V. Die Abteilung für Mathematik und Naturwissenschaften
hatte folgende Aufgabe gestellt.
Mit Hilfe der logarithmisch-graphischen Methode (vergl. Schlómilch's Zeitschrift für Mathematik und Physik,
Jahrgang 35, S. 174, sowie den Nachtrags-Katalog mathematischer und mathematisch-physikalischer Modelle, Apparate
und Instrumente, herausgegeben von der Deutschen Mathematikervereinigunz, München 1893, Nr. 40e), soll für
einige selbst gewühlte, aber nicht zu einfache numerische Beispiele
1) ein System von 2 algebraischen Gleichungen mit 2 Unbekannten;
2) ein System von 3 algebraischen Gleichungen mit 3 Unbekannten aufgelöst und
3) die zu einer aus mindestens 4 Gliedern bestehenden algebraischen Gleichung zwischen
2 Verànderlichen gehórige ebene Curve konstruiert werden.
Erwünscht ist, dass unter den angenommenen Gleichungen auch solche von irrationaler Gestalt vorkommen.
Bei 1) und 2) kónnen die gefundenen Wurzeln rechnerisch auf ihre Genauigkeit geprüft werden. Die Làngeneinheit
des benützten logarithmischen Massstabes darf nicht unter 5 cm betragen.
Eine Bearbeitung ist nicht eingegangen.
‚VI. Aufgabe der Abteilung für allgemein bildende Fächer
Kritische Würdigung des Lustspiels „Le Mariage de Figaro“ von Beaumarchais in litterar- und
kultnrgeschichtlicher Beziehung.
Die eingegangene mit dem Kennwort:
Figaro.
bezeichnete Arbeit wurde in nachstehender Weise beurteilt:
Nach einer kurzen, einleitenden Inhaltsangabe betrachtet der Verfasser im ersten Hauptteil seiner Arbeit
»Figaro’s Hochzeit“ vom litterarhistorischen Standpunkt aus. Er zeigt die Entwicklung des französischen Lustspiels
seit Moliére, charakterisiert kurz die dramatischen Werke Beaumarchais und insbesondere dessen Figaro - Trilogie,
und weist auf die mannigfachen Berührungspunkte zwischen diesen und àlteren Lustspielen, sowie auf die ver-
schiedenen Mängel in der Komposition des Stückes hin. Der zweite Hauptteil enthält eine Betrachtung dieses
Lustspiels im Lichte des Lebens und Charakters Beaumarchais’, eine Untersuchung der Einflüsse der herrschenden
Geistesströmungen, sowie die Charakterisierung der Personen des Stückes im Lichte der Zeit. Den Schluss bildet
eine Zusammenfassung des Urteils des Verfassers und ein Verzeichnis der von ihm benützten Bücher und Zeitschriften.
Der Verfasser hat die gestellte Aufgabe mit richtigem Verständnis, methodischem Geschick und lobens-
wertem Fleisse bearbeitet. Nach kritischer Prüfung der dramatischen Werke Beaumarchais und eingehendem
Studium eines Teils der darauf bezüglichen Litteratur ist er zu einem selbständigen und im wesentlichen richtigen
Urteil gelangt, hat jedoch dabei verschiedene Seiten der zu lösenden Aufgabe entweder gar nicht oder nicht gründlich
genug untersucht. So hätten unter anderem der Stil und die Sprache des Lustspiels, die Bedeutung des Monologs
im 5. Akt und die ganz besondere Stellung Figaro's in der Entwicklungsgeschichte des Dieners im französischen
Lustspiel (valet de comédie) viel eingehender behandelt werden konnen und sollen.
In Bezug auf Stil, Ausdruck und Rechtschreibung lässt die Arbeit manches zu wünschen übrig; namentlich
hätten die sowohl im deutschen als im französischen Text vorkommenden zahlreichen Schreibfehler vermieden werden sollen.
Von dem zuletzt genannten Mangel abgesehen kann die Arbeit als eine fleissige, tüchtige und relativ
gelungene Lösung der Preisarbeit bezeichnet werden; da sie jedoch, wie schon angegeben, in einzelnen Abschnitten
nicht gründlich und umfassend genug ist, so erfüllt sie die für die Zuerteilung eines Preises erforderlichen Be-
dingungen nicht in vollem Masse.
Der Arbeit wurde eine öffentliche Belobung erteilt. Ihr Verfasser ist: Viktor Binder
von Westheim, O.A. Hall, von Herbst 1892/94 und jetzt wieder seit Herbst 1895 ordentlicher
Studierender der Bauingenieurabteilung.