Abteilung VI.
in den Halbrundnischen wieder enger und niederer
als an den großen Wänden. Auch die Abstufung
der Schildwandfenster ist wohltuend. Wenn man
sich vorstellt, daß einst alle diese vielen Fenster
der Kirche (im Mittelraum ohne die Fenster der
Seitenschiffe allein 106) mit durchbrochenen Mar
morplatten geschlossen (davon sind noch einige
Reste erhalten, vgl. Tafel 16, 2—8) und daß
die Wände mit farbigen Mosaiken und Marmor
inkrustationen bedeckt waren, so war der Raum
nicht zu hell, sondern wohl abgetönt und voll
festlich glänzender Pracht. Daher wußten denn
auch byzantinische Schriftsteller nicht genug von
seiner Schönheit und Herrlichkeit zu rühmen, als
noch alle die kostbaren Geräte, die reichen Vor
hänge und silbernen Tabernakel Justinians Wunder
bau schmückten.
Tafel 17. Kirchtürme. Die zwei Beispiele
von römischen Kirchtürmen der altchristlichen Zeit
bei S. Giorgio in Velabro aus dem Ende des
7. Jahrhunderts, und bei S. Pudenziana aus
dem 9. Jahrhundert lassen einen feststehenden
Typus erkennen. Auf quadratischem Grundriß
ist der Turm in mehreren Stockwerken aufgebaut;
in den oberen sind gewöhnlich gekuppelte Rund
bogenfenster; das Dach eine niedrige Pyramide,
von unten gar nicht als Umriß wirksam. Die Ver
jüngung des Turmes ist ganz gering. Der Reiz
liegt in den sich stets wiederholenden Formen,
in den reich gegliederten Backsteingesimsen und
in der zunehmenden Luftigkeit der oberen Stock
werke.
Zylindrische Türme waren in Ravenna üblich
(vgl.. Tafel 11, 1 u. 2).
Tafel 18—19. Altchristliche Kapitelle.
Zu Beginn der altchristlichen Baukunst ist die
Kapitellform schon stark von der klassischen ab
gewandelt. Der Osten hat auf Dalmatien, Istrien^
bis hinauf nach Venedig starken Einfluß. Unter
seiner Herrschaft wird das eigentümlich östliche
Akanthuslaub mit den langen Spitzen und tiefen,
scharf gezeichneten Furchen üblich, welches die
Fortsetzung vom klassischen Acanthus spinosus
ist. Die Gesamthaltung der Blätter wird aber
stumpfer, der Überfall kleiner als beim klassischen
Kapitell. Umgekehrt werden die Profile des Abakus
und der Astragal schwerfälliger und plumper. Es
ist eine Umbildung nach dem Prinzip einer Zu
sammenfassung der Einzelbewegungen zu einer
einheitlichen größeren Form, ein Ineinanderfließen,
wie wir es auch bei der Raumform bemerkt haben.
Im Sinne dieser Entwicklung sind hintereinander
zu betrachten die Kapitelle Tafel 19, 1 u. 18, 3.
Die Vollendung zeigen die ganz frei gebildeten
aus der Sophienkirche Tafel 18, 1 u. 2; der Akan-
thus ist hier ganz in eine weiche Oberfläche hinein
gelegt und zum frei bewegten Flächenornament
geworden. Diese Endentwicklung in Konstantin
opel ist so glänzend, dem Material so viel mehr
entsprechend als die antike Akanthusform, sie er
möglicht so unzählige Variationen, daß wir diese
Neubildung tatsächlich als eine der klassischen
mindestens ebenbürtige Form ansehen dürfen.
Auch Fig. 18, 4 zeigt ein nach dem gleichen Prinzip
gebildetes Kapitell. Hier wurden die Linien des
Abakus für die Gesamtform des Kelches maß
gebend, es ist eine Art Faltenkapitell. Dagegen
zeigt Fig. 19, 2 den Erstarrungsprozeß, in den die
lebendige byzantinische Form früh verfallen ist.
Das Flächenornament ist geometrisch geworden.
Anders Fig. 19, 3 u. 4. Hier ist die Gesamtform
ebenfalls eine geschlossene Masse, aber die Motive
ihrer Dekoration haben nichts mit antiken Vor
bildern zu tun. Es sind germanische, ostgotische
Elemente hier im Spiel. Die Form bedeutet nicht
Abwandlung aus reicheren Vorbildern, sondern
Entwicklung aus primitiveren Vorläufern. Das gilt
besonders für den Kämpferaufsatz Fig. 3—6, der
ein sicher germanisches Element ist: ein Aufsatz
zur Verbreiterung des Auflagers der stärkeren
Archivolte über der dünneren Säule.
Tafel20. Altchristliche Mosaiken. Ein Fuß
bodenmosaik im gewöhnlichen Sinn zeigt Fig. 8.
Die übrigen Abbildungen stellen Mosaiken aus
größeren und kleineren Plattenstücken vor, meist
aus den kostbarsten Materialien in reicher geo
metrischer Zeichnung. Als Glasstiftmosaiken kom
men solche Dekorationen auch an Kandelabern,
Schranken, Ziborien, Ambonen, ja sogar an Säulen
schäften vor. Sie gehören aber erst etwa dem
12. Jahrhundert an und waren eine römische »Spe
zialität«. Zu ihrer Herstellung wurden »magistri
Romani« überall hinberufen.
Tafel 21. Fig. 1—2. Dom zu Trier.
»Ein lebendiges Denkmal der Römerzeit, die
merkwürdigste Kirchenanlage der christlichen Früh
zeit nördlich der Alpen.« Was hier Fig. 1 u. 2
zeigen, ist das Ergebnis verschiedener Forschungen
an den römischen Bauresten, die von mittelalter
lichen und neueren Umbauten fast bis zur Un
kenntlichkeit verdeckt worden sind. Der Römer
bau stammt aus dem Ende des 4. Jahrhunderts.
Er ist ein mächtiges Quadrat von etwa 40 m Seiten
länge; innerhalb erhoben sich wahrscheinlich vier
große Syenitsäulen, die bei dem Umbau unter
Bischof Nicetius (527—566) durch starke Pfeiler er
setzt worden sind. Die Bögen gehören erst dieser
fränkischen Erneuerung an. Daher ist Decke und
73
74