Full text: Jahres-Bericht der Königlichen Technischen Hochschule in Stuttgart für das Studienjahr 1899/1900 (1899)

  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
bürtig an die Seite stellen kann, sind wir berechtigt, die zuversichtliche Hoffnung auszusprechen, dass 
sie stets eine glänzende und gesuchte Pflanzstätte der technischen Wissensc haft und der allgemein 
bildenden Fücher, wie der praktischen Vorbildung für die technischen Berufszweige sein und bleiben 
wird. Eine äussere Anerkennung dieser Stellung und Bedeutung ist, wie Seine Maj estit der Konig 
kundzugeben geruht haben, die Verleihung des Rechts der Doktorpromotion. An d meine geehrten 
Herrn Studierenden, die Sie das heutige schóne Fest veranstaltet haben, wird es nun se in, der Hoch- 
schule recht bald und zahlreich die Gelegenheit zu geben, von dem neuen Rechte Gebrauch zu machen. 
Ihnen ist nun die Bahn eróffnet, durch ‘die Erlangung des mit dem Namen in allen Lebensstellungen 
verbundenen Titels des Doktor- Ingenieurs, durch dies sen Ritterschlag der Wissenschaft Auszeichnung 
und Anerkennung zu erwerben. Der wissenschaftliche Geist und der “Fleiss, welcher an unserer Hoch- 
schule herrschend ist, giebt die Biirgschaft, dass Ihnen diese Aussicht ein neuer Antrieb sein wird, nach 
den höchsten Zielen Threr Bildungslaufbahn zu streben. Wir vereinigen uns in dem Wunsche, dass 
unsere Technische Hochschule bis in die fernsten Zeiten blühen und gedeihen möge. Die Regierung 
wird, den wohlwollenden Intentionen Seiner Majestät entsprechend, wie bisher stets bestrebt sein, die 
Interessen der Hochschule zu fördern, ihre Wünsche und Bedürfnisse, namentlich auch durch Bereit- 
stellung der erforderlichen Mittel, soweit immer möglich, zu befrie digen. Ich lade Sie ein, einzustimmen 
in den Ruf: Die Technische Hochschule Stuttgarts Tebe hoch! 
Den von stud. Holzwarth kommandierten Salamander auf die Professoren beantwortete 
der Rektor Dr. v. Weyrauch mit folgender Rede: 
Das neunzehnte Jahrhundert begann auf technischem Gebiete mit den ersten Versuchen der 
Gasbeleuchtung. Es war wie ein symbolischer Vorgang, denn in höherem Sinne stand das ganze Jahr- 
hundert im Zeichen der G oetheschen Worte: Mehr - Licht. Indem ich den Namen des Unver -gleichlichen 
nenne, erinnern wir uns, dass vor nicht langer Zeit sein hundertfüntzigster Geburtstag w eithin festlich 
begangen wurde. Auch wir wollen dem grossen Kenner von Natur und Leben bei dieser ersten Gele 'gen- 
heit unsere Huldigung darbringen, und damit anerkennen, dass auch die Technik nur nach ihrer B edeutung 
für die allgemeine Kultur, für das Wohl der Volker und die Befriedigung des menschlichen Geistes 
beurteilt werden kann. Welche Rolle ihr schon Goethe in dieser Beziehung anwies, hat er im zweiten 
Teil des Faust gezeigt. : 
Vor dreiviertel Jahrhundert üusserte Goethe zu Eckermann: ,Die Zeit ist in ewigem Wechsel 
begriffen und die menschlichen Dinge haben alle fünfzig Jahre eine andere Gestalt, so dass eine Ein- 
richtung, die im Jahre 1800 eine Vollkommenheit war, schon im Jahre 1850 vielleicht ein Gebrechen 
ist“. Auch die hohen Bildungsanstalten sind diesem W echsel unterworfen. Der griechische Staat kannte 
eine selbstständige Pflege der Wissenschaften nicht. Auf die römischen Rhetorenschulen folgten die 
mittelalterlichen Klos sterschulen. Zwei Jahrhunderte zogen deutsche Studenten auf die hohen "Schulen 
von Bologna, Padua und Paris. Die ersten deutschen Univer 'sitüiten standen unter kirchlicher Bevormun- 
dung, erst im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert erlangten sie Unabhängigkeit der Lehre. In- 
zwischen hatten auch die Akademien der Wissenschaften begonnen, Licht zu verbreiten. Wir erkennen 
mit Lucrez: „die einen kommen empor, die andern sinken hinunter, und wie die Läufer der Bahn reicht 
einer die Fackel dem andern“. 
Nun, Gott sei Dank, unsere Universitäten stehen auch heute noch ungebrochen da, und mehr 
Licht als je geht von ihnen aus. Wir sind die letzten, ihnen die unvergänglichen Verdienste zu schmälern, 
die sie sich um unser Volk, um die Welt erw orben haben. Ist doch selbst der Boden unserer Tech- 
nischen Hochschulen unter Mitw irkung von Kolonisten urbar gemacht worden, welche von Universitäten 
herüber kamen; und denken doch stets viele unserer Dozenten mit Freude an die Zeit zurück, die sie 
auf deutschen Universitüten zubringen konnten. Aber es hat mitunter etwas lange gedauert, bis gewisse 
Umwandlungen der Ansichten vollzogen waren. Jahrhunderte lang, bis über die Zeit von Kepler und 
Shakespeare hinaus, hat man an der Physik und Metaphysik des Aristoteles festgehalten, und bis ins 
neunzehnte Jahrhundert waren bezüglich der Technik Anschauungen massgebend, welche nicht sehr weit 
von denjenigen des Aristoteles abwichen. Nur so erklärt es sich, dass die Universitas litterarum ganz 
unterlassen hatte, auch die technischen Wissenschaften zu berücksichtigen. 
Als nun die gewaltige Entwicklung eintrat, welche aus einer Gesellschaft mit beschränkter 
Naturerkenntnis, ohne Gaslicht und elektrisches Licht, ohne Eisenbahnen und Dampfschiffe, ohne Tele- 
graph und Telephon, ohne Walzeisen und Eisenkonstruktionen, ohne elektrische und so viele andere 
Motoren den heutigen komplizierten und anspruchsvollen sozialen Körper erzeugten, da mussten die den 
neuen Bedürfnissen entsprechenden Bildungsstätten erst geschaffen werden. Das ging zuerst langsam 
  
  
  
  
  
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