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baurat Etzel beauftragt sei, ihm etwa gewünschte Aufschlüsse und Geleitschaft auf seinen bezüglichen
Reisen zu bieten. Es wurde ihm insbesondere eingehendst mitgeteilt, was bis zu seiner Ankunft
in Stuttgart in der Eisenbahnsache geschehen, versäumt, und was zu ergänzen war; und es wurde
ihm bedeutet, dass diese Ergänzung innerhalb der bislang gefassten ständischen Beschlüsse zu halten
sei. Von dem Londoner Zivilingenieur und Professor der Ingenieurwissenschaften hoffte man, er
werde in Ueberarbeitung der ihm übergebenen Projekte gesunde Richtung, geeignete Steigungen und
Krümmungen im einzelnen in Anwendung bringen, überhaupt derart sorgfältig tracieren oder die
vorhandenen Pläne richtigstellen, dass unsere Eisenbahnen auf billigste, beziehungsweise rationellste
Weise festgestellt, die Bahnen sofort erbaut und mit Sicherheit und Nutzen betrieben werden könnten.
Zu dieser Hoffnung war man im Hinblick darauf gewiss berechtigt, dass Vignoles bei Erbauung
der North Unionbahn (1838) mitgewirkt und dort auf 27 x /2 Stunden Länge Gradienten bis zu 1:100
in zweckmässige Anwendung gebracht, und dass er in seinen Vorlesungen (leet. 1, 2, 3 und 4)
seinen Hörern vorgetragen hatte, wie folgt:
• »Bisher hat man angenommen, dass wie die Maschinen immer eine Maximum
ladung zu verführen haben und demgemäss behauptet, die Neigungen dürften nicht
unter 1:300 sein, und Gefälle und Steigungen müssten auf der ganzen Länge der Bahn
gleichförmig sein. Es ist wahr, dass Hauptlinien, die von der Hauptstadt ausgehen, mit
Rücksicht auf ein Maximum ausgeführt werden müssen. Jetzt aber entsteht die Betrachtung,
ob es im allgemeinen nicht besser wäre, besonders in den entfernteren Distrikten, wo
das Eisenbahnwesen noch nicht verbreitet ist, die Eisenbahnen mit stärkeren Steigungen
und mit Rücksicht auf öftere Fahrten und leichtere Ladungen auszuführen, zumal wenn
man die grosse Ersparnis beim Bau betrachtet und die geringe Mehrausgabe, die man
nachher beim Betrieb zu machen hat. Die Mehrausgabe an Feuerung und Schmiere
beträgt selten io°/o, und da die übrigen Auslagen, was immer auch die Steigungs
verhältnisse einer Bahn sein mögen, die nämlichen bleiben, so ist der Unterschied im Ver
hältnis zur Gesamtauslage für Betrieb und Unterhaltung in der That sehr gering. Die
Eisenbahnen in England haben durchschnittlich 30000 Pfd. Stl. pro Meile gekostet, der
höchste Kostenaufwand für Lokomotivkraft geht nicht über x /i5 jener Summe. Das
Interesse aus dem Baukapital ist deshalb so gross, weil das aus der Kraft, vergleichungs
weise der täglichen Transportkosten, welcher für die Kraft allein aufgewendet ist, so
gering ist, .... Bevor man die Steigungen, die man annehmen will, bestimmt, muss
der Ingenieur die Kosten der Herstellung und des Betriebs von sanften Gradienten und
Gradienten niedrigerer Art entwerfen, und er wird finden, dass Steigungen von 1:106,
1:88, 1:75 und 1:50 mit Vorteil angewendet werden können, besonders wenn der
Verkehr nicht beträchtlich ist. Gegenwärtig wird der Reisende mit den Zinsen des
Anlagekapitals belastet; führt man Bahnen nach diesem Prinzip aus, so fällt nur der
Mehraufwand für Lokomotivkraft auf ihn, der einen geringen Betrag von den von dem
Reisenden zu leistenden Transportkosten bildet.
Eine kleine Mehrausgabe für Brennstoff und Reparaturen ausgenommen, welche
Rampen nach sich ziehen, sind beinahe alle übrigen Auslagen allen Bahnen gemein und
rühren mehr von der Verwaltung und dem Betriebe, als von den Bahn
neigungen her. Diese Mehrausgabe für starke Gefälle einer Bahn steht aber gewöhnlich
tief unter dem Betrage der Zinsen, welche aus der Erhöhung des Baukapitals zu gunsten
milderer Niveaus erwachsen wären.«
So wie der Professor der Ingenieur-Wissenschaften hier allgemein über die Bedingungen
rationellen Bahnbaues sich geäussert, war gewiss auch gediegenste praktische Leistung von ihm zu
erwarten. Ohne eben seine Grundsätze zu ändern, hat er aber gleichwohl seine Vorschläge nicht
in der erhofften Weise durchgearbeitet.