Abteilung VI.
75
76
Dachform unserer Fig. 1 rein hypothetisch. Wir
wissen nicht, ob der Mittelraum ursprünglich hoch
geführt war oder nicht. Aber auch die Bestimmung
des Römerbaues, in dessen Mitte ein zehneckiges
Wasserbecken gefunden wurde, bleibt fraglich.
Man weiß nicht, soll man in dem Zentralbau eine
ursprünglich für christliche Zwecke geschaffene An
lageerkennen, odereine weltliche Halle, diesich ihrer
Form nach etwa als Markthalle hätte eignen können.
War es eine christliche Schöpfung, so würde der
quadratische Grundriß des Zentralbaus mit ver
wandten kleinen Anlagen heidnischer Tempel in
Gallien zusammenzubringen sein und nicht auf dem
Boden national-römischer Kunstübung stehen.
Fig. 3 u. 4. Einhard-Basilika in Stein
bach. Eine der ältesten Basiliken auf deutschem
Boden, 821 erbaut. Man spürt, die altchristliche
Basilika ist ihr Vorbild; doch wird das Querschiff
bereits durch die Hochmauern des Mittelschiffs
geteilt. Es entsteht eine Vorahnung der romani
schen Vierung. Die Krypta ist weit ausgedehnt,
viel größer als bei italienischen Kirchen; sie be
steht aus zwei sich kreuzenden tonnengewölbten
Gängen mit kapellenartigen Erweiterungen an den
Enden. Die etwa seit dem Jahre 1000 übliche
Hallenform ist hier also noch nicht angewandt.
Vor der Kirche befand sich nach altchristlichem
Muster ein Atrium, doch ist seine Anlage nicht
mehr mit Sicherheit zu ermitteln.
Tafel 22, Fig. 1—7 u. Tafel 23, Fig. 1—5. Die
Torhalle des Klosters Lorsch ist der einzige
Überrest des Klosterbaues aus dem 9. Jahrhundert,
der zeigt, wie sehr sich am Anfang der deutschen
Steinbaukunst antike Einflüsse geltend machten,
wie sehr aber auch eine gewisse Selbständigkeit
und eine große Unbekümmertheit in der Anwen
dung überlieferter Formen zu neuen Gebilden
führte. Der Grundriß ist ein quergestelltes Recht
eck; im Erdgeschoß eine flachgedeckte Halle mit
drei Durchgängen. Vor die Pfeiler sind Halb
säulen gestellt, die eine dünne Architravleiste tragen;
im Obergeschoß teilen kleine Pilaster die Wand
fläche und darüber stehen Spitzgiebel statt Bögen.
Für das an klassischen Bauten geschulte Auge
zeigen die Einzelheiten eine der Antike schon recht
fernliegende Art. Charakteristisch für die fränki
sche Art ist die Mauerverkleidung mit farbigen
Rauten und Schachbrettmustern aus weißem und
rotem Sandstein. Hier ist bewußte gleichmäßig
durchgebildete Flächenornamentik angestrebt, sicher
im Anschluß an italienische Vorbilder, wie denn die
karolingische Zeit eine Art Renaissance antiker
Kunst in Deutschland bedeutet.
Von der Hof- und Kirchenanlage hinter der
Halle ist Sicheres nicht bekannt (vgl. Tafel 23, 1).
Tafel 22. Fig. 8. Grundriß der Kloster
kirche von St. Gallen. Der beste und älteste
Zeuge einer Kreuzbasilika in Deutschland, deren
Riß sich Abt Gozbert von »auswärts« bestellt
hat. Der Riß gibt nur die Grundzüge, eine qua
dratische Vierung, durchgehende Maßeinheit, tiefer
Ostchor, darunter Krypta noch als Gang, Vierung
mit Schranken und Platz für die Sänger, in den
Seitenschiffen und im Mittelschiff Nebenaltäre, eben
falls mit Schranken umgeben, vor einem Westchor
mit Altar nochmals ein besonders abgegrenzter
Raum. Das alles läßt auf eine reich entwickelte
Liturgie schließen; eine Gemeindekirche wird nicht
so eingerichtet. St. Gallen war, wie Hersfeld und
-Fulda, eine Klosterniederlassung. Für große Mönchs
chöre brauchte man derartige Räume, für sie ein
großes Querschiff, eine Verlängerung des Mittel
schiffs über das Querschiff hinaus, wodurch denn
der Altar zurückgeschoben wurde und in ein
eigentliches Sanctuarium zu stehen kam, das hoch
emporgehoben wie eine Bühne unter sich die
Krypta barg, die erweiterte Confessio (siehe Ta
fel 7). So entsteht die Kreuzbasilika als »Basilika
höherer Ordnung«. Querschiff und Mittelschiff
sind gleich breit, die Vierung wird zum Grund
quadrat für die Längenentwicklung des ganzen
Baues, die Gurtbögen verlangen einen kreuzför
migen Pfeilergrundriß. Dieses strenge Schema
bildet die Grundlage für die Entwicklung des
romanischen Gewölbebaues. Rheinland und Hessen
sind zu Karls des Großen Zeit die Wiege der
Kreuzbasilika. Über die fränkischen Gebiete ist
sie dann im 10. und 11. Jahrhundert verbreitet,
dagegen in Schwaben und Bayern noch selten,
in Italien noch ganz unbekannt.
Tafel 23. Fig. 7—9. Krypta der Kirche
zu Oberzell, Reichenau. Im Gegensatz zu
den früheren gangförmigen Krypten ist diese eine
Hallenkrypta. Vier rohe Säulen mit Muldenkapi
tellen tragen die primitiven Kreuzgewölbe. Die
Anlage der Krypta stammt aus einer Erneuerung
der Kirche um das Jahr 1000.
Tafel 24. Palastkapelle Karls des Großen
in Aachen. Erbaut 796—804. Zu diesem Bau
ließ der Kaiser nicht nur eine reiche Fülle von
köstlichem Material aus Trier, Ravenna und Rom
kommen, sondern auch Bauverständige zum Ent
wurf und zur Leitung. Der Grundriß ist ein regel
mäßiges Achteck, etwa von der Größe von S. Vi
tale, um das in zwei Stockwerken niedrigere Um
gänge gelegt sind. Nach außen ist die Umriß
linie aber ein Sechzehneck. Das ist angenehmer
als das harte Achteck von S. Vitale, und vor allem
konstruktiv günstiger, weil damit eine Verdoppe-