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1903 ARCHITEKTONISCHE MONATSHEFTE
treue Bewahrung der alten Stammesver-
schiedenheiten, wenn schon es naturge-
mäss aus dem Bauernhause und in den
Küstenstädten aus dem Fischerhause her-
vorgegangen ist. Wir können nicht so
bestimmt einen sächsischen, friesischen
u, a, Stadthaustypus unterscheiden, weil
es eine so reinblütige Stadtbevölkerung
8 Seit langen Jahrhunderten naturgemäss
Ss nicht gibt.
U Nur die Holländer haben einer Stadt
u. CN ihren ganz besonderen nationalen Bau-
; ' 7 typus aufgeprägt: Friedrichstadt.
En Die sog. »Münze«. daselbst (Fig. 8)
ist vielleicht das: schönste Haus Schles-
wig-Holsteins überhaupt; die Fassade ist bedeutend durch
originelle Einteilung und gut verteilten Schmuck mit anmutigen
Ziegelmustern und flotten Sandsteinreliefs in reizvollem Gegen-
satz, Trotz der späten Entstehungszeit (17. Jahrhundert) herrschen
in Friedrichstadt Treppengiebel vor. Ueber den Fenstern sind
Entlastungsbögen angebracht; an den nicht später ganz über-
tünchten Hinterfronten sieht man noch, dass sie rot-weiss ge-
mustert waren. Hart unter der Giebelspitze befindet sich meist
ein kleines Konsol mit Kopf, darauf eine Lisene ruht. Schöne
Anker zieren die Fläche, ebenso noch die alten Hauswahr-
zeichen, in Sandstein gehauen und bemalt: Tierfiguren wie
Papagei, Löwe, Lamm, oder Wappen: Glocke, heraldische Lilien,
das Wappen von Amsterdam u.a. Meist sind’s reine Ziegel-
bauten, unter den kleineren kommt aber im Untergeschoss
Holzgerüst vor, säuberlich fein geriefelt, profiliert und weiss
gestrichen. Die grüne Thür hat hübsches Holzgitter und Ober-
licht; bisweilen ist fast das ganze Untergeschoss nur Thür
und. Fenster (Fig. 11).
Ausserdem haben sich in den Städten unter dem Ein-
flusse der Lage (in der Marsch oder Geest, an der See oder
im Binnenlande), der Verbindungen, wie der politischen Ver-
hältnisse besondere Bautypen allmählich herausgebildet, Be-
stimmend hat hierauf natürlich auch die Zeit des Aufblühens
einer Stadt eingewirkt.
Dass einander benachbarte Städte nicht wie Tag und Nacht
verschiedene Architektur haben, ist ja selbstverständlich — ob-
gleich es z. B. bei Husum und Friedrichstadt ausnahmsweise
der Fall ist. Aber vergleichen wir alte bedeutende Handels-
und Seestädte, wie Husum und Flensburg, mit einer jüngeren
Seestadt, wie Glückstadt, oder mit Landstädten, wie Heide und
Meldorf oder Krempe und Wilster, die Mittelpunkte und Märkte
eines Bauernlandes sind, oder mit einer Residenz, wie Schleswig,
so finden wir sehr wohl allerlei Unterschiede heraus,
In Husum und Flensburg begegnen
uns hochaufstrebende gotische Treppen-
giebelhäuser der Kaufleute, erinnernd
an die Lübecker; in Husum zeigen sie
in Zusammenhang mit dem beliebten
Dekorationsmotiv der kleinen doppel-
ten Zierbögen des Bauernhauses der
Umgegend charakteristische Neigung
zur Betonung der horizontalen Linie,
während in Flensburg wie in Lübeck
die aufstrebende Linie ganz entschie-
den betont ist: hohe schlanke Blenden
gliedern hier die Obergeschosse.
In Glückstadt geben den Haupt-
ton die Kaufmannshäuser des 17. Jahr-
hunderts an, wohl unter holländischem
Einfluss; das auffälligste Haus ist eines
am Hafen, dessen ganzer oberer Giebel
mit schön patinierten Kupferplatten be-
schlagen ist, ein in der Farbe aus-
nehmend vornehm wirkender Schmuck.
