Wohl war Grund zur Freude. Ein Werk für Jahrhunderte
glaubte man geschasfen zu Haben. Dabei erfüillte die neue Verfaſſung
in hohem Grade die Wünſche des Volkes und sicherte ihm nach
Albert Schotts Urteil mehr Rechte als irgend eine Verfassung des festen
Landes Europas. !) Noch mehr fast als der Inhalt freute hochgesinnte
Geister wie Schoti und Uhland die Form; wie der Tübinger Vertrag
von 1514, die Grundlage der Verfassung des alten Herzogtums, so
war die Verfoſſung des neuen Königreichs nicht vom Thron herab
gegeben worden als ein Geſchenk der Gnade, wie in Baden und
Bayern, sondern war frei vereinbart zwischen Fürst und Volk.?) Und
doch war die Freude nicht ungemiſcht. Drohende Gewitterwolken
standen am Himmel, und ihretwegen war die Verfaſſung ſchließlich
im Sturmſchritt zu Ende beraten worden. In Karlsbad hatte Fürſt
Metternich, der allmächtige sösterreichiſche Minister, nur mit den Ver-
tretern Hannovers, Bayerns und Sachsens die Karlsbader Beſchlüſſe
vereinbart, die den Candesverfaſsſungen, den Hochſchulen und der Preſsſe
einen tstlichen Schlag versetzen sollten; er hatte dann den Usnig von
Preußen dafür gewonnen, am |16. September 1819 sie beim Bundes-
tag in Frankfurt zur Beratung ſtellen, schon am 20. September als
Bundesgesetz annehmen laſſen in Wahrheit ohne Beratung und unter
‘ Vergewaltigung der kleineren Bundesſtaaten. Der UKsnig von Württem-
berg mußte sie als Bundesgesetz verkünden laſſen und zugleich alle
politiſchen Tagblätter und Zeitschriften der Zenſur unterwerfen; aber
er tat es erst am \. Oktober d. h. einige Tage nach Verkündung des
neuen Grundgesetzes, das er unterzeichnet hatte trotz einem Drohbrief /
des Kaisers Franz. Metternich war außer sich über diese Verhöhnung
der Karlsbader Beſchlüſſe, obwohl Württemberg nicht soweit gegangen
war; wie Bayern, das jene Beſchlüſſe nur verkündet Hat mit dem
Vorbehalt, „soferne sie der Suveränität, der Verfaſſung und den
bestehenden Gesetzen nicht entgegenstehen.“ Auch der sſterreichiſche
Präſidialgeſandte in Frankfurt ersehnte „die längst verschuldete Ver-
urteilung des Stuttgarter Höfleins '.?) Der Nassauiſche Minister Frhr.
v. Marschall vollends nannte die neue württembergiſche Verfaſſung
einen Triumph der revolutionären Partei in Deutſchland und ſuchte
den zu den Wiener Konferenzen Versammelten ihre Rechtswidrigkeit
und Gemeinschädlichkeit für Deutschland von Kapitel zu Kapitel nach-
uweiſen.
; i: u Tat standen Karlsbader Beſchlüſſe und württembergische
Verfassung in oſfenbarem Widerspruch: Jene erläuterten den 13. Artikel
der Bundesakte dahin, daß in den Bundesſtaaten nicht Verfassungen
1) Verhandlungen in der Verſammlung der Landstände 1819 Heft 453, 43.
?) Verhandlung in der Versammlung v. 1819 H. 45, 45. Ein eingehenderes
Urteil Uhlands über die Württ. Verfaſſung bei W. Reinöhl: Uhland als Politiker,
1911, 41 f. Robert Mohls motiviertes Urteil in der Zeiiſchr. f. geſ. Staatswiſss.
1850, 46 f. ~ ?) Alfr. Stern: Geschichte Enropas Bd. 1, 582, 491. 1894. ~ ') Ab-
gedruckt in der Zeitschrift für Deuiſches Staatsrecht Bd. 1, 149 f. 1867. î