Abteilung VI.
71
72
natischen Bau des Julius Argentarius belegt. Eine
Entwicklung aus dem harten Achtecksraum zu
einem durch offene Halbkreisnischen erweiterten
Polygon von größter Durchsichtigkeit, technischer
Vollendung und einst reichster musivischer Aus
stattung. In Ravenna ist alles aus dem 5. und
6. Jahrhundert stark byzantinisch beeinflußt. Wir
bemerken das hier in der Bildung der Apsis, in
der Zweigeschossigkeit des Baues, aber vor allem
in der Anlage der ausgebauchten Exhedren am
zentralen Achteck. DieVorliebe für das Hinein
ziehen eines Raumes in den anderen
ist spezifisch byzantinisch (vgl. dazu
Tafel 12—16). Im Gegensatz zu Konstantinopels
gleichzeitigen Riesenbauten ist der Innnenraum
mit 15 1 /* m Durchmesser bescheiden. Die Be
weglichkeit im Wölben hat hier gegenüber der
römischen Übung noch zugenommen. Tonnen
gewölbe von wechselnder Breite und wechseln
den Stichkappen bilden eine vortreffliche und
ungezwungene Überdeckung der bewegten Um
gangsräume. Wichtig ist ferner die unter dem
Dache angelegte einhüftige Tonne als Widerlager
für die Kuppel. Verstärkte Wandpfeiler und Eck
streben treten aus dem Organismus der Mauer
hervor. Das alles sind Anzeichen einer neuen Ent
wicklung, die hinausführt über die großartige, aber
noch schwerfällige Bildung der römischen Ge
wölbekonstruktionen zu einer immer klarer und
bewußter werdenden Anordnung der Stützen und
Lasten. Im Innern ist vom musivischen Schmuck
noch manches wertvolle Bild erhalten: in der Apsis
Christus auf der Weltkugel, umgeben von Engeln
und Heiligen; an der Seitenwand Bildnisse Justi-
nians und der Theodora.
Tafel 12. Die Kirche der H. Sergius und
Bacchus in Konstantinopel (begonnen 527)
zeigt dasselbe Grundrißmotiv des zentralen Raumes
wie S. Vitale, jedoch mit der wichtigen Abweichung,
daß die Achteckseiten, die zu den umschließenden
Rechtecken parallel gerichtet sind, keine halbkreis
förmig ausgebogenen Exhedren, sondern eine ge
radlinige Säulenstellung besitzen. Aber nicht der
Wechsel zwischen beiden Motiven als solcher ist
wichtig, sondern die trotz des zentralen Raumes
erreichte Richtungslinie im Raum, die im Presby
terium ihre stärkste Betonung findet, ln der
Sophienkirche (vgl. Tafel 13) wird diese Vereini
gung vom Zentralraum mit Langhausrichtung ins
Große gesteigert. Kennzeichnend für Byzanz im
Gegensatz zu Ravenna ist die rechtwinkelige Um
schließung des inneren Achteckraumes, der große
Narthex, die zweigeschossige Fensteranlage in der
Apsis und die Sichtbarkeit der Kuppel im Äußern.
Abweichend ist auch die Konstruktion der Kuppel,
die über den Hängezwickeln am zylindrischen Tam
bour auf 16 Rippen ruht, zwischen denen ge
blähte Kappen eingespannt sind, sogenannte Segel
gewölbe. Besondere Widerlager sind bei der sehr
geschickten Druckverteilung bei den tief ange
setzten Rippen, den starken Pfeilern mit schwerer
Übermauerung der Bögen nicht mehr nötig.
Tafel 13—16. Sophienkirche in Konstan
tinopel. »Ich habe dich übertroffen, o Salomo,« rief
Justinian am 27. Dezember 537 bei der Einweihung
dieses herrlichen Baues. In der Tat bildet diese
seit 1453 als Moschee dienende Kirche nicht nur
den Höhepunkt der byzantinischen Baukunst, son
dern eine der bedeutsamsten Raumschöpfungen
aller Zeiten, eine seltsame Vereinigung von Zen
tral- und Longitudinalbau, eine Lösung des ewigen
Widerstreites der beiden Raumgegensätze für die
erst in der Spätrenaissance neue ebenbürtige Lei
stungen gefunden worden sind. Anthemios von
Tralles und Isidoros von Milet begannen den Bau
532 nach dem Brand einer älteren, vermutlich
basilikalen Sophienkirche. Aber schon 558 stürzte
die Kuppel wieder ein. Justinian ließ sie sofort
mit stärkeren Widerlagern und in größerer Höhe
von dem jüngeren Isidoros wieder aufbauen und
erlebte noch ihre Vollendung.
Grundgedanke ist der zentrale Kuppelraum, ein
Quadrat mit Kalottenkuppel über dem eingeschrie
benen Kreis. Zwei Quadratseiten sind ausgebogen
zu Halbkreisexhedren, und diese wiederum sind
durch kleinere Rundnischen und je eine tiefer ge
führte Mittelnische gegliedert. So entsteht im Zen
tralbau die Längsrichtung. Die Halbkuppelgewölbe
über den großen Exhedren führen die Wölbelinie
vom Kuppelscheitel hinunter auf die Stichkappen
der kleineren Rund- und Rechtecknischen, und deren
kleinste Gewölbe leiten sie endlich bis auf den
allgemeinen Kämpfer des Raumes hinab. Das be
deutet nicht nur räumlich ein harmonisches Zusam
menklingen all dergleichen Wölbeformen, sondern
auch eine großartige Steigerung von der kleinsten zur
größten Einheit. Es bedeutet auch konstruktiv ein
bewundernswertes System von Streben und Wider
lagern für die Kuppel, die über dem Lichtkreis
von 40 kleinen Fenstern zu schweben scheint, ein
System, das dadurch noch günstiger gestaltet wird,
daß die Vierungsbögen etwa um ^io der Spann
weite überhöhte Halbkreise sind. Auf beiden Lang
seiten, wo die geraden Abschlußwände unter den
Vierungsbögen stehen, sind gewaltige Strebepfeiler
vorgelegt, welche die Seitenräume in je drei Ab
teilungen trennen. Der reiche Stützenapparat dieser
Wände und der Nischen ist vorzüglich abgestuft
in Höhen- und Maßverhältnis: oben kleinere Öff
nungen als unten, daher engere Säulenstellung;