Full text: Erläuternder Text (Textband) (1905)

Abteilung VI. 
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Dachform unserer Fig. 1 rein hypothetisch. Wir 
wissen nicht, ob der Mittelraum ursprünglich hoch 
geführt war oder nicht. Aber auch die Bestimmung 
des Römerbaues, in dessen Mitte ein zehneckiges 
Wasserbecken gefunden wurde, bleibt fraglich. 
Man weiß nicht, soll man in dem Zentralbau eine 
ursprünglich für christliche Zwecke geschaffene An 
lageerkennen, odereine weltliche Halle, diesich ihrer 
Form nach etwa als Markthalle hätte eignen können. 
War es eine christliche Schöpfung, so würde der 
quadratische Grundriß des Zentralbaus mit ver 
wandten kleinen Anlagen heidnischer Tempel in 
Gallien zusammenzubringen sein und nicht auf dem 
Boden national-römischer Kunstübung stehen. 
Fig. 3 u. 4. Einhard-Basilika in Stein 
bach. Eine der ältesten Basiliken auf deutschem 
Boden, 821 erbaut. Man spürt, die altchristliche 
Basilika ist ihr Vorbild; doch wird das Querschiff 
bereits durch die Hochmauern des Mittelschiffs 
geteilt. Es entsteht eine Vorahnung der romani 
schen Vierung. Die Krypta ist weit ausgedehnt, 
viel größer als bei italienischen Kirchen; sie be 
steht aus zwei sich kreuzenden tonnengewölbten 
Gängen mit kapellenartigen Erweiterungen an den 
Enden. Die etwa seit dem Jahre 1000 übliche 
Hallenform ist hier also noch nicht angewandt. 
Vor der Kirche befand sich nach altchristlichem 
Muster ein Atrium, doch ist seine Anlage nicht 
mehr mit Sicherheit zu ermitteln. 
Tafel 22, Fig. 1—7 u. Tafel 23, Fig. 1—5. Die 
Torhalle des Klosters Lorsch ist der einzige 
Überrest des Klosterbaues aus dem 9. Jahrhundert, 
der zeigt, wie sehr sich am Anfang der deutschen 
Steinbaukunst antike Einflüsse geltend machten, 
wie sehr aber auch eine gewisse Selbständigkeit 
und eine große Unbekümmertheit in der Anwen 
dung überlieferter Formen zu neuen Gebilden 
führte. Der Grundriß ist ein quergestelltes Recht 
eck; im Erdgeschoß eine flachgedeckte Halle mit 
drei Durchgängen. Vor die Pfeiler sind Halb 
säulen gestellt, die eine dünne Architravleiste tragen; 
im Obergeschoß teilen kleine Pilaster die Wand 
fläche und darüber stehen Spitzgiebel statt Bögen. 
Für das an klassischen Bauten geschulte Auge 
zeigen die Einzelheiten eine der Antike schon recht 
fernliegende Art. Charakteristisch für die fränki 
sche Art ist die Mauerverkleidung mit farbigen 
Rauten und Schachbrettmustern aus weißem und 
rotem Sandstein. Hier ist bewußte gleichmäßig 
durchgebildete Flächenornamentik angestrebt, sicher 
im Anschluß an italienische Vorbilder, wie denn die 
karolingische Zeit eine Art Renaissance antiker 
Kunst in Deutschland bedeutet. 
Von der Hof- und Kirchenanlage hinter der 
Halle ist Sicheres nicht bekannt (vgl. Tafel 23, 1). 
Tafel 22. Fig. 8. Grundriß der Kloster 
kirche von St. Gallen. Der beste und älteste 
Zeuge einer Kreuzbasilika in Deutschland, deren 
Riß sich Abt Gozbert von »auswärts« bestellt 
hat. Der Riß gibt nur die Grundzüge, eine qua 
dratische Vierung, durchgehende Maßeinheit, tiefer 
Ostchor, darunter Krypta noch als Gang, Vierung 
mit Schranken und Platz für die Sänger, in den 
Seitenschiffen und im Mittelschiff Nebenaltäre, eben 
falls mit Schranken umgeben, vor einem Westchor 
mit Altar nochmals ein besonders abgegrenzter 
Raum. Das alles läßt auf eine reich entwickelte 
Liturgie schließen; eine Gemeindekirche wird nicht 
so eingerichtet. St. Gallen war, wie Hersfeld und 
-Fulda, eine Klosterniederlassung. Für große Mönchs 
chöre brauchte man derartige Räume, für sie ein 
großes Querschiff, eine Verlängerung des Mittel 
schiffs über das Querschiff hinaus, wodurch denn 
der Altar zurückgeschoben wurde und in ein 
eigentliches Sanctuarium zu stehen kam, das hoch 
emporgehoben wie eine Bühne unter sich die 
Krypta barg, die erweiterte Confessio (siehe Ta 
fel 7). So entsteht die Kreuzbasilika als »Basilika 
höherer Ordnung«. Querschiff und Mittelschiff 
sind gleich breit, die Vierung wird zum Grund 
quadrat für die Längenentwicklung des ganzen 
Baues, die Gurtbögen verlangen einen kreuzför 
migen Pfeilergrundriß. Dieses strenge Schema 
bildet die Grundlage für die Entwicklung des 
romanischen Gewölbebaues. Rheinland und Hessen 
sind zu Karls des Großen Zeit die Wiege der 
Kreuzbasilika. Über die fränkischen Gebiete ist 
sie dann im 10. und 11. Jahrhundert verbreitet, 
dagegen in Schwaben und Bayern noch selten, 
in Italien noch ganz unbekannt. 
Tafel 23. Fig. 7—9. Krypta der Kirche 
zu Oberzell, Reichenau. Im Gegensatz zu 
den früheren gangförmigen Krypten ist diese eine 
Hallenkrypta. Vier rohe Säulen mit Muldenkapi 
tellen tragen die primitiven Kreuzgewölbe. Die 
Anlage der Krypta stammt aus einer Erneuerung 
der Kirche um das Jahr 1000. 
Tafel 24. Palastkapelle Karls des Großen 
in Aachen. Erbaut 796—804. Zu diesem Bau 
ließ der Kaiser nicht nur eine reiche Fülle von 
köstlichem Material aus Trier, Ravenna und Rom 
kommen, sondern auch Bauverständige zum Ent 
wurf und zur Leitung. Der Grundriß ist ein regel 
mäßiges Achteck, etwa von der Größe von S. Vi 
tale, um das in zwei Stockwerken niedrigere Um 
gänge gelegt sind. Nach außen ist die Umriß 
linie aber ein Sechzehneck. Das ist angenehmer 
als das harte Achteck von S. Vitale, und vor allem 
konstruktiv günstiger, weil damit eine Verdoppe-
	        

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