Die historische Entwicklung der Chinesen bis zur Neuzeit (1800) gi
eine deiitlich erkennbare, wenn auch zunächst noch sehr oberfläch
liche Berührung stattgefunden; erst seit etwa 90 Jahren, seit dem
„Opiumkrieg“ von 1840—42, tritt eine immer stärkere Vermischung
der beiden großen Ströme ein, und „Weltgeschichte“ hat für das
Abendland aufgehört, nur die Geschichte Europas und des „näheren
Orients“ zu sein. Wie Welthandel und Weltverkehr umschließt auch
die Weltgeschichte allmählich das Geschehen des ganzen Erdballs,
und die „Welt“ Ostasiens wird auch für unsere Geschicke von einer
nicht mehr zu trennenden Bedeutung.
Freilich wird der abendländische Historiker es doch noch lange,
wenn nicht dauernd, schwer haben, diese Geschichte ähnlich zu be
handeln wie die der abendländischen Völker und Kulturen. Fehlen
doch bei seinem Publikum fast alle jene auf der Allgemeinbildung ge
gründeten Vorkenntnisse, an die er anknüpfen kann, die er nur an
zurühren braucht, um seine Leser zur eigenen Vorstellungsmitarbeit
zu veranlassen. Denn von all jenen versunkenen Kulturen unserer bis
herigen „Weltgeschichte“ sind Wesensteile in unsere eigene überge
gangen; wir erkennen uns selbst mehr oder minder in ihnen wieder.
Von Jugend auf, durch den Schulunterricht und Jugendbücher, durch
Sagenschätze und Religionsgrundlagen, durch Biographien, Romane
und Dramen, durch Statuen und Bilder, durch Bereisung der histo
rischen Stätten ist uns all das tausendfach, wenn nicht wirklich exakt
bekannt, So doch vertraut. Ganz anders in China. Fast nichts von
dessen alter Kultur, von einigen neueren ästhetischen Einflüssen ab
gesehen, die bei uns im Abendlande doch nur erst wenige, besonders
kultivierte Geister kennen, scheint zum Aufbau der unsrigen mit bei
getragen zu haben. Zwar haben viele gehört, daß die Buchdrucker
kunst und das Schießpulver und das Porzellan und der Kompaß und
einiges andere bei den Chinesen schon früher als bei uns bekannt ge
wesen sei; aber das bleibt für die meisten doch nur ein Kuriositäts
wissen. Alle Sitten und Gebräuche, von denen wir hören, erscheinen
dem Abendländer, und sind es auch, äußerst fremd. Unbekannt sind
ihm die historischen Stätten der chinesischen Geschichte, fremd die
abgebildeten Bauten und Denkmäler, völlig fremdartig ist ihm der
Klang ihrer historischen Namen. Wenn wir wirklich chinesische Ge
schichtsdarstellungen lesen, wird uns die Vorstellung außerordentlich
schwer, daß auch hier wie anderswo lebendige Persönlichkeiten diese
Geschichte in ähnlicher Weise haben machen helfen, wie bei uns. In
der abendländischen Geschichte sind uns Namen, wie Ramses, Kyros,
Themistokles, Alexander, Marius, Cäsar, Theoderich, Karl, Barba
rossa usw. — ob richtig oder falsch—Mutvolle, lebendige Menschen.