Für Schleswig sind besonders cha-
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Veberall in Schleswig-
Holsteins Städten stossen
wir auf die Verwendung
von Entlastungsbögen
über Thür und Fenstern,
überallauf schöne schmied-
eiserne Anker, rein orna-
mental behandelt oder zu
Jahreszahlen oder Namens-
initialen, meist in lateini-
scher Schreibschrift, um-
gebildet, Nette Wetter-
fahnen treten hinzu, in
Glückstadt z. B, ein paar-
mal in Verbindung mit
einer Art Hohlglobus, aus
mehreren Blechkreisen, die
sich senkrecht und quer
kreuzen,
In Tondern, sowie in der Fischervorstadt Schleswigs, dem in
ausserordentlich poetischer Lage um den Kirchhof rund herum
gruppierten sog. Holm, auch in Husum und den alten Teilen
Altonas begegnen wir dem ausgebildeten Fischerhause mit der
Tendenz, so viel wie möglich in Verbindung mit der Aussen-
welt zu bleiben. In den ältesten Teilen Altonas- stehen noch
heutzutage z. B, die Hausthüren oder ihr oberer Teil tagsüber
stets offen. In Tondern und im Holm fällt uns das ausser-
ordentlich häufige Vorkommen eines kleinen erkerartigen fenster-
reichen Ausbaus von viereckigem, gerundetem oder mehreckigem
Grundriss auf; besonders Tondern zeichnet sich durch die ausser-
ordentliche Häufigkeit dieses Motivs aus, Haus bei Haus treffen
wir’s dort an, Andre Städte haben es übernommen; an hohen
Giebelhäusern ist der Erker auch wohl zweistöckig. Stets ist
man dabei bedacht, nicht nur in der Vorderwand, sondern
auch in den Seitenwänden Fenster anzulegen, um die Strasse
entlang gucken zu können, und sei’s nur ein kleines ovales
Fensterchen. In Krempe steht ein solcher Erker nur um die
Dicke eines dünnen Balkens vor, aber auch in diesem Balken
findet sich das charakteristische ovale Seitenfensterchen, wenn
schon in liliputartiger Kleinheit, etwa 12:7 cm!
Für die westholsteinischen Marschenstädte charakteristisch
ist der Brauch, massive Backsteingiebel auf eine kräftige
Schwelle aufzusetzen, die das Untergeschoss, das massiv oder
aus Fachwerk ist, abschliesst, eine Bauart, die die Bodenbeschaf-
fenheit empfahl; in Wilster, Krempe, Meldorf u.a. O. begegnen wir
schönen Häusern dieser Art. Oft findet sich im Giebel noch
ein zweiter solcher Balken; in Wilster und Krempe eigenartig
mit zierlichen Konsolen zahnschnittartig geschmückt (auch die
dort vorkommende Musterung des
Backsteingiebels mit vorspringenden
Steinen ist eigenartig interessant).
Am eigenartigsten ist dies Prinzip
an einem Hause in Husum ausge-
bildet. Da sehen wir einen schönen
typischen Steingiebel nicht auf eine
Schwelle, sondern auf kräftige einfache
Knaggen aufgesetzt, die aus dem Un-
tergeschoss hervorspringen (Fig. 14).
Im mittleren und östlichen Hol-
stein herrscht der reine norddeutsche
Fachwerkbau, mit seinen verzierten
Knaggen, Halb- oder Ganzsonnen,
Ziegelmustern u, s. w. Eine originelle
Umbildung eines solchen Fachwerk-
hauses steht in Wilster; dort hat man
im 18. oder Anfang des 19. Jahrhunderts
(ob nur zum Schmuck oder aus Not-
wendigkeitsgründen?) bei einem älte-
ren Hause unter die Knaggen ein-
fache schlanke Holzsäulen gesetzt, die
nun frei vor dem Hause stehen und
nicht übel wirken.
Fig. 13. Barockgiebel eines Privathauses in
Schleswig, r
(Schluss folgt.)