maß 
voll zurückhaltend ohne Pathos. Unser Beispiel 
zeigt ein Mädchen, sinnend den Schmuck im Käst 
chen betrachtend. Es ist ein anmutig köstliches 
Bild. Man muß es sich außerdem farbig vor 
stellen, den Grund blau getönt, den Überwurf rot, 
das Gewand hellgelb, die Haarbinden rot. Auch 
der Palmettenaufsatz war rot und blau bemalt. 
Während bei dieser Stele der Umriß dem Pal 
mettenornament folgt, gab es andere Grabstelen, 
wo das Ornament als Relief eine Bekrönung mit 
geschlossenem Umriß bildet. Wieder sind es Akan- 
thusranken mit Voluten und gesprengten Palmetten 
von feinster Zeichnung. Wieder wachsen die Ranken 
und Blätter organisch aus einem Blattkelch; eine 
realistische Wirklichkeit wird nirgends angestrebt, 
nur eine zierlich schöne Form. 
Tafel 63. Griechische Ornamente. Stelen 
krönung aus Epidauros, gefunden nordöst 
lich vom Asklepiostempel. Die Begrenzung des 
Stückes nach oben und seitlich ist unbekannt. 
Das Ornament erscheint als ganz leicht gezeich 
netes Relief. Auch die Ergänzung der stehenden 
Palmetten und Kelche ist unsicher. Der lineare 
Charakter der Komposition weist noch in das 
5. Jahrhundert. 
Teile einer Ranke vom Untersatz der 
Akanthusbekrönung auf dem Schuppen 
dach des Lysikratesdenkmals in Athen. 
Auch dieses Beispiel zeigt die Überwindung der 
alten geometrischen Voluten und Füllungen (vgl. 
Tafel 16) durch den Akanthus, die Mischung straffer 
Formen mit den feinsten naturalistischen Blattge 
bilden, den prachtvoll flüssigen Zug dieser schon 
mehr plastisch als linear gesehenen Ornamentik. 
Tafel 64. Tor zu Pergamon (Material: 
Marmor). Es ist der Prachteingang zum heiligen 
Bezirk der Athene, der im Anschluß an die zwei 
geschossigen Hofhallen unter König Eumenes II. 
angelegt worden ist. Ein Säulentor — die Wand 
ist nicht mehr nur durch Türen unterbrochen, wie 
noch an den Toren der Akropolis, in Sunion oder 
in Eleusis, sondern ganz geöffnet. Eine viersäu 
lige Vorhalle mit breiterem Mittelinterkolumnium 
gibt den Rhythmus für die innere Säulenstellung. 
Gesteigert wird das Ganze durch ein Obergeschoß, 
dessen Säulen weit gestellt und dünn eine Be 
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