IX. Preisbewerbung.
An sämtlichen Abteilungen der Technischen Hochschule werden jährlich Preisaufgaben
gestellt und für genügende Lösungen Preise vergeben und Belobungen zuerkannt.
Das Ergebnis der Preisbewerbung des Jahres 1903 war folgendes:
|. Die Abteilung für Architektur
hatte den Entwurf für eim Eisenbahnstationsgebüude verlangt.
In der Nühe der Residenz einer fürstlichen Standesherrschaft auf dem Lande, in anmutiger Gegend mit freiem
Blick über Feld und Wald, ist ein Eisenbahnstationsgebàude zu errichten. Dasselbe soll folgende Räume enthalten:
Eintrittshalle rund 40 qm,
Raum für Post und Telegraph, Fahrkartenraum, Gepáckraum zusammen 70 qm,
Wartsaal I. Klasse mit Vorzimmer, Toilette und Klosett zusammen 50 qm,
Wartsaal II. Klasse 30 qm,
Wartsaal IIT. Klasse 40 qm,
eine Wohnung für den Stationsvorstand, bestehend aus 4 Zimmern und Zubehór, und 1 Zimmer für
einen Assistenten,
Zu zeichnen sind: Die nötigen Grundrisse im Mafistab 1:100, 2 Ansichten und 2 Schnitte im Mafstab 1: 50
und eine Perspektive.
"ür diese Aufgaben gingen 7 Bearbeitungen rechtzeitig ein, über welche nachstehende Gut-
achten abgegeben wurden:
1. Entwurf mit dem Kennwort: Lustig.
He Verkehrsrüume zu ebener Erde gruppieren sich um eine etwas lange, in der Mitte erweiterte Halle, welche
bei der exponierten Lage des Gebäudes zum Schutze der Beamten an den Schaltern ganz zweckmäßig durch Fenster
und Türen geschlossen ist. Anerkennung verdient auch, daB in den Schnitten die Konstruktionen eingezeichnet sind.
Der Charakter der Architektur, wie er sich hauptsächlich in der Perspektive äußert, ist ziemlich getroffen, es fehlt
aber noch an der harmonischen Durchbildung der Einzelheiten. Die Darstellung ist zum Teil viel zu schwer, künst-
lerisch wenig befriedigend.
2, Entwurf mit dem Kennwort: Frisch gewagt!
Der Raum für Gepäck sollte getrennt von dem für Fahrkarten, Post und Telegraph sein und direkte Verbin-
dung mit der Eintrittshalle haben. Das Klosett der Beamten beim Fahrkartenraum sollte nicht von innen zugänglich
sein. Die Anlage der Beamtenwohnung im Obergeschoß ist zweckmäßig. Der turmartige Aufbau darüber mit dem
Assistentenzimmer ist wohl motiviert, kommt aber im Erdgeschoß mit zwei Seiten ins Hohle zu stehen. Konstruktiv
und stilistisch bedenklich ist auch die breite, flach abgedeckte Terrasse bei den sonst steilen Dächern. Die Architektur
ist, abgesehen von einigen Seltsamkeiten, wie der geschweifte Giebel am Turm und die mit einem halben Bogen an
das Hauptgebäude sich anschließende Vorhalle, wohl getroffen. Die Darstellung ist in einzelnen Teilen noch etwas
steif und ungelenk, doch ist ihre schlichte Einfachheit zu loben.
3. Entwurf mit dem Kennwort: Natur.
Der Grundrif im Erdgeschoß und Obergeschoß ist gut; insbesondere ist anzuerkennen, daß die Beamtenwohnung
oben sich nicht unnötigerweise, wie in andern Projekten, über sämtliche Verkehrsräume erstreckt. Der fürstliche
Wart: mit Nebenriumen kommt im AuBern ganz erwünscht zum Ausdruck, stimmt aber in der Architektur nicht
recht zum Hauptgebäude. Die Darstellung, besonders der Schnitte, ist zum Teil trocken und ungenügend, die Perspektive
nur in einfachen Konturen auf Pauspapier gezeichnet.