Aphorismen. Nachlass. 631
Ohne Bewusstsein als Inhalt der Gegenwart giebt es gar kein geistiges
Leben, und für die Gottheit muss sogar der im Bewusstsein gegebene
Inhalt der Gegenwart unendlich ausgedehnt werden.
Ein solcher Inhalt fordert aber Zeit; im geistigen Leben ist daher
die mit Bewusstsein erfüllte Gegenwart keine blosse Grenze zwischen Ver-
gangenheit und Zukunft, sondern sie ist eine Grenzschicht zwischen Ver-
gangenheit und Zukunft, sie ist ein wirkliches Zeitelement.
In der Gottheit muss diese mit Bewusstsein erfüllte Gegenwart un-
endlich ausgedehnt sein.
Die Gottheit, die blos in der Gegenwart, in dem für die physische
Welt angenommenen Sinne (wo sie nämlich die blosse Grenze von Ver-
gangenheit und Zukunft ist), existirte, in der Vergangenheit existirt
hätte und in der Zukunft erst noch zur Existenz gelangen müsste,
würde geistig Null oder nur ein Scheinwesen sein.
Unser Denkvermögen, Empfindungsvermögen und Krinnerungs-
vermögen sind das uns verliehene Pfund, mit dem wir wirthschaften
sollen. Wir bilden uns eine Gedankenwelt in wunderbarem Zusammen-
hange mit unseren Empfindungen. Wir lernen dadurch das uns ver-
liehene Pfund schätzen und- den Geber verehren und ihm. vertrauen,
der es verliehen. Diese im Zusammenhange mit unseren Empfindungen
gebildete Gedankenwelt umfasst auch eine Vorstellung von uns selbst,
die aber durch die Vorstellung von unserer Geburt und unserem Tode
auf den Zeitabschnitt zwischen beiden beschränkt ist. Jene Gedanken-
welt enthält zwar viele Vorstellungen, auch von der Zeit vor unserer
Geburt und nach unserem Tode, aber unter diesen Vorstellungen ist
keine von uns selbst. So lange wir leben wirthschaften wir mit dem
uns verliehenen Pfunde und suchen unsere Gedankenwelt fortwährend
zu berichtigen und zu vervollständigen; was wir aber schon erreicht
haben, genügt, um uns die höchste Schätzung des verliehenen Pfundes
und das höchste Vertrauen in den Verleiher einzuflössen, insbesondere
das Vertrauen, dass, wer dieses Pfund verliehen, auch weiter sorgen
werde. Auf dieses Vertrauen gründet sich die Ueberzeugung, dass die
wahre - Weltordnung die Ordnung unserer Gedankenwelt noch weit
übertreffe. Da
Wenn materielle Wesen, die räumlich und zeitlich von einander
getrennt sind, in Wechselwirkung stehen, so liegt der Grund dieser
Wechselwirkung in dem Wesen beider als einem Ganzen. ; Die von ein-
ander abhängigen Theile dieses Ganzen existiren in verschiedenen Raum-
und Zeitpunkten. Giebt es materielle Wesen, die als Ganzes nicht auf