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III. Bauperiode.
Viertes Kapitel.
Verhandlungen und Beschlüsse der Stände über diese Vorlagen.
Nach Vorlage dieser Projekte an die Stände waren die beiden Referenten der II. Kammer,
Freiherr v. Varnbüler und Moriz Mohl, und die volkswirtschaftliche Kommission, in deren Namen
sie über die Vorlage der Regierung Bericht im Plenum der Kammer zu erstatten hatten, mit der
selben nicht einverstanden.
Die Behauptungen in der Vorlage, dass die Lonseebahn einen reichen Ertrag aus dem
lokalen und zugleich aus dem Transitverkehr ergeben werde, war in deren Bericht als ganz unzu
treffend bezeichnet, es wurde die Richtigkeit der von der Regierung aufgestellten Distanz- und
Verkehrsverhältnisse bestritten und mit geringeren Werten und Ziffern taxiert, so dass schon hier
durch die Zustimmung der II. Kammer fraglich wurde.
Nicht günstiger wurde die Bahn in Plenum der Kammer beurteilt: Eine grosse Anzahl
von Bahnen, ausser Kannstatt—Aalen und Esslingen—Gmünd—Aalen, kamen in Vorschlag: im
oberen Neckarthal zwischen Ellwangen und Dinkelsbühl, Heilbronn-—Hall, Hall—Krailsheim etc.
Es war während der Verhandlung (13./14. März 1857) nicht zu misskennen, dass viel vom Auslands-
verkehr gesprochen wurde; der Lokalverkehr, weil er geeigneter schien, eine grössere Zahl sogen.
Lokalbahnen ins Leben zu rufen, nunmehr in erster Linie berücksichtigt werden wolle.
Nicht aus einem hierauf gerichteten Beschluss war diese Geneigtheit zu erkennen, sondern
aus einer Anzahl von Aeusserungen, welche schliesslich dem Antrag der volkswirtschaftlichen
Kommission zum Durchbruch verhalfen, z. B. die Erklärung des immer grossen Einfluss übenden
Referenten Abgeordneten Moriz Mohl: „dass die Eisenbahnen ihre beste Richtung finden können,
wo ein grosser Verkehr, dass aber der grosse Verkehr nicht über Lonsee gehe; man möge die
Verhältnisse vom volkswirtschaftlichen oder finanziellen Standpunkte betrachten: davon könne keine
Rede sein, dass der Transitverkehr im Interesse des Landes sei.“
Nach längeren Erörterungen wurde über die Vorlage der Regierung nunmehr der end
gültige Beschluss dahin gefasst, dass die Bahnen Heidenheim—Wasseralfingen und Plochingen—
Reutlingen unbeanstandet blieben, die Bahn Lonsee—Heidenheim aber aus der Vorlage entfernt
und an ihrer Stelle ein Gesuch an die Regierung gestellt wurde, das auf Bevorzugung der Verbin
dung Göppingen—Gmünd und in weiterer Linie einer Remsthalbahn Kannstatt—Waiblingen—Aalen
hinauslief.
Den Beschlüssen der II. Kammer gingen auch diejenigen der Kammer der Standesherren
zur Seite.
Nachdem so die in der Kammerverhandlung vom Jahre 1843 schon aufgestellte Behauptung
höherer Wichtigkeit und Bedeutung des localen, gegenüber dem durchgehenden Eisenbahnverkehr
erstmaligen Einfluss auf die Beschlüsse der Stände ausgeübt hatte, wurde von jetzt an im Hinblick
auf die hierbei geltend gemachten Anschauungen einflussreicher Mitglieder der Kammer die Aus
wahl der zu erbauenden Bahnen etwas weniger von der Rentabilität der zu erbauenden Bahnen,
weniger von den grösseren Linien und wichtigeren Zielen abhängig gemacht, und es wurden
Berechnungen der Ertragsfähigkeit der einzelnen Linien mehr unterlassen.
Unter den Bahnprojekten, welche in Bearbeitung und zur Verabschiedung gestellt wurden,
stehen die Teilstrecken von Plochingen zunächst bis Reutlingen, sodann nach Rottenburg in
erster Linie.
Die obere Neckarbahn war zwar nach der Regierungsvorlage und dem Beschluss der
Stände vom Jahre 1842/1843 für die Privatspekulation zurückgestellt.