Full text: Erläuternder Text (Textband) (1905)

Abteilung VII. 
79 
80 
bestehen. Der cluniacensische Ritus verlangte außer 
dem Hauptaltar fünf Altäre, drei hinter diesem und 
zwei in Seitenkapellen. Und man drängte nach einer 
immer größer werdenden Anzahl. In geschlossenen 
Kapellen schuf man stille Stätten der Andacht und 
freiwilliger Geißelung. Im übrigen hielt man am 
basilikalen Charakter fest, das Langhaus wurde 
möglichst gestreckt und bekam nach altchristlicher 
Art noch einen Vorraum. Die Krypta wurde weg 
gelassen. Man kehrte zur Räumlichkeit der alt 
christlichen Basilika zurück. Die von Abt Wilhelm 
1069—1091 erbaute Klosterkirche Peter und Paul 
in Hirsau folgte ganz dieser von Frankreich aus 
gehenden strengeren Kirchlichkeit, die ihrem Wesen 
nach mehr und mehr sich als undeutsch entwickelte. 
Sie arbeitete dem auflockernden deutschen romani 
schen Raumgefühl entgegen und wurde der Vor 
bote der kirchlichen Vorherrschaft. 
Fig. 2 u. 3. Das Langhaus war flach gedeckt, 
die Seitenschiffe gewölbt. Die starken Vierungs 
pfeiler neben der Flucht der Säulen fallen auf. Ver 
mutlich war ein Vierungsturm beabsichtigt, wie ihn 
St. Peter und Paul nach dem cluniacensischen Vor 
bild gehabt haben muß. Im Westen ist zwischen 
dem Turmpaar eine gewölbte Vorhalle, darüber eine 
Westempore. Ältere Anlagen in Straßburg und 
Frankfurt lassen die völlige Einkörperung von West 
türmen bereits im 9. Jahrhundert erkennen, während 
in St. Peter und Paul das Turmpaar noch lose vor 
gestellt erscheint. Die westliche Turmfront ist 
also keine cluniacensische Neuerung. Die An 
regung zu Westtürmen kam vermutlich aus der 
mit Wachtürmen, wie eine Burg bewehrten Mönchs 
kirche des 8. Jahrhunderts; man denkt an den 
St.Galler Klosterplan. DieTürme waren den streit 
baren Erzengeln Gabriel und Michael geweiht. 
Verbindende Mauern umschlossen den Vorhof, der 
bald als regelmäßige Anlage in axiale Bindung 
mit der Basilika trat. So rückten auch die Türme 
näher heran, besonders als man den Vorhof basili- 
kal teilte und ganz an das Langhaus angliederte 
(vgl. Tafel 1, Fig. 5). Die Türme der Aureliuskirche 
würden also einem vorcluniacensischen Typus an 
gehören, bei dem die Westtürme zunächst Treppen 
türme zu einer Westempore waren, sich aber dann 
zu monumentalen Fronttürmen entwickelten. 
Fig. 4 u. 5 zeigen die einfache Stockwerksarchitek 
tur der Türme, derber als die italische, ohne Verti 
kalgliederung (Südturm 11. Jahrhundert, Nordturm 
12. Jahrhundert). Das Äußere der Kirche ist von größ 
ter Schlichtheit; die klein bemessenen Fenster ver 
raten die technische Schwierigkeit ihres Verschlusses. 
Tafel 4. Fig. 1 u. 2 zeigen die Gegenüber 
stellung von Säulen- und Pfeilerbasilika bei sonst 
gleichen Raumverhältnissen. 
Fig. 3 u. 4. Gruppierte Stützenstellungen, be 
zeichnend für die »deutsche« Bewegtheit gegenüber 
dem unpersönlicheren »romanisch«-antiken Reihen 
bild. Es ist die in den Sachsenländern übliche 
Gliederung: entweder ein Wechsel von Pfeiler und 
Säule (Hechlingen, Gernrode) oder je zwei Säulen 
zwischen einem Pfeiler (Hildesheim: St. Michael 
und Dom; Quedlinburg, Goslar). 
Fig. 5 bringt einen breitgelagerten italischen 
Typus, dessen Hoch wände bereits durch vorge 
legte Dienste gegliedert, und dessen Seitenschiffe 
als Folge von quergestellten Tonnen mit Durch 
gängen aufzufassen ist. Die Fenster rücken genau 
in die Jochachsen. 
Tafel5. Dom in Trier. Über den römischen 
Bauteil vgl. Abt. VI, Tafel 21. Der quadratische Bau ist 
durch eine glänzend angepaßte Wiederholung des 
Stützenrhythmus in ein Langhaus verwandelt. 11. Jahr 
hundert. Der Ostchor um 1152 begonnen, 1196 
vollendet. Die Westfront eine prachtvoll bewegte 
und doch fest zusammengehaltene Schöpfung, wohl 
trotz der starken Verschiedenheit des Mauerwerks 
einheitlich, und bezeichnend für das Kunstwollen 
dieser Zeit, das sich vom »Flächenrhythmus« 
zum »Massenrhythmus« durchringt. DieWest- 
apsis hat die Vorhalle mit der Westempore ver 
drängt, die Eingänge liegen in den Turmhallen. 
Runde Treppentürme, wie in Limburg a. d. Hardt, 
in St. Kastor in Koblenz u. a. O. treten an den 
Ecken hervor und sind in den beiden oberen Ge 
schossen durch offene Laufgänge mit der Halb 
kreisapsis verbunden. Im Erdgeschoß werden diese 
durch große Bogen getragen; so ergeben sich tiefe 
Eingangsnischen. Durch diese reiche Gliederung ent 
steht eine starke Körperlichkeit: das Auge muß sich 
abwechselnd auf mindestens vier Bildebenen ein 
stellen. Dazu treten noch die feineren Teilungen 
durch Pilaster (nicht Lisenen) und Bogenfries. — 
Die Zeichnung der Turmhelme entspricht nicht der 
gegenwärtigen, sondern einer idealen Gestaltung. 
Tafel 6. Fig. 1 a u. b. Schematische Zeich 
nung für den dem romanischen Würfelkapitell zu 
grunde liegenden tektonischen Kern. Vielleicht 
aus dem Holzbau kommend? 
Fig. 3 u. 4 zeigen unbeholfene Lösungen, da 
gegen sind Fig. 2, 5—7 u. 9 Beispiele aus dem 
11. Jahrhundert, welche die klassische Form des 
Würfelkapitells erreicht haben. Die geringe Aus 
ladung dieser Kapitellform wird durch starke 
Kämpferplatten oft gesteigert. 
Fig. 11 — 13. Profile von Kämpfern, eigentlich 
besser Kapitellplatten; der altchristliche Kämpfer 
aufsatz verschwindet im 11. Jahrhundert. 
Fig. 7—10. Als Basis dient den glatten, meist
	        

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.